Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzanfechtung. Rückforderung unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bzw. durch Zwangsvollstreckung erlangter Entgeltzahlung. Verfassungskonformität der §§ 129 ff. InsO. Unanwendbarkeit tariflicher Ausschlussfristen auf den anfechtungsrechtlichen Rückforderungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Tarifliche Ausschlussfristen können insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO nicht erfassen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.12.2012; Aktenzeichen 3 Sa 1267/12) |
ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 24.05.2012; Aktenzeichen 4 Ca 37/12) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Dezember 2012 – 3 Sa 1267/12 – unter Zurückweisung der weiter gehenden Revision teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Mai 2012 – 4 Ca 37/12 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.798,84 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. August 2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, Arbeitsentgelt, das er unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erlangte, im Weg der Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzugewähren.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 29. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH (Schuldnerin). Der Insolvenzantrag der DAK vom 17. März 2011 war am 21. März 2011 beim Insolvenzgericht eingegangen. Der Beklagte war zunächst als Baufachwerker, später als Lastkraftwagenfahrer bei der Schuldnerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterfiel dem allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) vom 4. Juli 2002 in seiner jeweiligen Fassung.
Die Schuldnerin wurde durch Versäumnisurteil zur Zahlung des Entgelts für September 2010 bis Februar 2011 nebst Zinsen verurteilt. Am 27. April 2011 ließ der Beklagte der Schuldnerin ein vorläufiges Zahlungsverbot zustellen. Die Schuldnerin überwies daraufhin am 6. Mai 2011 5.400,00 Euro an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Am 19. Mai 2011 wurde der Bank der Schuldnerin als Drittschuldnerin mit Bezug auf das Versäumnisurteil ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17. Mai 2011 zugestellt. Daraufhin erfolgten am 30. Mai 2011 und am 9. Juni 2011 weitere Zahlungen von 2.000,00 Euro bzw. 4.398,84 Euro an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Die Beträge wurden dem Konto der Prozessbevollmächtigten des Beklagten gutgeschrieben.
Der Kläger focht die Zahlungen mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 nach §§ 129 ff., 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO an und forderte den geleisteten Betrag nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Insolvenzeröffnung zurück.
Der Kläger hat mit seiner dem Beklagten am 9. Januar 2012 zugestellten Klage die Auffassung vertreten, die Beträge seien nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückzugewähren. Tarifliche Ausschlussfristen seien auf Ansprüche des Insolvenzverwalters aus § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht anzuwenden.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.798,84 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 29. August 2011 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, es habe sich um eine kongruente Zahlung gehandelt. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoße zudem gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Jedenfalls seien die Ausschlussfristen des § 15 BRTV auf Rückgewähransprüche anwendbar und hier nicht gewahrt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist ganz überwiegend unbegründet. Erfolg hat die Revision nur hinsichtlich des Zinsantrags für den Tag der Insolvenzeröffnung, den 29. August 2011.
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es kommt nicht darauf an, wie sich die Rückgewährforderungen auf die einzelnen Vergütungsansprüche des Beklagten für September 2010 bis Februar 2011 verteilen.
B. Die Klage ist bis auf den Zinsantrag für den 29. August 2011 begründet. Der Beklagte muss die von der Schuldnerin am 6. Mai 2011, 30. Mai 2011 und 9. Juni 2011 an seine Prozessbevollmächtigten überwiesenen Beträge von insgesamt 11.798,84 Euro nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO an die Masse zurückgewähren. Die Rückforderungsansprüche begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und unterfallen nicht den tariflichen Ausschlussfristen des § 15 BRTV.
I. Anfechtungsgegner ist der Beklagte, obwohl die Zahlungen nicht an ihn als Gläubiger, sondern an die von ihm bestellten Empfangsbeauftragten erfolgten (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 11; BGH 17. Dezember 2009 – IX ZR 16/09 – Rn. 12).
II. Der Beklagte erlangte nach Stellung des Insolvenzantrags – durch die Überweisungen vom 6. Mai 2011, 30. Mai 2011 und 9. Juni 2011 an seine Prozessbevollmächtigten und die späteren Gutschriften auf deren Konto – insgesamt 11.798,84 Euro, die zu seiner inkongruenten Befriedigung führten. Damit ist der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.
1. Um eine inkongruente Deckung im Sinn des Anfechtungsrechts handelt es sich bereits dann, wenn der Schuldner während der „kritischen Zeit” der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen leistet, um sie zu vermeiden (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 21; 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 13; 27. Februar 2014– 6 AZR 367/13 – Rn. 14). Der Schuldner gewährt damit eine Befriedigung, die der Gläubiger „nicht in der Art” zu beanspruchen hat. Unerheblich ist, ob die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinn schon begonnen hatte, als die Leistung des Schuldners erfolgte. Die Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet (vgl. BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 24 f.; 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 12; BGH 18. Dezember 2003 – IX ZR 199/02 – zu I 2 a aa der Gründe, BGHZ 157, 242).
a) Die Schuldnerin erbrachte die Zahlung vom 6. Mai 2011 von 5.400,00 Euro aufgrund der ihr am 27. April 2011 zugestellten Vorpfändung und damit unter dem Druck der Zwangsvollstreckung (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 16). Die Zahlungen vom 30. Mai 2011 und 9. Juni 2011 von insgesamt 6.398,84 Euro erfolgten aufgrund des am 19. Mai 2011 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 17. Mai 2011 und damit aufgrund schon ausgebrachter Vollstreckungsmaßnahmen. Bei den Zahlungen handelte es sich jeweils nicht um freiwillige Handlungen.
b) Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO scheidet bereits deshalb aus, weil die Zahlungen nicht aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten, sondern unter dem Druck der Zwangsvollstreckung mit der Folge inkongruenter Befriedigung geleistet wurden (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 16; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 38 f. mwN). Muss der Gläubiger den Schuldner durch die Zwangsvollstreckung oder die Drohung mit ihr zur Leistung zwingen, liegt der Verdacht nahe, dass der Schuldner nicht zahlungsfähig ist. Eine solche Leistung ist nicht insolvenzfest (vgl. BAG 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 16).
2. Die zeitlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind erfüllt. Der Insolvenzantrag der DAK vom 17. März 2011 ging am 21. März 2011 beim Insolvenzgericht ein. Leistungshandlungen und Leistungserfolg traten nach dem aufgrund von § 139 Abs. 1 Satz 1 InsO maßgeblichen Eingang des Eröffnungsantrags beim Insolvenzgericht am 21. März 2011 ein. Weitere tatbestandliche Voraussetzungen enthält § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht. Es ist deswegen unerheblich, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs Kenntnis von dem Insolvenzantrag der DAK vom 17. März 2011 hatte.
III. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er verletzt insbesondere nicht die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG iVm. dem durch Art. 20 Abs. 1 GG gewährleisteten Sozialstaatsprinzip. Das hat der Senat mit mehreren Entscheidungen eingehend begründet (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 23 ff.; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 19 ff., 27 ff. mit zustimmender Anm. Froehner NZI 2014, 562; s. auch 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 24; 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 17 ff.). Darauf nimmt der Senat Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden. Hervorzuheben ist, dass eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff. InsO zum Schutz des Existenzminimums in Fällen der hier gegebenen inkongruenten Deckung durch Erfüllung von Entgeltrückständen unter dem Druck der Zwangsvollstreckung ausscheidet. Bei solchen Vergütungsrückständen können Arbeitnehmer die zur Sicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen (vgl. BAG 27. März 2014 – 6 AZR 989/12 – Rn. 43; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 34; 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 43).
IV. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen fort. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ist als gesetzliches Schuldverhältnis der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien entzogen. Er unterfällt tariflichen Ausschlussfristen nicht. Das hat der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung ausführlich begründet (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 35 ff.; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 18 ff.; zustimmend Froehner Anm. NZI 2014, 133, 134; Hamann/Böing jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1; Knof/Stütze EWiR 2014, 359). Darauf verweist der Senat. Der Beklagte führt keine Argumente an, die Anlass zu einer abweichenden Würdigung geben.
V. Der Beklagte hat die Rückgewähransprüche des Klägers seit 30. August 2011 – dem Folgetag der Insolvenzeröffnung – mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem Folgetag der Fälligkeit (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 26; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 39 f.).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Krumbiegel, Lorenz, M. Geyer
Fundstellen
DZWir 2014, 588 |
ZInsO 2014, 2040 |
ZVI 2014, 467 |