Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Prozesskostenhilfe. nicht unverzügliche Mitteilung der Änderung der Anschrift. Beschwerderecht der Staatskasse. Prozesskostenhilfe
Orientierungssatz
Eine Beschwerde, mit der die Staatskasse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen sucht, ist auch nach der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533) nicht statthaft.
Normenkette
ZPO §§ 120a, 124 Abs. 1 Nr. 4, § 127 Abs. 2, 3 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.06.2015; Aktenzeichen 4 Ta 8/15) |
ArbG Stuttgart (Beschluss vom 08.04.2015; Aktenzeichen 30 Ca 240/14) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Staatskasse des Landes Baden-Württemberg gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 10. Juni 2015 – 4 Ta 8/15 – wird als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I.
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen einer nicht unverzüglich mitgeteilten Änderung der Anschrift der Partei.
Das Arbeitsgericht Stuttgart bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 12. März 2014 ratenfreie Prozesskostenhilfe für eine Kündigungsschutzklage und ordnete ihr Rechtsanwältin B als Prozessbevollmächtigte bei. Mit Schreiben vom 4. Februar 2015 an ihre Prozessbevollmächtigte forderte die zuständige Rechtspflegerin die Klägerin zur Erklärung über ihre derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf. Nachdem die Prozessbevollmächtigte erklärt hatte, das Schreiben an ihre Mandantin sei mit dem Vermerk „Empfänger nicht zu ermitteln” zurückgekommen und ihr sei eine andere Adresse nicht bekannt, ermittelte die zuständige Rechtspflegerin die aktuelle Adresse der Klägerin im Wege einer sog. einfachen Behördenauskunft. Die Adresse teilte sie der Prozessbevollmächtigten mit und gewährte mit einem weiterem Schreiben vom 11. März 2015 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Mitteilung der Änderung der Anschrift. Die Klägerin erklärte unter dem 28. März 2015 schriftlich, sie habe es „durch ein Versäumnis” verpasst, ihre Adressänderung „seit Mai 2014” mitzuteilen, und bitte um Entschuldigung.
Mit Beschluss vom 8. April 2014 hat das Arbeitsgericht die Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben. Der sofortigen Beschwerde hat es mit Beschluss vom 3. Juni 2015 nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom 10. Juni 2015 hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 8. April 2014 aufgehoben und die Rechtsbeschwerde für die Staatskasse zugelassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
1. Die Bezirksrevisorin, die die Rechtsbeschwerde form- und fristgemäß eingelegt und begründet hat (§ 575 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO), ist als Vertreterin der Staatskasse unmittelbar postulationsfähig (vgl. BGH 11. Mai 2005 – XII ZB 242/03 – Rn. 7 f.; BAG 5. November 2012 – 3 AZB 23/12 – Rn. 9, BAGE 143, 250).
2. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Staatskasse nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu erreichen sucht, ist nicht statthaft. Der Staatskasse steht kein Beschwerderecht zu.
a) Nach § 127 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ZPO hat die Staatskasse ein Beschwerderecht gegen solche Entscheidungen im Prozesskostenhilfeverfahren, die nach Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei dazu führen, dass Prozesskostenhilfe ohne die Festsetzung von Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlender Beträge bewilligt wird (BAG 5. November 2012 – 3 AZB 23/12 – Rn. 10, BAGE 143, 250; BGH 8. Mai 2013 – XII ZB 282/12 – Rn. 18). Das Beschwerderecht der Staatskasse ist nach § 127 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO auf die Fälle beschränkt, in denen Prozesskostenhilfe zwar bewilligt, rechtsfehlerhaft jedoch weder eine Ratenzahlung aus dem Einkommen noch eine Zahlung aus dem Vermögen der Partei angeordnet wurde. Sinn und Zweck des Beschwerderechts bestehen ausweislich der Gesetzesbegründung darin, sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei gründlich ermittelt und Haushaltsmittel nur zugunsten der wirklich bedürftigen Rechtsuchenden eingesetzt werden (vgl. BT-Drs. 10/6400 S. 42, 48 und BT-Drs. 10/3054 S. 50 f.). Es sollen mithin zu Unrecht erfolgte „Nulltarifbewilligungen” nachträglich im Interesse der Länderhaushalte korrigiert werden können. Dementsprechend hat der Gesetzgeber der Staatskasse nur ein auf diesen Umfang beschränktes Beschwerderecht zugebilligt (BGH 17. November 2009 – VIII ZB 44/09 – Rn. 4), das auch die nachfolgenden Entscheidungen gemäß § 120a ZPO erfasst, durch die nach neuer Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die zuvor ratenfrei bewilligte Prozesskostenhilfe aufrechterhalten oder die zunächst angeordnete Ratenzahlung später aufgehoben wird (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 120 Abs. 4 ZPO BGH 8. Mai 2013– XII ZB 282/12 – Rn. 29). Eine von der Staatskasse mit dem Ziel eingelegte Beschwerde, die Verweigerung von Prozesskostenhilfe zu erreichen, ist danach nicht statthaft (BGH 17. November 2009 – VIII ZB 44/09 – Rn. 4).
b) Diese Einschränkung der Beschwerdebefugnis gilt auch nach der Neuregelung des Prozesskostenhilferechts durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533). Der noch im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Ausweitung des Beschwerderechts der Staatskasse mit dem Ziel, dieser auch ein Beschwerderecht bei Entscheidungen über die Aufhebung von Prozesskostenhilfebewilligungen einzuräumen (BT-Drs. 17/11472 S. 9, 36), ist der Rechtsausschuss entgegengetreten (BT-Drs. 17/13538 S. 9, 27). Die von der Bundesregierung beabsichtigte Änderung des Beschwerderechts der Staatskasse ist später auch nicht Bestandteil der beschlossenen Gesetzesänderungen geworden, die Rechtslage ist insoweit vielmehr unverändert geblieben. Dies verdeutlicht den Willen des Gesetzgebers, die Beschwerdebefugnis der Staatskasse auf Fälle der vorliegenden Art nicht zu erstrecken.
3. An der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde ändert nichts, dass das Landesarbeitsgericht diese zugelassen hat. Ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann grundsätzlich nicht allein dadurch zulässig werden, dass die Vorinstanz das Rechtsmittel zulässt (BAG 15. September 2005 – 3 AZB 48/05 – Rn. 5).
III. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens findet gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.
Unterschriften
Linck, Schlünder, Brune
Fundstellen