Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsänderung in der Rechtsbeschwerdeinstanz
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1-2, § 561 Abs. 1, §§ 566, 523, 263-264, 267; ArbGG §§ 92, 87 Abs. 2, § 81 Abs. 3; BetrVG § 101 S. 1, § 23 Abs. 3 S. 1; RVO § 719
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 20.10.1987; Aktenzeichen 16 TaBV 97/87) |
ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 11.06.1987; Aktenzeichen 11 BV 22/87) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 1987 – 16 TaBV 97/87 – wird als unzulässig zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Der Betriebsrat des Landbetriebes Düsseldorf wendet sich gegen die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten.
Der Arbeitgeber unterhielt am Sitz seiner Hauptverwaltung auf dem Düsseldorfer Flughafen eine räumlich und organisatorisch abgetrennte besondere Abteilung „Catering”. Dort wurden die für die Versorgung des Flugbetriebes erforderlichen Waren gelagert, verwaltet und verladefertig gepackt. Für diesen Betriebsbereich war ursprünglich der Arbeitnehmer M als Sicherheitsbeauftragter zur Unterstützung des Arbeitgebers bei der Durchführung des Unfallschutzes bestellt. Mit Schreiben vom 16. Juli 1986 regte der Catering-Manager bei der Personalabteilung an, als Ersatz für den zwischenzeitlich aus der Abteilung ausgeschiedenen Herrn M den Arbeitnehmer R zu bestellen. Die Personalabteilung leitete dem Betriebsrat dieses Schreiben zu. Der Betriebsrat machte daraufhin mit Schreiben vom 24. Juli 1986 den Alternativvorschlag, das Betriebsratsmitglied Frank A zu bestellen. Zur Begründung verwies der Betriebsrat auf die Notwendigkeit, die Arbeitssicherheit in diesem Bereich zu erhöhen. Gegen den Personalvorschlag des Managers spreche, daß der von ihm vorgeschlagene Arbeitnehmer noch keine Fachkenntnisse besitze, während der Gegenkandidat schon an Schulungen über Arbeitssicherheit und Unfallverhütung teilgenommen habe. Auf das Betriebsratsschreiben antwortete die Personalabteilung am 29. Juli 1986 wie folgt:
„Nach interner Beratung mit der Catering Leitung wollen wir den Herrn R als Sicherheitsbeauftragten gemäß § 719 Abs. 1 RVO bestellen. Die Schulung kann in den von der Berufsgenossenschaft angebotenen Seminaren erfolgen.
Trotz der möglicherweise vorhandenen Kenntnisse von Herrn A auf betriebsverfassungsrechtlichem und arbeitsschutzrechtlichem Gebiet möchten wir Herrn R den Vorzug geben, weil Herr A bereits durch seine Betriebsratstätigkeit stark in Anspruch genommen ist.
Wir sind gerne bereit, in Ihrer nächsten Sitzung unsere Auswahlentscheidung im Rahmen von § 89 BetrVG mit Ihnen zu erörtern.”
Mit schriftlicher Gegenvorstellung vom 15. August 1986 wies der Betriebsrat darauf hin, daß seiner Ansicht nach die in § 719 Abs. 1 Satz 2 RVO geregelte Form der Mitwirkung des Betriebsrates dem Arbeitgeber abverlange, die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen. Dem widersprach die Personalabteilung und teilte dem Betriebsrat am 18. August 1986 mit, daß sie zwischenzeitlich entsprechend dem Vorschlag des Catering-Managers Herrn R zum Sicherheitsbeauftragten für die Catering-Abteilung bestellt habe. Daraufhin hat der Betriebsrat das vorliegende Beschlußverfahren eingeleitet. Er hat beantragt,
der Antragsgegnerin aufzugeben, die Bestellung des Mitarbeiters R als Sicherheitsbeauftragten gemäß § 719 Abs. 1 RVO rückgängig zu machen.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung: § 719 Abs. 1 Satz 2 RVO verpflichte ihn nur, den Betriebsrat zu unterrichten, anzuhören und gegebenenfalls sich auch mit diesem zu beraten. Diese Mitwirkungsrechte des Betriebsrates habe er respektiert.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. In der Rechtsbeschwerde läßt der Betriebsrat vortragen, nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses sei die Catering-Abteilung „in der bis dahin bestehenden Form aufgelöst” und der dort zum Sicherheitsbeauftragten bestellte Mitarbeiter R in eine andere Abteilung versetzt worden. Wegen der dadurch eingetretenen Erledigung des konkreten Streitfalles würden statt des bisherigen Leistungsantrags folgende Anträge gestellt:
- festzustellen, daß die Bestellung eines Sicherheitsbeauftragten durch die Antragsgegnerin der Zustimmung des Antragstellers bedarf,
- hilfsweise, daß die Bestellung des Mitarbeiters R zum Sicherheitsbeauftragten für den Bereich Catering der Zustimmung des Antragstellers bedurfte,
- hilfsweise festzustellen, daß die Antragsgegnerin dadurch, daß sie den Mitarbeiter R zum Sicherheitsbeauftragten für den Bereich Catering bestellte, nachdem sie den anderweitigen Vorschlag des Antragstellers lediglich entgegengenommen hatte, nicht der Verpflichtung auf „Mitwirkung” gemäß § 719 RVO nachgekommen ist.
Im Rechtsbeschwerdeverfahren wurde dann der Antrag, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Bestellung des Mitarbeiters R als Sicherheitsbeauftragten rückgängig zu machen, von den Verfahrensbevollmächtigten beider Beteiligten für erledigt erklärt. Insoweit wurde das Verfahren eingestellt. Desweiteren nahm der Prozeßbevollmächtigte des Betriebsrats den Hilfsantrag zu 2) zurück. Er stellt die verbliebenen Feststellungsanträge aus der Rechtsbeschwerdeinstanz, während der Arbeitgeber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Haupt- und Hilfsantrag sind unzulässig.
Die Umstellung auf das abstrakte Feststellungsbegehren ist als Antragsänderung im dritten Rechtszug unzulässig. Die neu gestellten Hilfsanträge stellen gegenüber dem ursprünglichen Leistungsantrag Einschränkungen des Streitgegenstandes dar. Für ihre Zulässigkeit fehlt es jedoch an einem feststellungsfähigen gegenwärtigen Rechtsverhältnis und an einem alsbaldigen Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO.
I. Der neue Hauptantrag ist unzulässig.
1. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung und ganz herrschender Meinung im Schrifttum gilt in der Revisionsinstanz ein grundsätzliches Verbot der Klageänderung, so daß die Zulassung einer Inzidentfeststellungsklage oder Widerklage nicht möglich ist (RGZ 160, 204, 212 f.; BGHZ 28, 131, 137; BAGE 37, 102 = AP Nr. 11 zu § 76 BetrVG 1972; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 561 Anm. 2 C; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 102 II, S. 615; Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 263 Rz 27). Zur Begründung wird ausgeführt, daß im Unterschied zu § 523 ZPO die revisionsrechtliche Verweisungsvorschrift des § 566 ZPO keine allgemeine Verweisung auf die §§ 263, 264, 267 ZPO enthalte (RGZ 160, 204, 212) und die Änderung des Streitgegenstandes häufig mit der revisionsrechtlichen Tatbestandsbindung des § 561 Abs. 1 ZPO kollidiere (Rosenberg, aaO; Schumann, aa0). Allerdings werden von diesem Grundsatz – letztlich aus prozeßökonomischen Gründen – Ausnahmen zugelassen, insbesondere wenn die Änderung sich auf einen bereits festgestellten Sachverhalt stützen kann und der bisherige Antrag nur beschränkt oder modifiziert wird (BGHZ 26, 31, 37, 38; Schumann, aa0, Rz 29; BAGE 37, 331, 343, 344 = AP Nr. 10 zu Art. 140 GG, zu II der Gründe; BAGE 53, 8, 12 = AP Nr. 124 zu §§ 22, 23 BAT 1975: Übergang von der Leistungsklage zur Feststellungsklage zulässig, wenn das rechtliche Interesse sich aus dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Streitstoff ergibt). Dieser zivilprozessuale Grundsatz gilt gleichermaßen für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren dritter Instanz (Senatsbeschluß vom 10. April 1984 – 1 ABR 73/82 – AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979). Der Senat hat zur Begründung darauf verwiesen, daß – ebenso wie in der ZPO – die für den dritten Rechtszug maßgebliche Verfahrensvorschrift des § 92 ArbGG anders als die für den zweiten Rechtszug geltende Norm des § 87 Abs. 2 ArbGG nicht auf die Möglichkeit der Antragsänderung in § 81 Abs. 3 ArbGG verweise (Senatsbeschluß vom 15. April 1986 – 1 ABR 50/84 – nicht veröffentlicht, zu B 2 der Gründe).
2.a) Vorliegend kann auch bei Berücksichtigung des konkreten Streitanlasses in dem neuen Hauptantrag keine Berichtigung oder Klarstellung eines in den Vorinstanzen lediglich falsch gefaßten Antrages gesehen werden. Ziel des Rechtsschutzes in den Tatsacheninstanzen war eindeutig die Aufhebung der Bestellung des Mitarbeiters R. zum Sicherheitsbeauftragten. Zwar hat der Betriebsrat – und ihm folgend die Vorinstanzen – diesen Anspruch mit der Frage der Verletzung eines Mitbestimmungsrechtes verknüpft. Daraus läßt sich jedoch nicht die Schlußfolgerung ziehen, der Streit habe sich auf das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes beschränkt. Diese Rechtsfrage stellt sich nämlich nur inzident. Der durch den Antrag und die Antragsbegründung eindeutig umschriebene Verfahrensgegenstand war ein anderer. Der Betriebsrat begehrte „Aufhebung der Bestellung”. Unabhängig von der Rechtsansicht der Beteiligten wäre daher zu prüfen gewesen, ob die festzustellenden Tatsachen die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen für eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme einer Handlung analog § 101 Satz 1 BetrVG wegen Verletzung eines einstellungsähnlichen Mitbestimmungsrechtes oder nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wegen grober Verletzung einer betriebsverfassungsrechtlichen (Mitwirkungs-) Pflicht erfüllen.
b) Der im dritten Rechtszug erstmals gestellte Antrag, vom konkreten Sachverhalt losgelöst ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der künftigen Bestellung von Sicherheitsbeauftragten festzustellen, enthält zunächst einen Wechsel vom Leistungsantrag zum Feststellungsantrag. Eine solche Umstellung kann unter bestimmten Voraussetzungen statthaft sein (vgl. BAGE 53, 8, 12 = AP Nr. 124 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Vorliegend kommt jedoch hinzu, daß losgelöst vom historischen Streitfall nur die umstrittene Vorfrage vom Gericht beantwortet werden soll. Nach der Rechtsprechung des Sechsten (BAGE 39, 259, 268 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979, zu III 5 der Gründe) und des erkennenden Senats (Beschlüsse vom 22. März 1983 – 1 ABR 48/81 – und vom 30. August 1983 – 1 ABR 56/81 –, beide nicht veröffentlicht; BAGE 42, 366 = AP Nr. 19 zu § 80 BetrVG 1972; Beschluß vom 10. April 1984 – 1 ABR 73/82 – AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979; BAGE 51, 151, 156 = AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2 b der Gründe; Beschluß vom 15. April 1986 – 1 ABR 50/84 – nicht veröffentlicht), muß ein solcher Antrag noch in der Tatsacheninstanz gestellt werden. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.
Der Antrag auf Feststellung eines Mitbestimmungsrechts für alle künftigen Bestellungen zu Sicherheitsbeauftragten stellt sich als eine Ausweitung des ursprünglichen singulären Verfahrensgegenstandes dar. Neben diesem Aspekt kommt der Tatsache entscheidende Bedeutung zu, daß im Verhältnis zum früheren Aufhebungsantrag der neue Feststellungsantrag eine Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO ist: Von der Vorfrage, ob ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Bestellung des Sicherheitsbeauftragten R. besteht, hing ein möglicher Aufhebungsanspruch im Sinne des § 101 Satz 1 BetrVG ab, der die Folgen eines mitbestimmungswidrigen Arbeitgeberverhaltens beseitigen soll. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 28, 131, 137) ist die Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage aber nur bis zum Schluß der letzten Tatsacheninstanz zulässig. Der Bundesgerichtshof (aaO) hat dies damit begründet, die Inzidentfeststellungsklage böte anderenfalls den Parteien eine mit dem Sinn eines Revisionsverfahrens nicht zu vereinbarende Möglichkeit zur Ausweitung der Rechtskraft der revisionsrechtlichen Entscheidung auf alle inzident zu entscheidende Rechtsfragen. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat es offengelassen, ob er sich dieser strengen Ansicht voll anschließt (Teilurteil vom 25. Juni 1981 – 2 AZR 219/79 – AP Nr. 1 zu § 256 ZPO 1977). Er hat entsprechende Antragsänderungen jedenfalls dann als unbeachtlich angesehen, wenn es möglich gewesen wäre, die Zwischenfeststellungsklage bereits in den Tatsacheninstanzen zu erheben und das Revisionsgericht noch tatsächliche Feststellungen treffen müßte. So liegt der Fall auch hier. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats bereits in den Vorinstanzen angesichts der Tatsache, daß der Arbeitgeber grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht bestritt, einen Zwischenfeststellungsantrag hätte stellen müssen. Auf jeden Fall müßte das Rechtsbeschwerdegericht nun ermitteln, ob Tatsachen vorliegen, die ein Feststellungsinteresse begründen können. Es sind nämlich bisher noch keine Feststellungen zu der Verpflichtung des Arbeitgebers, erneut Sicherheitsbeauftragte nach § 719 RVO zu bestellen, getroffen worden. Für diese Verpflichtung, die faktische Voraussetzung für einen möglichen Mitbestimmungsfall wäre, sind entscheidend Größe des Unternehmens, Zahl der Beschäftigten und die nach der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 der Unfallverhütungsvorschrift (UVV) „Allgemeine Vorschriften” von der zuständigen Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen erlassene Unfallverhütungsvorschrift. Nach der von der Berufsgenossenschaft am 1. April 1968 in Kraft gesetzten Vorschrift über die Zahl der zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten wird nur auf ausdrückliche Anordnung der Berufsgenossenschaft ein Sicherheitsbeauftragter für bestimmte Betriebsteile bestellt. Daher ist höchst ungewiß, ob und wann für den in eine andere Abteilung versetzten R. ein Ersatzsicherheitsbeauftragter zu bestellen ist.
Dementsprechend ist der erstmals im dritten Rechtszug gestellte Hauptfeststellungsantrag unstatthaft.
II. Auch der Hilfsantrag zu 3), über den allein noch zu entscheiden war, ist unzulässig. Der Antrag bezieht sich auf die konkrete, bereits abgeschlossene Maßnahme der Bestellung des R. zum Sicherheitsbeauftragten. Es handelt sich insoweit um Einschränkungen des Verfahrensgegenstandes, ohne jede Zukunftswirkung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bedarf es aber sowohl eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses (zuletzt Urteil vom 26. April 1988 – 1 AZR 399/86 – EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 74, zu A der Gründe) als auch eines rechtlich geschützten Feststellungsinteresses (BAGE 37, 102, 110 = AP Nr. 1 zu § 76 BetrVG 1972, zu B 2 der Gründe). Ziel des hilfsweise geltend gemachten Feststellungsbegehrens ist demgegenüber nur die Feststellung eines vergangenen mitwirkungswidrigen Arbeitgeberverhaltens. Der Betriebsrat begehrt also gerade nicht die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses. Dementsprechend war auch dieser Antrag als unzulässig abzuweisen.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Dr. Federlin, Dr. Hoffmann
Fundstellen