Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. Gesellschafter. Arbeitnehmer. Arbeitnehmereigenschaft. gesetzlicher Richter. unrichtige Rechtsmittelbelehrung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Verfügt ein in einer GmbH mitarbeitender Gesellschafter über mehr als 50 % der Stimmrechte, steht er regelmäßig nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft.
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das auf dem Arbeitsvertrag beruhende Weisungsrecht ist wesentlicher Bestandteil eines jeden Arbeitsverhältnisses. Es kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
2. Arbeitnehmereigenschaft eines GmbH-Gesellschafters bei einer 50-%-Beteiligung bzw. bei einer gegebenen Sperrminorität.
Orientierungssatz
1. Im ersten Rechtszug ergeht auch der Beschluss über die Abhilfe oder Nichtabhilfe der sofortigen Beschwerde nach § 17a Abs. 4 GVG gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat, stets durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.
2. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf.
3. Auch Gesellschafter einer GmbH können in einem Arbeitsverhältnis zu dieser Gesellschaft stehen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn ein Gesellschafter als Kapitaleigner einen so großen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft hat, dass er über seine Gesellschafterstellung letztlich auch die Leitungsmacht hat.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b, § 5 Abs. 1, § 48 Abs. 1 Nr. 2, § 78 S. 3; GVG § 17a Abs. 4 S. 4; ZPO §§ 233-234, 236, 575 Abs. 2 Sätze 1-2, § 547 Nr. 1, § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 S. 3; BGB § 611; EStG § 19
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Beschluss vom 07.04.2014; Aktenzeichen 1 Ta 31/14) |
ArbG Suhl (Beschluss vom 23.01.2014; Aktenzeichen 5 Ca 1723/13) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 7. April 2014 – 1 Ta 31/14 – aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 23. Januar 2014 – 5 Ca 1723/13 – abgeändert:
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
3. Die Beklagte hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 3.500,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Klägers.
Der Kläger hat die beklagte GmbH mit einem weiteren Gesellschafter, Herrn R, im Jahr 1992 gegründet. Beide Gesellschafter besitzen jeweils 50 % der Gesellschaftsanteile und waren bis zum Jahr 2008 Geschäftsführer der Beklagten. Der Gesellschaftsvertrag vom 5. Juni 1992 bestimmt in § 13 Abs. 6:
„Die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer kann nur mit 75 v. H. aller Gesellschafter beschlossen werden.”
§ 15 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags enthält eine Liste von „besonderen” Geschäften, für die die Zustimmung der Gesellschafterversammlung durch einfachen Mehrheitsbeschluss einzuholen ist, darunter „die Maßnahmen zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführer” und „die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter sowie die Vertretung in Prozessen, welche sie gegen die vorgenannten zu führen hat”. § 15 Abs. 3 bestimmt abschließend:
„Die Liste der zustimmungsbedürftigen Geschäfte kann mit einem Mehrheitsbeschluss erweitert oder geändert werden.”
Am 15. Juli 2008 beschlossen die Gesellschafter in einer Gesellschafterversammlung, die Organstellung von Herrn R zum 30. September 2009 und die des Klägers zum 31. Januar 2011 zu beenden. Beide sollten im Anschluss daran in einem „normalen Angestelltenverhältnis” weiter im Unternehmen tätig sein.
Über das Ausscheiden des Klägers als Geschäftsführer kam es im Jahr 2011 zu einem Rechtsstreit mit der Beklagten vor dem Landgericht Meiningen, der durch gerichtlichen Vergleich vom 16. August 2012 endete. Nach dessen Ziffer 1 endete das Geschäftsführerdienstverhältnis des Klägers zum 31. Januar 2011. In Ziffer 2 heißt es:
„Zwischen [den Parteien] ist ein Angestelltenvertragsverhältnis als technischer Angestellter für Aufbaufertigung und Vertrieb des dezentralen innovativen Lüftungssystems … abgeschlossen.
…
Ab 01.09.2012 gilt hinsichtlich dieses Angestelltenvertrages als vereinbart, dass eine Arbeitszeit von wöchentlich 37 Stunden zu leisten ist. Für diese Tätigkeit vereinbaren die Parteien eine Vergütung in Höhe eines monatlichen Gehalts von 3.500,00 Euro.
…”
Es folgen sodann Einzelheiten über die Bezahlung und den Urlaub. Über die Durchführung dieses Angestelltenverhältnisses kam es erneut zu Auseinandersetzungen, die im Oktober 2013 zum Ausspruch einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung durch die Beklagte führten. Hiergegen richtet sich die vom Kläger beim Arbeitsgericht erhobene Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss der Kammer den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen. Der sofortigen Beschwerde des Klägers hat das Arbeitsgericht durch einen im Wege der Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergangenen Beschluss nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die „weitere Beschwerde” zugelassen. Nach der dem Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung kann gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht eingelegt werden. Diese müsse innerhalb eines Monats eingelegt und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung begründet werden. Der Kläger hat binnen Monatsfrist Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht eingelegt und diese sieben Tage vor Ablauf der Zweimonatsfrist begründet. Nach Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 5. Juni 2014 auf die sich aus § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 575 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 ZPO ergebende Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde hat der Kläger am 11. Juni 2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Entscheidungsgründe
II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers ist begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht wegen Versäumung der nach § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 575 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 ZPO maßgeblichen Begründungsfrist von einem Monat unzulässig.
a) Zum Zeitpunkt des Eingangs der Rechtsbeschwerdebegründung am 2. Juni 2014 war die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den am 9. April 2014 dem Kläger zugestellten Beschluss des Landesarbeitsgerichts zwar verstrichen. Dem Kläger ist jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO). Nachdem der Kläger mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 5. Juni 2014, zugestellt am 6. Juni 2014, auf die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist hingewiesen wurde, hat er am 11. Juni 2014 und damit innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag ordnungsgemäß begründet (§ 236 ZPO).
b) Der Antrag ist begründet, denn der Kläger war ohne sein Verschulden verhindert, die Rechtsbeschwerde fristgerecht zu begründen. Er durfte auf die in der Sache unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des Landesarbeitsgerichts vertrauen. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung rechtfertigt in der Regel die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung. Nur wenn die Rechtsmittelbelehrung offensichtlich nicht geeignet ist, den Anschein der Richtigkeit zu erwecken, ist die Fristversäumnis als schuldhaft anzusehen (BAG 10. Juni 2010 – 5 AZB 3/10 – Rn. 10, BAGE 134,367; BGH 12. Januar 2012 – V ZB 198/11, V ZB 199/11 – Rn. 10 f. mwN). Die Rechtsmittelbelehrung des Landesarbeitsgerichts ist bezüglich der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde falsch. Das Beschwerdegericht hat hier offenbar die für arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren maßgebliche Rechtsmittelbelehrung verwendet. Dieser Fehler ist indes nicht so offenkundig, dass für den Kläger nicht der Anschein einer richtigen Belehrung entstehen konnte.
2. Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts unterliegt nicht bereits nach § 577 Abs. 2 ZPO der Aufhebung von Amts wegen, weil es nicht erkannt hat, dass der Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts verfahrensfehlerhaft nicht durch die Kammer, sondern im Wege einer Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergangen ist.
a) Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ebenfalls durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen (ErfK/Koch 14. Aufl. § 48 ArbGG Rn. 8; GMP/Germelmann 8. Aufl. § 48 Rn. 118; GK-ArbGG/Bader Stand Juni 2014 § 48 Rn. 60).
b) Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb nicht wegen dieses Verfahrensfehlers des Arbeitsgerichts aufzuheben, weil die Rechtsbeschwerde die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Nichtabhilfe nicht gerügt hat. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf (vgl. GMP/ Müller-Glöge § 78 Rn. 56; zum Revisionsverfahren: BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10 – Rn. 13; ebenso bereits zu § 551 Nr. 1 ZPO aF: BGH 9. Juni 1993 – BLw 61/92 –).
Ob davon eine Ausnahme zu machen ist, wenn die Entscheidung objektiv willkürlich gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters verstößt (vgl. BGH 22. November 2011 – VIII ZB 81/11 – Rn. 9), kann offenbleiben. Denn einen solchen Fehler stellt die vorschriftswidrige Besetzung des Vordergerichts grundsätzlich nicht dar (BGH 29. April 2004 – V ZB 46/03 – zu II 1 der Gründe mwN). Das Arbeitsgericht hat das Gebot des gesetzlichen Richters weder grundlegend verkannt noch hat es unter willkürlicher Missachtung der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG entschieden. Insbesondere hat der Vorsitzende die Nichtabhilfeentscheidung nicht trotz der Erkenntnis allein getroffen, dass nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG die Zuständigkeit der Kammer gegeben war, und damit eine nicht mehr verständliche oder offensichtlich unhaltbare Missachtung der Zuständigkeitsnormen zum Ausdruck gebracht, die gegen das Willkürverbot verstoßen würde und einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen könnte (vgl. BGH 14. Mai 2013 – VI ZR 325/11 – Rn. 15). Vielmehr ist er offensichtlich davon ausgegangen, er könne über die Nichtabhilfe ebenso wie im Beschwerdeverfahren nach § 78 Satz 1 ArbGG, § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO allein entscheiden. Darin liegt kein objektiv willkürlicher Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters.
c) Hinzu kommt, dass die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts erster Instanz in der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nur dann erfolgreich ist, wenn auch der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts mit diesem Verfahrensmangel behaftet ist (vgl. BAG 16. Oktober 2008 – 7 AZN 427/08 – Rn. 11, BAGE 128, 130; BGH 30. Mai 1958 – V ZR 232/56 – NJW 1958, 1398). Die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Nichtabhilfe der sofortigen Beschwerde wirkt sich indes nicht auf den angefochtenen Beschluss des Landesarbeitsgerichts aus. Denn dieses hat nach § 78 Satz 3 ArbGG ordnungsgemäß ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter entschieden und den Sachverhalt selbständig und umfassend gewürdigt. Der Besetzungsfehler hat dadurch seine Bedeutung verloren (ebenso zu § 138 Nr. 1 VwGO: BVerwG 19. Juli 2010 – 2 B 127.09 – Rn. 5).
3. Die Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG zulässig ist. Nach dieser Bestimmung sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses die Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig. Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit liegt vor. Die Parteien streiten in dem Kündigungsschutzprozess über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung Arbeitnehmer der Beklagten iSv. § 5 Abs. 1 ArbGG.
a) Nach den vom Bundesarbeitsgericht zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers aufgestellten Grundsätzen unterscheiden sich beide durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das auf dem Arbeitsvertrag beruhende Weisungsrecht ist wesentlicher Bestandteil eines jeden Arbeitsverhältnisses. Es kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 17. April 2013 – 10 AZR 272/12 – Rn. 15, BAGE 145, 26).
b) Nach diesen Grundsätzen war der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung Arbeitnehmer der Beklagten.
aa) Der Kläger war gegenüber der Beklagten zur Verrichtung weisungsgebundener und fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Grundlage dafür ist der vor dem Landgericht Meiningen am 16. August 2012 geschlossene Arbeitsvertrag, aufgrund dessen sich die Parteien auf „ein Angestelltenvertragsverhältnis als technischer Angestellter” geeinigt und detaillierte Regelungen in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers, das Entgelt, die wöchentliche Arbeitszeit und den Urlaub getroffen haben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Umsetzung des Vergleichs eingeleitet, indem ihre Geschäftsführerin dem Kläger Arbeitsaufgaben gestellt und Anweisungen erteilt hat. Ausweislich des Kündigungsschreibens wurden dem Kläger auch Gegenstände zur Ausführung seiner Arbeitsaufgaben überlassen. Der Umstand, dass sich die Beklagte „nicht mehr gebunden fühlt”, stellt die Existenz eines Arbeitsverhältnisses ebenso wenig infrage wie der Streit der Parteien um Zahlungspflichten aus dem Vergleich. Selbst wenn die Beklagte ihr Weisungsrecht gegenüber dem Kläger nicht ausgeübt haben sollte, stünde dies der Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Denn die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses ist nur maßgebend, wenn die Parteien ein Vertragsverhältnis nicht als Arbeitsverhältnis, sondern zB als freies Dienstverhältnis bezeichnen, der Beschäftigte jedoch tatsächlich weisungsgebundene Tätigkeiten verrichtet (BAG 25. Januar 2007 – 5 AZB 49/06 – Rn. 12).
bb) Der Annahme eines Arbeitsverhältnisses steht nicht entgegen, dass der Kläger einer von zwei Mitgesellschaftern der beklagten GmbH ist.
(1) Auch Gesellschafter können in einem Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft stehen, deren Gesellschafter sie sind (BAG 9. Januar 1990 – 3 AZR 617/88 –; ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 140). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn ein Gesellschafter als Kapitaleigner einen so großen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft hat, dass er über seine Gesellschafterstellung letztlich auch die Leitungsmacht hat. In diesem Fall unterliegt er nicht dem Weisungsrecht des Geschäftsführers. Ob ein solcher Einfluss besteht, richtet sich in erster Linie nach den Stimmrechtsverhältnissen. Dementsprechend kann regelmäßig ein Gesellschafter, dem mehr als 50 % der Stimmrechte zustehen, nicht zugleich Arbeitnehmer dieser Gesellschaft sein. Auch der Minderheitsgesellschafter ist bei Bestehen einer Sperrminorität im Regelfall kein Arbeitnehmer (BAG 6. Mai 1998 – 5 AZR 612/97 – zu I 2 a der Gründe).
(2) Hiernach steht der rechtlichen Einordnung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis nicht entgegen, dass der Kläger über einen Gesellschaftsanteil von 50 % verfügt. Er ist damit nicht Mehrheitsgesellschafter der Beklagten. Aufgrund dieses Gesellschaftsanteils besitzt er keine Weisungsbefugnis gegenüber der Geschäftsführerin. Hierfür bedarf es nach § 13 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrags mindestens 75 % der Anteile. Der Kläger kann damit als Gesellschafter die Geschäftsführerin nicht anweisen, ihm bestimmte Weisungen zu erteilen oder solche zu unterlassen.
(3) Der Kläger kann auch nicht über eine Sperrminorität einen so großen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft ausüben, dass er über seine Gesellschafterstellung letztlich auch die Leitungsmacht hätte. Zwar könnte er aufgrund seiner hälftigen Kapitalbeteiligung die in § 15 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags aufgeführten „besonderen” Geschäfte blockieren und auf diese Weise zB Maßnahmen zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführer und die Geltendmachung von gegen ihn als Gesellschafter gerichteten Ersatzansprüchen durch die Geschäftsführer verhindern. Er kann die Geschäftsführung bezüglich des Tagesgeschäfts jedoch nicht behindern. Eine Erweiterung der Liste der „besonderen” Geschäfte etwa um Angelegenheiten des Tagesgeschäfts kann der Kläger mit seinem Anteil von 50 % nicht allein durchsetzen, weil sie nur durch Mehrheitsbeschluss möglich ist. Der Kläger kann daher mit seinem Anteil von 50 % nicht die Leitungsmacht über die Beklagte ausüben.
cc) Diesem Verständnis entspricht auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sozialversicherungsrechtlichen Einordnung mitarbeitender Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft. Diese sind hiernach nur dann Selbständige, wenn mit der Kapitalbeteiligung zugleich eine entsprechende Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen verbunden ist, etwa durch ein dem Gesellschaftsanteil entsprechendes Stimmgewicht oder in Form einer Sperrminorität, und wenn der Gesellschafter damit rechtlich über die Möglichkeit verfügt, ihm nicht genehme Weisungen hinsichtlich seiner Tätigkeit abzuwehren (vgl. nur BSG 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R – Rn. 16 mwN). In derartigen Fällen fehlt die das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis wesentlich kennzeichnende persönliche Abhängigkeit (vgl. BSG 3. April 2014 – B 2 U 26/12 R – Rn. 16). Der Kläger konnte indes aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung nicht jede ihm nicht genehme Weisung der Geschäftsführerin der Beklagten verhindern. Vielmehr war er an ihre Weisungen gebunden. Sie konnte ihm – wie geschehen – einseitig Aufgaben zuteilen, Arbeitsanweisungen erteilen und ihn von seinen Aufgaben durch fristlose Kündigung entbinden, ohne dass er sich dagegen bereits aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter mit Erfolg hätte wehren können.
III. Die Beklagte hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde zu tragen.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Brune
Fundstellen
Haufe-Index 7403327 |
BFH/NV 2015, 303 |
BAGE 2015, 110 |
BB 2014, 2867 |
DB 2014, 7 |
DStR 2015, 13 |
NJW 2015, 572 |
EBE/BAG 2014, 182 |
EWiR 2015, 199 |
FA 2015, 17 |
FA 2015, 29 |
NZA 2014, 1293 |
NZG 2014, 1437 |
ZIP 2015, 247 |
AP 2015 |
DZWir 2015, 137 |
EzA-SD 2014, 16 |
EzA 2015 |
MDR 2015, 167 |
NJ 2015, 81 |
ZInsO 2015, 358 |
ArbRB 2014, 362 |
ArbR 2014, 617 |
GWR 2014, 532 |
GmbHR 2015, 30 |
InsbürO 2015, 252 |
NJW-Spezial 2014, 721 |
NotBZ 2015, 147 |
AP-Newsletter 2015, 21 |