Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsänderung in einer Spielbank
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit dem Betriebszweck im Sinne von § 111 Satz 2 Nr 4 BetrVG ist der arbeitstechnische Zweck eines Betriebs gemeint, nicht der wirtschaftliche.
2. Der Betriebszweck kann sich dadurch ändern, daß dem bisherigen Betrieb eine weitere Abteilung mit einem weiteren arbeitstechnischen Betriebszweck hinzugefügt wird.
3. Eine Spielbank ändert ihren Betriebszweck grundlegend, wenn sie neben dem herkömmlichen Glücksspiel an Spieltischen (Spiel nach Art "Monte Carlo") in einem besonderen Saal mit eigenem Zugang das Spiel an Automaten (Spiel nach Art "Las Vegas") anbietet.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 1, § 112 Abs. 1-4, § 111 S. 2 Nr. 4
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.05.1983; Aktenzeichen 12 TaBV 9/82) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 29.09.1982; Aktenzeichen 1 BV 2/82) |
Gründe
A. Unternehmer und Betriebsrat streiten darüber, ob die Aufstellung von 50 Spielautomaten im Casino in H eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Unternehmers nach § 111 BetrVG ist und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausgelöst hat.
Der Unternehmer betreibt in H im "Casino " und im "Kleinen Spiel" eine Spielbank. Er beschäftigt dort etwa 180 Mitarbeiter. Es besteht ein Betriebsrat.
Im Casino wurde zunächst eine Spielbank mit den Spielen Roulette, Black Jack und Baccara und mit 15 Glücksspielautomaten betrieben. Am 12. Oktober 1981 eröffnete die Spielbank in diesem Casino einen Automatensaal mit 50 weiteren Spielautomaten. Für den Betrieb dieses Automatensaals werden bis zu sieben weitere Mitarbeiter benötigt, die den Saal beaufsichtigen, Gäste betreuen und Geld wechseln.
Der Betriebsrat hält die Eröffnung eines Automatensaals für eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme der Spielbank. Er hat vom Unternehmer die Aufstellung eines Sozialplans gefordert und die Einrichtung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 und 3 BetrVG betrieben (1 BV 1/82 ArbG Hannover). Der Unternehmer steht dagegen auf dem Standpunkt, daß die Bildung einer Einigungsstelle unzulässig ist. Er hat beantragt
festzustellen, daß die Bildung der Eini-
gungsstelle zum Zweck der Herbeiführung
eines Sozialplans anläßlich der Errich-
tung eines Automatensaals mit 50 Automa-
ten im "Casino " unzulässig
ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen. Er sieht in der Eröffnung des Automatensaals eine Betriebsänderung, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben könne. Das Tronc-Aufkommen, aus dem die Mitarbeiter vergütet werden, werde geschmälert, da beim Spiel mit Automaten keine Zahlungen an den Tronc geleistet würden.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Unternehmers stattgegeben. Die Beschwerde des Betriebsrats ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Betriebsrat erreichen, daß der Antrag des Unternehmers abgewiesen wird.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Unternehmers zu Unrecht stattgegeben. Der Betriebsrat hatte bei der Einrichtung des Automatensaals nach § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG mitzubestimmen. Er kann daher auch die Aufstellung eines Sozialplans verlangen.
I. Der Antrag des Unternehmers ist zulässig.
1. Der Antrag betrifft die Frage, ob der Betriebsrat aus Anlaß der Errichtung eines Automatensaals die Aufstellung eines Sozialplans verlangen kann.
Zwischen Unternehmer und Betriebsrat besteht Streit darüber, ob die Einrichtung eines Automatensaals eine Maßnahme ist, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG ausgelöst hat. Eine der Rechtsfolgen, die eine solche Betriebsänderung auslöst, ist die Verpflichtung des Unternehmers, sich mit dem Betriebsrat darüber zu einigen, ob und mit welchem Inhalt ein Sozialplan aufzustellen ist (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Können sich Unternehmer und Betriebsrat nicht einigen, können beide die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Im vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat die Einigungsstelle angerufen. Er hat ihre Errichtung nach § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG betrieben.
Das Recht des Betriebsrats, vom Unternehmer die Aufstellung eines Sozialplans verlangen zu können, ist zwar nur eine der Rechtsfolgen, die eine Betriebsänderung auslösen kann. Die übrigen Rechte, der Anspruch auf Information und Beratung (§ 111 Satz 1 BetrVG) und auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich (§ 112 Abs. 1 Satz 1, § 112 Abs. 2 und 3 BetrVG) sind aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Unternehmer hat die Maßnahme bereits durchgeführt. Der Betriebsrat kann diese Rechte nicht mehr durchsetzen. Er hat sich deshalb darauf beschränkt, einen Sozialplan zu verlangen und deswegen die Einigungsstelle anzurufen. Dabei ist die Einschaltung einer Einigungsstelle nur dann erforderlich, wenn sich die Beteiligten - auch nach der Entscheidung in diesem Verfahren - nicht auf einen Sozialplan einigen können. Insoweit ist der Antrag ungenau und muß in dem eingangs wiedergegebenen Sinne ausgelegt werden.
2. Der Antrag des Unternehmers ist bestimmt genug. Die Angelegenheit, für die das Recht des Betriebsrats, einen Sozialplan verlangen zu können, geleugnet wird, wird so genau bezeichnet, daß Zweifel nicht möglich sind.
3. Für die begehrte Entscheidung besteht ein Rechtsschutzinteresse. Es handelt sich um ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren. Das Bundesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit eines solchen Vorabentscheidungsverfahrens in ständiger Rechtsprechung bejaht (vgl. BAG 44, 285, 290 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, zu B I der Gründe, mit weiteren Nachweisen).
II. Der Antrag des Unternehmers ist jedoch unbegründet. Dem Betriebsrat stand bei der Einrichtung des Automatensaals ein Mitbestimmungsrecht nach § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG zu. Er konnte somit die Aufstellung eines Sozialplans verlangen (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 112 Abs. 2 bis 4 BetrVG a.F.).
1. Nach § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG gelten grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen als Betriebsänderungen im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG. Diese Voraussetzungen bestehen alternativ nebeneinander. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht dann, wenn eine grundlegende Änderung entweder der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen eingetreten ist. Hier hat der Unternehmer mit der zusätzlichen Einrichtung eines Automatensaals zumindest den Betriebszweck geändert.
a) Das Landesarbeitsgericht meint zwar, der Betriebszweck habe sich nicht geändert. Das wirtschaftliche Ziel des Betriebs, nämlich Einnahmen aus den Möglichkeiten des Glücksspiels zu erzielen, sei das gleiche geblieben. Damit hat das Landesarbeitsgericht jedoch die Bedeutung des Betriebszwecks im Sinne von § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG verkannt. Betriebszweck ist der mit dem Betrieb verfolgte arbeitstechnische Zweck (vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 106 Rz 70; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 63). Es kommt darauf an, "wie" die Einnahmen erzielt werden. Im Bereich der Dienstleistungsbetriebe ändert sich der Betriebszweck, wenn andere als die bisher angebotenen Dienstleistungen angeboten werden sollen.
Das ist hier der Fall. Zunächst wurde nur das Glücksspiel an Spieltischen angeboten. Von diesem Angebot unterscheiden sich die Spielmöglichkeiten in einem Automatensaal. Im Automatensaal werden andere Dienstleistungen angeboten. Hätte die Spielbank ihren Betrieb vollständig vom Spiel an Spieltischen mit den Spielen Roulette, Black Jack und Baccara (Spielbetrieb nach Art "Monte Carlo") auf Spielautomaten mit anderen Glücksspielen (Spielbetrieb nach Art "Las Vegas") umgestellt, hätte die Spielbank ihren Betriebszweck geändert.
Eine Änderung des Betriebszwecks liegt aber auch dann vor, wenn der Unternehmer dem bisherigen arbeitstechnischen Zweck einen weiteren arbeitstechnischen Zweck hinzufügt (vgl. Dietz/Richardi, aaO, § 111 Rz 63). Eine Änderung setzt nicht voraus, daß ein Betriebszweck völlig aufgegeben und an seiner Stelle ein neuer Betriebszweck verfolgt wird. Der Zweck des Betriebs kann sich auch ändern, wenn anstelle nur eines arbeitstechnischen Zwecks jetzt mehrere Zwecke verfolgt werden. Ob eine Änderung des Betriebszwecks vorliegt, kann nur festgestellt werden, wenn man den Zustand des Betriebs vor und nach der geplanten Betriebsänderung miteinander vergleicht.
b) Um Mitbestimmungsrechte auslösen zu können, muß es sich allerdings um eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks handeln.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine grundlegende Änderung setze die Einführung "von etwas völlig Neuem und Andersartigem" voraus, sie könne sich nicht "im quantitativen Bereich erschöpfen". Das ist nur zum Teil richtig.
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird mit der Einrichtung eines Automatensaals der Betriebszweck grundlegend geändert. Spielautomaten sind im Verhältnis zum Spiel an Spieltischen etwas völlig Neues und Andersartiges. Es werden andere Glücksspiele gespielt. Die Spieltechnik ist eine andere. Es besteht beim herkömmlichen Glücksspiel ein persönlicher Kontakt zwischen Spielern und Angestellten der Spielbank. Das führt dazu, daß die Spieler die Angestellten mit einem Trinkgeld an ihren Gewinnen beteiligen. Mit dem herkömmlichen Spiel ist die Einrichtung eines finanziell leistungsfähigen Tronc, in den alle Trinkgelder fließen, verbunden. Beim Automatenspiel sind keine Angestellten unmittelbar beteiligt, es gibt keine Trinkgelder und damit auch keinen Tronc. Es wird auch ein anderer Personenkreis angesprochen. Würde deshalb der Unternehmer das Spiel an Spieltischen aufgeben und stattdessen einen Automatensaal einrichten, handelte es sich um eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks.
Ebenso wie bei der Frage, ob sich der Betriebszweck geändert hat, muß aber auch die Frage, ob die Änderung grundlegend ist, auf den jeweiligen Betrieb vor und nach der - geplanten - Betriebsänderung bezogen werden. Vergleicht man diese beiden Zwecke miteinander, so hat die Spielbank durch die Erweiterung ihres Spielbetriebs ihre Betriebszwecke grundlegend geändert. Sie hat dem Spielbetrieb an Spieltischen nicht nur einen unwesentlichen Betriebszweck hinzugefügt (z. B. das Angebot bestimmter Nebenleistungen), sondern einen völlig neuartigen Spielbetrieb eröffnet (weitere Beispiele bei Dietz/Richardi, aaO, § 111 Rz 64).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts scheitert die Annahme, es habe sich um eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks und der Betriebsanlagen gehandelt, nicht daran, daß die Spielbank zuvor schon 15 Spielautomaten aufgestellt hatte. Ob die Aufstellung dieser 15 Spielautomaten schon eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung war, kann offenbleiben. Jedenfalls ist die Einrichtung eines in sich abgeschlossenen neuen Automatensaals mit eigenem Zugang und unterschiedlichem Publikum eine solche grundlegende Änderung des Betriebszwecks. Bezogen auf das Casino ist das etwas völlig Neues und Andersartiges. Die Einrichtung des Automatensaals erschöpft sich nicht in einer Vermehrung bereits vorhandener Einrichtungen. Unerheblich ist, daß in anderen Spielbanken diese Art des Glücksspiels bereits angeboten wurde.
2. Sind die Voraussetzungen des § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG erfüllt, braucht nicht zusätzlich geprüft zu werden, ob die Maßnahmen des Unternehmers wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können. Die in § 111 Satz 2 BetrVG aufgezählten Betriebsänderungen gelten unabhängig davon als Betriebsänderungen, die die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen (vgl. BAG 40, 36 = AP Nr. 11 zu § 111 BetrVG 1972). Ob Nachteile der Arbeitnehmer entstanden sind und ob diese durch einen Sozialplan ausgeglichen oder gemildert werden sollen, bleibt der Feststellung und Einigung zwischen Unternehmer und Betriebsrat oder dem Spruch der Einigungsstelle überlassen.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Menzel Dr. Wohlgemuth
Fundstellen
BAGE 50, 307-312 (LT1-3) |
BAGE, 307 |
DB 1986, 2085-2086 (LT1-3) |
AiB 1986, 213-213 (T) |
NZA 1986, 804-805 (LT1-3) |
RdA 1986, 139 |
AP § 111 BetrVG 1972 (LT1-3), Nr 15 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVE Entsch 27 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 530.14.5 Nr 27 (LT1-3) |
EzA § 111 BetrVG 1972, Nr 17 (LT1-3) |