Entscheidungsstichwort (Thema)
Energiebeihilfe statt Hausbrandkohle für Rentner
Leitsatz (redaktionell)
Liefert ein Bergbauunternehmen seinen Betriebsrentnern über viele Jahre hinweg kostenlos Kohle, obwohl es diese selbst nicht mehr fördert, sondern kaufen muß, so wandelt sich im Laufe der Zeit der rechtsgeschäftliche Zweck der Leistung. Es geht schließlich nicht mehr um die Teilhabe am Produktionsergebnis, sondern nur noch um die Deckung des Heizbedarfs. Das hat zur Folge, daß die Umstellung der Heizung einzelner Rentner auf andere Energieträger nicht ohne weiteres zum Wegfall des Deputatanspruchs führt. Der Arbeitgeber kann nach Treu und Glauben verpflichtet sein, ersatzweise eine Energiebeihilfe in Rentenform zu leisten.
Orientierungssatz
Auslegung des Manteltarifvertrages für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbaus vom 13.4.1976.
Normenkette
TVG § 1; BGB §§ 242, 611
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 28.01.1986; Aktenzeichen 6 Sa 1247/86) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 17.04.1985; Aktenzeichen 1 Ca 2821/84) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Energiebeihilfe anstelle nicht mehr verwendbarer Hausbrandkohle.
Die Klägerin ist die Witwe eines im Jahre 1906 geborenen Bergmanns, der bei der Beklagten von 1945 bis 1962 unter Tage gearbeitet hatte. Die Zeche wurde im April 1963 stillgelegt, der Ehemann der Klägerin schied aus diesem Grunde mit Wirkung vom 31. Oktober 1963 aus dem Arbeitsverhältnis aus. In einem am 2. August 1963 abgeschlossenen Sozialplan wurde u.a. bestimmt:
"An Hausbrandkohlen gewährt Gottessegen den ausge-
schiedenen Belegschaftsmitgliedern für die Dauer
eines Jahres die tarifliche Jahresmenge, wenn nach-
gewiesen wird, daß ein Doppelbezug nicht vorliegt
und von dritter Seite auch keine kohlenähnlichen
Vergünstigungen gewährt werden.
Solange der Ausgeschiedene einen Werkszuschuß be-
zieht, erhält er Hausbrandkohlen wie ein Invalide
ohne Nachweis der Bedürftigkeit. Im übrigen gelten
die tariflichen Bestimmungen."
Um nach der Stillegung die Ansprüche auf Lieferung von Hausbrandkohle erfüllen zu können, mußte die Beklagte selbst Kohle kaufen. Sie trat zum 1. Januar 1965 aus dem Unternehmensverband Ruhrbergbau aus.
Der Ehemann der Klägerin erhielt bis zum Hausbrandjahr 1975/76 jährlich 2,5 t Hausbrandkohle. Nachdem die Heizung der Eheleute umgestellt wurde, stellte die Beklagte die Lieferungen ein. Die Zahlung einer Energiebeihilfe anstelle des Hausbrands lehnte sie ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, in dem Sozialplan sei die Anwendung der für die aktiven Arbeitnehmer geltenden Tarifregelungen vereinbart worden. Danach habe sie Anspruch auf Energiebeihilfe, seit sie Kohle als Hausbrand nicht mehr verwenden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.005,-- DM
zu zahlen,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei,
ihr Energiebeihilfe nach den entsprechenden
Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau
zu gewähren, und zwar ab Hausbrandjahr 1983/84.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, für die Klägerin seien die Regelungen, die Anspruch auf Energiebeihilfe begründen, nicht anwendbar, und zwar weder der Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Rheinisch-Westfälischen-Steinkohlenbergbaus vom 13. April 1976 noch die Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau vom selben Tage für die vor dem 1. Juli 1976 ausgeschiedenen Rentner und deren Witwen. Das Verwertungsrisiko für Hausbrandkohle trage die Klägerin. Auch die nachwirkende Fürsorgepflicht verpflichte den Arbeitgeber nicht, anstelle einer ursprünglich geschuldeten Naturalleistung Geldbeträge zu zahlen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten anstelle der nicht mehr verwendbaren Hausbrandkohle eine Energiebeihilfe verlangen.
I. Ob die Klägerin einen Anspruch auf Energiebeihilfe aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften oder aufgrund von Gesamtzusagen des Arbeitgebers hat, bleibt unentschieden.
1. Die Zahlung einer Energiebeihilfe anstelle von nicht mehr verwendbarer Hausbrandkohle wurde im Ruhrbergbau erstmals eingeführt durch die Manteltarifverträge für die Arbeiter und Angestellten des Rheinisch-Westfälischen-Steinkohlebergbaus vom 13. April 1976 (ArbMTV und AngMTV), die beide am 1. Juli 1976 in Kraft traten. Beide Tarifverträge erfassen nach ihrem persönlichen Geltungsbereich nur die nach dem 30. Juni 1976 ausgeschiedenen Arbeitnehmer. Für die vor dem 1. Juli 1976 ausgeschiedenen Arbeitnehmer erließ der Arbeitgeberverband für den Rheinisch-Westfälischen-Steinkohlebergbau, der Unternehmensverband Ruhrbergbau, gemäß Absprache mit den Gewerkschaften ebenfalls am 13. April 1976 Richtlinien, die eine Energiebeihilfe auch für diesen Personenkreis mit Ausnahme der schon vor dem 1. Mai 1953 in den Ruhestand getretenen Rentner vorsah. Auch frühere Konzernrichtlinien der Ruhrkohle AG sahen nur Beihilfen und Abfindungen für die Arbeitnehmer und Rentner der zu diesem Konzern gehörenden Betriebe vor (z.B. Konzernrichtlinien 3/74 und 8/71).
2. Die Klägerin will die Geltung der tariflichen Vorschriften aus Abschnitt V (letzter Satz) des am 2. August 1963 von den Betriebspartnern abgeschlossenen Sozialplans herleiten ("Im übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen"). Das Berufungsgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat Zweifel geäußert, ob die Verweisung im Sozialplan als eine dynamische zu verstehen sei, jedenfalls sei die Barabgeltung erst im Jahre 1976 eingeführt worden, zu einer Zeit, als der Ehemann der Klägerin schon längst aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden gewesen sei.
Die Begründung des Berufungsgerichts begegnet Bedenken. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, daß ein Sozialplan, der wegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hausbrand ohne Einschränkungen auf tarifvertragliche Bestimmungen verweist, im Zweifel die jeweiligen, auch nach Abschluß des Sozialplans geänderten Bestimmungen erfaßt (Urteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 1066/77 - AP Nr. 3 zu § 611 BGB Deputat mit zustimmender Anm. von Herschel). Ob der in der vorliegenden Streitsache maßgebliche Sozialplan eine andere Auslegung gebietet, erscheint fraglich. Da er dem Senat nicht im Wortlaut vorliegt, ist eine abschließende Stellungnahme hierzu nicht möglich. Die Frage kann jedoch offenbleiben, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis als zutreffend erweist.
II. Der Zahlungsanspruch ergibt sich allerdings nicht aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Der arbeitsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet es, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern willkürlich schlechter zu stellen als andere; der Grundsatz verlangt, daß nur in einer sachgerechten Weise unterschieden wird (für viele: BAG Urteil vom 10. April 1984 - 3 AZR 57/82 - AP Nr. 64 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu III 1 b der Gründe m.w.N.). Die Beklagte hat hiergegen nicht verstoßen. Sie hat ihren nach der Zechenstillegung ausgeschiedenen Arbeitnehmern Hausbrandkohle nach übereinstimmenden Regeln zugesagt, jedoch keine Energiebeihilfe in Form von Zahlungen. Zu einer Gleichbehandlung ihrer früheren Mitarbeiter mit den Arbeitnehmern, die von den genannten Tarifverträgen oder Unternehmensrichtlinien erfaßt werden, war die Beklagte nicht verpflichtet; weder traf deren persönlicher Geltungsbereich auf die früheren Arbeitnehmer der Beklagten zu, noch gehörte die Beklagte dem Unternehmensverband Ruhrbergbau zur Zeit des Erlasses der Richtlinien an.
III. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer Energiebeihilfe aufgrund nachwirkender Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zuerkannt. Dieser Begründung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Anspruch auf kostenlose Lieferung von Hausbrand sei Entgelt für im aktiven Berufsleben geleistete Betriebstreue und zugleich Ausdruck der Fürsorge. Die Leistung sei für die Lebensführung der Arbeitnehmer und Rentner mitbestimmend geworden; stelle der Arbeitgeber die Lieferungen ersatzlos ein, wenn die Heizung der Begünstigten auf andere Energieträger umgestellt werde, so führe das zu einer einschneidenden Schmälerung des Realeinkommens der Betroffenen. Dieser Nachteil könne nicht zu Lasten der Rentner gehen. Entgegen der Auffassung des Senats (Urteil vom 10. April 1984 - aa0, zu II der Gründe) rechtfertige es die besondere Natur des Kohledeputats nicht, die Barabgeltung zu versagen, zumal die Zahlung in gleicher Weise der häuslichen Verwendung diene und mit 48,86 DM monatlich zur Kostendeckung nicht einmal ausreiche. Da die Beklagte die Kohle seit 1963 selbst habe kaufen müssen, entstehe ihr keinerlei Mehraufwand. Schließlich stehe die Annahme einer Pflicht zur Barabgeltung mit der Beurteilung der beteiligten Berufskreise in Einklang, trage der technischen Entwicklung Rechnung und diene dem Umweltschutz. Die Klägerin sei daher so zu behandeln, als werde sie von den Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau vom 13. April 1976 erfaßt.
2. Der Senat sieht die Rechtslage anders: In seinem Urteil vom 10. April 1984 (aa0) hat er die Erwägungen nicht übergangen, die das Berufungsgericht jetzt in den Vordergrund stellt. Er hat anerkannt, daß die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ebenso wie die Treuepflicht des Arbeitnehmers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen können (Urteil vom 10. April 1984, aa0, zu II 1 der Gründe; Urteil des Senats vom 14. Juni 1983, BAG 44, 61, 64 f. = AP Nr. 58 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II der Gründe). Festzuhalten ist jedoch daran, daß das Kohledeputat ursprünglich als Teilhabe am Produktionsergebnis zu verstehen war. Erst im Laufe der Zeit hat es sich von seinem Ursprung gelöst und zu einer Rente entwickelt, die sich am Bedarf der Arbeitnehmer ausrichtet. Das ehemalige Kohledeputat ist eingegangen in ein System von tariflichen und vertraglich begründeten Rechtsnormen, das den kostenlosen Bezug von Hausbrand an scharf abgegrenzte sachliche und persönliche Tatbestandsvoraussetzungen knüpft. Deshalb läßt sich nach Auffassung des Senats aus der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers allein kein Anspruch auf Barabgeltung herleiten, obwohl der kostenlose Bezug der Naturalleistung vom Gedanken der Fürsorge bestimmt ist. Die an die Stelle der Kohle tretende Zahlung ist nicht mehr Teilhabe an der Produktion des Arbeitgebers, sondern dient der Sicherung des Lebensstandards; sie ist Lohn oder Versorgung geworden, die nicht mehr allein aufgrund der Fürsorge des Arbeitgebers gewährt werden (Urteil vom 10. April 1984, aa0, zu II 2 b der Gründe m.w.N.).
IV. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis dennoch zu folgen, weil sich durch die tatsächlich von der Beklagten erbrachten Leistungen der Geschäftszweck der ursprünglichen Zusage geändert hat und aus dem ehemaligen Deputat ein Anspruch auf eine allgemeine Versorgungszuwendung geworden ist.
1. Nachdem die Beklagte ihre Zeche stillgelegt hatte, konnte sie ihre früheren Arbeitnehmer und Rentner nicht mehr, oder allenfalls noch für eine kurze Zeit, mit Hausbrandkohle aus der eigenen Produktion beliefern. Unstreitig mußte sie selbst die Kohle kaufen, um die bestehenden Ansprüche erfüllen zu können. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin hat die Beklagte seit 1963 bis zum Hausbrandjahr 1975/76, also mehr als 10 Jahre, jährlich 2,5 t Hausbrandkohle, die sie nicht selbst produzierte, kostenlos zur Verfügung gestellt. Damit hat die Beklagte ihre Leistung von deren Produktionsabhängigkeit gelöst und den Leistungszweck verändert: Entscheidender Grund für die weitere kostenlose Belieferung war jetzt nicht mehr die Teilhabe der Arbeitnehmer und Rentner am Produktionsergebnis des Arbeitgebers, sondern der Bedarf auf seiten der Arbeitnehmer und Rentner. Das sog. Deputat wurde zu einer allgemeinen Versorgungsleistung.
2. Die Beklagte kann dem nicht entgegenhalten, sie habe lediglich die Besitzstände ihrer früheren Arbeitnehmer wahren wollen. Das mag ihr bestimmendes Motiv gewesen sein. Eine Besitzstandswahrung als Beteiligung an einem nicht mehr erzielbaren Produktionsergebnis war aber nicht möglich. Aus der Sicht der Leistungsempfänger wurde die Schuld umgewandelt in eine nicht mehr produktions-, sondern bedarfsabhängige Versorgungsleistung. Die früheren Arbeitnehmer der Beklagten konnten davon ausgehen, künftig eine Versorgungsleistung zu erhalten, die ihren Grund nicht mehr darin hatte, daß sie selbst an der Erzeugung des Produkts mitwirkten.
3. Stand den früheren Arbeitnehmern der Beklagten aufgrund des Sozialplans ein allgemeiner Versorgungsanspruch zu, wenn auch gerichtet auf eine Naturalleistung, so ist die Beklagte mit Rücksicht auf die Veränderung der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben verpflichtet, auf die auch beim Leistungsempfänger eingetretene Lage Rücksicht zu nehmen. Soweit die früheren Arbeitnehmer der Beklagten für Hausbrandkohle keine Verwendung mehr haben, muß die Beklagte ihnen den entsprechenden Wert als Energiebeihilfe zahlen. Zu Recht hat das Berufungsgericht - wenn auch in anderem rechtlichen Zusammenhang - betont, daß dies der Beklagten zuzumuten ist, weil ihr dadurch keine höheren Kosten entstehen, während es unbillig erschiene, den Versorgungsempfängern eine Leistung zu versagen, die für ihren Lebensstandard Bedeutung hat. Wer, wie die Beklagte, jahrelang frühere Arbeitnehmer mit Hausbrand versorgt, obwohl er die Kohle selbst nicht mehr erzeugt, sondern anderweit beschaffen muß, verstößt gegen Treu und Glauben, wenn er den Wegfall der Verwendungsmöglichkeit von Kohle zum Anlaß nimmt, seine Energiebeihilfe ganz zu streichen.
V. Der Höhe nach ist die Forderung der Klägerin unstreitig. Ihr Begehren ist daher hinsichtlich des Zahlungsantrags gerechtfertigt.
Mit dem Feststellungsantrag verlangt die Klägerin, mit den Arbeitnehmern und Rentnern gleichgestellt zu werden, die vom persönlichen Geltungsbereich der eingangs genannten Unternehmensrichtlinien erfaßt werden. Dies erscheint ebenfalls gerechtfertigt. Die Änderung der Geschäftsgrundlage in den vertraglichen Beziehungen der Parteien muß dazu führen, daß diese Beziehungen den veränderten Umständen angepaßt werden. Es liegt nahe, die Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau für die Berechnung heranzuziehen, mit denen im Zweifel ebenfalls erreicht werden soll, daß die monatlichen Beträge an die veränderten Umstände in angemessener Weise angepaßt werden (nur darum geht es der Klägerin).
Dr. Dieterich Schaub Griebeling
Kunze Dr. Schwarze
Fundstellen
BB 1987, 1461 |
RdA 1987, 189 |
AP § 611 BGB Deputat (LT1), Nr 9 |
AR-Blattei, Bergarbeitsrecht Entsch 32 (LT) |
AR-Blattei, ES 390 Nr 32 (LT) |
EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht, Nr 46 (LT) |