Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung mit rechtswegfremder Gegenforderung. Rechtsweg. Werkdienstwohnung. Werkmietwohnung. Vorbehaltsurteil. Verweisung des Rechtsstreits wegen der Gegenforderung
Leitsatz (amtlich)
Hat der Beklagte gegen die Klageforderung mit einer Forderung aufgerechnet, für die das Gericht eines anderen Rechtswegs ausschließlich zuständig ist, kann das angerufene Gericht den Rechtsstreit nach einer rechtsbeständigen Erledigung der Klageforderung wegen der Gegenforderung an das zuständige Gericht verweisen. Einer Aussetzung des Rechtsstreits bedarf es nicht.
Orientierungssatz
1. Für die Abgrenzung von Werkdienstwohnungen (§ 576b BGB) und Werkmietwohnungen (§ 576 BGB) kommt es nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung oder deren rechtliche Beurteilung, sondern auf den materiellen Gehalt des Vereinbarten an. Dieser ist durch Auslegung des Vertrags (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln.
2. Ein Mietverhältnis liegt vor, wenn die Parteien unabhängig von dem Arbeitsverhältnis über eine entgeltliche Überlassung der Wohnung zum Gebrauch Einigkeit erzielen. Dass der Arbeitgeber nur eigene Arbeitnehmer berücksichtigt, ist auch bei Werkmietwohnungen selbstverständlich.
3. Ergibt die Auslegung ein Mietverhältnis, kann das zwingende Mietrecht einschl. der amtsgerichtlichen Zuständigkeit für die Geltendmachung der Ansprüche nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien eine Dienstwohnung als Vertragsgegenstand und damit die Anwendung von Arbeitsrecht vereinbaren.
4. Im Falle der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung kommt die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 3 ArbGG in Betracht (Zusammenhangsklage). Im Übrigen sind die Gerichte für Arbeitssachen für den Rechtsstreit nur insoweit zuständig, wie nicht mit Rechtskraftwirkung über die Gegenforderung zu entscheiden ist (§ 322 Abs. 2 ZPO). Zu prüfen ist insbesondere auch die Zulässigkeit der Aufrechnung.
5. Das Arbeitsgericht hat ggf. durch Vorbehaltsurteil zu entscheiden. Es kann den Rechtsstreit nach Rechtskraft des Vorbehaltsurteils wegen der Gegenforderung an das zuständige Gericht verweisen. Dieses muss das Nachverfahren gem. § 302 Abs. 4 ZPO durchführen. Dadurch bleibt die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit erhalten, dass in einem Rechtsstreit über Klageforderung und Gegenforderung entschieden wird.
Normenkette
GVG §§ 17, 23 Nr. 2 Buchst. a; ZPO §§ 29a, 148, 302, 322 Abs. 2; ArbGG § 2 Abs. 3; BGB §§ 576, 576b
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. September 2007 – 6 Ta 1603/07 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verweisung erst nach der rechtsbeständigen Erledigung der Vergütungsansprüche wirksam werden soll.
2. Der Kläger hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 242,70 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land vom Kläger die Nachzahlung von Miete verlangen kann.
Der Kläger ist als Forstwirtschaftsmeister beim beklagten Land beschäftigt. Auf seine Bewerbung wurde ihm im Jahre 1975 eine Dienstwohnung zugewiesen. Im Jahre 1987 wechselte der Kläger in eine größere Wohnung im selben Haus. Dieses liegt etwa 1 km von der Revierförsterei “S…” entfernt, wo der Kläger seinerzeit als Ausbilder tätig war.
Nach einer Rüge des Rechnungshofs wird die Wohnung seit 2004 im Haushaltsplan nicht mehr als Dienstwohnung geführt. Im Hinblick darauf teilte das beklagte Land dem Kläger mit Schreiben vom 27. November 2003 mit, es wandle die Dienstwohnung in eine Werkmietwohnung um. Gleichzeitig kündigte es die Wohnung als Dienstwohnung ordentlich zum 31. August 2004 und bot dem Kläger an, sie ab dem 1. September 2004 als Werkmietwohnung weiter zu bewohnen. Der Kläger unterzeichnete den ihm zugesandten Werkmietvertrag nicht, bewohnte die Wohnung aber weiter und zahlte weiterhin die bisherige Dienstwohnungsvergütung.
Das beklagte Land macht geltend, der Kläger habe ab dem 1. September 2004 die ortsübliche Miete zu zahlen. Die monatliche Differenz zwischen der Mietforderung und der Dienstwohnungsvergütung betrage 119,06 Euro. Das beklagte Land hat mit den Forderungen auf Nachzahlung gegen die Lohnansprüche des Klägers aufgerechnet. Der Kläger vertritt die Auffassung, es bestehe keine Mietforderung. Er hat die als solche unstreitigen Lohnansprüche beim Arbeitsgericht eingeklagt.
Das Arbeitsgericht hat nach Rüge des beklagten Landes den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht den beschrittenen Rechtsweg hinsichtlich der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung verneint und den Rechtsstreit insoweit an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde hält der Kläger am eingeschlagenen Rechtsweg fest.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Für die Gegenforderung ist das Amtsgericht Charlottenburg nach § 23 Nr. 2 Buchst. a GVG, § 29a Abs. 1 ZPO ausschließlich zuständig.
1. Die Aufrechnung ist kein rechtlicher Gesichtspunkt iSv. § 17 Abs. 2 GVG, sondern ein selbständiges Gegenrecht, das dem durch die Klage bestimmten Streitgegenstand einen weiteren selbständigen Gegenstand hinzufügt. Die Gerichte für Arbeitssachen können deshalb über die Begründetheit der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung nicht selbst entscheiden (BAG 23. August 2001 – 5 AZB 3/01 – BAGE 98, 384, 385 f.). Eine Zuständigkeit gem. § 2 Abs. 3 ArbGG kommt dann nicht in Betracht, wenn die Gegenforderung in die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts fällt, wie das bei einer Mietforderung der Fall ist (BAG 23. August 2001 – 5 AZB 3/01 – BAGE 98, 384, 386).
2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die zur Aufrechnung gestellten Forderungen des beklagten Landes nicht aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG), sondern aus einem Mietverhältnis über Wohnraum (§ 23 Nr. 2 Buchst. a GVG) resultieren.
a) Für die Abgrenzung von Werkdienstwohnungen (§ 576b BGB) und Werkmietwohnungen (§ 576 BGB) kommt es nicht auf die Bezeichnung der Parteien oder deren rechtliche Beurteilung, sondern auf den materiellen Gehalt des Vereinbarten an. Dieser ist durch Auslegung des Vertrags (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. Ergibt die Auslegung ein Mietverhältnis, kann das zwingende Mietrecht einschließlich der amtsgerichtlichen Zuständigkeit für die Geltendmachung der Ansprüche auch nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien eine Dienstwohnung als Vertragsgegenstand und damit die Anwendung von Arbeitsrecht vereinbaren; denn durch das Arbeitsrecht wird der Arbeitnehmer nicht besser gestellt als durch das Mietrecht (vgl. BAG 28. Juli 1992 – 1 ABR 22/92 – AP BetrVG 1972 § 87 Werkmietwohnungen Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 87 Werkswohnung Nr. 8, zu B I 2c der Gründe). Danach ist unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage die Parteien die Überlassung des Wohnraums regeln wollten. Die Rüge des Klägers, die Parteien hätten vertraglich ausdrücklich die Überlassung einer Dienstwohnung vorgesehen und die Anwendung von § 8b des Manteltarifvertrags für die Arbeiter der Berliner Forsten vereinbart, bleibt ohne Erfolg.
b) Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die Parteien hätten unabhängig von dem Arbeitsverhältnis über eine entgeltliche Überlassung der Wohnung zum Gebrauch Einigkeit erzielt, der Kläger habe von Anfang an eine Werkmietwohnung, nicht eine Werkdienstwohnung, bewohnt, ist nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat die zutreffenden Abgrenzungskriterien zugrunde gelegt (vgl. Senat 2. November 1999 – 5 AZB 18/99 – BAGE 92, 336, 337 ff.; BAG 28. Juli 1992 – 1 ABR 22/92 – AP BetrVG 1972 § 87 Werkmietwohnungen Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 87 Werkswohnung Nr. 8, zu B I 2 der Gründe; Senat 23. August 1989 – 5 AZR 569/88 – AP BGB § 565e Nr. 3 = EzA BGB § 565b-e Nr. 3, zu II der Gründe) und sie fehlerfrei auf den Streitfall angewendet. Die Rechtsbeschwerde bringt hiergegen nichts Erhebliches vor. Sie zeigt insbesondere keinen Zusammenhang zwischen Wohnung und Arbeitsverhältnis auf. Dass die Landesbehörde nur eigene Arbeitnehmer berücksichtigt, ist gerade auch bei Werkmietwohnungen selbstverständlich.
c) Danach kommt es nicht darauf an, ob das beklagte Land eine etwaige Dienstwohnungsberechtigung des Klägers wirksam zum 31. August 2004 widerrufen konnte und ob für die Zeit ab dem 1. September 2004 konkludent ein Mietverhältnis zustande gekommen wäre.
3. Die Gerichte für Arbeitssachen sind für den Rechtsstreit zuständig, soweit nicht mit Rechtskraftwirkung über die Gegenforderung zu entscheiden ist (§ 322 Abs. 2 ZPO). Das Arbeitsgericht hat auch die Zulässigkeit der Aufrechnung zu prüfen, weil es insoweit nicht auf das Bestehen der Gegenforderung ankommt. Über die Vergütungsansprüche ist ggf. durch Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) zu entscheiden. Dabei ist das Arbeitsgericht nicht verpflichtet, das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen und die beklagte Partei auf einen neuen Rechtsstreit vor dem zuständigen Gericht zu verweisen. Vielmehr kann es den Rechtsstreit nach Rechtskraft des Vorbehaltsurteils wegen der Gegenforderung an das zuständige Gericht verweisen. Dadurch bleibt die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit erhalten, dass in einem Rechtsstreit über Klageforderung und Gegenforderung entschieden wird. Das Gericht, an welches der Rechtsstreit verwiesen wird, muss in diesem Fall – anders als bei der Aussetzung – das Nachverfahren gem. § 302 Abs. 4 ZPO durchführen. Es entscheidet dann über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung des Vorbehaltsurteils und über einen geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz und damit nicht über eine rechtswegfremde Forderung (iE ebenso Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 2 Rn. 151 f.; ErfK/Koch 7. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 45; aA GK-ArbGG/Wenzel Stand Oktober 2007 § 2 Rn. 33).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht richtig entschieden. Sein Verweisungsbeschluss ist dahin zu verstehen, dass die Verweisung erst nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Vergütungsansprüche durch die Gerichte für Arbeitssachen oder nach der sonstigen Erledigung der Vergütungsansprüche wirksam werden soll. Dagegen bestehen keine Bedenken. Ein Fall des § 145 Abs. 3 ZPO liegt nicht vor. Nach der Verweisung sind nur noch die ordentlichen Gerichte (Amtsgericht, ggf. Landgericht im Berufungsverfahren) zuständig.
III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG. Der Wert beträgt 1/3 des Hauptsachestreitwerts.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Laux
Fundstellen
Haufe-Index 1929125 |
BAGE 2009, 66 |
BB 2008, 329 |
DB 2008, 592 |
NJW 2008, 1020 |
EBE/BAG 2008 |
FA 2008, 117 |
JR 2009, 131 |
NZA 2008, 843 |
ZAP 2008, 356 |
ZTR 2008, 282 |
AP, 0 |
EzA-SD 2008, 20 |
EzA |
MDR 2008, 464 |
ZZP 2009, 243 |
AUR 2008, 122 |
ArbRB 2008, 114 |
HzA aktuell 2008, 41 |
SPA 2008, 2 |