Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
Begehrt der Betriebsrat über die Mindeststaffel des § 38 Abs 1 BetrVG hinaus die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds für die restliche Wahlperiode, so muß er darlegen, daß diese Freistellung für die gesamte restliche Wahlperiode erforderlich ist, der Betriebsrat also auch nicht zeitweilig durch Ausschöpfung seiner sonstigen personellen Möglichkeiten die anfallenden notwendigen Betriebsratsarbeiten verrichten kann.
Normenkette
BetrVG 1972 § 38 Abs. 1, § 37 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 16.03.1988; Aktenzeichen 2 TaBV 5/87) |
ArbG Reutlingen (Beschluss vom 17.08.1987; Aktenzeichen 3 BV 6/87) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 1988 – 2 TaBV 5/87 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Betriebsrat von dem Arbeitgeber die völlige Freistellung eines weiteren (dritten) Betriebsratsmitglieds für die gesamte Dauer der Amtszeit verlangen kann.
Der beteiligte Arbeitgeber stellt Maschinen für die weiterverarbeitende Industrie her. Zwei seiner drei Betriebsstätten befinden sich in R… und sind einige hundert Meter voneinander entfernt. Die dritte Betriebsstätte befindet sich mehrere Kilometer entfernt in P….
Von 1981 bis 1984 beschäftigte der Arbeitgeber zwischen 1.000 und 1.100 Arbeitnehmer. Im Laufe des Jahres 1984 sank die Zahl der Beschäftigten auf unter 1.000 ab. Diese Zahlen schließen 15 Angestellte ein, deren Stellung als leitende Angestellte zwischen den Beteiligten streitig ist. Ohne diese 15 Angestellten beschäftigte der Arbeitgeber im Januar 1985 974 Arbeitnehmer, im Januar 1986 902 Arbeitnehmer, im Oktober 1986 937 Arbeitnehmer, im März 1987 947 Arbeitnehmer und im Mai 1987 923 Arbeitnehmer.
Außerdem setzt der Arbeitgeber seit Oktober 1986 regelmäßig mehr als 20 Leiharbeitnehmer ein. Ungefähr 150 Arbeitnehmer arbeiten als Monteure im Außendienst. Das Überstundenvolumen betrug in den Jahren 1986 und 1987 jeweils rd. 100.000 Stunden. Der Arbeitgeber hat sich verpflichtet, im Jahre 1987 zwölf weitere Arbeitnehmer einzustellen sowie zwölf Auszubildende in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Tatsächlich hat er in dem Jahr darüber hinaus fünf weitere Arbeitnehmer eingestellt. Bis April 1988 betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit 38,5 Stunden. Danach verkürzte sie sich weiter.
Der antragstellende Betriebsrat wurde im Frühjahr 1987 gewählt. Er umfaßt entsprechend der Wahlausschreibung elf Mitglieder. Von ihnen arbeiten drei als Außendienstmonteure. Für die beiden vorherigen Amtszeiten war jeweils ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt worden. Jeweils drei der Mitglieder waren von der Arbeit völlig freigestellt worden, unter ihnen das hier beteiligte Betriebsratsmitglied E…, das auch im Jahre 1987 wieder in den Betriebsrat gewählt wurde und der Gruppe der Angestellten angehört.
Auf seiner konstituierenden Sitzung vom 10. April 1987 beschloß der Betriebsrat, drei seiner Mitglieder, nämlich den Betriebsratsvorsitzenden L…, das Betriebsratsmitglied S… und den Beteiligten E…, gemäß § 38 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. Für den Fall, daß der Arbeitgeber sich mit der generellen Freistellung von drei Betriebsratsmitgliedern nicht einverstanden erklären würde, beschloß der Betriebsrat, seine Mitglieder L… und S… gemäß § 38 BetrVG und den Beteiligten E… bis auf weiteres gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG generell zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben freizustellen. Mit Werkspost vom 13. April 1987 teilte der Betriebsrat dem Arbeitgeber zunächst nur den Freistellungsbeschluß nach § 38 BetrVG mit. Der Arbeitgeber wies die Freistellung von drei Betriebsratsmitgliedern mit der Begründung zurück, er beschäftige derzeit und in absehbarer Zukunft weniger als 1.000 Arbeitnehmer. Am 14. April 1987 unterrichtete der Betriebsrat den Arbeitgeber über seinen weiteren Beschluß, das hier beteiligte Betriebsratsmitglied gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG zusätzlich freizustellen. Zur Begründung nannte er stichwortartig mehrere Aufgaben des Betriebsrates und des beteiligten Betriebsratsmitglieds, deren ordnungsgemäße Erfüllung die Freistellung erforderlich machen sollte. Der Arbeitgeber beanstandete die zusätzliche Freistellung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG als nicht erforderlich.
In seiner Sitzung vom 24. April 1987 bildete der Betriebsrat zehn weitere Ausschüsse im Sinne von § 28 BetrVG und legte fest, daß das beteiligte Betriebsratsmitglied E… dem Wirtschaftsausschuß, der paritätischen Kommission Angestellte, dem Ausschuß für EDV/Organisation, dem Ausschuß für das betriebliche Verbesserungsvorschlagswesen und der Unterstützungskasse e.V. angehört.
Der Arbeitgeber hat das beteiligte Betriebsratsmitglied bisher nicht aufgefordert, wieder an seinem früheren oder einem vergleichbaren Arbeitsplatz zu arbeiten. Eine Vereinbarung über seine Freistellung ist jedoch zwischen den Beteiligten nicht zustande gekommen.
In dem von ihm im Mai 1987 eingeleiteten Beschlußverfahren hat der Betriebsrat vorgetragen, er habe seinen Beschluß gemäß § 38 BetrVG über die Freistellung von drei Betriebsratsmitgliedern nach pflichtgemäßem Ermessen gefaßt. Da der Arbeitgeber nicht gemäß § 38 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle angerufen habe, sei der Beschluß wirksam geworden. Angesichts geplanter Neueinstellungen, eines großen Überstundenvolumens und einer weiteren tariflichen Arbeitszeitverkürzung sei im April 1987 damit zu rechnen gewesen, daß spätestens im Herbst 1987 die Zahl der Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers wieder auf über 1.000 steigen werde. Daher seien bereits nach § 38 BetrVG drei Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen gewesen. Im übrigen sei die Freistellung des beteiligten Betriebsratsmitgliedes gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich gewesen. Bereits während der vorherigen Amtszeit seien zum Teil weniger als 1.000 Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt gewesen. Dennoch seien die drei freigestellten Betriebsratsmitglieder voll ausgelastet gewesen. Das freigestellte Betriebsratsmitglied S… habe beispielsweise im Jahre 1986 zur Erfüllung von Betriebsratsaufgaben 66,5 Überstunden geleistet. Während der neuen Amtszeit seien die Betriebsratsaufgaben eher noch angewachsen als zurückgegangen. Außerdem habe sich seit Jahren die Teamarbeit der drei freigestellten Betriebsratsmitglieder bewährt. Eine Verlagerung der Aufgaben auf die restlichen Mitglieder werde dadurch erschwert, daß der Betriebsrat nunmehr aus elf statt vorher 15 Mitgliedern bestehe, von denen drei im Außendienst tätig seien.
Der Betriebsrat hat dementsprechend die Auffassung vertreten, die Erledigung ordnungsgemäßer Betriebsratsarbeit sei im vorliegenden Fall nur dann gewährleistet, wenn ein drittes Betriebsratsmitglied von der Arbeit generell freigestellt werde. Die Mindeststaffel des § 38 BetrVG sei vom Gesetzgeber auf die Arbeitsbelastung eines Betriebsrates in einem “Normalbetrieb” zugeschnitten worden. Im vorliegenden Fall sei das Aufgabenvolumen jedoch erheblich größer. Beispielsweise sei der Betrieb des Arbeitgebers auf drei Betriebsstätten verteilt. Außerdem würden etliche Außendienstmonteure, Leiharbeitnehmer sowie Ferienarbeiter beschäftigt. Aus diesen Gründen sei im Betrieb des Arbeitgebers mindestens so viel Betriebsratsarbeit zu erledigen wie in einem Betrieb mit wenigstens 1.001 Arbeitnehmern. Den zeitlichen Aufwand der einzelnen freigestellten Betriebsratsmitglieder und die von ihnen im einzelnen auszuführenden Betriebsratstätigkeiten brauche der Betriebsrat nicht darzulegen. Andernfalls würde der Arbeitgeber detaillierte Kenntnisse über die Inhalte der Betriebsratsarbeit erhalten. Die Stellung des Betriebsrats als autonomes Betriebsverfassungsorgan wäre gefährdet. Seine Darlegungslast bewege sich daher in den Grenzen, die in der Rechtsprechung für eine Freistellung aufgrund von § 37 Abs. 2 BetrVG entwickelt worden seien. Dem Arbeitgeber müsse danach lediglich in groben Zügen der Grund für die begehrte Arbeitsfreistellung mitgeteilt werden. Eine genaue Schilderung der jeweiligen Betriebsratsaufgaben sei nicht erforderlich. Diesen Anforderungen habe er entsprochen. Der Arbeitgeber könne daher nicht pauschal die Erforderlichkeit einer zusätzlichen Freistellung in Abrede stellen.
Der Betriebsrat hat beantragt
festzustellen, daß der Betriebsrat berechtigt ist, für die Dauer seiner Amtszeit über die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG hinausgehend ein weiteres Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen.
Das beteiligte Betriebsratsmitglied E… hat sich dem Antrag des Betriebsrats angeschlossen, ohne selbst zur Sache Stellung zu nehmen.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat vorgetragen, die Freistellung eines dritten Betriebsratsmitgliedes könne nicht auf § 38 Abs. 1 BetrVG gestützt werden. In seinem Betrieb würden auch weiterhin weniger als 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Für das Jahr 1988 sei ein Auftragsrückgang zu erwarten. Zur Begründung einer zusätzlichen generellen Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG müsse der jeweilige Betriebsrat deren Erforderlichkeit dartun. Von einem Arbeitgeber könne im Falle des Absinkens der Arbeitnehmerzahl nicht verlangt werden, Gründe für den Wegfall der – zuvor nach § 38 Abs. 1 BetrVG vermuteten – Erforderlichkeit einer weiteren Freistellung darzulegen. Denn dem Arbeitgeber sei es regelmäßig unmöglich, verläßliche Angaben über die Arbeitsbelastung des Betriebsrates zu machen. Andererseits werde ein Betriebsrat nicht dadurch zum “gläsernen Betriebsrat”, daß er in nachvollziehbarer Weise darlege, für welche Tätigkeiten er wieviel Zeit benötige. Dieser Darlegungslast sei der Betriebsrat nicht nachgekommen. Insbesondere fehle eine nachprüfbare zeitliche Aufschlüsselung der Arbeitsbelastung des Betriebsrates. Aus seinem Vortrag ergebe sich nicht, inwiefern die Freistellung zur Erfüllung von Betriebsratsaufgaben erforderlich sei und daß dieser Bedarf für die gesamte Dauer der Amtszeit des Betriebsrats gegeben sei. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die gesetzliche Freistellungsstaffel in § 38 BetrVG dem normalen Arbeitsaufwand für Betriebsratstätigkeit Rechnung trage und daß sie den kurzfristigen Ausfall freigestellter Betriebsratsmitglieder einschließe. Die Erforderlichkeit der völligen Freistellung eines zusätzlichen Betriebsratsmitgliedes nach § 37 Abs. 2 BetrVG sei zudem nur dann zu bejahen, wenn sie auch unter Berücksichtigung der anderen aufgrund von § 37 Abs. 2 BetrVG zeitweise freigestellten Betriebsratsmitglieder gegeben sei. Die vom antragstellenden Betriebsrat pauschal vorgetragenen Betriebsratsaufgaben rechtfertigten die völlige Freistellung eines dritten Betriebsratsmitgliedes nicht. Zum einen sei eine Auflistung sämtlicher Betriebsratsaufgaben zu abstrakt. Zum anderen sei ein Teil der aufgeführten Projekte, mit denen der Betriebsrat befaßt sei, bereits abgeschlossen. Im übrigen handele es sich um Standardprobleme und typische Betriebsratstätigkeiten.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den erstinstanzlichen Beschluß aufgehoben und den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Der Arbeitgeber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Betriebsrats zu Recht abgewiesen.
I. Auf § 38 BetrVG, der gemäß § 125 Abs. 3 BetrVG auf den Entscheidungsfall noch in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung anzuwenden ist, kann die Freistellung eines dritten Betriebsratsmitglieds nicht gestützt werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.
1. Für eine Freistellung von drei Betriebsratsmitgliedern nach Maßgabe der Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG ist die Arbeitnehmerzahl im Betrieb des Arbeitgebers zu gering.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist zur Beurteilung, wieviele Arbeitnehmer gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG von einem Arbeitgeber in der Regel beschäftigt werden, auf den Zeitpunkt des Freistellungsbeschlusses abzustellen. Denn in der Vorschrift wird die Mindestanzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder geregelt, um Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber darüber zu vermeiden, ob die Freistellungen im Einzelfall erforderlich sind. Die Erforderlichkeit wird deshalb – gestaffelt nach der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl – unwiderleglich vermutet. Um damit Freistellungen rechtfertigen zu können, muß die Erforderlichkeit, d. h. also die Arbeitnehmerzahl, gegenwärtig sein. Künftige Veränderungen der Arbeitnehmerzahl, die nicht unmittelbar bevorstehen, können allenfalls eine spätere Anpassung der Zahl der Freizustellenden bedingen (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 38 Rz 8; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 38 Rz 7; Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 38 Rz 9 m.w.N.).
Die tatsächliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß im vorliegenden Fall der Arbeitgeber aus der Sicht vom 10. April 1987 in der Regel weniger als 1.001 Arbeitnehmer beschäftigte, hat der Betriebsrat nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Sie ist daher für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend und trägt insoweit die Entscheidung. Eine spätere Erhöhung der Arbeitnehmerzahl auf mindestens 1.001 ist nicht ersichtlich.
2. Eine über die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG hinausgehende Freistellung läßt sich, wie das Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, nicht auf § 38 BetrVG stützen.
Nach ständiger Rechtsprechung, an der der Senat festhält, beinhaltet § 38 BetrVG eine Sonderregelung zu § 37 Abs. 2 BetrVG (vgl. BAGE 25, 204, 208 ff. = AP Nr. 2 zu § 38 BetrVG 1972, zu III der Gründe; Beschluß vom 9. Oktober 1973 – 1 ABR 29/73 – AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972). Nur für die in § 38 Abs. 1 BetrVG genannte Mindestzahl von Freistellungen wird ausnahmsweise die Erforderlichkeit unwiderleglich vermutet. Zusätzliche Freistellungen können nur auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützt werden. Dazu bedarf es des konkreten Nachweises der Erforderlichkeit.
Auch aus § 38 Abs. 2 BetrVG läßt sich kein Recht des Betriebsrats herleiten, ohne Einverständnis des Arbeitgebers eine größere als die sich aus § 38 Abs. 1 BetrVG ergebende Zahl von Betriebsratsmitgliedern freizustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 25, 204, 209 = AP, aaO, zu III 3 der Gründe; BAG Beschluß vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 683/76 – AP Nr. 5 zu § 38 BetrVG 1972). Die Vorschrift des § 38 Abs. 2 BetrVG gibt dem Betriebsrat vielmehr nur die Befugnis, im Rahmen der Mindeststaffel zu entscheiden, welche seiner Mitglieder freizustellen sind; auch nur in diesem Rahmen besteht die Zuständigkeit der durch die Sätze 5 ff. des § 38 Abs. 2 BetrVG berufenen Einigungsstelle. Diese Beschränkung der Befugnisse des Betriebsrats auf eine bloße Auswahlkompetenz ist überdies vom Gesetzgeber durch die – für den Entscheidungsfall allerdings gemäß § 125 Abs. 3 BetrVG noch nicht geltende – Neufassung des § 38 Abs. 2 BetrVG bestätigt worden.
II. Die Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds wäre deshalb nur in Betracht gekommen, wenn der Betriebsrat dargelegt hätte, daß sie im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich war. Der Betriebsrat ist dieser Darlegungslast nicht nachgekommen. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seinen Beschluß insoweit im wesentlichen wie folgt begründet: Der Betriebsrat habe darlegen müssen, daß er in der laufenden Amtszeit mit den beiden nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern und trotz der Möglichkeit, daß weitere Betriebsratsmitglieder jeweils bei Bedarf nach § 37 Abs. 2 BetrVG freigestellt werden, den Geschäftsanfall auch bei optimaler Aufgabenverteilung innerhalb des Betriebsratsgremiums nicht innerhalb der Arbeitszeit bewältigen könne, ohne daß ein drittes Betriebsratsmitglied für die gesamte Dauer der Amtszeit völlig freigestellt werde. Eine abstrakte Aufzählung der insgesamt anfallenden Betriebsratsaufgaben reiche als Tatsachenvortrag nicht aus. Der Betriebsrat habe – jedenfalls stichwortartig ohne inhaltliche Darlegung der Tätigkeiten im einzelnen – vortragen müssen, welche Betriebsratsaufgaben den beiden freigestellten Betriebsratsmitgliedern zugewiesen seien, welche dem hier beteiligten Betriebsratsmitglied und welche den übrigen Betriebsratsmitgliedern, soweit diese für Betriebsratstätigkeiten zur Verfügung stehen. Diesen Anforderungen sei der Betriebsrat nicht gerecht geworden. Aus dem Vortrag des Betriebsrates sei weder die Verteilung der Aufgaben auf die einzelnen Betriebsratsmitglieder noch deren jeweilige zeitliche Belastung ersichtlich. Soweit der Betriebsrat einzelne dem beteiligten Betriebsratsmitglied obliegende Aufgaben genannt habe, habe er sie nicht in Bezug gesetzt zu dem sich daraus jeweils ergebenden Zeitaufwand. Demzufolge fehle es an Anhaltspunkten dafür, daß das beteiligte Betriebsratsmitglied voraussichtlich während der gesamten Amtszeit seine Arbeitszeit völlig für die Erledigung von Betriebsratsaufgaben werde aufwenden müssen, obgleich auch noch andere nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder im Einzelfall Betriebsratsaufgaben wahrnehmen könnten. Im übrigen könne der Betriebsrat nicht ohne weiteres die interne Aufgabenverteilung aus der vorangegangenen Amtszeit beibehalten und die Erforderlichkeit einer weiteren Freistellung daraus herleiten, daß in der vorherigen Amtszeit alle freigestellten Betriebsratsmitglieder voll ausgelastet gewesen seien und die Arbeitsbelastung in der laufenden Amtszeit nicht geringer geworden sei. Im Falle einer Reduzierung der Betriebsgröße sei auch eine Umorganisation des Betriebsrates nicht ausgeschlossen.
2. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht insbesondere nicht die Anforderungen an die Darlegungslast des Betriebsrats überspannt.
a) Auch der im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren herrschende Unterrichtungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 ArbGG) entbindet den jeweiligen Antragsteller nicht davon, die konkreten Tatsachen vorzutragen, aus denen er sein mit dem Antrag verfolgtes Begehren herleitet (vgl. BAGE 25, 87, 92 f. = AP Nr. 1 zu § 20 BetrVG 1972, zu III 3a der Gründe; BAG Beschluß vom 22. Mai 1973 – 1 ABR 10/73 – AP Nr. 2 zu § 37 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 2. April 1974 – 1 ABR 43/73 – AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972; Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 83 Rz 4 m.w.N.).
b) Voraussetzung für die zusätzliche Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitglieds ist daher nach der bisherigen Rechtsprechung, daß der Betriebsrat darlegt, daß nach Art und Umfang des Betriebes die zusätzliche Freistellung zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich ist (vgl. BAG Beschluß vom 22. Mai 1973 – 1 ABR 10/73 – AP Nr. 2 zu § 37 BetrVG 1972; Beschluß vom 9. Oktober 1973 – 1 ABR 29/73 – AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972 mit zust. Anm. von Buchner). Hinsichtlich des Umfanges der Darlegungslast ist zu berücksichtigen, daß für den Regelfall der Bedarf an Freistellungen bereits durch § 38 BetrVG abgedeckt ist (vgl. BAG Urteil vom 21. November 1978 – 6 AZR 247/76 – AP Nr. 34 zu § 37 BetrVG 1972).
Der Betriebsrat muß daher Abweichungen von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG gesetzlich unterstellten Normalfall dartun, aufgrund derer die Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrates in zeitlicher Hinsicht derart erhöht ist, daß eine zusätzliche generelle Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes für die gesamte Amtszeit erforderlich ist. Aus dem Tatsachenvortrag muß ersichtlich werden, daß weder die Arbeitszeit der bereits generell freigestellten Betriebsratsmitglieder noch die Möglichkeit konkreter Freistellungen der übrigen Betriebsratsmitglieder nach § 37 Abs. 2 BetrVG ausreichen, um sämtliche erforderlichen Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können. Dazu ist es notwendig, daß der Betriebsrat die besonderen Umstände so detailliert beschreibt, daß die sich daraus voraussichtlich ergebenden zeitlichen Belastungen zumindest bestimmbar werden. Da die vom Betriebsrat erstrebte zusätzliche Freistellung für die gesamterestliche Amtszeit erfolgen soll, muß aus dem Tatsachenvortrag des Betriebsrats überdies für das Gericht erkennbar werden, daß die Notwendigkeit einer weiteren Freistellung für diese gesamte Restdauer der Wahlperiode besteht. Wenigstens eine Schätzung des Mindestumfanges der zeitlichen Mehrbelastung des gesamten Betriebsrates muß möglich sein. Die Untergrenze der regelmäßigen Mehrbelastung muß daher nach dem Tatsachenvortrag des Betriebsrates einer Pauschalierung zugänglich sein (im Ansatz vergleichbar: BAG Beschluß vom 2. April 1974 – 1 ABR 43/73 – AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972).
Andererseits muß aber auch der jeweilige Arbeitgeber in die Lage versetzt werden, dem Vortrag des Betriebsrates konkret entgegenzutreten. Die Darlegung der zeitlichen Mehrbelastung des Betriebsrates muß folglich so detailliert sein, daß dem Arbeitgeber eine sachliche Erwiderung möglich ist.
3. Entgegen den Darlegungen der Rechtsbeschwerde hat das Landesarbeitsgericht auch zutreffend erkannt, daß der Betriebsrat diesen Anforderungen an seine Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Soweit sich der Vortrag des Betriebsrats, wie er vom Landesarbeitsgericht festgestellt worden ist, überhaupt auf Umstände bezieht, die vom “Normalfall”, also einem hinsichtlich der Betriebsratstätigkeiten durchschnittlichen Betrieb, abweichen, enthält er keine Anhaltspunkte, die den Mindestumfang der zeitlichen Mehrbelastung hinreichend verläßlich bestimmen lassen. Die Darstellung umfaßt nur eine abstrakte Auflistung von Betriebsratsaufgaben, die allenfalls den Schluß zulassen, daß dadurch eine zeitliche Mehrbelastung eintreten kann, aber nicht einen Schluß zulassen, inwieweit hierdurch eine Mehrbelastung voraussichtlich tatsächlich eintreten wird. Erst recht ist nicht erkennbar, daß dies noch für die gesamte restliche Dauer der Wahlperiode der Fall sein wird.
Der Umstand, daß im Betrieb des Arbeitgebers knapp unter 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden, kann für sich allein genommen nicht eine zusätzliche Freistellung erforderlich machen. Anderenfalls würde nämlich die Mindeststaffelung des § 38 Abs. 1 BetrVG unzulässigerweise ausgedehnt. Die Annäherung an die Obergrenze der einzelnen Staffel deutet allenfalls häufig auf eine höhere Auslastung der nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder hin, so daß zusätzliche Aufgaben eher zu einer zeitlichen Mehrbelastung führen.
Die Tatsache, daß sich im vorliegenden Fall die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder im Vergleich zur vorangegangenen Amtszeit von 15 auf elf und die Zahl der nach § 38 BetrVG Freizustellenden von drei auf zwei reduziert hatte, ist nicht mit über den Normalfall hinausgehenden Betriebsratsaufgaben gleichbedeutend. Die Verkleinerung des Betriebsrates schränkt nur die Möglichkeit ein, besondere Betriebsratsaufgaben auf einzelne Betriebsratsmitglieder zu verteilen. Infolgedessen ist die von den Beteiligten aufgeworfene Frage, ob in der vorangegangenen Amtszeit alle drei freigestellten Betriebsratsmitglieder ausgelastet waren, für die Entscheidung des Falles nicht erheblich.
Im übrigen ist der Betriebsrat zwar in der Organisation seiner Betriebsratsarbeit frei. Ihm steht jedoch nicht das Recht zu, lediglich durch organisatorische Maßnahmen die Erforderlichkeit einer zusätzlichen Freistellung herbeizuführen. Eine tatsächliche Mehrbelastung ist unabdingbare Voraussetzung für jede zusätzliche Freistellung. Der Betriebsrat kann insbesondere nicht eine Art “Bestandsschutz” in Anspruch nehmen, indem er trotz Rückganges der Betriebsgröße und damit einhergehender Verkleinerung des Betriebsrats eine Umorganisation der Betriebsratsaufgaben unterläßt. Die gesetzliche Vermutung des § 38 Abs. 1 BetrVG wird im Falle eines Rückganges der Arbeitnehmerzahl anteilig aufgehoben. An ihre Stelle tritt die Notwendigkeit, die Erforderlichkeit einer weiteren Freistellung darzulegen. Ihr ist der Betriebsrat nicht nachgekommen.
4. Ohne Erfolg sind schließlich die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen. Es mangelt an der nach § 554 Abs. 554 Nr. 3 lit. b) ZPO notwendigen Angabe der Tatsachen, die den Rechtsbeschwerdegrund ergeben. Es ist nicht ersichtlich, auf welchen Mängeln der Beschluß beruhen soll.
Bezüglich der angeblichen Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 83 Abs. 1 ArbGG fehlt es an der Angabe, zu welchen tatsächlichen Feststellungen eine weitere Amtsermittlung geführt hätte. Die bloße Behauptung, daß nach Durchführung der Amtsermittlung die Beschwerde des Arbeitgebers zurückzuweisen gewesen wäre, ist zu pauschal und daher unbeachtlich. Im übrigen wurde bereits oben (unter II 2a der Gründe) ausgeführt, daß auch im Beschlußverfahren der Antragsteller zur Begründung seines Begehrens darlegungspflichtig ist.
Die Rüge der Verletzung von § 139 ZPO genügt ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es fehlt zumindest an einer Darstellung, inwieweit der zweitinstanzliche Beschluß darauf beruhen soll, daß das Landesarbeitsgericht nicht auf die Notwendigkeit weiterer Darlegungen hingewiesen hat. Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde, es “hätte ggf. ergänzend vorgetragen werden können”, sind zu unbestimmt. Im übrigen war die Frage der Darlegungslast seit Beginn des Verfahrens Kernpunkt des gesamten Streites zwischen den Beteiligten. Die Notwendigkeit der Darstellung der zeitlichen Belastung war zudem Gegenstand eines erstinstanzlichen Auflagenbeschlusses.
Unterschriften
Dr. Becker, Schliemann, Dr. Steckhan, Dr. Scholz, Metzinger
Fundstellen
Haufe-Index 873927 |
BAGE, 1 |
BB 1990, 1272 |
RdA 1990, 253 |