Entscheidungsstichwort (Thema)
Musterprozeßvereinbarung. Erschwerniszuschlag. Auslegung einer Musterprozeßvereinbarung. Ausschlußfristbeginn durch Aushang. Tarifrecht öffentlicher Dienst. Zulage
Orientierungssatz
Die Musterprozeßvereinbarung vom 15. Mai 1995 zwischen der Deutschen Postgewerkschaft und der Deutschen Post AG enthält keine Ausschlußfrist für ausgeschiedene Mitarbeiter. Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung gilt jedoch auch für diesen Personenkreis.
Normenkette
TV Arbeiter bei der Deutschen Bundespost § 10 Anlage 4 Abschn. II Abs. 7 Nr. 103
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. November 1999 – 5 Sa 105/99 – aufgehoben.
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11. November 1998 – 9 Ca 3499/98 – abgeändert.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.801,07 DM brutto zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung von Erschwerniszuschlägen, insbesondere über die Wirksamkeit einer Ausschlußfrist in einer Musterprozeßvereinbarung.
Die Klägerin war in der Zeit vom 1. April 1981 bis zum 31. August 1996 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Briefzustellerin tätig. Bis zum 30. April 1995 erbrachte die Klägerin, die Mitglied der Deutschen Postgewerkschaft ist, ihre Arbeitsleistung. Seit dem 1. Mai 1995 war sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August 1996 arbeitsunfähig erkrankt. Zu diesem Zeitpunkt schied sie wegen Rentenbezugs aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Arbeiter bei der Deutschen Bundespost Anwendung (TV-Arbeiter). Dessen Anlage 4 zu § 10 TV-Arbeiter lautet in Abschn. II Abs. 7 Nr. 103:
“II. Erschwerniszuschlag für sonstige Arbeitserschwernisse
…
(7) Der Erschwerniszuschlag wird für folgende Arbeiten gewährt:
…
103. Ziehen oder Schieben von Wagen oder Karren im Betriebsdienst von Hand. Ausgenommen hiervon bleiben solche Wagen oder Karren, die ausschließlich der Arbeitserleichterung des einzelnen Arbeiters dienen.
…”
Im Jahre 1995 bestand zwischen der Beklagten und den Briefzustellern, die bei der Briefzustellung einen Briefzustellwagen oder Zustellkarren benutzten, Streit darüber, ob ein Erschwerniszuschlag nach dieser Tarifvorschrift zu zahlen ist.
Der TV-Arbeiter enthält keine Ausschlußfrist.
Am 15. Mai 1995 trafen die Beklagte sowie die Deutsche Postgewerkschaft eine Musterprozeßvereinbarung, in der es ua. heißt:
“
- Nach den Bestimmungen des TV Arb/TV Arb-O gem. Anlage 4, Abschn. II, Abs. 7 Nr. 103 wird ein Erschwerniszuschlag gezahlt für das Schieben oder Ziehen von Karren im Betriebsdienst von Hand. Ausgenommen hiervon bleiben solche Karren oder Wagen, die ausschließlich der Arbeitserleichterung des einzelnen Beschäftigten dienen.
- Zwischen den Unterzeichnern besteht eine unterschiedliche Rechtsauffassung darüber, ob Zusteller, die bei der Briefzustellung einen Zustellwagen oder Zustellkarren benutzten, einen Anspruch auf Zahlung des unter Ziff. 1 genannten Erschwerniszuschlags haben.
Aus prozeßökonomischen Gründen wird daher folgende Regelung getroffen:
3.1 Die Deutsche Post AG und die Deutsche Postgewerkschaft sind sich einig, sechs Klageverfahren als Musterverfahren durchzuführen. Es werden hierzu zwei der bereits beim Arbeitsgericht Berlin mit Rechtsschutz der DPG anhängig gemachten Klageverfahren in entsprechender Sache ausgewählt. Darüber hinaus werden die DPG Bezirksverwaltungen Karlsruhe und Stuttgart noch im Mai 1995 je zwei geeignete Klageverfahren anhängig machen.
3.2 Die Parteien dieser Vereinbarung werden sich in der Streitfrage (Ziff. 2), ob ein Anspruch auf den Erschwerniszuschlag gem. Anlage 4, Abschn. II, Abs. 7 Ziff. 103 des TV Arb/TV Arb-O für Zusteller, die bei der Briefzustellung Zustellwagen oder Zustellkarren verwenden, besteht, den Entscheidungen des BAG in den unter Ziff. 3.1. genannten Verfahren unterwerfen.
3.3 Die Deutsche Post AG wird im Falle einer Entscheidung zugunsten der Kläger/Innen der Musterverfahren ggf. daraus entstehende Nachzahlungsansprüche an den auf der Grundlage des Urteils und dieser Vereinbarung zu ermittelnden anspruchsberechtigten Personenkreis rückwirkend zum 01.01.1993 befriedigen. Eine rückwirkende Neuberechnung des jeweiligen Zeitlohnzuschlags aufgrund der nachgezahlten Beträge ist nicht vorzunehmen. Die Beträge dieser Nachzahlung sind auch bei der Neufestsetzung des Zeitlohnzuschlags unberücksichtigt zu lassen. Dies gilt auch für Beschäftigte, die nach Abschluß dieser Musterprozeßvereinbarung aus dem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG ausscheiden. Auf die sich aus den Nachzahlungsbeträgen ergebenden Netto-Beträge werden 4 % Zinsen ab 01.05.1995 gezahlt.
Zwischen den Parteien dieser Vereinbarung wird folgendes Verfahren dazu festgelegt: Die Deutsche Post AG wird ab sofort Aufzeichnungen über die eventuell zuschlagsberechtigenden Tätigkeiten führen. Die Deutsche Post AG wird die o. g. Urteile des BAG unverzüglich im Anweisungswege bekanntgeben und den betroffenen Personenkreis durch einen Aushang am schwarzen Brett in allen Niederlassungen auffordern, seine Ansprüche binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten geltend zu machen. Die zuständigen Stellen der Niederlassungen werden dann die Ansprüche prüfen und die Urteile umsetzen.
3.4 Für Ansprüche ab dem 01.01.1993 wird gegenüber den Betroffenen im Sinne von Ziff. 2 von der Erhebung der Einrede der Verjährung kein Gebrauch gemacht. Ansprüche vor dem 01.01.1993 sind verjährt.
”
Das Bundesarbeitsgericht bejahte im Urteil vom 19. Juni 1996 (– 10 AZR 898/95 – AP TV Arb Bundespost § 10 Nr. 9) einen Anspruch auf die Erschwerniszuschläge, wenn damit nicht ausschließlich eine Arbeitserleichterung, sondern auch eine Rationalisierung erreicht werde. Es verwies die Sache zwecks Feststellung dieses Umstandes an das Landesarbeitsgericht Berlin zurück. Dieses gab der Klage durch Urteil vom 13. November 1996 (– 15 Sa 86/96 –) rechtskräftig statt.
Auf Grund einer weiteren Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Deutschen Postgewerkschaft vom 28. Januar 1997, dem sog. “Eckpunkte (Papier) für vertraglich/tarifvertragliche Regelungen zum Sanierungskonzept Frachtpost” wurden die anhängigen Musterprozesse nach dieser Entscheidung nicht bis zu einer weiteren Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht weiter betrieben. Es heißt weiter, die Beklagte und die Deutsche Postgewerkschaft würden zur Umsetzung der Eckpunkte in vertragliche bzw. tarifvertragliche Regelungen Verhandlungen aufnehmen. Die Beklagte und die Deutsche Postgewerkschaft kamen weiterhin darin überein, daß eine Zahlung des Erschwerniszuschlags für den Zeitraum ab 1. Januar 1993 erfolgen sollte und eine Zahlung ab dem 1. Januar 1997 ausgeschlossen ist.
Durch einen entsprechenden Aushang am Schwarzen Brett wurde in der Zeit vom 1. August 1997 bis zum 31. Oktober 1997 hierüber informiert. Die betroffenen Mitarbeiter wurden durch diesen Aushang aufgefordert, ihre Ansprüche binnen einer Ausschlußfrist von drei Monaten geltend zu machen. Ferner wurde in der Zeitschrift “Transparent” der Deutschen Postgewerkschaft in der Ausgabe Nr. 7, Juli 1997, über den Anspruch auf Erschwerniszuschlag und über die Ausschlußfrist berichtet. Die Klägerin, die erst nach Ablauf der bis zum 31. Oktober 1997 laufenden Ausschlußfrist von der Beendigung der Musterprozeßverfahren Kenntnis erhalten hat, machte mit Schreiben aus dem Monat Mai 1998 die Zahlung eines Erschwerniszuschlags für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis zum 30. April 1995 geltend. Mit Schreiben vom 3. Juni 1998 lehnte die Beklagte die Nachzahlung unter Hinweis auf die abgelaufene Ausschlußfrist ab.
Die Beklagte gab unter dem Datum des 21. August 1998 die Ansprüche der Klägerin als “Berechnung der Bruttonachzahlung EZ 103” mit dem Betrag von 2.885,06 DM als “Nachzuzahlende Erschwerniszuschläge” unter Einberechnung der Zinsen an. Als “Betrag am Zinsbeginn” wurden 2.801,07 DM ausgewiesen, auf die dann die Klägerin ihr zuvor höheres Klagebegehren beschränkt hat.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe der Erschwerniszuschlag für den Zeitraum 1. Januar 1993 bis zum 30. April 1995 zu. Die dreimonatige Ausschlußfrist in der Musterprozeßvereinbarung sei unwirksam. Dabei handele es sich um eine unzulässige Vereinbarung zu Lasten Dritter. Jedenfalls hätte die Beklagte die Klägerin über die Ausschlußfrist in der Musterprozeßvereinbarung informieren und aufklären müssen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine Verjährung der entstandenen Ansprüche berufen. Dies widerspreche Treu und Glauben und sei arglistig.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.801,07 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie vertritt die Auffassung, die Musterprozeßvereinbarung und die darin enthaltene Ausschlußfrist sei wirksam. Die Musterprozeßvereinbarung habe gerade im Hinblick auf die vereinbarte Ausschlußfrist sogar Tarifvertragsqualität. Ein Vertrag zu Lasten Dritter liege nicht vor. Auch habe die Beklagte ihre sich aus der Musterprozeßvereinbarung ergebenden Pflichten mit den entsprechenden Aushängen erfüllt. Zu weiteren Informationen der Arbeitnehmer sei sie nicht verpflichtet. Für den Fall, daß die Ausschlußfrist in der Musterprozeßvereinbarung nicht als wirksam angesehen werde, hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Forderung zu.
Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Es könne offenbleiben, ob der Musterprozeßvereinbarung vom 15. Mai 1995 Tarifnormqualität zukommt oder nicht. Es könne auch dahinstehen, ob die von der Deutschen Postgewerkschaft mit der Beklagten abgeschlossene Musterprozeßvereinbarung vom 15. Mai 1995 als schuldrechtliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten wirksam zustandegekommen sei oder ob die Deutsche Postgewerkschaft die Musterprozeßvereinbarung als vollmachtloser Vertreter der Klägerin in Geschäftsführung ohne Auftrag abgeschlossen habe. In keinem Fall würden der Klägerin die eingeklagten Erschwerniszuschläge für den Zeitraum 1. Januar 1993 bis 30. April 1995 zustehen. Wenn unterstellt würde, es handele sich um einen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG, so sei die von der Klägerin eingeklagte Forderung nach der darin enthaltenen Ausschlußfrist verfallen. Auch wenn es sich nicht um einen Tarifvertrag, sondern um eine schuldrechtlich wirkende Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten handeln sollte, die die Deutsche Postgewerkschaft in Vertretungsmacht für die Klägerin abgeschlossen hätte, so seien die eingeklagten Erschwerniszuschläge wiederum verfallen. Aber auch für den Fall, daß die Deutsche Postgewerkschaft die Musterprozeßvereinbarung nicht mit Wirkung für die Klägerin wirksam abgeschlossen hätte, weil sie insoweit als vollmachtloser Vertreter der Klägerin in Geschäftsführung ohne Auftrag gehandelt habe, bestehe ein Anspruch nicht. Die Klägerin könne sich dann nicht darauf berufen, daß nicht die Musterprozeßvereinbarung insgesamt, sondern lediglich die darin enthaltene Ausschlußklausel unwirksam sei. Aus § 139 BGB ergebe sich die Unwirksamkeit der gesamten Musterprozeßvereinbarung. Jedenfalls sei von der Nichtigkeit der Ausschlußklausel auch der darin enthaltene Verzicht der Beklagten auf Erhebung der Verjährungseinrede erfaßt, denn dieser sei als Gegenleistung an die Ausschlußfrist gekoppelt. Damit sei es der Beklagten nicht verwehrt, die Einrede der Verjährung nach § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB zu erheben. Die sich ergebende zweijährige Verjährungsfrist habe die Klägerin unstreitig nicht eingehalten. Schließlich ergebe sich auch kein Schadensersatzanspruch aus einer Fürsorgepflichtverletzung der Beklagten.
Diesen Ausführungen folgt der Senat nicht.
Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Erschwerniszuschläge iHv. 2.801,07 DM brutto. Dabei kann dahinstehen, welche Rechtsqualität der Musterprozeßvereinbarung vom 15. Mai 1995 zukommt.
- Die Klägerin hat den Anspruch auf Zahlung des Erschwerniszuschlags auf der Grundlage von Anlage 4 Abschnitt II Abs. 7 Nr. 103 zu § 10 TV-Arbeiter. Daß die Klägerin dem Grunde nach die darin normierten tariflichen Voraussetzungen erfüllt, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat unter dem Datum des 21. August 1998 selbst die Ansprüche der Klägerin als “Berechnung der Bruttonachzahlung EZ 103” und “Nachzuzahlende Erschwerniszuschläge” in Höhe von 2.885,06 DM unter Einberechnung der Zinsen ausgewiesen. Als “Betrag am Zinsbeginn” wurden 2.801,07 DM genannt, auf die die Klägerin ihr zuvor höheres Klagebegehren beschränkt hat.
Die Beklagte sieht die Musterprozeßvereinbarung vom 15. Mai 1995 als Tarifvertrag an. Dies ist grundsätzlich möglich, auch wenn der mit “Vereinbarung” überschriebene Vertrag nicht als Tarifvertrag bezeichnet ist (BAG 26. Januar 1983 – 4 AZR 224/80 – BAGE 41, 307). Für eine solche Charakterisierung kann sprechen, daß neben schuldrechtlichen auch als normativ anzusehende Anteile darin enthalten sind. Dagegen spricht, daß die Tarifvertragsparteien in der Regel ihre Tarifverträge als solche bezeichnen und systematisch einordnen, zB nach den Bereichen Arbeiter/Angestellte. Die Frage kann aber dahinstehen, da die in der Vereinbarung enthaltene Ausschlußfrist den Anspruch der Klägerin nicht erfaßt. Dies ergibt die Auslegung der Musterprozeßvereinbarung.
Nach dem Wortlaut der Musterprozeßvereinbarung gilt diese ausdrücklich auch für ausgeschiedene Arbeitnehmer. Der Wortlaut läßt auch die Auslegung zu, daß ausgeschiedene Arbeitnehmer an die dreimonatige Ausschlußfrist gebunden sein sollen. Jedoch spricht der im Wortlaut zum Ausdruck gekommene Wille der Vertragsparteien dafür, daß nach Sinn und Zweck der Vereinbarung die anspruchsberechtigten ausgeschiedenen Mitarbeiter nicht unter den betroffenen Personenkreis fallen sollen, für den eine Ausschlußfrist geregelt wurde.
Die in der Musterprozeßvereinbarung enthaltene Ausschlußfrist ist in zweifacher Hinsicht untypisch. Zum einen hatten die Mitarbeiter der Beklagten grundsätzlich nicht mit Ausschlußfristen zu rechnen, da zum damaligen Zeitpunkt das Tarifvertragswerk solche Fristen nicht enthielt. Zum anderen knüpft die hier vorgesehene Ausschlußfrist nicht, wie es üblich ist, an die Fälligkeit von Ansprüchen an, sondern regelt ein bestimmtes Verfahren, mit dem die Ausschlußfrist im Lauf gesetzt werden sollte.
Das Verfahren, die Ausschlußfrist durch einen Aushang am Schwarzen Brett in Gang zu setzen, trägt dem Umstand Rechnung, daß eine Vielzahl von Zustellern vom Ausgang der Rechtsstreitigkeiten über die Erschwerniszuschläge betroffen war. Diesem “Massentatbestand” sollte dadurch Rechnung getragen werden, daß die Beklagte nicht verpflichtet wurde, jeden möglicherweise betroffenen Zusteller zu unterrichten. Die Parteien der Musterprozeßvereinbarung einigten sich vielmehr darauf, den Zustellern durch Aushang am Schwarzen Brett die generelle Möglichkeit einer Kenntnisnahme vom Ausgang der Rechtsstreitigkeiten und dem daran anknüpfenden Beginn der Ausschlußfrist zu verschaffen. Bei diesem Verfahren konnten die Parteien auch davon ausgehen, daß alle betroffenen Zusteller Kenntnis erlangen würden.
Daraus folgt zugleich, daß durch das in der Musterprozeßvereinbarung geregelte Verfahren eine Ausschlußfrist für die nach dem Abschluß der Musterprozeßvereinbarung und vor dem Aushang am Schwarzen Brett vom 1. August 1997 bis 31. Oktober 1997 ausgeschiedenen Mitarbeiter nicht in Gang gesetzt werden sollte. Da die Parteien der Musterprozeßvereinbarung den Beginn der Ausschlußfrist von der generellen Möglichkeit der Kenntnisnahme des entsprechenden Zeitpunkts abhängig machen wollten, kann nicht davon ausgegangen werden, daß dies auch für die Mitarbeiter gelten sollte, denen diese Möglichkeit der Kenntnisnahme notwendigerweise verwehrt war, weil sie bereits ausgeschieden waren. Durch das in der Musterprozeßvereinbarung geregelte Verfahren wurde somit für diese Mitarbeiter eine Ausschlußfrist nicht wirksam in Gang gesetzt. Die Parteien der Musterprozeßvereinbarung haben auch keine anderweitige Bestimmung darüber getroffen, daß und ggf. auf welche Weise eine entsprechende Ausschlußfrist für ausgeschiedene Mitarbeiter in Gang gesetzt werden sollte. Insbesondere haben sie nicht auf entsprechende Veröffentlichungen in der Gewerkschaftszeitung “Transparent” verwiesen. Durch deren Bezug konnte eine Ausschlußfrist für die Klägerin deshalb nicht in Lauf gesetzt werden.
Da durch das in der Musterprozeßvereinbarung geregelte Verfahren für die Klägerin als ausgeschiedene Mitarbeiterin eine Ausschlußfrist für die Geltendmachung ihrer Ansprüche auf Erschwerniszuschläge nicht festgelegt wurde, verblieb es bei der allgemeinen tariflichen Regelung, die für eine Geltendmachung von Ansprüchen eine Ausschlußfrist nicht vorsieht.
Die Beklagte kann sich nicht auf den Eintritt der Verjährung gem. § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB berufen, da sie in Ziff. 3.4 der Musterprozeßvereinbarung für Ansprüche ab dem 1. Januar 1993 “gegenüber den Betroffenen im Sinne von Ziff. 2” auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet hat. In Ziff. 3.4 der Musterprozeßvereinbarung ist nicht Bezug genommen worden auf das in Ziff. 3.3 festgelegte Verfahren und den sich daraus ermittelnden Personenkreis, sondern es ist ausdrücklich Bezug genommen worden auf den Personenkreis gem. Ziff. 2, der eindeutig definiert ist. Hierzu gehören “Zusteller, die bei der Briefzustellung einen Zustellwagen oder Zustellkarren benutzten”. Dazu gehört die Klägerin. Eine Verknüpfung zwischen der Geltendmachung der Ansprüche im Sinne der Ziff. 3.3 und dem Verzicht auf die Einrede der Verjährung in Ziff. 3.4 ist damit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht hergestellt worden.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Musterprozeßvereinbarung, der darin bestand, alle Briefzusteller davon abzuhalten, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Musterprozeßvereinbarung jeweils Einzelklagen zu erheben. Dann nämlich wäre die Beklagte mit einer Vielzahl von Prozessen konfrontiert worden, was einen hohen Verwaltungsaufwand bedeutet und zur Fehleranfälligkeit bei der Behandlung einer großen Zahl von Klagen im Instanzenzug geführt hätte. Im Hinblick darauf hat die Beklagte auf die Einrede der Verjährung verzichtet, andernfalls wären die Briefzusteller gezwungen gewesen, ihre Ansprüche sukzessive gerichtlich geltend zu machen. Auch die Klägerin wäre im und ab Mai 1995 in der Lage gewesen, sämtliche Ansprüche, die sie nunmehr geltend macht, im Klagewege zu verfolgen, ohne daß die Beklagte sich auf Verjährung hätte berufen können. Insofern ist der Zweck der Musterprozeßvereinbarung eingetreten, ohne daß es auf das in Ziff. 3.3 niedergelegte Verfahren ankommt. Damit sind Verjährungsverzicht und Ausschlußfrist nicht aneinander gekoppelt.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Dr. Jobs, Marquardt, Schlegel, Großmann
Fundstellen