Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch. grober Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung
Orientierungssatz
1. Beabsichtigt der Arbeitgeber, einen Arbeitnehmer für eine Bildungsmaßnahme freizustellen, kann der Betriebsrat nach § 98 Abs. 3 BetrVG eigene personelle Vorschläge für die Teilnahme an dieser Maßnahme machen. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber nach § 98 Abs. 4 BetrVG verpflichtet, sich mit dem Betriebsrat über die Auswahl der Teilnehmer zu einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, hat der Arbeitgeber die Einigungsstelle anzurufen.
2. Setzt sich der Arbeitgeber über diese eindeutige gesetzliche Regelung hinweg, kann der Betriebsrat nach § 23 Abs. 3 BetrVG die zukünftige Unterlassung dieser Handlung verlangen. Ein solcher Unterlassungsanspruch kann auch bereits nach einer einmaligen Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtung bestehen.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3, § 98 Abs. 3-4; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Juni 2012 – 9 TaBV 75/12 – aufgehoben.
2. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. Februar 2012 – 3 BV 774/11 – abgeändert.
Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder ohne Ersetzung der fehlenden Einigung durch die Einigungsstelle Arbeitnehmer für Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung freizustellen.
Der Arbeitgeberin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro angedroht.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch im Zusammenhang mit der Freistellung von Arbeitnehmern für Maßnahmen der beruflichen Bildung.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Logistikunternehmen. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.
Mit Schreiben vom 8. März 2011 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur Freistellung des Arbeitnehmers N zur Teilnahme am Lehrgang „MDD Weight and Balance” in der Zeit vom 23. bis zum 27. Mai 2011. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung mit E-Mail vom 14. März 2011 und benannte insgesamt sechs andere Arbeitnehmer, die seiner Auffassung nach bevorzugt hierfür einzuplanen seien. Zur Begründung führte er aus, es sei nicht ersichtlich, dass der Arbeitnehmer N die Weiterbildung benötige. Mit E-Mails vom 21. und 22. März 2011 beantragten sowohl Herr N als auch die Arbeitgeberin erneut die Zustimmung des Betriebsrats zu diesem Lehrgang. Auch hierzu verweigerte der Betriebsrat mit E-Mail vom 11. April 2011 seine Zustimmung und benannte erneut andere Arbeitnehmer, die seiner Auffassung nach bevorzugt zu berücksichtigen seien. Der Arbeitnehmer N nahm gleichwohl an der Weiterbildungsmaßnahme teil. Nach einem Protest des Betriebsrats gegen dieses Vorgehen entschuldigte sich ihm gegenüber der Arbeitnehmer N mit E-Mail vom 24. August 2011 und erklärte zugleich, er werde künftig an solchen Maßnahmen nicht mehr ohne Zustimmung des Betriebsrats teilnehmen.
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die Arbeitgeberin habe seine Beteiligungsrechte bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen bewusst und hartnäckig missachtet. Er hat in der Rechtsbeschwerde zuletzt beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder ohne Ersetzung der fehlenden Einigung durch die Einigungsstelle Arbeitnehmer für Maßnahmen der beruflichen Bildung und sonstigen Bildungsmaßnahmen freizustellen;
hilfsweise,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder ohne Ersetzung der fehlenden Einigung durch die Einigungsstelle Arbeitnehmer für Maßnahmen der beruflichen Bildung und sonstigen Bildungsmaßnahmen freizustellen, soweit die seitens der Arbeitgeberin ausgewählten Teilnehmer und die Vorschläge des Betriebsrats zusammengenommen die Anzahl der Fortbildungsplätze überschreiten;
- für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000,00 Euro anzudrohen.
Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt und gemeint, für den Unterlassungsanspruch fehle es an der erforderlichen Wiederholungsgefahr.
Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Hauptantrag und einen zusätzlich angebrachten Hilfsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat seinen Hauptantrag zu Unrecht abgewiesen. Die Hilfsanträge fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.
I. Der Hauptantrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig.
1. Nach seinem weit gefassten Wortlaut betrifft dieser Antrag sämtliche Fälle, in denen die Arbeitgeberin ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder einen diese ersetzenden Einigungsstellenspruch Arbeitnehmer für Maßnahmen der beruflichen Bildung und sonstige Bildungsmaßnahmen freistellt. Er umfasst damit auch die Konstellationen, in denen der Arbeitgeber von ihm vorgeschlagene Arbeitnehmer für Bildungsmaßnahmen freistellt, ohne dass der Betriebsrat seinerseits entsprechend § 98 Abs. 3 BetrVG Vorschläge für die Teilnahme von Arbeitnehmern oder Gruppen von Arbeitnehmern des Betriebs an dieser Maßnahme gemacht hat. In einem derartigen Fall wäre der Arbeitgeber jedoch nicht verpflichtet, nach § 98 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle anzurufen. Dies ist nur dann erforderlich, wenn der Betriebsrat selbst Teilnehmer benannt hat. Er kann sich nicht darauf beschränken, der vom Arbeitgeber getroffenen Auswahl nur zu widersprechen (BAG 20. April 2010 – 1 ABR 78/08 – Rn. 16, BAGE 134, 62).
Die gebotene Auslegung des Antrags unter Berücksichtigung des Anlassfalls und der Darlegungen des Betriebsrats in den Vorinstanzen macht jedoch deutlich, dass dieser mit seiner Antragstellung derartige Fallkonstellationen von vornherein nicht in den Blick genommen hat. Der Betriebsrat hat hier eigene personelle Gegenvorschläge zu der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Freistellung für die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme gemacht. Der Antrag ist deshalb dahin zu verstehen, dass er sich nur auf solche Fallkonstellationen bezieht, in denen er mit eigenen Vorschlägen der von der Arbeitgeberin für die Bildungsmaßnahme getroffenen Personalauswahl die Zustimmung verweigert. Weitergehende Rechte nimmt der Betriebsrat nicht in Anspruch. Dieses Antragsverständnis hat der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat bestätigt.
2. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts schließt der Wortlaut des Hauptantrags auch den Fall ein, dass der Betriebsrat zu dem Antrag der Arbeitgeberin einen personellen Gegenvorschlag macht und die Anzahl der insgesamt zur Verfügung stehenden Fortbildungsplätze größer ist als die Gesamtzahl der von der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat zusammen vorgeschlagenen Bewerber. Soweit das Beschwerdegericht aus diesem Grund den Hauptantrag als Globalantrag mit der Begründung abgewiesen hat, in einer solchen Konstellation bestehe kein betriebsverfassungsrechtlicher Konflikt, weil alle vorgeschlagenen Arbeitnehmer an der Bildungsmaßnahme teilnehmen könnten, hat es verkannt, dass diese fernliegende Fallkonstellation vom Antrag offenkundig nicht erfasst ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch auch für Fälle begehrt, in denen kein rechtlich relevanter Streit mit der Arbeitgeberin besteht.
3. Der so verstandene Hauptantrag ist zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei den im Antrag verwendeten Begriffen handelt es sich um Rechtsbegriffe des § 98 BetrVG, deren Inhalt zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht. Die Arbeitgeberin kann erkennen, was von ihr verlangt wird.
II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin hat grob gegen ihre Verpflichtungen aus § 98 Abs. 4 BetrVG verstoßen, indem sie – ohne sich mit dem Betriebsrats geeinigt zu haben und ohne Ersetzung der fehlenden Einigung durch die Einigungsstelle – einen Arbeitnehmer für eine Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung freigestellt hat. Gemäß § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat daher von der Arbeitgeberin verlangen, dies zukünftig zu unterlassen.
1. Der Lehrgang „MDD Weight and Balance” diente nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten der beruflichen Fortbildung der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin. Es handelt sich damit um eine Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung iSd. § 98 BetrVG.
2. Nach § 23 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen. Ein grober Verstoß des Arbeitgebers ist bei einer objektiv erheblichen und offensichtlich schwerwiegenden Pflichtverletzung zu bejahen (BAG 7. Februar 2012 – 1 ABR 77/10 – Rn. 15). Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es dabei nicht an. Der Annahme eines groben Verstoßes kann entgegenstehen, dass der Arbeitgeber seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt (BAG 19. Januar 2010 – 1 ABR 55/08 – Rn. 28, BAGE 133, 75). Eine grobe Pflichtverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr. Diese ist nur dann ausgeschlossen, wenn aus faktischen oder rechtlichen Gründen eine Wiederholung des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens ausscheidet. Die bloße Zusicherung, zukünftig betriebsvereinbarungswidriges Verhalten zu unterlassen, genügt hierfür hingegen nicht (BAG 7. Februar 2012 – 1 ABR 77/10 – Rn. 15).
3. Bei der Gewichtung eines Verhaltens des Arbeitgebers als „groben Verstoß” gegen die Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz haben die Tatsacheninstanzen einen Beurteilungsspielraum. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Begriff selbst verkannt hat, ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. BAG 22. Juni 1993 – 1 ABR 62/92 – zu B III 3 a der Gründe, BAGE 73, 291).
4. Diesem eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht einen groben Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtungen aus § 98 Abs. 4 BetrVG verneint. Es ist hierbei von fehlerhaften rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen und hat den Sachverhalt unvollständig gewürdigt.
a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der einmalige Verstoß der Arbeitgeberin gegen § 98 Abs. 4 BetrVG könne nicht als grob iSd. § 23 Abs. 3 BetrVG angesehen werden, ist unzutreffend. Auch die einmalige Verletzung der Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz kann grob iSd. § 23 Abs. 3 BetrVG sein, wenn sie nur schwerwiegend genug ist (BAG 14. November 1989 – 1 ABR 87/88 – zu B II 2 der Gründe).
b) Bei der Gewichtung des Verstoßes gegen § 98 Abs. 4 BetrVG hat das Landesarbeitsgericht zwar berücksichtigt, dass der Betriebsrat zu dem von der Arbeitgeberin für die Bildungsmaßnahme vorgeschlagenen Arbeitnehmer N mehrere namentlich benannte Gegenvorschläge gemacht hat, die die Anzahl der zur Verfügung stehenden Lehrgangsplätze überstiegen. Die Arbeitgeberin hatte daher nach dieser Bestimmung eine Einigung mit dem Betriebsrat über die Auswahl der Teilnehmer an der Maßnahme der betrieblichen Berufsbildung herbeizuführen. Nachdem diese nicht zustande kam, war sie nach der eindeutigen gesetzlichen Anordnung verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen. Das Beschwerdegericht hat insoweit nicht beachtet, dass für die Arbeitgeberin an dieser Verpflichtung kein Zweifel bestanden hat und auch nicht bestehen konnte. Die Arbeitgeberin hat nicht einmal behauptet, ihr sei die Rechtslage unklar gewesen. Mit ihrer abweichenden Rechtsposition hat sie sich vielmehr über die eindeutige gesetzliche Anordnung hinweggesetzt und diese offensichtlich für sich als nicht verbindlich erachtet. Sie hat damit nachhaltig und grob gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung verstoßen.
c) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist eine Wiederholungsgefahr nicht deswegen ausgeschlossen, weil sich der Arbeitnehmer N für die Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme mit E-Mail vom 24. August 2011 entschuldigt und erklärt hat, Versäumnisse dieser Art kämen zukünftig nicht wieder vor. Diese Entschuldigung ist für die Gewichtung der Pflichtverletzung der Arbeitgeberin schon deswegen irrelevant, weil sie ihr nicht zugerechnet werden kann und sich auch nur auf das Verhalten dieses Arbeitnehmers bezieht. Nicht einmal die Arbeitgeberin hat behauptet, dass diese Erklärung in ihrem Namen oder durch sie bevollmächtigt abgegeben worden sei. Im Übrigen wäre eine solche Erklärung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände auch nicht geeignet, eine Wiederholungsgefahr zu verneinen.
d) Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die durch die grobe Pflichtverletzung indizierte Wiederholungsgefahr ausgeschlossen ist, liegen nicht vor.
Unterschriften
Schmidt, Koch, Linck Wisskirchen, Seyboth
Fundstellen
Haufe-Index 6991946 |
BB 2014, 1908 |
DB 2014, 1628 |