Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsteile als selbständige Betriebe. Rechtsschutzinteresse
Leitsatz (amtlich)
- Vom Hauptbetrieb weit entfernte, organisatorisch von einander abgegrenzte Betriebsteile, die jeweils die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllen, gelten nach § 4 Satz 1 BetrVG auch dann je für sich als selbständige Betriebe und nicht als einheitlicher Betrieb, wenn sie nahe beieinander liegen.
- Das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung der Wahl eines Betriebsrats entfällt nicht schon dadurch, daß der Betriebsrat seinen Rücktritt beschließt.
Normenkette
BetrVG §§ 4, 13 Abs. 2, 19, 22
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Beschluss vom 30.05.1990; Aktenzeichen 5 TaBV 1/90) |
ArbG Hamburg (Beschluss vom 08.11.1989; Aktenzeichen 9 BV 8/89) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 30. Mai 1990 – 5 TaBV 1/90 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
A. Die antragstellende Arbeitgeberin ficht die in der sogenannten “Telefonischen Bestellannahme” (TBA) “Hamburg-West” und in der TBA “Hamburg-Süd-Ost” am 11. Juli 1989 durchgeführte Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats (Beteiligter zu 2) mit der Begründung an, es hätten zwei Betriebsräte gewählt werden müssen.
Die Antragstellerin ist ein Versandhandels-Großunternehmen und hat ihren Sitz in F…. Sie unterhält im Bundesgebiet etwa 120 Büros, die firmenintern als telefonische Bestellannahmen (TBA) bezeichnet und organisatorisch als jeweils ein “Team” angesehen werden. Die TBAn nehmen telefonisch Bestellungen und Beanstandungen der Kunden entgegen und geben Informationen an Kunden weiter. Die Teams sind zu Gebieten, die Gebiete zu Regionen zusammengefaßt. Sie unterstehen organisatorisch dem Bereich “Kunden-Service” am Hauptsitz der antragstellenden Arbeitgeberin in F….
Im Bereich des Telefonnetzes Hamburg bestehen 3 TBAn, nämlich “Hamburg-West” mit 13 Arbeitnehmerinnen in Hamburg-Altona (B… Straße), “Hamburg-Süd-Ost” mit 11 Arbeitnehmerinnen in Hamburg-Wandsbek (W… straße) sowie in Norderstedt (in Schleswig-Holstein an der Landesgrenze zu Hamburg) “Hamburg-Nord”. Der Arbeitsbereiche und Bezeichnungen der TBAn orientieren sich am Aufbau des Telefonnetzes und der Struktur des Telefontarifs; deshalb wird die in Norderstedt ansässige TBA nicht als Norderstedt, sondern als “Hamburg-Nord” bezeichnet. Die TBAn “Hamburg-West” und “Hamburg-Süd-Ost” sind dem Gebiet Nr. 12 (Stadt Hamburg-Berlin-Lüneburg) zugeordnet, nicht aber die TBA “Hamburg-Nord”. Alle drei TBAn gehören allerdings zur “Region Nord” als der nächsthöheren Einheit.
Jeder TBA steht eine Teamleiterin vor. Sie versucht, Personalengpässen zunächst dadurch zu begegnen, daß sie Arbeitnehmerinnen ihres Teams zu Mehrarbeit oder zusätzliche flexible Arbeitskräfte heranzieht. Gelingt es nicht, den Personalengpaß hierdurch zu beheben, versucht die Teamleiterin, Arbeitnehmerinnen aus einer anderen TBA als Aushilfen zu gewinnen. Hierzu fragt sie bei der Leiterin der anderen TBA an, ob dort Arbeitnehmerinnen entbehrlich sind. Hält die andere Teamleiterin dies für möglich, so fragt sie Arbeitnehmerinnen ihrer TBA, ob sie bereit sind, im anderen Team auszuhelfen. Erklärt sich die Arbeitnehmerin hierzu bereit, so wird sie in der anderen TBA aushilfsweise eingesetzt. Solche Aushilfen finden innerhalb des ganzen Bundesgebietes, auch zwischen weiter entfernten TBAn, statt.
Die TBAn “Hamburg-West” und “Hamburg-Süd-Ost” waren bis Ende Juni/Anfang Juli 1989 gemeinsam in einem Bürogebäude in der Spaldingstraße in Hamburg 1 untergebracht. Am 25. Juni 1986 ist dort für beide ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden. Seit Herbst 1988 war geplant, beide TBAn in neuen Räumen getrennt unterzubringen. Wann der Betriebsrat von dem Umzugsplan Kenntnis erlangte, ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 23. Mai 1989 beschloß der Betriebsrat:
“Der Betriebsrat Hamburg TBA beschließt den einstimmigen Rücktritt, um vor der Teilung der Büros die Neuwahl zu ermöglichen.”
Ende Juni/Anfang Juli 1989 zogen dann die TBA “Hamburg-West” nach Altona und die TBA “Hamburg-Süd-Ost” nach Hamburg-Wandsbek um. Am 11. Juli 1989 wurde für beide TBAn ein gemeinsamer Betriebsrat (Beteiligter zu 2) gewählt.
Mit ihrem am 25. Juli 1989 eingereichten Antrag ficht die antragstellende Arbeitgeberin diese Wahl an. Sie hat vorgebracht, es hätte kein gemeinsamer Betriebsrat gewählt werden dürfen, weil es sich bei der TBA “Hamburg-West” und bei der TBA “Hamburg-Süd-Ost” um als selbständig geltende Betriebe i. S. der §§ 1 und 4 Satz 1 BetrVG handele. Beide TBAn seien räumlich weit vom Hauptsitz des Betriebes (F…) entfernt und beschäftigten jeweils regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer. Aus den §§ 1 und 4 BetrVG lasse sich nicht ableiten, daß räumlich nahe beieinanderliegende betriebsratsfähige Betriebsteile zusammen einen einzigen Betrieb bildeten und einen gemeinsamen Betriebsrat wählen könnten.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die am 11. Juli 1989 stattgefundene Wahl eines gemeinsamen Betriebsrats für die beiden Betriebe Telefonische Bestellannahme, B… Straße 242 – 245, 2000 Hamburg 50, und W… straße 50, 2000 Hamburg 70, für ungültig zu erklären.
Der beteiligte Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat erwidert, die Umzugspläne seien dem Betriebsrat erst kurz vor Durchführung des Umzugs bekanntgeworden. Bei der Wahl sei nicht gegen die §§ 1 und 4 BetrVG verstoßen worden. Beide TBAn “Hamburg-West” und “Hamburg-Süd-Ost” bildeten zusammen einen als selbständigen Betrieb geltenden Betriebsteil, für den die Voraussetzungen des § 4 BetrVG vorlägen. Es sei auf den Sinn und Zweck des § 4 BetrVG zurückzugreifen. Der Grundgedanke sei die Einheit des Betriebes. Wo sie aufrechterhalten werden könne, habe sie Vorrang. Ein fruchtloses Nebeneinander mehrerer Betriebsräte müsse vermieden werden. Müßten in vom Hauptbetrieb weit entfernten, untereinander aber räumlich nahegelegenen organisatorischen Einheiten, die denselben arbeitstechnischen Zweck verfolgten und hinsichtlich arbeitstechnischer und personeller Anweisungen vom Hauptbetrieb abhängig seien, jeweils Betriebsräte gewählt werden, so führe dies zu einer nutzlosen Aufspaltung eines mehrköpfigen Betriebsrats in mehrere aus nur einer Person bestehende Betriebsräte mit der Folge, daß wesentliche Befugnisse aus dem Betriebsverfassungsgesetz beschnitten würden.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Wahl für unwirksam erklärt und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluß hat der Betriebsrat Rechtsbeschwerde eingelegt. Nachdem den Beteiligten der anberaumte Termin zur Beratung und Verkündung einer Entscheidung über die Rechtsbeschwerde mitgeteilt worden war, beschloß der Betriebsrat am 23. Mai 1991 einstimmig seinen Rücktritt.
Der Betriebsrat meint, durch seinen Rücktritt sei das Wahlanfechtungsverfahren in der Sache erledigt. Für den Antrag, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, sei das Rechtsschutzinteresse weggefallen. Infolge seines Rücktritts führe der Betriebsrat die Betriebsratsgeschäfte nach § 22 BetrVG bis zu einer Neuwahl weiter, die entsprechend dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts durchgeführt werden könne. Hieran dürfe der Betriebsrat mit Rücksicht auf Sinn und Zweck des Gesetzes nicht durch eine gerichtliche Entscheidung, mit der seine Wahl für unwirksam erklärt werde, gehindert werden. Daher sei die Rechtsbeschwerde begründet, mit der er beantragt, den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die beteiligte Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Sie erhält ihren Sachantrag aufrecht und meint, infolge des Rücktritts des Betriebsrates sei eine Sachentscheidung nicht ausgeschlossen. Die Befugnis des Betriebsrates zur Weiterführung des Geschäfte gem. § 22 BetrVG ende, sobald dem Wahlfechtungsantrag rechtskräftig stattgegeben worden sei.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die angefochtene Wahl des beteiligten Betriebsrats zu Recht für unwirksam erklärt.
I. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere ist das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 11. Juli 1989 nicht dadurch entfallen, daß der beteiligte Betriebsrat im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens am 23. Mai 1991 seinen Rücktritt beschlossen hat.
Durch seinen Rücktritt verliert der Betriebsrat nicht seine betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen. Vielmehr führt der zurückgetretene Betriebsrat gemäß § 22 in Verb. mit § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG die Geschäfte weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist. Dagegen enden die betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse eines Betriebsrats, dessen Wahl erfolgreich nach § 19 BetrVG angefochten worden ist, mit der Rechtskraft der die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl aussprechenden gerichtlichen Entscheidung (vgl. BAG Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine Weiterführung der Betriebsratsgeschäfte bis zur Neuwahl eines Betriebsrats kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 22 BetrVG ordnet eine Weiterführung der Betriebsratsgeschäfte nur für die Fälle des § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG an, nicht aber für die in § 13 Abs. 2 Nr. 4 und 5 BetrVG angesprochenen Fälle der erfolgreichen Anfechtung der Betriebsratswahl und der Auflösung des Betriebsrats durch eine gerichtliche Entscheidung. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber von einer die Weiterführung der Geschäfte ermöglichenden Übergangsregelung abgesehen, um der gerichtlichen Entscheidung über die Ungültigkeit der Betriebsratswahl bzw. über die Auflösung des Betriebsrats Geltung zu verschaffen. Ein ungültig gewählter und ein nach § 23 Abs. 1 BetrVG wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aufgelöster Betriebsrat soll auch nicht nur vorübergehend weiter amtieren dürfen. Vielmehr wird der Betrieb in diesen Fällen mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung betriebsratslos (Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 22 Rz 13; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 22 Rz 2; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 22 Rz 5; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 22 Rz 2; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 22 Rz 3). Diese Wirkung der erfolgreichen Wahlanfechtung kann der Betriebsrat nicht dadurch verhindern, daß er vor der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung seinen Rücktritt beschließt. Der zurückgetretene Betriebsrat verliert mit der Rechtskraft der seine Wahl für unwirksam erklärenden gerichtlichen Entscheidung seine Befugnis zur Weiterführung der Betriebsratsgeschäfte. Deshalb besteht das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats auch nach dessen Rücktritt so lange fort, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekanntgegeben ist.
II. In der Sache selbst hat das Landesarbeitsgericht die Wahlanfechtung durchgreifen lassen, weil die TBA “Hamburg-West” und die TBA “Hamburg-Süd-Ost” jedenfalls nach der räumlichen Trennung zwei getrennte Betriebsteile i. S. des § 4 BetrVG bildeten und deshalb kein gemeinsamer Betriebsrat für beide Betriebsteile gewählt werden dürfe. Dem ist zuzustimmen.
1. Bei seiner Würdigung ist das Landesarbeitsgericht zutreffend von den in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Begriffen des Betriebs, Nebenbetriebs und Betriebsteils ausgegangen. Bei einem Betrieb i. S. des Betriebsverfassungsrechts handelt es sich um eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (BAGE 40, 163, 165 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe; BAGE 52, 325, 329 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972, zu B II 2a der Gründe; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 1 Rz 31; Dietz/Richardi, aaO, § 1 Rz 52; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 1 Rz 2). In erster Linie kommt es dabei auf die Einheit der Organisation, weniger auf die Einheit der arbeitstechnischen Zweckbestimmung an (BAGE 40, 163, 166 = AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, zu III 2a der Gründe; BAGE 53, 119, 127 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe). So ist regelmäßig vom Vorliegen eines Betriebes i. S. des Betriebsverfassungsgesetzes auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Nebenbetriebe i. S. des § 4 Satz 2 BetrVG sind solche Betriebe, die organisatorisch selbständig sind und unter eigener Leitung einen eigenen Betriebszweck verfolgen, jedoch in ihrer Aufgabenstellung auf eine reine Hilfeleistung für den Hauptbetrieb ausgerichtet sind und den dort verfolgten Betriebszweck unterstützen. Im Gegensatz zum Nebenbetrieb ist der Betriebsteil in die Organisation des Hauptbetriebes eingegliedert. Er ist ihm gegenüber räumlich und organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt, bleibt aber auf dessen Zweck ausgerichtet (BAGE 53, 119, 127, 128 = AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe, m.w.N.).
2. Ob mehrere räumlich getrennte arbeitstechnische Organisationseinheiten jeweils für sich betriebsverfassungsrechtlich als selbständig geltende Betriebsteile anzusehen sind oder ob sie in ihrer Gesamtheit einen einheitlichen Betriebsteil darstellen, hängt wesentlich davon ab, wie die Leitungsstruktur beschaffen ist. Besitzt die arbeitstechnische Organisationseinheit in Relation zur anderen, gleichrangigen Organisationseinheit eine institutionell verankerte eigene Leitungsstruktur, so fehlt es an einem wesentlichen Merkmal für das Vorliegen eines einheitlichen Betriebsteils. Denn die institutionell gesicherte einheitliche Leitungsmacht ist in der Regel ein Anzeichen für eine in sich geschlossene einheitliche arbeitstechnische Organisation und damit für das Vorliegen eines in sich abgegrenzten Betriebsteils (vgl. BAG Beschluß vom 25. Mai 1988 – 7 ABR 51/87 – n.v., zu III 2c der Gründe = S. 13 des Abdrucks). Insoweit sind für die Frage, ob gleichrangige Organisationseinheiten jeweils für sich oder nur zusammen als Betriebsteil i. S. des § 4 Satz 1 BetrVG anzusehen sind, vergleichbare Kriterien heranzuziehen wie bei der Frage, ob zwei Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb unterhalten. Auch dabei kommt es wesentlich auf die institutionelle Einheitlichkeit der Leitungsmacht an; ohne eine institutionalisierte einheitliche Leitungsmacht ist die Annahme, es liege ein gemeinsamer Betrieb vor, rechtlich nicht möglich (vgl. statt vieler: BAGE 59, 319, 324 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972, zu B 2 der Gründe, mit Anm. Reuter). Allerdings ist nicht erforderlich, daß die Leitungsmacht den vollen Umfang oder den Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen oder personellen Bereich umfaßt, d.h. sie sich wesentlich auf die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen (vgl. §§ 87 ff. BetrVG) und personellen (vgl. §§ 92 ff. BetrVG) Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes erstreckt. Denn es geht nicht um die Einheitlichkeit eines Betriebs, sondern (nur) eines Betriebsteiles. Ein Betriebsteil gilt aber nach § 4 Satz 1 BetrVG gerade ohne Rücksicht darauf als selbständig, ob die wesentlichen, der betrieblichen Mitbestimmung unterliegenden Funktionen in der Organisationseinheit ausgeübt werden. Würden sie im Betriebsteil ausgeübt, so handelte es sich bei ihm nicht mehr um nur einen Teil eines Betriebs, sondern bereits um einen Betrieb i.S. des § 1 BetrVG. Erforderlich ist indessen, daß überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist und von ihr das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausgeübt wird.
3. Dementsprechend bilden organisatorisch abgegrenzte, vom Hauptbetrieb weit entfernte Teile eines Betriebs bei räumlicher Nähe zueinander zwar dann einen einheitlichen Betriebsteil, wenn der eine Betriebsteil dem anderen, räumlich nahegelegenen Betriebsteil organisatorisch untergeordnet ist und von dessen Leitung gleichermaßen mitgeleitet wird. Dies hat der Senat für den Fall zweier Service-Niederlassungen eines Nutzkraftfahrzeugherstellers angenommen, weil die eine Niederlassung der anderen, räumlich benachbarten Niederlassung organisatorisch in der Weise unterstellt war, daß der Leiter der einen Niederlassung die andere ebenfalls zu leiten hatte (vgl. BAG Beschluß vom 25. Mai 1988 – 7 ABR 51/87 – n.v.). Andererseits genügt die bloße räumliche Nähe untereinander nicht für die Annahme, vom Hauptbetrieb weit entfernte Organisationseinheiten bildeten gemeinsam einen einheitlichen Betriebsteil, wenn für jede dieser Organisationseinheiten eine eigene Leitung eingerichtet ist. Dementsprechend hat der Senat ein Dialysezentrum und eine im selben Gebäude untergebrachte Zentrale für Techniker, die die Dialysegeräte dieses und anderer Zentren zu warten hatten, nicht als einheitlichen Betrieb bzw. als einheitlichen Betriebsteil angesehen, weil das Dialysezentrum und die Technikerzentrale institutionell jeweils verschiedenen Leitern unterstellt waren (vgl. Senatsbeschluß vom 26. Juli 1989 – 7 ABR 22/88 – n.v.).
4. Gemessen an diesen Kriterien ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, bei der TBA “Hamburg-West” und bei der TBA “Hamburg-Süd-Ost” handele es sich jeweils um Betriebsteile i. S. des § 4 Satz 1 BetrVG. Jede der beiden TBAn erfüllt für sich allein die Voraussetzungen des § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG. Sie sind vom Hauptbetrieb weit entfernt; auch hinsichtlich der Zahl der in der Regel beschäftigten wahlberechtigten und wählbaren ständigen Arbeitnehmer sind die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllt.
Nach den mit zulässigen Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts, die den Senat entsprechend § 561 ZPO binden, liegen die Voraussetzungen für die Annahme, beide in Rede stehenden TBAn bildeten einen einheitlichen Betriebsteil, nicht vor. Sowohl für die TBA “Hamburg-West” als auch für die TBA “Hamburg-Süd-Ost” ist eine jeweils gesonderte Leitung eingerichtet worden, nämlich jeweils in Gestalt einer Teamleiterin. Keine der beiden Teamleiterinnen ist institutionell in der Lage, den Arbeitnehmerinnen der anderen TBA von sich aus Weisungen zu erteilen oder sie zur Aushilfe anzuweisen. Dies zeigt insbesondere die unstreitige Praxis bei der Personalaushilfe unter diesen und anderen TBAn. Hierzu ist stets das Einverständnis der Teamleiterinnen sowohl der entsendenden als auch der Aushilfe ersuchenden TBA erforderlich. Auch insoweit ist keine Teamleiterin der anderen übergeordnet.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Dr. Steckhan, Schliemann, Günther Metzinger
Der ehrenamtliche Richter Nehring ist wegen Ablaufs seiner Amtszeit verhindert zu unterschreiben.
Dr. Seidensticker
Fundstellen
BAGE, 67 |
BB 1991, 2373 |
JR 1992, 132 |
NZA 1992, 74 |
RdA 1991, 382 |