Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsvergütung nach vorangegangener Mehrarbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestimmen Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag, daß sich die Urlaubsvergütung nach dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt bemißt, das der Arbeitnehmer in den letzten drei Monaten vor Beginn des Urlaubs erhalten hat, sind die in diesem Berechnungszeitraum ausgezahlten Beträge maßgeblich.
2. Hat der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum Mehrarbeit geleistet, die Vergütung dafür aber entsprechend einer Betriebsvereinbarung erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten, ist die Mehrarbeitsvergütung bei der Berechnung des Urlaubsentgelts nicht zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
Auslegung des § 8 Nr 4 und § 12 Abs 2 des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 20.6.1983.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG §§ 13, 11 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 13.11.1989; Aktenzeichen 4 Sa 61/89) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 28.06.1989; Aktenzeichen 11 Ca 280/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des Urlaubsentgelts.
Der Kläger ist bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten seit 1976 als Werkzeugmacher beschäftigt. Auf das fortbestehende Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 20. Juni 1983 (BMTV) anzuwenden. Im BMTV ist u.a. bestimmt:
§ 8
...
4. Die monatliche Entgeltzahlung erfolgt
- bei Gehältern spätestens am Monatsende;
- bei Löhnen spätestens am zehnten Arbeitstag
des auf den abgerechneten Monat folgenden
Monats, soweit im Einverständnis mit dem
Betriebsrat nichts anderes vereinbart ist.
§ 12
II. Urlaubsvergütung
Die Urlaubsvergütung bemißt sich nach dem durch-
schnittlichen Arbeitsentgelt, das der Arbeitneh-
mer in den letzten 3 Monaten vor Beginn des Ur-
laubs erhalten hat.
Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender
Natur, die während des Berechnungszeitraumes oder
des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Ver-
dienst auszugehen.
Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum
infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder
unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten,
bleiben für die Berechnung der Urlaubsvergütung
außer Betracht.
Die Urlaubsvergütung ist vor Antritt des Urlaubs
auszuzahlen, soweit im Einverständnis mit dem Be-
triebsrat nichts anderes vereinbart ist."
Die Beklagte zahlte ihren gewerblichen Arbeitnehmern seit dem 1. Januar 1987 einen festen Monatslohn entsprechend den Entgelttarifverträgen der Süßwarenindustrie (zuletzt Bundes-Entgelttarifvertrag vom 1. Oktober 1987). In einer Betriebsvereinbarung vom 3. Dezember 1986 ist für den Betrieb der Beklagten bestimmt:
"3. Sämtliche Abweichungen vom festen Monatslohn
wie z.B.
Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge
Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feier-
tagsarbeit
sowie
unentschuldigte Fehlzeiten
werden im jeweils darauffolgenden Monat ab-
gerechnet. Sind unbezahlte Fehltage bis zum
Abrechnungstag des laufenden Monats ange-
fallen, so werden diese sofort im jeweiligen
Abrechnungsmonat berücksichtigt.
...
9. Bei Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei
Urlaub und bei Feiertagen wird im Normalfall
der feste Monatslohn ohne Veränderungen
weitergezahlt. Sind in den vergangenen 3
Monaten in erheblichem Maße Mehrarbeit oder
sonstige Zuschläge gezahlt worden, so wird
der Verdienst auf der Basis des Durch-
schnittsverdienstes der letzten drei Monate
gezahlt."
Der Kläger leistete im Juli 1988 insgesamt 32,05 Stunden Mehrarbeit. Dafür erhielt er mit der Abrechnung August 1988 einen Mehrarbeitsbetrag von 882,83 DM brutto. Als der Kläger am 15. August 1988 einen Teil seines bis zum 2. September 1988 andauernden Jahresurlaubs nahm, zahlte ihm die Beklagte für die Urlaubstage im August 1988 das Urlaubsentgelt aufgrund der Monatsentgelte für Mai, Juni und Juli 1988. Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts für den 1. und 2. September 1988 legte sie den Arbeitsverdienst der Monate Juni, Juli und August 1988 zugrunde.
Diese Abrechnung hat der Kläger für gesetz- und tarifwidrig gehalten und die Auffassung vertreten, auch für die Urlaubstage im August sei das Urlaubsentgelt unter Berücksichtigung der im Juli 1988 geleisteten Mehrarbeit zu berechnen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger
177,06 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. August
1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die zugelassene Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf ein erhöhtes Urlaubsentgelt für die Urlaubstage im August 1988 verneint.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die vom Kläger im Juli geleistete Mehrarbeit bei der Berechnung des Urlaubsentgelts für die Urlaubstage im August 1988 zutreffend nicht berücksichtigt. Das ergebe die Auslegung des § 12 II BMTV unter Berücksichtigung von § 11 BUrlG. In Fällen wie bei der Vergütung von Überstunden, die aus praktischen Gründen nicht sogleich mit dem Ende der Lohnperiode abgerechnet werden könnten, sei auf die Lohnzahlungszeiträume abzustellen, in denen die Vergütungszuschläge abzurechnen seien. Sonst wären Abschlagszahlungen auf die Urlaubsvergütung zu leisten, die nach § 11 Abs. 2 BUrlG nicht vorgesehen seien. Es entspreche auch den Bedürfnissen der praktischen Handhabung bei der Abrechnung und es erleichtere den Arbeitnehmern die richtige Überprüfung der Berechnung des Urlaubsentgeltes, wenn der Bemessung der Urlaubsvergütung Zeiträume zugrunde gelegt werden, für die Überstundenvergütung vor dem Urlaub bereits abzurechnen gewesen und im Regelfall abgerechnet sei. Die Regelung in Nr. 9 der Betriebsvereinbarung führe zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Da sie auf die vergangenen drei Monate abstelle, in denen Zuschläge für Mehrarbeit oder sonstige Zuschläge gezahlt worden seien, seien damit ebenfalls die Monate gemeint, in denen die Überstunden vergütungen abzurechnen und auszuzahlen gewesen seien. Die jeweils davorliegenden Monate, in welchen der Arbeitnehmer die Überstunden geleistet habe, seien nicht zu berücksichtigen. Dafür spreche der Wortlaut und das Bedürfnis des Arbeitgebers nach einer praktisch handhabbaren Lohnabrechnung.
Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. II.1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die höhere Urlaubsvergütung nach § 12 II Satz 1 BMTV. Nach dieser Vorschrift bemißt sich die Urlaubsvergütung nach dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer in den letzten drei Monaten vor Beginn des Urlaubs erhalten hat.
a) Der Kläger hat in den letzten drei Monaten vor Beginn des Urlaubs in den Monaten Mai, Juni und Juli 1988 lediglich seine Grundvergütung erhalten. Die im Juli erarbeitete Mehrarbeitsvergütung hat er erst Ende August erhalten. Das ist nach den Bestimmungen des § 8 Nr. 4 2. Altern. BMTV in Verb. mit der Nr. 3 Satz 1 der BV vom 3. Dezember 1986 nicht zu beanstanden. Nach dem für die Tarifauslegung maßgeblichen Wortlaut hat der Kläger demnach keinen Anspruch auf erhöhte Urlaubsvergütung.
b) Der Tarifvertrag enthält keine Hinweise auf einen vom Wortlaut der Bestimmung abweichenden Willen der Tarifvertragsparteien. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß die Vorschrift des § 12 Abschn. II Unterabs. 1 BMTV ebenso wie die insoweit gleichlautende Vorschrift des § 11 Abs. 1 BUrlG etwa auf einem Redaktionsversehen beruhen könnte und für die Bemessung des Urlaubsentgelts die Vergütung maßgebend sei, die der Arbeitnehmer zu erhalten hatte (so ohne Begründung Bickel, Anm. zu AP Nr. 12 zu § 11 BUrlG Nr. 1; im Ergebnis dagegen wie hier Dersch/Neumann, BUrlG, 7. Aufl., § 11 Rz 11; GK-Stahlhacke, BUrlG, 4. Aufl., § 11 Rz 12 und 13). Das hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit nicht vertreten. Die im Schrifttum zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts betreffen durchgehend Tarifverträge mit abweichenden Formulierungen (Urteil vom 12. Mai 1966 - 5 AZR 502/65 - AP Nr. 5 zu § 11 BUrlG und Urteil vom 26. Juni 1986 - 8 AZR 589/83 - AP Nr. 17 zu § 11 BUrlG). Soweit allein Entgeltansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz zu beurteilen waren, kam es dort auf die vorliegend entscheidungserhebliche Frage nicht an, ob nur abgerechnete oder auch geleistete, aber noch nicht abgerechnete Mehrarbeit zu berücksichtigen waren (BAG Urteil vom 9. Dezember 1965 - 5 AZR 175/65 - AP Nr. 2 zu § 11 BUrlG; Urteil vom 9. Mai 1966 - 5 AZR 432/65 - AP Nr. 4 zu § 11 BUrlG; Urteil vom 5. Februar 1970 - 5 AZR 223/69 - AP Nr. 7 zu § 11 BUrlG und Urteil vom 30. Juli 1975 - 5 AZR 342/74 - AP Nr. 12 zu § 1 BUrlG).
Hat der Kläger damit keinen tariflichen Anspruch, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die erhöhte Urlaubsvergütung ohnehin nur in Betracht kommt, wenn auch die Voraussetzungen des § 12 II Satz 2 BMTV vorliegen, und ob der Kläger mit seiner Mehrarbeitsleistung nur im Monat Juli 1988 diese Voraussetzungen erfüllt hat.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch nach Nr. 9 Satz 2 der BV vom 3. Dezember 1986. Diese Bestimmung ist unwirksam. Sie verstößt gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, soweit sie Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen regelt, die im Tarifvertrag geregelt sind. Die nach § 77 Abs. 3 Satz 3 BetrVG statthafte Öffnungsklausel des § 12 Abschn. II Unterabs. 4 2. Halbsatz BMTV betrifft nur den Auszahlungszeitpunkt der Urlaubsvergütung und rechtfertigt damit die Bestimmungen der Nr. 3 und 9 Satz 1 BV, nicht aber die Regelung in Nr. 9 Satz 2 BV.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Dr. Lipke Dörner
Schulze Dr. Bächle
Fundstellen
BB 1992, 143 |
BB 1992, 143-144 (LT1-2) |
DB 1992, 383 (LT1-2) |
AiB 1992, 108-110 (LT1-2) |
NZA 1992, 284 |
NZA 1992, 284-285 (LT1-2) |
RdA 1992, 64 |
ZAP, EN-Nr 195/92 |
AP § 1 TVG, Nr 4 |
AP, 0 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 344 (LT1-2) |
EzA § 11 BUrlG, Nr 31 (LT1-2) |