Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösende Betriebsvereinbarung bei Unterstützungskassen
Leitsatz (amtlich)
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG soll eine Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zu folgender Frage herbeigeführt werden:
Kann eine Betriebsvereinbarung Rechte schmälern, die den Arbeitnehmern aufgrund einer vertraglichen Einheitsregelung zustehen und für deren Widerruf ausreichende Gründe fehlen?
Normenkette
BetrAVG § 1 Unterstützungskassen; BetrVG 1972 § 77; ArbGG § 45 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 30.06.1983; Aktenzeichen 5 Sa 36/82) |
ArbG Würzburg (Urteil vom 03.02.1982; Aktenzeichen 4 Ca 628/81 S) |
Tenor
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG soll eine Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zu folgender Frage herbeigeführt werden:
Kann eine Betriebsvereinbarung Rechte schmälern, die den Arbeitnehmern aufgrund einer vertraglichen Einheitsregelung zustehen und für deren Widerruf ausreichende Gründe fehlen?
Tatbestand
A. Der Kläger wehrt sich mit einer Feststellungsklage gegen die Verschlechterung seiner Versorgungsanwartschaft durch eine ablösende Betriebsvereinbarung.
Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Sie hat im Jahre 1936 eine Hilfskasse in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins gegründet. Die Satzung des Vereins und die Leistungsrichtlinien der Hilfskasse wurden im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Die Satzung in der Fassung vom 1. Juni 1978 sieht vor, daß der Verein zwölf Mitglieder hat, die je zur Hälfte von der Geschäftsführung und dem Gesamtbetriebsrat der Beklagten berufen werden (§ 2). Der Vorstand besteht aus vier Mitgliedern und wird von der Mitgliederversammlung aus deren Reihen gewählt; ihm sollen zwei Mitglieder des Betriebsrats angehören oder vom Gesamtbetriebsrat vorgeschlagen sein (§ 6 Nr. 1 I). Ferner enthält die Satzung den für Unterstützungskassen typischen Vorbehalt: Leistungen der Kasse sollen freiwillig nach Lage des Kassenvermögens und unter Ausschluß eines Rechtsanspruchs gewährt werden (§ 7 Abs. 1 und 3). Der Vereinsvorstand soll berechtigt sein, die Leistungsrichtlinien zu ändern (§ 7 Abs. 2).
Gemäß den Richtlinien vom 1. Juli 1978 beträgt die monatliche Rente nach mindestens zehn anrechnungsfähigen Dienstjahren 10 % des anrechnungsfähigen Einkommens (Ziff. 4.1.1). Sie steigt mit jedem weiteren anrechnungsfähigen Dienstjahr um 0,5 % bis auf höchstens 25 % des anrechnungsfähigen Einkommens (Ziff. 4.1.3). Anrechnungsfähiges Einkommen ist die zuletzt bezogene Arbeitsvergütung nebst bestimmten Zuschlägen und Prämien. Als Obergrenze der Gesamtversorgung sind 75 % der Summe aus der gesetzlichen Sozialversicherungsrente und dem betrieblichen Ruhegeld festgelegt (Ziff. 4.1.5).
Am 13. Februar 1980 schloß die Beklagte mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung, die die bisherigen Versorgungsbestimmungen mit Wirkung vom 1. Januar 1980 änderte. Die Richtlinien der Hilfskasse wurden teilweise aufgehoben und durch ein „Betriebliches Versörgungswerk” (künftig: BV) ersetzt. Darin wird den ab 1. Januar 1981 ausscheidenden Mitarbeitern ein Rechtsanspruch auf die vorgesehenen Leistungen unmittelbar gegen die Beklagte eingeräumt. Der Hilfskasse soll im wesentlichen nur die Abwicklung der Versorgung der vor diesem Zeitpunkt ausgeschiedenen Mitarbeiter verbleiben. Gleichzeitig wurde das Leistungsniveau geändert. Die Alters- und Invalidenrenten betragen hiernach für jedes ruhegeldfähige Dienstjahr nur noch 0,2 % des ruhegeldfähigen Arbeitsverdienstes (Ziff. 7.1 BV), jedoch für die bis zum 31. Dezember 1979 zurückgelegten Dienstjahre 0,4 % (Ziff. 7.2 BV). Die Obergrenze der gesamten Renteneinkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der betrieblichen Altersversorgung wurde auf 65 % der ruhegeldfähigen Bezüge gesenkt (Ziff. 7.5 BV).
Als in der Belegschaft wegen der neuen Versorgung Unruhe entstand, teilte die Geschäftsführung der Beklagten dem Gesamtbetriebsrat durch Schreiben vom 21. Mai 1981 mit, für alle Mitarbeiter mit einer unverfallbaren Anwartschaft werde zum 31. Dezember 1979 der bis dahin erdiente Betrag zeitanteilig errechnet und als Besitzstand erhalten; dieser Betrag steige vom 1. Januar 1980 an gemäß Ziff. 7.1 BV jährlich um 0,2 %.
Der Kläger, der am 6. Oktober 1928 geboren und seit dem 2. Mai 1960 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt ist, wird beim Eintritt in den Altersruhestand nach der neuen Versorgungsordnung schlechter stehen als nach den Richtlinien von 1978. Er hat geltend gemacht, die ab T. Januar 1980 eingeführte Regelung bewirke, daß seine Versorgungsanwartschaft um etwa die Hälfte, nämlich von rund 600,– DM auf rund 320,– DM monatlich, gekürzt werde. Das sei unzulässig; die Beklagte dürfe nicht derart einschneidend in seine Versorgungsrechte eingreifen. Auch die Regelungsmacht der Betriebsparteien gehe so weit nicht.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß seine Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung aufgrund der Satzung der Hilfskasse der S. GmbH e.V. vom 1.6.1978 und der Richtlinien der Hilfskasse der S. GmbH e.V. vom 1.7.1978 fortbestehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Sie müsse Überversorgungen abbauen, die sich nach den alten Leistungsrichtlinien ergeben hätten. Außerdem solle mit der neuen Versorgungsordnung dem Entgeltgedanken in der betrieblichen Alterversorgung besser Rechnung getragen werden. Vor allem aber sei langfristig die Finanzierung des Versorgungswerks nur durch Einsparungen zu sichern. Am 31. Dezember 1979 habe für die Versorgungsverbindlichkeiten eine Unterdeckung in Höhe von 246 Mio. DM bestanden. Bis zum 31. Dezember 1980 sei der Fehlbetrag bereits auf 290 Mio. DM angestiegen. Finanzierungsmittel in dieser Höhe habe sie nicht aufbringen können, denn sie habe in den Jahren von 1976 bis 1979 rund 53 Mio. DM und bis 1982 rund 79 Mio. DM Verluste erlitten. Der alte Versorgungsplan übersteige ihre Leistungskraft. Er habe in den nächsten zehn Jahren Kosten in Höhe von 720 Mio. DM erwarten lassen. Der neue Plan werde im gleichen Zeitraum nur etwa 558 Mio. DM erfordern. Außerdem habe sich das Verhältnis der aktiven Mitarbeiter zu den Rentnern zunehmend verschlechtert. Die Zahl der Arbeitnehmer sei von 16.285 im Jahre 1970 auf 10.425 im Jahre 1980 gesunken. Damit entfalle auf zwei aktive Mitarbeiter ein Betriebsrentner. Unter diesen Umständen seien Einschränkungen geboten. Da die Neuregelung erdiente Besitzstände nicht angreife, sei es nicht unbillig, den Mitarbeitern Einbußen bei den Steigerungen der Anwartschaften zuzumuten. Eine solche Kürzung sei der völligen Schließung des Versorgungswerks, also dem Ausschluß neu eintretender Mitarbeiter, vorzuziehen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
B. Nach den bisherigen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die Beklagte berechtigt war, ihre im Jahre 1978 gegebene Versorgungszusage teilweise zu widerrufen. Jedoch könnte eine Ablösung durch Betriebsvereinbarung in Betracht kommen, wenn die Regelungsmacht der Betriebsparteien weitergehen sollte, als das Widerrufsrecht des Arbeitgebers. Der Senat ist gehalten, diese grundsätzliche Frage vorab durch den Großen Senat klären zu lassen.
I. Gegenstand der Ablösung sind vertragliche Versorgungsrechte der betroffenen Arbeitnehmer.
1. Die Hilfskassensatzung aus dem Jahre 1978 stellt in Verbindung mit den Leistungsrichtlinien eine vertragliche Einheitsregelung dar. Die Satzung war als Zusage des Arbeitgebers zu verstehen, allen Mitarbeitern eine Versorgung nach Maßgabe der Richtlinien zu gewähren (Gesamtzusage). Hieraus erwuchsen vertragliche Rechte der begünstigten Arbeitnehmer. Diese Auffassung entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senats (statt aller: Urteil vom 10. November 1977 – 3 AZR 705/76 – AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu B I 2 a der Gründe; zuletzt Urteil vom 5. Juni 1984 – 3 AZR 33/84 – NZA 1985, 22 = EzA § 242 BGB Ruhegeld Nr. 105, zu IV 1 a der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
2. Das Entstehen individueller Ansprüche scheitert nicht daran, daß Satzung und Leistungsrichtlinien der Hilfskasse den für Unterstützungskassen kennzeichnenden Freiwilligkeitsvorbehalt enthielten (§ 1 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß ein solcher Vorbehalt in der betrieblichen Altersversorgung nur die Bedeutung eines generellen Widerrufsrechts hat, das an sachliche Gründe gebunden ist (zuletzt Urteil des Senats vom 5. Juni 1984 – 3 AZR 33/84 –, aaO, zu IV 1 der Gründe). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung gebilligt (Beschluß vom 19. Oktober 1983 – 2 BvR 298/81 – BVerfGE 65, 196, 210 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu C II der Gründe). Die Bindung der Unterstützungskasse und des Trägerunternehmens beruht auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, der Verfassungsrang hat. Die einschränkende Auslegung des Senats entspricht der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (BVerfGE, aaO).
3. Unentschieden kann bleiben, ob bei der Einführung der Satzung und der Richtlinien der Hilfskasse im Jahre 1978 das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gewahrt worden ist.
a) Die Versorgungsordnung von 1978 war mitbestimmungspflichtig. Unterstützungskassen sind Sozialeinrichtungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG. Sie verwalten ein zweckgebundenes Sondervermögen, mit dessen Hilfe der Arbeitgeber Versorgungsleistungen erbringt. (BAG 31, 11, 14 = AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung, zu II A 1 der Gründe). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann auf zwei Wegen verwirklicht werden: Entweder sind die mitbestimmungspflichtigen Fragen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auszuhandeln und von der Sozialeinrichtung zu übernehmen, oder die Betriebspartner müssen Vertreter in die Organe der Einrichtung entsenden, die dort die mitbestimmungspflichtigen Fragen gleichberechtigt und abschließend entscheiden (BAG 31, 11, 17 = AP, aaO, zu II B 2 a der Gründe).
b) Nach den bisherigen Feststellungen läßt sich zwar nicht erkennen, ob bei der Einführung von Satzung und Richtlinien der Hilfskasse Mitglieder des Betriebsrats gleichberechtigt mitbestimmt haben, weil die Vereinssatzung insoweit nur Sollvorschriften enthält und nicht vorgetragen ist, wie sich der Vereinsvorstand tatsächlich zusammensetzte. Aber auf eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts könnte sich der Arbeitgeber nicht berufen. Ungeachtet des Mitbestimmungsrechts sind die einzelnen Handlungen und Maßnahmen der selbständigen Einrichtung in ihrer Wirksamkeit nicht von der vorherigen Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber abhängig. Bei der hier gewählten organschaftlichen Lösung müßte der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht gegebenenfalls nachträglich durchsetzen; unter Umständen müßten bereits gefaßte Beschlüsse von den satzungsmäßigen Organen der Unterstützungseinrichtung rückgängig gemacht werden (BAG 31, 11, 19 ff. = AP, aaO, zu II C der Gründe).
II. Ob es der Beklagten möglich war, die Versorgungsregelung mit vertraglichen Mitteln zu verschlechtern, hat das Landesarbeitsgericht nicht verfahrensfehlerfrei beantwortet.
1. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Senat Eingriffe in Versorgungsrechte nur unter engen Voraussetzungen zugelassen.
a) Soweit bereits fällige Versorgungsleistungen widerrufen oder gekürzt werden sollen, hat der Senat einen strengen Maßstab angelegt. Der Arbeitnehmer hat hier seine Gegenleistung bereits in vollem Umfange erbracht und ist gegen Insolvenz der Unterstützungskasse bzw. des Trägerunternehmens gesichert (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Die Einzelheiten und die Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht bei sogenannten „Altfällen” (BVerfGE 65, 196 ff. = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) können hier unerörtert bleiben, weil es im vorliegenden Fall nur um die Kürzung von Versorgungsanwartschaften geht.
b) Soweit der Widerruf oder die Kürzung Versorgungsanwartschaften betrifft, hat der Senat unterschieden zwischen dem bereits erdienten Teilbetrag und den zugesagten Steigerungen. Die Kürzung des erdienten Teilbetrags der Versorgungsanwartschaft ist grundsätzlich unzulässig, da dem Arbeitnehmer damit nachträglich die Gegenleistung entzogen würde, für die er die Vorleistung bereits erbracht hat. Bei den Steigerungsbeträgen hat der Senat zwar ebenfalls sachliche Gründe verlangt, an diese aber weniger strenge Maßstäbe angelegt. Er hat gefordert, daß auch insoweit die Besitzstände beachtet und dem Vertrauensschutz durch Abwägung der Änderungsgründe und der Belange der Arbeitnehmer Rechnung getragen wird (BAG 22, 252 = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt und BAG 36, 327 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung).
Durch Urteil vom 17. April 1985 (– 3 AZR 72/83 – zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat diese Rechtsprechung ergänzt und präzisiert: Erhöhten Besitzstandsschutz genießt nicht nur der grundsätzlich unantastbare, vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit erdiente Teilbetrag der Anwartschaft, Erdient und besonders schutzwürdig ist auch eine Rentensteigerung in der Zukunft, wenn sie unabhängig von weiterer Betriebstreue anwachsen sollte. In eine solche Dynamik, die eine Rentensteigerung nach dienstzeitunabhängigen Bezugsmerkmalen vorsieht, kann nur aus einem „triftigen Grund” eingegriffen werden, soweit sie sich auf den erdienten Teil der Rente bezieht. Als „triftigen Grund” betrachtet der Senat wirtschaftliche Schwierigkeiten, die es dem Arbeitgeber erlauben würden, eine Anpassung der laufenden Betriebsrenten gemäß § 16 BetrAVG abzulehnen, weil langfristig die Gefahr bestünde, daß die Unternehmenssubstanz ausgezehrt würde (Urteil vom 5. Juni 1984 – 3 AZR 33/84 –, aaO, zu V 3 a der Gründe und näher in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil des Senats vom 23. April 1985 – 3 AZR 156/83 – zu II 3 a der Gründe m.w.N.).
2. Im Streitfall wird durch die Ablösung der Versorgungsordnung von 1978 in die erdiente Dynamik der Versorgungsanwartschaft des Klägers eingegriffen. Nach der alten Regelung sollte die Betriebsrente in den ersten zehn Jahren auf 10 % und sodann weiter um 0,5 % bis zu 25 % der letzten Aktivenbezüge anwachsen. Die Rentensteigerung war somit nur hinsichtlich der prozentualen Steigerungsraten dienstzeitabhängig. Der jeweils erdiente Teilwert der Anwartschaft jedoch war kein fester Betrag, sondern folgte bis zum Vertragsende den Löhnen und Gehältern der aktiven Arbeitnehmer. Die Anwartschaft sollte bis zum Eintritt in den Ruhestand an den allgemeinen Lohnerhöhungen teilhaben. Die Neuregelung sieht für die ersten zehn Dienstjahr nur eine jährliche Steigerung um 0,4 % (vorher 1 %) und sodann eine Steigerung um 0,2 % (vorher 0,5 %) vor. Zugleich soll die Versorgungsobergrenze von 75 % auf 65 % herabgesetzt werden. Durch die Zusage der Beklagten in ihrem Schreiben vom 21. Mai 1981, den bis zum Ablösungsstichtag erdienten Festbetrag der unverfallbaren Anwartschaften zeitanteilig zu errechnen und aufrechtzuerhalten, ist zwar der Besitzstand der Arbeitnehmer hinsichtlich des unverfallbaren Teiles gewahrt. Zeitanteilig erdient war aber darüber hinaus auch die nicht von weiterer Betriebstreue, sondern von der Lohnentwicklung abhängige Steigerung dieses Betrages. Ist die Ablösung durch die Betriebsvereinbarung vom 13. Februar 1980 wirksam, so kann die Anwartschaft des Klägers seit dem 1. Januar 1980 nicht mehr in vollem Umfange der Gehaltsentwicklung folgen, sondern nur noch um 0,2 % und zusammen mit der gesetzlichen Sozialversicherungsrente auch nicht mehr auf insgesamt 75 %, sondern nur noch auf 65 % des letzten Einkommens vor dem Versorgungsfall anwachsen. Diese Steigerungsraten bleiben hinter der Dynamik der erdienten Teilanwartschaft zurück, so daß eine Schmälerung des erdienten Besitzstandes eintritt.
Ob ein triftiger Grund diese Kürzung rechtfertigt, kann nach dem bisherigen Parteivortrag nicht abschließend beurteilt werden. Die Beklagte macht zwar keine wirtschaftliche Notlage geltend, sie trägt jedoch vor, sie habe in den letzten Jahren erhebliche Verluste erlitten und könne die Versorgungslast längerfristig nicht tragen, ohne in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Dieser Vortrag ist zwar schlüssig, der Kläger hat ihn jedoch bestritten. Das Berufungsgericht hat dies nicht berücksichtigt, sondern ist dem Vortrag der Beklagten und einem von dieser vorgelegten, aber vom Kläger ebenfalls bestrittenen Privatgutachten gefolgt. Der Rechtsstreit müßte daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, um klären zu lassen, ob längerfristig die Substanz des Unternehmens ausgezehrt würde, wenn die bisherige Versorgungslast unverändert bliebe.
III. Der Senat könnte über das Klagebegehren dann abschließend entscheiden, wenn es in der Regelungsmacht der Betriebspartner läge, die Versorgungsrechte der Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung zu kürzen, ohne an die engen Voraussetzungen eines Widerrufs oder Teilwiderrufs gebunden zu sein.
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen durch Betriebsvereinbarung in Individuelle vertraglich begründete Rechte der Arbeitnehmer eingegriffen werden kann, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sie wird im Schrifttum kontrovers beantwortet (zuletzt Hromadka, DB 1985, 864 ff., m.w.N.). Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat bisher noch keinen einheitlichen Lösungsansatz entwickelt. Der Erste, Zweite und Dritte Senat haben ablösende Betriebsvereinbarungen für grundsätzlich zulässig gehalten: Das Günstigkeitsprinzip gelte nicht, wenn vertragliche Einheitsregelungen durch Betriebsvereinbarungen ersetzt werden (BAG 3, 274, 277 = AP Nr. 1 zu § 32 SchwBeschG; 23, 257, 274 f. = AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG, zu III 2 c der Gründe; 22, 252, 260 ff. = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu B III der Gründe; 36, 327, 335 ff. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II der Gründe). Den Entscheidungen des Dritten Senats lagen aber jeweils Sachverhalte zugrunde, in denen die Verteilungsgrundsätze geändert oder Überversorgungen ausgeschlossen werden sollten, in denen es also nicht, wie im Streitfall, darum ging, unter Kürzung des Dotierungsrahmens die Leistungen Insgesamt zu verschlechtern. Bei verschlechternden Versorgungsordnungen stellt sich die Frage der betrieblichen Regelungsmacht im Verhältnis zum Günstigkeitsprinzip möglicherweise anders, weil nicht nur einzelne Arbeitnehmer, sondern auch die Belegschaft insgesamt Kürzungen hinnehmen müssen.
Der Sechste Senat hat die Auffassung vertreten, im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung könne eine Betriebsvereinbarung sogar einzelvertragliche Abreden verdrängen; Betriebsvereinbarungen seien nicht wie Tarifverträge an das Günstigkeitsprinzip gebunden (BAG 39, 295, 299 ff. = AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 4 der Gründe). Diese Auffassung ist im Schrifttum auf Ablehnung gestoßen (Belling, DB 1982, 2513; Fastrich, AR-Blattei Betriebsvereinbarung: Entsch. 28; Hanau Anm. zu AP Nr. 4 und 6 zu § 77 BetrVG 1972; Lieb SAE 1983, 130; Löwisch, DB 1983, 1709; Martens, RdA 1983, 217, 222; Pfarr, BB 1983, 2001, 2004; Richardi, RdA 1983, 278). Der Fünfte Senat hat bereits mit Beschluß vom 8. Dezember 1982 (BAG 41, 118 = AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972) gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG den Großen Senat angerufen, weil es sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handele, deren Beantwortung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei. Dieses Verfahren ist zwar noch nicht abgeschlossen, eine erneute Anrufung erscheint aber gleichwohl geboten, weil der Große Senat die Sache wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen der Parteien vertagt hat. Es ist zweifelhaft, ob der Große Senat Gelegenheit haben wird, die vom Fünften Senat vorgelegten Rechtsfragen zu beantworten. Sie bedürfen jedoch der Klärung. Der Dritte Senat muß deshalb ebenfalls zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Großen Großen Senats herbeiführen.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Griebeling, Dr. Peifer, Kynast, Dr. Schlemmer
Fundstellen
Haufe-Index 951840 |
BAGE, 337 |
JR 1986, 352 |
RdA 1986, 64 |