Verfahrensgang
LAG Berlin (Beschluss vom 29.06.1994; Aktenzeichen 8 TaBV 3/94) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. Juni 1994 – 8 TaBV 3/94 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Veränderung der Arbeitszeiten für bestimmte Mitarbeiter in den Spätdiensten und um die Reichweite des Tendenzschutzes gemäß § 118 Abs. 1 BetrVG.
Die Arbeitgeberin gibt in B… die Tageszeitung “B…” heraus, die täglich erscheint. Sie beschäftigt ca. 150 Arbeitnehmer. Bis 20. Juni 1993 umfaßte die tägliche Arbeitszeit von fünf Produktionsassistenten, zwei Botinnen, einer Korrektorin und einer Sekretärin im normalen Spätdienst die Zeit von 15.00 Uhr bis 23.30 Uhr, und im zweiten Spätdienst die Zeit von 17.00 Uhr bis 1.30 Uhr. Mit Wirkung ab 20. Juni 1993 ordnete die Arbeitgeberin ohne Beteiligung des Betriebsrats eine Vorverlegung der Spätdienste um 1,5 Stunden an, so daß der normale Spätdienst von 13.30 Uhr bis 22.00 Uhr und der zweite Spätdienst von 15.30 Uhr bis 24.00 Uhr dauerte. Ursächlich für diese Anordnung war die Vorverlegung des Redaktionsschlusses und der Sollandruckzeit. Ab 21. Juni 1993 sollte nach der Konzeption der Arbeitgeberin eine Frühausgabe des “B…” erscheinen, die im Nachtverkauf vertrieben werden sollte; aus diesem Grund verlegte die Arbeitgeberin die Sollandruckzeit von 23.00 Uhr auf 21.00 Uhr vor. Daneben erschien weiterhin eine Hauptausgabe der Zeitung, die in der aktualisierten Frühausgabe bestand und deren Fortdrucktermin auf 23.00 Uhr festgelegt wurde.
Die Vorverlegung der Spätdienste führte bei den betroffenen Arbeitnehmern zu einer Verringerung der zu erzielenden Nachtzuschläge und damit zu Einkommensverlusten.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe hinsichtlich der Vorverlegung der Spätdienste ein Mitbestimmungsrecht zu. Es seien außer der Vorverlegung um 1,5 Stunden vielfältige andere Arbeitszeitgestaltungen denkbar, mit denen die tendenzbezogene Zielsetzung der Arbeitgeberin erreicht werden könne. Er hat die Feststellung beantragt, daß die auf Vorverlegung der Spätdienste ab 20. Juni 1993 gerichtete Anordnung der Arbeitgeberin rechtswidrig sei.
Die Arbeitgeberin hat die Zurückweisung des Antrags beantragt. Sie hat vorgetragen, daß die Vorverlegung der Spätdienste eine automatische Folge der Vorverlegung der Andruckzeit und des Produktionsablaufes, mithin des gesamten technisch-organisatorischen Ablaufs der Zeitungsproduktion gewesen sei. Für eine andere Umsetzung der zeitlichen und technischen Vorgaben habe kein Spielraum bestanden. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, bei der Entscheidung über die Vorverlegung der Spätdienste handele es sich um eine tendenzbezogene Maßnahme, da diese unmittelbar durch die Entscheidung für den Nachtverkauf einer Frühausgabe und die hierfür erforderliche Vorverlegung des Andrucktermins bedingt sei. Nur mit den festgelegten Arbeitszeiten der Spätdienste könne die Aktualität der Berichterstattung gewährleistet werden. Diese Entscheidung müsse unbeeinflußt durch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats erfolgen können. Eine Differenzierung zwischen Maßnahmen, die sich auf die Aktualität der Berichterstattung beziehen, und solchen mit Bezug zu einem wertneutralen technisch-organisatorischen Produktionsablauf widerspreche dem Schutz der Pressefreiheit. Die zeitaufwendige Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens beeinträchtige die Aktualität der Berichterstattung.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer auf Divergenz zu Entscheidungen anderer Landesarbeitsgerichte gestützten Nichtzulassungsbeschwerde. Sie hat außerdem gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Verfassungsbeschwerde eingelegt. Deren Bearbeitung ist bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde zurückgestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die auf eine Divergenz gemäß §§ 92a, 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde setzt voraus, daß die anzufechtende Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der von einem zu derselben Rechtsfrage aufgestellten abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichts abweicht. Dabei müssen die voneinander abweichenden Rechtssätze sowohl aus der anzufechtenden als auch aus der angezogenen Entscheidung unmittelbar zu entnehmen und so deutlich abzulesen sein, daß nicht zweifelhaft bleibt, welchen Rechtssatz die Entscheidungen jeweils aufgestellt haben (BAGE 41, 188, 190 = AP Nr. 11 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; BAG Beschluß vom 17. November 1988 – 4 AZN 504/88 – AP Nr. 22 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz). Die Divergenz ist nur dann erheblich, wenn die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).
Divergenzfähig sind Entscheidungen einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts nur, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).
2. Diese Voraussetzungen der Nichtzulassungsbeschwerde sind nicht gegeben. Die von der Arbeitgeberin angezogenen Entscheidungen sind nicht divergenzfähig.
a) Die Arbeitgeberin hat zutreffend die abstrakten Rechtssätze wiedergegeben, die das Landesarbeitsgericht in der Begründung seiner Entscheidung aufgestellt hat. Es hat im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Ansicht zu § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG vertreten, daß die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs einem Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht schon immer dann entgegenstehe, wenn eine Regelung die geistigideelle Zielsetzung irgendwie berühre, sondern nur, wenn die Ausübung des Beteiligungsrechts die Tendenzverwirklichung ernstlich beeinträchtigen könne (S. 12 des Beschlusses). Es verbleibe beim Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, wenn die Festsetzung der Arbeitszeit für die Aktualität der Berichterstattung nicht zwingend sei (S. 16 des Beschlusses). Auch der zeitliche Aufwand des Mitbestimmungsverfahrens, gegebenenfalls unter Einschaltung der Einigungsstelle, ermögliche es dem Presseunternehmer nicht, den Tendenzschutz für die Aktualität der Berichterstattung in Anspruch zu nehmen. Auch für künftige Änderungen von tendenzbedingten Zeitvorgaben könne unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts Vorsorge getroffen werden (S. 16 f. des Beschlusses).
b) Es kann dahinstehen, ob diese abstrakten Rechtssätze von der in den angezogenen Entscheidungen enthaltenen Rechtssätzen abweichen. Die angezogenen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 1988 (– 8 TaBV 101/88 –) und des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. Januar 1991 (– 11 TaBV 46/90 –) und vom 29. April 1991 (– 5 TaBV 73/90 –) sind nicht divergenzfähig, denn die angesprochenen Rechtsfragen sind vom Bundesarbeitsgericht entschieden worden.
aa) Der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 1988 (– 8 TaBV 101/88 –) wurde vom Bundesarbeitsgericht (BAGE 64, 103 = AP Nr. 44 zu § 118 BetrVG 1972) aufgehoben. Entgegen der Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf behielt der Senat seine ständige Rechtsprechung bei, wonach die Eigenheit eines Unternehmens oder eines Betriebs i.S. des § 118 Abs. 1 BetrVG einem Beteiligungsrecht des Betriebsrats nur dann entgegensteht, wenn die geistig-ideelle Zielsetzung des Tendenzträgers ernstlich beeinträchtigt werden kann. Damit war die von der Vorinstanz aufgeworfene Rechtsfrage entschieden.
bb) Gleiches gilt für den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. Januar 1991 (– 11 TaBV 46/90 –), der vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 14. Januar 1992 (BAGE 69, 187 = AP Nr. 49 zu § 118 BetrVG 1972) aufgehoben wurde. Der Senat entschied zu einer Betriebsvereinbarung, die für Redakteure Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage regelte, daß sie die Freiheit eines Zeitungsverlegers zur Tendenzverwirklichung nicht beeinträchtige, wenn sie die für die Aktualität der Berichterstattung relevanten Entscheidungen der Arbeitgeberin als Vorgabe zugrunde legt und sichergestellt ist, daß sie auch künftigen Tendenzentscheidungen nicht entgegensteht.
cc) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29. April 1991 (– 5 TaBV 73/90 –), nach der der Betriebsrat über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Redakteure nicht mitzubestimmen habe, da dadurch die Aktualität der Berichterstattung beeinträchtigt werde, wurde vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 11. Februar 1992 (BAGE 69, 302 = AP Nr. 50 zu § 118 BetrVG 1972) aufgehoben. Der Senat entschied, daß der Umstand, daß die Aktualität der Berichterstattung auch von der Lage der Arbeitszeit der Redakteure abhänge, noch nicht dazu führe, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer entfalle. Erst wenn die mitbestimmte Regelung eine aktuelle Berichterstattung ernsthaft gefährdet oder unmöglich macht, ist sie nicht mehr von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gedeckt und unwirksam. Auch insoweit wurde die von der Vorinstanz behandelte Rechtsfrage abschließend entschieden.
dd) Der Umstand, daß gegen den Beschluß des Senats vom 30. Januar 1990 (BAGE 64, 103 = AP Nr. 44 zu § 118 BetrVG 1972) Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (Az.: – 1 BvR 694/90 –) eingelegt worden ist, ist hier unerheblich. Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde ändert nichts daran, daß zu der von der Arbeitgeberin angeführten Rechtsfrage eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangen ist. Deren formelle und materielle Rechtskraft wird durch die Verfassungsbeschwerde nicht gehemmt, denn dieser kommt kein Suspensiveffekt zu (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, Stand: Dezember 1993, § 90 Rz 17). Im übrigen setzt § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG nicht die Endgültigkeit oder Rechtskraft der dort genannten Entscheidungen voraus (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 1990, § 72 Rz 23; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl. 1990, § 72 Rz 28). Es genügt die Existenz einer Bundesarbeitsgerichtsentscheidung über die maßgebliche Rechtsfrage.
3. Auch der Umstand, daß die Arbeitgeberin gegen den angegriffenen Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben hat, ändert nichts an der Unbegründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Voraussetzungen an die Divergenzfähigkeit der angezogenen Entscheidungen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG werden durch die Verfassungsbeschwerde nicht berührt. Soweit die Arbeitgeberin eine angeblich fehlerhafte und grundgesetzwidrige Rechtsanwendung rügt, vermag dies eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu begründen (BAG Beschluß vom 19. Dezember 1991 – 2 AZN 466/91 – AP Nr. 27 zu § 72a ArbGG 1979).
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, K. H. Janzen, Dr. Bartelt
Fundstellen