Entscheidungsstichwort (Thema)
Energiebeihilfe statt Hausbrandkohle für Rentner
Normenkette
BGB §§ 611, 242; MTV für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbaus vom 13. April 1976
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. Januar 1985 – 6 Sa 978/84 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Energiebeihilfe anstelle nicht mehr verwendbarer Hausbrandkohle.
Der Kläger, im Jahre 1911 geboren, war bei der Beklagten von 1928 bis 1962 als Bergmann unter Tage beschäftigt und schied dann als Invalide aus dem Arbeitsverhältnis aus. Im April 1963 wurde die Zeche stillgelegt. Am 2. August 1963 vereinbarten die Betriebspartner einen Sozialplan, der unter Abschnitt V folgendes bestimmte:
„An Hausbrandkohlen gewährt Gottessegen den ausgeschiedenen Belegschaftsmitgliedern für die Dauer eines Jahres die tarifliche Jahresmenge, wenn nachgewiesen wird, daß ein Doppelbezug nicht vorliegt und von dritter Seite auch keine kohleähnlichen Vergünstigungen gewährt werden.
Solange der Ausgeschiedene einen Werkszuschuß bezieht, erhält er Hausbrandkohlen wie ein Invalide ohne Nachweis der Bedürftigkeit. Im übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen.”
Nach der Stillegung mußte die Beklagte selbst Kohle kaufen, um die Ansprüche auf Lieferung von Hausbrand erfüllen zu können. Zum 1. Januar 1965 schied sie aus dem Unternehmensverband Ruhrbergbau aus.
Bis zum Hausbrandjahr 1980/81 bezog der Kläger von der Beklagten jährlich 2,5 t Hausbrandkohle. Infolge eines Wohnungswechsels konnte er seither nicht mehr mit Kohle heizen. Daraufhin stellte die Beklagte die Lieferungen ein.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte müsse ihm anstelle der Kohle eine Energiebeihilfe zahlen. Das ergebe sich aus den Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau über die Ablösung von Hausbrandkohleansprüchen vor dem 1. Juli 1976 ausgeschiedener Rentner und deren Witwen vom 13. April 1976 sowie aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Daß er nach 34 Jahren Tätigkeit im Bergbau zehn Monate vor der Zechenstillegung ausgeschieden sei, könne es nicht rechtfertigen, den Sozialplan einschließlich dessen Bezugnahme auf die tariflichen Bestimmungen auf ihn nicht mehr anzuwenden. Außerdem ergebe sich der Anspruch aus der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Hausbrandjahre 1981/82, 1982/83 Energiebeihilfe in Höhe von 1.005,– DM zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ab dem Hausbrandbezugsjahr 1983/84 Energiebeihilfe in der zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Richtlinien vom 13. April 1976 seien nicht anwendbar. Auch sei der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Mit den Rentnern, die aus einem Unternehmen ausgeschieden seien, das im Jahre 1976 zum Unternehmensverband Ruhrbergbau gehört habe, könne sich der Kläger nicht vergleichen. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Fürsorge für seine Rentner gehe nicht so weit, daß anstelle einer nicht mehr verwendbaren Sachleistung Zahlungen zu erbringen seien.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten anstelle der nicht mehr verwendbaren Hausbrandkohle eine Energiebeihilfe verlangen.
I. Ob der Kläger einen Anspruch auf Energiebeihilfe aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften oder aufgrund von Gesamtzusagen des Arbeitgebers hat, bleibt unentschieden.
1. Die Zahlung einer Energiebeihilfe anstelle von nicht mehr verwendbarer Hausbrandkohle wurde im Ruhrbergbau erstmals eingeführt durch die Manteltarifverträge für die Arbeiter und Angestellten des Rheinisch-Westfälischen-Steinkohlebergbaus vom 13. April 1976 (ArbMTV und AngMTV), die beide am 1. Juli 1976 in Kraft traten. Beide Tarifverträge erfassen nach ihrem persönlichen Geltungsbereich nur die nach dem 30. Juni 1976 ausgeschiedenen Arbeitnehmer. Für die vor dem 1. Juli 1976 ausgeschiedenen Arbeitnehmer erließ der Arbeitgeberverband für den Rheinisch-Westfälischen-Steinkohlebergbau, der Unternehmensverband Ruhrbergbau, gemäß Absprache mit den Gewerkschaften ebenfalls am 13. April 1976 Richtlinien, die eine Energiebeihilfe auch für diesen Personenkreis mit Ausnahme der schon vor dem
1. Mai 1953 in den Ruhestand getretenen Rentner vorsah. Auch frühere Konzernrichtlinien der Ruhrkohle AG sahen nur Beihilfen und Abfindungen für die Arbeitnehmer und Rentner der zu diesem Konzern gehörenden Betriebe vor (z. B. Konzernrichtlinien 3/74 und 8/71).
2. Der Kläger will die Geltung der tariflichen Vorschriften aus Abschnitt V (letzter Satz) des am 2. August 1963 von den Betriebspartnern abgeschlossenen Sozialplans herleiten („Im übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen”). Das Berufungsgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat darauf hingewiesen, daß der Kläger schon vor dem Erlaß des Sozialplans aus dem Unternehmen ausgeschieden war, die Bestimmungen des Sozialplans mithin auf ihn keine Anwendung finden konnten. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Daß der Kläger erst kurz vor Abschluß des Sozialplans in den Ruhestand getreten war, ändert nichts daran, daß er von dessen Regelungen nicht mehr begünstigt wurde.
II. Der Zahlungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Der arbeitsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verbietet es, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern willkürlich schlechter zu stellen als andere; der Grundsatz verlangt, daß nur in einer sachgerechten Weise unterschieden wird (für viele: BAG Urteil vom 10. April 1984 – 3 AZR 57/82 – AP Nr. 64 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu III 1 b der Gründe m.w.N.). Die Beklagte hat hiergegen nicht verstoßen. Sie hat ihren vor und nach der Zechenstillegung ausgeschiedenen Arbeitnehmern Hausbrandkohle nach den geltenden tariflichen Regeln geliefert, jedoch keine Energiebeihilfe in Form von Zahlungen zugesagt. Zu einer Gleichbehandlung ihrer früheren Mitarbeiter mit den Arbeitnehmern, die von den genannten Tarifverträgen oder Unternehmensrichtlinien erfaßt werden, war die Beklagte nicht verpflichtet; weder traf deren persönlicher Geltungsbereich auf die früheren Arbeitnehmer der Beklagten zu, noch gehörte die Beklagte dem Unternehmensverband Ruhrbergbau zur Zeit des Erlasses der Richtlinien an.
III. Das Berufungsgericht hat dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung einer Energiebeihilfe aufgrund nachwirkender Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zuerkannt. Dieser Begründung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Anspruch auf kostenlose Lieferung von Hausbrand sei Entgelt für im aktiven Berufsleben geleistete Betriebstreue und zugleich Ausdruck der Fürsorge. Die Leistung sei für die Lebensführung der Arbeitnehmer und Rentner mitbestimmend geworden; stelle der Arbeitgeber die Lieferungen ersatzlos ein, wenn die Heizung der Begünstigten auf andere Energieträger umgestellt werde, so führe das zu einer einschneidenden Schmälerung des Realeinkommens der Betroffenen.
Dieser Nachteil könne nicht zu Lasten der Rentner gehen. Entgegen der Auffassung des Senats (Urteil vom 10. April 1984 – aaO, zu II der Gründe) rechtfertige es die besondere Natur des Kohledeputats nicht, die Barabgeltung zu versagen, zumal die Zahlung in gleicher Weise der häuslichen Verwendung diene und mit 48,86 DM monatlich zur Kostendeckung nicht einmal ausreiche. Da die Beklagte die Kohle seit 1963 selbst habe kaufen müssen, entstehe ihr keinerlei Mehraufwand. Schließlich stehe die Annahme einer Pflicht zur Barabgeltung mit der Beurteilung der beteiligten Berufskreise in Einklang, trage der technischen Entwicklung Rechnung und diene dem Umweltschutz. Der Kläger sei daher so zu behandeln, als werde sie von den Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau vom 13. April 1976 erfaßt.
2. Der Senat sieht die Rechtslage anders: In seinem Urteil vom 10. April 1984 (aaO) hat er die Erwägungen nicht übergangen, die das Berufungsgericht jetzt in den Vordergrund stellt. Er hat anerkannt, daß die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ebenso wie die Treuepflicht des Arbeitnehmers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen können (Urteil vom 10. April 1984, aaO, zu II 1 der Gründe; Urteil des Senats vom 14. Juni 1983, BAG 44, 61, 64 f. = AP Nr. 58 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II der Gründe). Festzuhalten ist jedoch daran, daß das Kohledeputat ursprünglich als Teilhabe am Produktionsergebnis zu verstehen war. Erst im Laufe der Zeit hat es sich von seinem Ursprung gelöst und zu einer Rente entwickelt, die sich am Bedarf der Arbeitnehmer ausrichtet. Das ehemalige Kohledeputat ist eingegangen in ein System von tariflichen und vertraglich begründeten Rechtsnormen, das den kostenlosen Bezug von Hausbrand an scharf abgegrenzte sachliche und persönliche Tatbestandsvoraussetzungen knüpft. Deshalb läßt sich nach Auffassung des Senats aus der nachwirkenden Fürsorgepflicht des Arbeitgebers allein kein Anspruch auf Barabgeltung herleiten, obwohl der kostenlose Bezug der Naturalleistung vom Gedanken der Fürsorge bestimmt ist. Die an die Stelle der Kohle tretende Zahlung ist nicht mehr Teilhabe an der Produktion des Arbeitgebers, sondern dient der Sicherung des Lebensstandards; sie ist Lohn oder Versorgung geworden, die nicht mehr allein aufgrund der Fürsorge des Arbeitgebers gewährt werden (Urteil vom 10. April 1984, aaO, zu II 2 b der Gründe m.w.N.).
IV. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis dennoch zu folgen, weil sich durch die tatsächlich von der Beklagten erbrachten Leistungen der Geschäftszweck der ursprünglichen Zusage geändert hat und aus dem ehemaligen Deputat ein Anspruch auf eine allgemeine Versorgungszuwendung geworden ist.
1. Nachdem die Beklagte ihre Zeche stillgelegt hatte, konnte sie ihre früheren Arbeitnehmer und Rentner nicht mehr, oder allenfalls noch für eine kurze Zeit, mit Hausbrandkohle aus der eigenen Produktion beliefern. Unstreitig mußte sie selbst die Kohle kaufen, um die bestehenden Ansprüche erfüllen zu können. Dem Kläger hat die Beklagte seit 1963 bis zum Hausbrandjahr 1980/81, also 17 Jahre, jährlich 2,5 t Hausbrandkohle, die sie nicht selbst produzierte, kostenlos zur Verfügung gestellt. Damit hat die Beklagte ihre Leistung von deren Produktionsabhängigkeit gelöst und zugleich den Leistungszweck verändert: Entscheidender Grund für die weitere kostenlose Belieferung war nicht mehr die Teilhabe der Arbeitnehmer und Rentner am Produktionsergebnis des Arbeitgebers, sondern der Bedarf auf seiten der Arbeitnehmer und Rentner. Das sog. Deputat wurde zu einer allgemeinen Versorgungsleistung.
2. Die Beklagte kann dem nicht entgegenhalten, sie habe lediglich die Besitzstände ihrer früheren Arbeitnehmer wahren wollen. Das mag ihr bestimmendes Motiv gewesen sein. Eine Besitzstandswahrung als Beteiligung an einem nicht mehr erzielbaren Produktionsergebnis war aber nicht möglich. Aus der Sicht der Leistungsempfänger wurde die Schuld umgewandelt in eine nicht mehr produktions-, sondern bedarfsabhängige Versorgungsleistung. Die früheren Arbeitnehmer der Beklagten konnten davon ausgehen, künftig eine Versorgungsleistung zu erhalten, die ihren Grund nicht mehr darin hatte, daß sie selbst an der Erzeugung des Produkts mitwirkten oder mitgewirkt hatten.
3. Stand den früheren Arbeitnehmern der Beklagten ein allgemeiner Versorgungsanspruch zu, wenn auch gerichtet auf eine Naturalleistung, so ist die Beklagte mit Rücksicht auf die Veränderung der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben verpflichtet, auf die auch beim Leistungsempfänger eingetretene Lage Rücksicht zu nehmen. Soweit die früheren Arbeitnehmer der Beklagten für Hausbrandkohle keine Verwendung mehr haben, muß die Beklagte ihnen den entsprechenden Wert als Energiebeihilfe zahlen. Zu Recht hat das Berufungsgericht – wenn auch in anderem rechtlichen Zusammenhang – betont, daß dies der Beklagten zuzumuten ist, weil ihr dadurch keine höheren Kosten entstehen, während es unbillig erschiene, den Versorgungsempfängern eine Leistung zu versagen, die für ihren Lebensstandard Bedeutung hat. Wer, wie die Beklagte, jahrelang frühere Arbeitnehmer mit Hausbrand versorgt, obwohl er die Kohle selbst nicht mehr erzeugt, sondern anderweit beschaffen muß, verstößt gegen Treu und Glauben, wenn er den Wegfall der Verwendungsmöglichkeit von Kohle zum Anlaß nimmt, seine Energiebeihilfe ganz zu streichen.
V. Der Höhe nach ist die Forderung des Klägers unstreitig. Sein Begehren ist daher hinsichtlich des Zahlungsantrags gerechtfertigt.
Mit dem Feststellungsantrag verlangt der Kläger, mit den Arbeitnehmern und Rentnern gleichgestellt zu werden, die vom persönlichen Geltungsbereich der eingangs genannten Tarifverträge und Unternehmensrichtlinien erfaßt werden. Dies erscheint ebenfalls gerechtfertigt. Die Änderung der Geschäftsgrundlage in den vertraglichen Beziehungen der Parteien muß dazu führen, daß diese Beziehungen den veränderten Umständen angepaßt werden. Es liegt nahe, die Richtlinien des Unternehmensverbands Ruhrbergbau für die Berechnung heranzuziehen, mit denen im Zweifel ebenfalls erreicht werden soll, daß die monatlichen Beträge an die veränderten Umstände in angemessener Weise angepaßt werden (nur darum geht es dem Kläger).
Unterschriften
Prof. Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Kunze, Dr. Schwarze
Fundstellen