Entscheidungsstichwort (Thema)
BAT. räumlicher Geltungsbereich
Leitsatz (amtlich)
- Ist im Arbeitsvertrag eines nicht tarifgebundenen Angestellten des öffentlichen Dienstes vereinbart, daß ein bestimmter Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung finden sollen, so bedeutet dies mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in der Regel nur, daß gelten soll, was bei Tarifgebundenheit gelten würde (ständige Rechtsprechung des BAG, z. B. Urteil vom 21. Oktober 1992 – 4 AZR 156/92 – AP Nr. 27 zu § 23a BAT, m.w.N.). Dieser Grundsatz findet Anwendung, soweit es darum geht, ob auf das Arbeitsverhältnis eines Angestellten der ausdrücklich im Arbeitsvertrag in Bezug genommene BAT-O oder der BAT anzuwenden ist.
- Wird ein Angestellter, dessen Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet ist, vorübergehend, aber auf nicht absehbare Zeit, in den Geltungsbereich des BAT abgeordnet, gilt während dieser Beschäftigung der BAT (Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – zur Veröffentlichung bestimmt). Ob die vorübergehende Beschäftigung im Geltungsbereich des BAT auf nicht absehbare Zeit erfolgt, ist der Erklärung des Arbeitgebers bei Beginn des Arbeitseinsatzes im Geltungsbereich des BAT zu entnehmen. Eine nachträgliche zeitliche Begrenzung der Tätigkeit ist grundsätzlich unerheblich.
- Eine Fortgeltung des BAT-O kommt allenfalls bei einer kurzzeitig befristeten Entsendung in den Geltungsbereich des BAT, z.B. zur Einarbeitung oder zur Fortbildung, in Betracht (Klarstellung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifliche Vorschriften – BAT-O vom 10. Dezember 1990 § 1 Abs. 1 Buchst. b; BAT § 1 Abs. 1 Buchst. b; Vergütungstarifvertrag zum BAT (VergTV); Vergütungstarifvertrag zum BAT-O (VergTV-O)
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 12.07.1994; Aktenzeichen 3 Sa 134/93) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.07.1993; Aktenzeichen 22 Ca 14795/93) |
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 12. Juli 1994 – 3 Sa 134/93 – aufgehoben.
- Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. Juli 1993 – 22 Ca 14795/93 – wird zurückgewiesen.
- Das beklagte Land hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin Vergütung nach dem Vergütungstarifvertrag zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1991 (VergTV) oder nach dem Vergütungstarifvertrag zum Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 (VergTV-O) zusteht.
Die Klägerin nahm im Jahr 1989 eine Tätigkeit als Lehrerin an einer kommunalen Berufsschule in Berlin-L… im ehemaligen Ostberlin auf. Nach der Wiedervereinigung wurde diese Schule organisatorisch als Filiale dem Oberstufenzentrum Bürowirtschaft, Sozialversicherung und Verwaltung in Berlin-Steglitz im ehemaligen Westberlin zugeordnet. Die Klägerin unterrichtete aufgrund eines Arbeitsvertrags, nach dem der BAT-O und die diesen ergänzenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fanden, zunächst bis zum 30. August 1992 weiterhin in Berlin-L… . Mit Wirkung vom 31. August 1992 (Beginn des Schuljahres 92/93) wurde sie an das Oberstufenzentrum Berlin-Steglitz abgeordnet und zugleich an die Berufsschule des Bezirksamtes Köpenick im ehemaligen Ostberlin versetzt, wo der endgültige Standort eines neuen Oberstufenzentrums Sozialversicherung vorgesehen ist. Bevor der die Sozialversicherung betreffende Teil der Steglitzer Einrichtung nach Berlin-Köpenick verlegt wird, müssen dort Baumaßnahmen durchgeführt werden, deren Ende nicht feststeht. Nach der Verlegung soll auch die Klägerin ihre Tätigkeit als Lehrerin in Berlin-Köpenick aufnehmen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1992 verlangte die Klägerin, die auch nach der Aufnahme der Arbeit in Berlin-Steglitz weiterhin Vergütung nach dem VergTV-O erhielt, vergeblich Bezahlung nach dem VergTV. Mit Schreiben vom 11. März 1993 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, sie sei bis zum Schuljahresende am 31. Juli 1993 befristet abgeordnet. Durch Schreiben vom 6. Oktober 1993 ordnete das beklagte Land die Klägerin weiter vom 1. August 1993 bis zum Schuljahresende am 31. Juli 1995 zum Oberstufenzentrum Berlin-Steglitz ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Vergütung nach dem VergTV, da sie seit dem 31. August 1992 auf Dauer in Berlin-Steglitz und damit im Geltungsbereich des BAT tätig sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, sie ab dem 31. August 1992 nach dem Vergütungstarifvertrag zum BAT in der jeweils gültigen Fassung zu bezahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat geltend gemacht, wegen der – unstreitig – fehlenden Tarifbindung seien allein der arbeitsvertraglich vereinbarte BAT-O und der VergTV-O maßgeblich. Außerdem unterfalle die Klägerin auch dem räumlichen Geltungsbereich des BAT-O, weil sie nicht auf Dauer, sondern zeitlich begrenzt im Oberstufenzentrum Berlin-Steglitz eingesetzt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagebegehren nur noch für die Zeit bis zum 19. September 1994 weiter, weil sie am 20. September 1994 zur Beamtin auf Probe ernannt worden ist. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das beklagte Land ist verpflichtet, der Klägerin ab dem 31. August 1992 für die restliche Zeit des Arbeitsverhältnisses bis zum 19. September 1994 Vergütung nach dem VergTV in der jeweils gültigen Fassung zu zahlen.
I. Das Landsarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin sei nach dem VergTV-O zu bezahlen. Das folge zwar nicht daraus, daß die Parteien die Anwendung des BAT-O vereinbart hätten. Doch sei der Arbeitsvertrag so auszulegen, daß das bei beiderseitiger Tarifbindung maßgebliche Tarifrecht gelte. Dies sei der VergTV-O. Das Arbeitsverhältnis sei im Sinne des § 1 BAT-O im Beitrittsgebiet begründet. Der aktuelle Bezug zum Beitrittsgebiet sei nicht dadurch verloren gegangen, daß die Klägerin vorübergehend im Oberstufenzentrum Berlin-Steglitz beschäftigt werde. Die Abordnung dorthin sei zeitlich begrenzt. Die Weiterbeschäftigung in Berlin-Steglitz über das Ende des Schuljahres 92/93 hinaus erfolge ausschließlich deshalb, weil das Oberstufenzentrum Sozialversicherung in Köpenick noch nicht fertig sei.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Auf das Arbeitsverhältnis der nicht tarifgebundenen Klägerin fanden während des im Streit befindlichen Zeitraums der BAT und der VergTV Anwendung.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die auf Anwendung des BAT-O gerichtete arbeitsvertragliche Vereinbarung dahin ausgelegt, daß nach dem Willen der Parteien das Tarifrecht gelten soll, das bei beiderseitiger Tarifbindung maßgebend wäre. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Bei der vertraglichen Regelung handelt es sich um eine typische Vereinbarung für nicht tarifgebundene Angestellte im öffentlichen Dienst, die vom Senat in der Revisionsinstanz uneingeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden kann (vgl. BAG Urteil vom 21. Oktober 1992 – 4 AZR 156/92 – AP Nr. 27 zu § 23a BAT, zu I 3a der Gründe).
Zutreffend weist das beklagte Land darauf hin, daß es im Rahmen der Vertragsfreiheit rechtlich möglich ist, einzelvertraglich die Geltung normativ nicht geltender Tarifregelungen zu vereinbaren (vgl. BAG, aaO, zu I 3 der Gründe). Im öffentlichen Dienst hat allerdings die Verweisung auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrags grundsätzlich nur den Sinn, daß der Arbeitsvertrag das beinhalten soll, was nach den allgemeinen Grundsätzen des Tarifrechts auch für tarifgebundene Angestellte gilt (ständige Rechtsprechung vgl. BAG, aaO, zu I 3b der Gründe, m.w.N.). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, daß die Klägerin gegenüber den vergleichbaren tarifgebundenen Angestellten nicht ungleich behandelt werden sollte. Dies gilt auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, die gelten, wenn ein tarifgebundener Angestellter, für dessen Arbeitsverhältnis der BAT-O gilt, im räumlichen Geltungsbereich des BAT beschäftigt wird. Jedenfalls hat das beklagte Land nichts dafür vorgetragen, daß und warum die Klägerin durch die vertragliche Vereinbarung des BAT-O in diesem Fall ungünstiger behandelt werden sollte, als wenn sie tarifgebunden gewesen wäre. Dann aber hätte ihr ab 31. August 1992 Bezahlung nach dem VergTV zugestanden.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und des beklagten Landes fanden auf das Arbeitsverhältnis von diesem Zeitpunkt an der BAT und der VergTV Anwendung.
a) Die Klägerin erfüllt seit dem 31. August 1992, dem Beginn ihrer Tätigkeit in Berlin-Steglitz, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT. Sie war als Angestellte des beklagten Landes im ehemaligen Westberlin in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig. Für sie galt somit der BAT. Der BAT-O fand seit diesem Zeitpunkt keine Anwendung.
Der erkennende Senat hat im Urteil vom 6. Oktober 1994 (– 6 AZR 324/94 –, zur Veröffentlichung bestimmt; fortentwickelt im Urteil vom 23. Februar 1995 – 6 AZR 667/94 –, zu II 3 der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) für Arbeitsverhältnisse, die gem. § 1 Abs. 1 BAT-O in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind, angenommen, dieser Tarifvertrag sei solange nicht anzuwenden, wie der Arbeitnehmer im räumlichen Geltungsbereich des BAT arbeite, weil der Arbeitnehmer während dieser Zeit seine Arbeitsleistung nicht auf Dauer im Beitrittsgebiet erbringe. Der Senat hat in den genannten Urteilen seine Auffassung eingehend begründet (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – zu I 3 der Gründe; Urteil vom 23. Februar 1995 – 6 AZR 667/94 – zu II 3 der Gründe). Er nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Urteile Bezug.
b) Die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet war, war auf unbestimmte Zeit in den Geltungsbereich des BAT abgeordnet, sie erbrachte somit ihre Arbeitsleistung nicht auf Dauer im Beitrittsgebiet.
Das Arbeitsverhältnis wurde zwar im Beitrittsgebiet geschlossen und bis zum 30. August 1992 in Berlin-L… durchgeführt. Es war damit gem. § 1 Abs. 1 BAT-O im Beitrittsgebiet begründet (vgl. Urteil vom 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – AP Nr. 1 zu § 1 BAT-O, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Seit dem 31. August 1992 hatte die Klägerin ihren Arbeitsplatz jedoch nicht im Beitrittsgebiet, sondern im räumlichen Geltungsbereich des BAT. Sie wurde dort auf nicht absehbare Zeit zur Arbeitsleistung eingesetzt. Dies gilt selbst im Hinblick darauf, daß ihre Tätigkeit im Schulgebäude in Berlin-Steglitz nur vorübergehend bis zur Fertigstellung des Oberstufenzentrums Sozialversicherung in Berlin-Köpenick vorgesehen war. Auf nicht absehbare Zeit zu leisten ist die Arbeit im Geltungsbereich des BAT nicht nur, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers auf Dauer, sondern auch wenn er nur vorübergehend im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages liegt, aber keine zeitliche Begrenzung der Tätigkeit vereinbart oder bestimmt ist (vgl. BAG Urteil vom 6. Oktober 1994, aaO, zu I 3a der Gründe). An einer solchen Begrenzung fehlte es hier.
Für die Frage, ob ein vorübergehender Einsatz im Geltungsbereich des BAT zeitlich begrenzt ist und damit nur eine bestimmte Dauer hat mit der möglichen Folge, daß der BAT-O nicht hinter den BAT zurücktritt, kommt es auf die Erklärung des Arbeitgebers bei Beginn des Arbeitseinsatzes im Geltungsbereich des BAT an. Ihr muß entnommen werden können, ob der Arbeitsplatz sich künftig auf bestimmte oder unbestimmte Zeit im Geltungsbereich des BAT befindet. Nachträglich ausgesprochene zeitliche Begrenzungen können an der Geltung des BAT grundsätzlich nichts ändern. Sie würden in aller Regel allein dem Zweck dienen, dem Angestellten während des Einsatzes im Geltungsbereich des BAT die Vergütung nach dem VergTV vorzuenthalten, was jedoch der Abgrenzung der Geltungsbereiche von BAT und BAT-O, wie der Senat sie vertritt und näher begründet hat (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1994, aaO, zu I 3a der Gründe), widerspräche.
Die Beklagte hat bei Beginn der Tätigkeit der Klägerin im Geltungsbereich des BAT keinen Endzeitpunkt erklärt. Die Abordnung der Klägerin nach Berlin-Steglitz ab dem 31. August 1992 geschah zeitlich unbefristet. Somit galt für das Arbeitsverhältnis von diesem Zeitpunkt an der BAT mit der Folge, daß die Klägerin nunmehr nach dem VergTV zu vergüten war. Die nachträglich befristeten Abordnungen durch die Schreiben des beklagten Landes vom 11. März 1993 bis zum 31. Juli 1993 und vom 6. Oktober 1993 weiter bis zum 31. Juli 1995 ließen bereits nicht erkennen, bis wann die Klägerin im Geltungsbereich des BAT würde arbeiten müssen. Die Abordnungen enthielten schon deshalb keine zeitliche Begrenzung der Verwendung der Klägerin auf dem Arbeitsplatz in Berlin-Steglitz, weil sie nicht bis zur voraussichtlichen Verlegung des Oberstufenzentrums nach Berlin-Köpenick, sondern bis zum jeweiligen Schuljahresende ausgesprochen waren. Der Zeitpunkt der Aufnahme des Betriebs in Berlin-Köpenick, wohin die Klägerin dann wieder in den Geltungsbereich des BAT-O zurückkehren sollte, war vielmehr ungewiß.
c) Ob zeitlich begrenzte Abordnungen von solcher Dauer und aus Anlässen wie diesen überhaupt geeignet wären, die Geltung des BAT und des VergTV auszuschließen, bedarf daher keiner Entscheidung. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß er immer nur für Fälle kurzzeitiger befristeter Entsendung in den Geltungsbereich des BAT, z.B. zur Einarbeitung oder zur Fortbildung, eine Fortgeltung des BAT-O erwogen hat (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1994, aaO, I 3b a.E.; Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – BAGE 71, 68, 78 = AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost, zu B II 3b dd a.E.). Er neigt zu der Ansicht, daß allenfalls in diesen Fällen der BAT-O während der Zeit der Abordnung nicht hinter den BAT zurücktritt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, R. Schwarck
Ehrenamtlicher Richter Mergenthaler ist aus dem Richteramt ausgeschieden und daher an der Unterschrift gehindert.
Dr. Peifer
Fundstellen
BAGE, 152 |
BB 1996, 269 |
NZA 1996, 322 |