Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche sofortige Beschwerde gegen nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Zulässigkeit der außerordentlichen sofortige Beschwerde gegen die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage

 

Leitsatz (redaktionell)

Der im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Rechtsbehelf der außerordentlichen sofortigen Beschwerde ist auf krasse Ausnahmefälle beschränkt. Ein solcher krasser Ausnahmefall liegt vor, wenn die angegriffene Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung nicht vereinbar ist, da sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist. Nicht ausreichend ist hingegen, dass sich die angefochtene Entscheidung lediglich als rechtsfehlerhaft erweist.

 

Normenkette

ZPO § 574

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Beschluss vom 06.03.2002; Aktenzeichen 4 Ta 410/01)

 

Tenor

Die „sofortige, weitere, außerordentliche Beschwerde” des Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 6. März 2002 – 4 Ta 410/01 – wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

Streitwert: 3.436,39 Euro = 6.721,00 DM.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin begehrt die nachträgliche Zulassung ihrer verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage.

Im Hauptverfahren wendet sie sich mit der am 22. Mai 2001 beim Arbeitsgericht Dresden eingegangenen Klage gegen die ihr am 30. April 2001 zugegangene ordentliche Kündigung des Beklagten. Mit Urteil vom 16. Oktober 2001 (– 10 Ca 3680/01 –) hat das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung (Sächsisches Landesarbeitsgericht – 8 Sa 1047/01 –) eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Am 18./19. Oktober 2001 teilte die Vorsitzende der 10. Kammer des Arbeitsgerichts den Parteien mit, es sei beim Absetzen der Entscheidungsgründe aufgefallen, dass die Klagefrist des § 4 KSchG nicht gewahrt sei. Den am 30. Oktober 2001 von der Klägerin gestellten Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 27. November 2001 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 6. März 2002 (– 4 Ta 410/01 –) den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen. Die Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht nicht zugelassen. Mit einem weiteren Beschluss vom 6. Mai 2002 hat das Landesarbeitsgericht die Gegenvorstellung des Beklagten vom 28. März 2002 zurückgewiesen und die „sofortige, weitere, außerordentliche Beschwerde” des Beklagten vom gleichen Tage als unzulässig verworfen. Mit der am 28. März 2002 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen „sofortigen, weiteren, außerordentlichen Beschwerde” beantragt der Beklagte,

den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 6. März 2002 abzuändern mit dem Inhalt, dass die seitens der Beschwerdeführerin/Klägerin mit Datum vom 18. Dezember 2001 eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dresden vom 27. November 2001 zurückgewiesen wird.

Die Klägerin beantragt,

die sofortige Beschwerde, hilfsweise die Rechtsbeschwerde oder die Revisionsbeschwerde des Rechtsmittelführers vom 28. März 2002 zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag ist unzulässig. Gegen den angefochtenen Beschluss des Landesarbeitsgerichts findet kein Rechtsmittel statt. Es kann offen bleiben, ob der vom Beklagten eingelegte Rechtsbehelf als Rechtsbeschwerde, Revisionsbeschwerde oder als außerordentliche Beschwerde zu verstehen ist.

1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO liegen nicht vor. Ob die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Rechtsbeschwerde (§ 574 ff. ZPO) auf das Verfahren der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen nach § 5 KSchG überhaupt Anwendung finden (dagegen Hessisches LAG 17. Mai 2002 – 15 Ta 77/02 – zVv.; GK-ArbGG/Wenzel Stand Februar 2002 § 78 Rn. 21), kann dahinstehen. Denn weder ist die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG im Gesetz bestimmt (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), noch hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde in seinem Beschluss zugelassen (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

2. Die Voraussetzungen einer Revisionsbeschwerde nach § 77 ArbGG liegen offenkundig nicht vor.

3. Eine außerordentliche sofortige Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist nicht zulässig.

a) Dieser im Gesetz nicht vorgesehene außerordentliche Rechtsbehelf ist auf wirkliche Ausnahmefälle krassen Unrechts beschränkt (BGH 14. Dezember 1989 – IX ZB 40/89 – NJW 1990, 1794, 1795). Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn die Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist (BGH 12. Oktober 1989 – VII ZB 4/89 – BGHZ 109, 41, 43 f.; 4. März 1993 – V ZB 5/93 – BGHZ 121, 397). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (BGH 8. Oktober 1992 – VII ZB 3/92 – BGHZ 119, 372, 376 f.). Es reicht nicht aus, wenn sich die angefochtene Entscheidung lediglich als rechtsfehlerhaft erweist. Auch die Nichtbeachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften allein rechtfertigt noch nicht die außerordentliche Anfechtung solcher Entscheidungen, die nach der gesetzlichen Regelung keinem Rechtsmittel unterliegen (BGHZ 109, 41, 44).

b) Die vorstehend wiedergegebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer außerordentlichen Beschwerde liegen nicht vor.

Soweit der Beklagte meint, das Beschwerdegericht habe gegen § 5 KSchG verstoßen, bemängelt er im wesentlichen die Anwendung eines nach seiner Meinung zu großzügigen Maßstabs bei der Beurteilung der Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten sowie eine unzutreffende Würdigung des Streitstoffs. Selbst wenn dieser Vorwurf gerechtfertigt wäre, so würde er doch zugleich beinhalten, dass das Beschwerdegericht das richtige Gesetz angewandt und den Streitstoff gewürdigt hat sowie zu einem dem Gesetz nicht grundsätzlich fremden Ergebnis gelangt ist. Die ausführliche Auseinandersetzung des Beklagten mit den ebenfalls eingehenden Ausführungen des Beschwerdegerichts zeigen gerade, dass das Beschwerdegericht eine argumentativ gestützte und sich im Rahmen des juristischen Diskurses haltende Begründung für seine Entscheidung gegeben hat. Bereits dies schließt es aus, die Entscheidung als „krasses Unrecht” im oben beschriebenen Sinne zu betrachten.

Der Beklagte meint, das Beschwerdegericht habe dem Umstand Bedeutung beimessen müssen, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung erst infolge eines nach Verkündung des Urteils erster Instanz erfolgten Hinweises der Kammervorsitzenden gestellt wurde. Ob dieser Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 1 ZPO gerechtfertigt oder gar geboten war, kann dahinstehen. Jedenfalls verpflichtet das Gesetz die Vorsitzende, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Der hier erfolgte Hinweis war also dem Gesetz seiner Art und seinem Inhalt nach keineswegs fremd. Die Grenzen der Hinweispflicht und des Hinweisrechts der Vorsitzenden können unterschiedlichen Wertungen unterliegen (vgl. nur Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 139 Rn. 2). Dass die Vorsitzende im vorliegenden Fall diesen Spielraum dahin verstanden hat, auf einen für das Verfahren u.U. entscheidenden, von den Parteien und dem Gericht aber zunächst übersehenen Gesichtspunkt sei auch nach Verkündung des Urteils noch hinzuweisen, offenbart ein sensibles, keinesfalls aber abwegiges Verständnis von den Geboten prozessualer Fairness. Im Übrigen rechtfertigt sogar die Nichtbeachtung wesentlicher Verfahrensvorschriften allein noch nicht die außerordentliche Anfechtung solcher Entscheidungen, die nach der gesetzlichen Regelung keinem Rechtsmittel unterliegen (BGH aaO, BGHZ 109, 41, 44).

Auch indem das Arbeitsgericht über den Antrag auf nachträgliche Zulassung entschieden hat, obwohl es zuvor schon ein Urteil in der Hauptsache verkündet hatte, hat es sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht außerhalb des gesetzlich Möglichen bewegt. Die vom Arbeitsgericht gewählte Verfahrensweise wird in der Kommentarliteratur ausdrücklich empfohlen (vgl. KR-Friedrich KSchG 6. Aufl. § 5 Rn. 173).

Für die vom Beklagten beanstandete angebliche Verletzung von Grundrechten – insbesondere Art. 3 GG – ist nichts ersichtlich. Dass andere Gerichte oder sogar alle anderen Gerichte in Deutschland, wie der Beklagte meint, den Antrag der Klägerin auf nachträgliche Zulassung zurückgewiesen hätten, ist eine vom Beklagten nicht belegte rein spekulative Einschätzung. Im Übrigen könnte selbst ein Verfassungsverstoß die Statthaftigkeit eines im Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsmittels nicht begründen (vgl. zu Art. 103 GG BAG 21. April 1998 – 2 AZB 4/98BAGE 88, 259; BVerfG 2. März 1982 – 2 BvR 869/81 – BVerfGE 60, 96, 98; vgl. auch BVerfG 4. August 1995 – 1 BvR 606/94 und 2217/94 – NJW 1996, 245). Verfassungsverstöße sind mit der vom Gesetzgeber dafür vorgesehenen Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Ein nach der Zivilprozessordnung unstatthaftes Rechtsmittel wird nicht dadurch statthaft, dass es auf einen Verfassungsverstoß gestützt wird (vgl. für Art. 103 GG: BGH 14. Dezember 1989 – IX ZB 40/89 – NJW 1990, 1794, 1795 mwN). III. Die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsbehelfs muss die Beklagte tragen.

 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1480104

AUR 2002, 470

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