Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an Verweisungsbeschluß
Orientierungssatz
Die örtliche oder sachliche Zuständigkeit soll nur einmal geprüft werden, und zwar von dem zunächst angerufenen Gericht. Der Gesetzgeber will einen Zuständigkeitsstreit, der für die Parteien im Vergleich zur Sachentscheidung ohnehin keine erhebliche Bedeutung hat, nach Möglichkeit vermeiden. Deshalb darf das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, die Übernahme nicht mit der Begründung ablehnen, die Zuständigkeitsfrage müsse abweichend von der Auffassung des verweisenden Gerichts beurteilt werden.
Normenkette
ZPO §§ 11, 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1; ZPO § 281 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 18.05.1988; Aktenzeichen 30 Ca 3805/88) |
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Lohn mit der Behauptung, zwischen ihr und dem Beklagten habe ein Arbeitsverhältnis (Pferdepflegerin) bestanden. Der Beklagte hat Ansprüche der Klägerin bestritten und vorgetragen, die Klägerin habe in seinem Reitstall lediglich eine Wohnung gemietet und ein Pferd untergestellt. Dieses Pferd habe sie auch gepflegt. Im übrigen sei die Klägerin ganztags an einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt gewesen. Gelegentlich habe sie ihm, dem Beklagten, aus Gefälligkeit im Reitstall ausgeholfen. Das habe er bei der Berechnung der Miete für Wohnung und Pferdebox berücksichtigt. Ein Anstellungsverhältnis habe nicht bestanden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen. In der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 1988 ist die Frage der sachlichen Zuständigkeit erörtert worden. Die Klägerin hat nach entsprechendem Hinweis durch das Arbeitsgericht die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht München beantragt. Daraufhin hat das Arbeitsgericht sich für unzuständig befunden und den Rechtsstreit durch Beschluß vom selben Tage an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht München verwiesen.
Das Amtsgericht München verweigert die Übernahme des Verfahrens. Es ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe durch Erlaß des Versäumnisurteils seine sachliche Zuständigkeit bejaht. Dieser Umstand binde das Gericht. Das weitere Verfahren nach Einspruchseinlegung stelle nur die Fortsetzung eines bisher schon anhängigen Verfahrens dar. Das Verfahren bis zum Erlaß des Versäumnisurteils und das weitere Verfahren nach Einspruch gegen das Versäumnisurteil bildeten eine Einheit; über die von Amts wegen zu beachtenden Prozeßvoraussetzungen dürfe im zweiten Teil des Verfahrens nicht anders geurteilt werden als im ersten Teil. Das Amtsgericht hat sich insoweit berufen auf einen Beschluß des Senats vom 12. April 1972 (- 5 AR 98/72 - AP Nr. 12 zu § 36 ZPO = NJW 1972, 1216).
Das Arbeitsgericht hat die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Sachlich zuständiges Gericht ist das Amtsgericht München.
1. Die Voraussetzungen des beantragten Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit sachlich zuständig ist, haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder auch durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem ordentlichen und dem Arbeitsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist.
2. Der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts München bindet das Amtsgericht München, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist (§ 48 Abs. 1 ArbGG in Verb. m. § 281 Abs. 2 Satz 2 sowie § 11 ZPO). Diese bindende Wirkung muß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO beachtet werden. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 - 5 AR 232/76 - AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe, m.w.N.).
3. Offensichtlich gesetzwidrig ist der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts München jedoch nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Arbeitsgericht die Frage der sachlichen Zuständigkeit zutreffend beurteilt hat oder nicht. Denn selbst dann, wenn seine Begründung einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhielte, wäre der Verweisungsbeschluß deswegen nicht offensichtlich gesetzwidrig.
Die örtliche oder sachliche Zuständigkeit soll nur einmal geprüft werden, und zwar von dem zunächst angerufenen Gericht. Der Gesetzgeber will einen Zuständigkeitsstreit, der für die Parteien im Vergleich zur Sachentscheidung ohnehin keine erhebliche Bedeutung hat, nach Möglichkeit vermeiden. Deshalb darf das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, die Übernahme nicht mit der Begründung ablehnen, die Zuständigkeitsfrage müsse abweichend von der Auffassung des verweisenden Gerichts beurteilt werden (vgl. BAG Beschluß vom 1. März 1984 - 5 AS 5/84 - AP Nr. 35 zu § 36 ZPO, zu II 3 b der Gründe).
Hiervon geht auch das Amtsgericht München aus. Es meint jedoch, der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts sei offensichtlich gesetzwidrig, weil das Arbeitsgericht durch den Erlaß des Versäumnisurteils seine sachliche Zuständigkeit bejaht habe und an diese Entscheidung gebunden sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Durch den Einspruch ist das Verfahren in den Zustand zurückversetzt worden, der vor Erlaß des Versäumnisurteils bestanden hat. Die verfahrensrechtliche Lage ist insoweit anders zu beurteilen als in dem vom Amtsgericht zitierten Fall, den der Senat am 12. April 1972 (AP Nr. 12 zu § 36 ZPO) zu entscheiden hatte. Damals hatte ein Landgericht in einem Urkundenprozeß ein Vorbehaltsurteil erlassen, das später rechtskräftig geworden war. In dem Nachverfahren hielt das Landgericht dann seine sachliche Zuständigkeit für nicht gegeben. Dieses Ergebnis hat der Senat nicht geteilt, sondern die Auffassung vertreten, daß die Bejahung der von Amts wegen zu beachtenden Prozeßvoraussetzungen im Vorverfahren auch für das Nachverfahren dann bindet, wenn die Entscheidung des Vorverfahrens rechtskräftig geworden ist.
Damit war aber eine andere verfahrensrechtliche Lage als im Streitfall gegeben. Das Versäumnisurteil, das das Arbeitsgericht erlassen hat, ist eben nicht rechtskräftig geworden. Ein solches Versäumnisurteil kann mit einem rechtskräftig gewordenen Vorbehaltsurteil in einem Urkundenprozeß nicht verglichen werden.
Daher war das Arbeitsgericht später nicht daran gehindert, seine sachliche Zuständigkeit erneut zu prüfen und zu verneinen. Seine insoweit ergangene Entscheidung bindet das Amtsgericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Fundstellen