Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6, § 281 Abs. 2 Sätze 3, 5; GVG § 17a Abs. 2, 4 n.F.; ArbGG § 48a Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Beschluss vom 10.12.1991; Aktenzeichen 4 Ca 258/91) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Gießen bestimmt.
Tatbestand
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Aufwendungsersatz und Freistellung von einer Darlehensschuld. Er trägt vor, daß er diese Aufwendungen im Rahmen eines zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses getätigt habe, und auch das von ihm aufgenommene Darlehen stehe damit in Verbindung. Er hat daher Klage vor dem Arbeitsgericht Gießen erhoben. Die Beklagte hat die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit gerügt und die Auffassung vertreten, daß ein Arbeitsverhältnis mit ihr nicht bestanden habe. Vielmehr sei der Kläger bei ihrer kanadischen Tochtergesellschaft angestellt gewesen.
Mit Beschluß vom 28. Juni 1991 hat das Arbeitsgericht Gießen dem Kläger aufgegeben, zur sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts Stellung zu nehmen. Daraufhin haben sich beide Parteien zu der Frage geäußert, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Durch Beschluß vom 6. August 1991 hat das Arbeitsgericht Gießen den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Gießen verwiesen, und zwar mit der Begründung, der Kläger sei weder Arbeitnehmer der Beklagten noch arbeitnehmerähnliche Person im Sinne von § 5 Abs. 1 ArbGG gewesen. Das Landgericht Gießen hat sich durch Beschluß vom 15. November 1991 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit seinerseits an das Arbeitsgericht Gießen zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Gießen sei nicht mehr als eine im Rahmen des § 281 ZPO liegende Entscheidung anzusehen; er sei willkürlich, da ein Verweisungsantrag nicht gestellt worden sei und damit eine Verletzung rechtlichen Gehörs vorliege. Durch Beschluß vom
10. Dezember 1991 hat das Arbeitsgericht die Übernahme der Sache abgelehnt und sie dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Nr. 6 ZPO vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II. Zuständig ist das Landgericht Gießen.
1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Diese Vorschrift ist auch bei einem negativen Kompetenzkonflikt von Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten anwendbar (BAG Beschluß vom 25. November 1983 – 5 AS 20/83 – AP Nr. 34 zu § 36 ZPO). Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder auch durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist vorliegend für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Arbeitsgericht und dem Landgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.; BGHZ 44, 14, 15).
2. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Gießen bindet das Landgericht Gießen, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist.
a) Nach § 48 Abs. 1 ArbGG a.F. fanden die §§ 11, 281 ZPO auf das Verhältnis der Arbeitsgerichte und der ordentlichen Gerichte zueinander entsprechende Anwendung. Es galten also dieselben Grundsätze, wie sie für die sachliche Zuständigkeit vorgesehen waren. Aus § 48 Abs. 1 ArbGG a.F. in Verb. mit § 281 Abs. 2 Satz 3, 5 ZPO, der nicht geändert worden ist, ergab sich, daß der Verweisungsbeschluß für die Parteien unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend war.
b) Durch das 4. VwGOÄndG vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2809) sind die Regeln zur Prüfung des Rechtsweges und über die Verweisung von Rechtsstreitigkeiten in einen anderen Rechtsweg für alle Gerichtsbarkeiten neu gestaltet und in das GVG aufgenommen worden. Nunmehr bestimmt § 17 a GVG n.F., auf den § 48 Abs. 1 ArbGG i.d.F. von Art. 6 des 4. VwGOÄndG verweist:
„…
(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.
…
(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.”
Ein Verweisungsantrag des Klägers ist also nach neuem Recht nicht mehr erforderlich. Nunmehr ist der Verweisungsbeschluß zwar anfechtbar; an der Bindung des Gerichts, an das verwiesen worden ist, hat sich aber nichts geändert. Die von der Rechtsprechung zum alten Recht entwickelten Grundsätze sind daher insoweit weiter heranzuziehen.
3.a) Die bindende Wirkung muß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO beachtet werden (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe, zuletzt BAG Beschluß vom 8. März 1991 – 5 AS 1/91 –, n.v., zu II 2 der Gründe; ferner BGHZ 17, 168; 28, 349, 350). Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe, m.w.N.). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 8. März 1991 – 5 AS 1/91 – n.v., zu II 2 der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164).
b) Die letztgenannten Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Landgericht ist bei seiner Beschlußfassung offensichtlich noch von der alten Rechtslage ausgegangen, indem es auf § 281 ZPO verwies und ausführte, der Beschluß des Arbeitsgerichts sei willkürlich, da die Verweisung ohne entsprechenden Antrag und damit unter Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgt sei. § 281 ZPO ist nicht mehr maßgebend; ein Antrag des Klägers ist nicht mehr erforderlich. Nach § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG n.F. spricht das angegangene Gericht die Verweisung von Amts wegen aus. Im übrigen war den Parteien rechtliches Gehör gewährt worden. Von einem offensichtlich gesetzwidrigen Verweisungsbeschluß kann schon deshalb keine Rede sein. Ob die rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Zuständigkeit zutreffend war oder nicht, spielte und spielt keine Rolle für die im Gesetz angeordnete Bindung an den Verweisungsbeschluß.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, daß auch nach altem Recht Verfahrensfehler, wie z.B. ein fehlender Antrag die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht beseitigten (BGH Urteil vom 11. Juli 1990 – XII ARZ 26/90 – FamRZ 1990, 1226).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke
Fundstellen