Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltsverschulden. Kontrolle eines Boten
Normenkette
ZPO §§ 233, 85 Abs. 2, § 222 Abs. 2; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 24.06.1996; Aktenzeichen 11 Sa 530/96) |
ArbG Essen (Urteil vom 03.01.1996; Aktenzeichen 5 (3) Ca 2092/95) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. Juni 1996 – 11 Sa 530/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 17.914,68 DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien haben über die Berechnung einer Betriebsrente gestritten. Mit ihrer sofortigen Beschwerde (Revisionsbeschwerde) greift die Beklagte einen Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf an, durch den ihre Berufung gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Essen als unzulässig verworfen wurde.
Der 1930 geborene Kläger war von 1963 bis 1995 bei der Beklagten als Mitarbeiter im Außendienst beschäftigt. Er bezieht seit dem 1. April 1995 Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte zahlte ihm aufgrund einer Betriebsvereinbarung von 1993 eine Betriebsrente von 392,00 DM monatlich. Sie berücksichtigte bei der Berechnung nur das Tarifgehalt des Klägers. Das hat der Kläger nicht für richtig gehalten. Er hat die Auffassung vertreten, die Betriebsrente müsse wie bei allen anderen Mitarbeitern auch auf der Basis des Durchschnittsgehalts der letzten Kalenderjahre berechnet werden. Das ergebe für ihn eine monatliche Betriebsrente von 497,63 DM.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. April 1995 fortlaufend eine Betriebsrente von 497,63 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Dieses Urteil wurde der Beklagten am 21. März 1996 zugestellt. Die Beklagte hat durch ihre Prozeßbevollmächtigten, die Vertreter eines Zusammenschlusses von Arbeitgeberverbänden, Berufung eingelegt. Sie ging am 19. April 1996 beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein.
Die Berufungsbegründung der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ist am 21. Mai 1996 beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf eingegangen. Der Vorsitzende der 11. Kammer wies die Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß die Frist zur Begründung der Berufung versäumt sei. Daraufhin beantragten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verwarf durch Beschluß vom 24. Juni 1996 ohne mündliche Verhandlung die Berufung der Beklagten als unzulässig. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revisionsbeschwerde zugelassen. Die Beklagte hat durch ihre bisherigen Prozeßbevollmächtigten und durch einen Rechtsanwalt sofortige Beschwerde (Revisionsbeschwerde) gegen diesen Beschluß des Landearbeitsgerichts eingelegt.
Entscheidungsgründe
II. Die sofortige Beschwerde (Revisionsbeschwerde) der Beklagten ist nicht begründet. Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. An der Versäumung dieser Frist trifft die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden. Dieses Verschulden, das nach § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleichsteht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Frist zur Begründung der Berufung aus (§ 233 ZPO).
1. Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der Berufung nicht gewahrt.
a) Die Frist für die Begründung der Berufung endete am 20. Mai 1996 (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; § 222 Abs. 2 ZPO).
b) Innerhalb dieser Frist ist die Berufungsbegründung nicht beim Berufungsgericht eingegangen.
Die Berufungsbegründung ist beim Berufungsgericht einzureichen (§ 519 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie muß also innerhalb der Frist tatsächlich beim Landesarbeitsgericht eingehen. Das Berufungsgericht muß die Verfügungsgewalt über das Schriftstück erlangt haben (vgl. BAG Beschluß vom 29. April 1986 – 7 AZB 6/85 – BAGE 52, 19 = AP Nr. 36 zu § 519 ZPO; Hauck, ArbGG, § 66 Rz 2 zur Einreichung einer Berufungsschrift beim Landesarbeitsgericht). Durch die Einreichung der Berufungsbegründung beim Arbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht noch keine Verfügungsgewalt über das Schriftstück erlangt. Das Landesarbeitsgericht unterhält eine eigene Geschäftsstelle. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht eine gemeinsame Posteinlaufstelle eingerichtet haben (vgl. BAG, aaO). Das ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall.
c) Die Rechtsmittelbelehrung auf dem anzufechtenden Urteil des Arbeitsgerichts Essen ist nicht zu beanstanden. Sie erhält alle erforderlichen Angaben darüber, wo die Berufung und die Berufungsbegründung eingereicht werden können. Die Angabe von Ort, Straße und Hausnummer reicht auch dann aus, wenn sich in dem Gebäude mehrere Gerichte oder Behörden befinden. Mit Hilfe dieser Angaben kann jeder Bürger die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts oder eine besondere Posteinlaufstelle in diesem Gebäude finden.
2. Der Beklagten kann gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. An der Versäumung der Frist trifft den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein Verschulden.
Der Senat läßt offen, ob der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten den Fahrer mit der Einreichung der Berufungsbegründung beauftragen durfte (vgl. BAG Urteil vom 19. Oktober 1971 – 1 AZR 41/71 – AP Nr. 57 zu § 233 ZPO; BGH Beschluß vom 13. Januar 1988 – IV a ZB 13/87 – NJW 1988, 2045; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 233 Rz 182). Das Berufungsgericht hat mit Recht auf die Bedenken hingewiesen, die sich im vorliegenden Fall aufdrängen. Der Senat berücksichtigt auch, daß die Angstellten des Arbeitsgerichts verpflichtet waren, die Berufungsbegründung unverzüglich an das Landesarbeitsgericht weiterzuleiten. Die Verantwortung dafür, daß ein Rechtsmittelschriftsatz beim richtigen Gericht eingeht, trägt der prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt und der ihm im Arbeitsgerichtsprozeß gleichgestellte Verbandsvertreter (vgl. BGH Beschluß vom 15. November 1978 – IV ZB 54/78 – NJW 1979, 876; BGH Beschluß vom 5. Februar 1992 – XII ZB 3/92 – VersR 1992, 1154). Sein Verschulden schließt auch dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, wenn Angestellte eines anderen Gerichts das Schriftstück nicht rechtzeitig weiterleiten.
Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten liegt in seinem Verhalten nach Rückkehr des Boten. Er hätte erkennen können, daß die Berufungsbegründung nicht beim zuständigen Landesarbeitsgericht, sondern beim Arbeitsgericht eingereicht worden war. Der Bote hatte auf der Posteinlaufstelle des Arbeitsgerichts gebeten, ihm die Einreichung des Schriftsatzes zu bestätigen. Das hat die Mitarbeiterin des Arbeitsgerichts getan. Auf der Durchschrift der Berufungsbegründung, die der Bote wieder mit zurücknahm, befand sich der Eingangsstempel des Arbeitsgerichts Düsseldorf. Dieses Schriftstück hat der Bote dem Prozeßbevollmächtigten noch am 20. Mai 1996 nachmittags vorgelegt. Zu dieser Zeit hätte der Prozeßbevollmächtigte deshalb noch dafür sorgen können und müssen, daß der fristwahrende Schriftsatz noch am gleichen Tage beim zuständigen Landesarbeitsgericht Düsseldorf einging. Das war durch Übermittlung per Telefax oder durch erneute Übermittlung des Schriftsatzes durch Boten und Einwurf in den Nachtbriefkasten des Landesarbeitsgerichts möglich. Darauf hat das Landesarbeitsgericht zu Recht hingewiesen. Einwendungen gegen die naheliegende rechtliche Schlußfolgerung des Landesarbeitsgerichts bringt die Beklagte in ihrer sofortigen Beschwerde nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert wurde nach § 25 Abs. 2 GKG festgesetzt.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler
Fundstellen