Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
- Eine nach Art. 37 Einigungsvertrag anzuerkennende Lehrbefähigung in einem Unterrichtsfach entfällt nicht dadurch, daß sich Teile des Unterrichtsstoffs und der Methodik geändert haben (hier: Fach Geschichte).
- Der Wegfall der Lehrbefähigung (hier: Unterrichtsfach Geschichte) setzt voraus, daß eine begrifflich ausgewiesene Qualifikation nur noch dem Namen – nicht aber dem nach dem 3. Oktober 1990 neu zu vermittelnden Inhalt nach – mit dem Fach übereinstimmt, das zum Kündigungszeitpunkt unterrichtet wird. Die Voraussetzungen hierfür sind vom Kündigenden substantiiert darzutun.
Normenkette
EinigVtr Art. 20, 37; Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; KSchG § 4; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte der Klägerin unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anl. I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochen hat.
Die 1953 geborene Klägerin studierte an der Pädagogischen Hochschule Dresden die Fächerkombination Freundschaftspionierleiter/Geschichte. Durch Hochschulabschluß 1977 erhielt sie die Lehrbefähigung zur Erteilung des Fachunterrichts in Geschichte der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der DDR und die Berechtigung, die Berufsbezeichnung “Freundschaftspionierleiter und Diplomlehrer für Geschichte” zu führen. Von 1977 bis 1983 war die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin tätig und erteilte gleichzeitig sechs Wochenstunden Unterricht. Seit 1983 arbeitet sie als vollzeitbeschäftigte Lehrerin. Bis 1987 war sie als stellvertretende Direktorin und Lehrerin für Geschichte an einer polytechnischen Oberschule mit etwa 12 bis 16 Wochenstunden Unterricht eingesetzt. Seitdem ist sie als Lehrerin an einer Berufsschule für Gewerbe und Hauswirtschaft tätig; dort unterrichtet sie Geschichte und Sozialkunde und seit 1990 auch Pflanzenpflege.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin durch Schreiben vom 28. Oktober 1991 ordentlich zum 31. Dezember 1991. Er berief sich hierbei auf mangelnde fachliche Qualifikation.
Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat vorgetragen, sie erfülle aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit die pädagogischen und methodischen Voraussetzungen für eine Beschäftigung als Lehrerin. Außerdem habe sie an zahlreichen Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen. Sie macht weiter geltend, der zuständige Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht beteiligt worden.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß das bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. Oktober 1991, zugegangen am 7. November 1991, nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 31. Dezember 1991 hinaus fortbestehe,
- den Beklagten zu verurteilen, sie am bisherigen Arbeitsplatz zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, die fachliche Qualifikation der Klägerin entspreche nicht den Ansprüchen, die an ein einheitliches Bildungsniveau zu stellen seien. Aufgrund der Ausbildung der Klägerin habe ihre Hauptaufgabe im Bereich der außerunterrichtlichen Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin gelegen. Der Geschichtsunterricht, für den sie ausgebildet worden sei, habe einseitig der Legitimation der Politik des sozialistischen Gesellschaftssystems gedient. Das danach den Schülern zu vermittelnde Weltbild unterscheide sich grundlegend von dem Weltbild, das jetzt an der Schule vermittelt werden solle.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des Beklagten, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des Abs. 4 Ziff. 1 EV seien nicht erfüllt. Gem. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV sei ein in der ehemaligen DDR erworbener Befähigungsnachweis als ausreichende berufliche Qualifikation für die entsprechende Berufsausübung in den neuen Bundesländern anzusehen. Es sei unerheblich, daß sich das den Schülern im Geschichtsunterricht zu vermittelnde Weltbild grundlegend geändert habe. Etwaige Wissenslücken könnten durch Selbststudium oder im Rahmen einer Weiterbildungsmaßnahme ausgefüllt werden. Der Gegenstand des Faches Geschichte sei heute noch vergleichbar mit dem, was die Klägerin im Rahmen ihrer Ausbildung erlernt habe. Wenn den Schülern seinerzeit ein parteiliches Geschichtsbild habe vermittelt werden sollen, betreffe dies die Methodik des Geschichtsunterrichts, nicht dessen Gegenstand.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten in allen Punkten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Die Klägerin hat klargestellt, daß ihrem Antrag festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis fortbestanden habe, keine selbständige Bedeutung im Sinne einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO habe zukommen sollen, sie habe vielmehr insoweit nur die Folgen einer erfolgreichen Klage gemäß § 4 KSchG verdeutlichen wollen. Gegen die Zulässigkeit der Klage, die somit nur einen Streitgegenstand umfaßt, bestehen keine Bedenken.
II. Die Klage ist begründet.
1. a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation den Anforderungen nicht entspricht. Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Nach dem Wortlaut von Abs. 4 Ziff. 1 EV kommt es bei der Beurteilung der mangelnden Qualifikation zwar zunächst nicht auf die formale Vor- oder Ausbildung des betreffenden Arbeitnehmers an. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer über entsprechende arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Ein früherer Studienabschluß als Lehrer rechtfertigt nicht allein, die nach Abs. 4 Ziff. 1 EV erforderliche Qualifikation anzunehmen, wenn der erlernte Beruf nicht oder lange nicht ausgeübt, sondern eine berufsfremde Tätigkeit wahrgenommen worden ist.
Bei der Festlegung der Qualifikationsmerkmale hat der Arbeitgeber die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten. Die Vorschrift ist so auszulegen, daß auf die einzelnen beruflichen Abschlüsse oder Befähigungen abzustellen ist. Die Begriffe “erworbene oder staatlich anerkannte … Abschlüsse oder Befähigungsnachweise” in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV sind nicht so auszulegen, daß auf eine Berufsbezeichnung (hier: “Lehrer”) abzustellen wäre. Der Regelung in Art. 37 EV liegt die Zielsetzung zugrunde, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Gebiet der ehemaligen DDR die Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten. Es kann hierbei nicht darauf ankommen, abstrakt Einzelabschlüsse sammeln und anerkennen zu wollen. Die Einzelabschlüsse müssen vielmehr einem bestimmten Berufsbild zugeordnet werden können (vgl. Senatsurteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Klägerin unter Berücksichtigung dieser Rechtslage eine gem. Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV anzuerkennende Lehrbefähigung im Fach Geschichte erlangt hat. Sie verfügt über einen Hochschulabschluß, der insoweit dem Berufsbild des Lehrers zuzuordnen ist. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, daß und inwiefern sich in der ehemaligen DDR die Hochschulausbildung der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin im Fach Geschichte von der eines Lehramtsstudenten in diesem Fach maßgeblich unterscheidet. Es ist weiter beachtlich, daß nach Nr. 9.3 der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976 die hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter planmäßig Unterricht erteilen konnten, wobei mindestens zwei und höchstens sechs Stunden Unterricht in maximal zwei Klassen zu erteilen waren. Solchen Unterricht hat die Klägerin von 1977 bis 1983 auch erteilt. In Nr. I 6.10. der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und in den Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 6/1984, S. 77) ist weiter bestimmt, der Freundschaftspionierleiter werde nach langjähriger und erfolgreicher Tätigkeit vorrangig in Leitungen des Jugendverbandes, für leitende Tätigkeit im Bereich der Volksbildung, als Lehrer (im Original nicht unterstrichen) oder Erzieher bzw. in außerschulischen Einrichtungen eingesetzt. Dementsprechend arbeitet die Klägerin seit 1983 als vollzeitbeschäftigte Lehrerin an einer allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule bzw. an einer Berufsschule für Gewerbe und Hauswirtschaft.
c) Die auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation der Klägerin für den Fachunterricht in Geschichte genügt für einen Einsatz als Lehrerin.
aa) Die Qualifikation kann nicht erfolgreich mit der Begründung in Abrede gestellt werden, der Klägerin fehle ein anzuerkennender Abschluß in einem weiteren Fach. Ebenso wie die Frage, ob ein Lehrer mit der Qualifikation in nur einem Hauptfach und einem Wahlfach einsetzbar ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Februar 1993, aaO), ist die Frage der Verwendbarkeit einer Lehrerin, die nur im Fach Geschichte ausgebildet ist, eine solche des mangelnden Bedarfs. Auf mangelnden Bedarf hat der Beklagte die Kündigung nicht gestützt.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler festgestellt, daß der Beklagte nicht dargetan hat, daß der nach der Wende gemäß den Unterrichtsplänen zu vermittelnde Lehrinhalt und die Methodik des Faches Geschichte sich von dem zu früheren DDR-Zeiten so unterscheide, daß die Klägerin für das heute zu unterrichtende Fach nicht qualifiziert sei. Das Landesarbeitsgericht hat unangefochten festgestellt, daß es auch in der ehemaligen DDR Aufgabe des Geschichtsunterrichts war, ein Grundwissen über Kulturen und Gesellschaften zu vermitteln. Das verdeutlicht darüber hinaus ein Vergleich der im Unterricht zu behandelnden Themenkomplexe, wie sie sich einerseits aus dem ab 1988/1989 gültigen Lehrplan für den Geschichtsunterricht an den Klassen fünf bis zehn an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen und andererseits aus dem Lehrplan Geschichte 1991/92 für die Klassen fünf bis zwölf ergeben. Danach ist den Schülern jeweils ein Bild von der Entstehung der Menschheit, vom Leben in der Urgesellschaft bis hin zur deutschen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu vermitteln. Es ist von dem Beklagten nicht vorgetragen, daß diese Themenkomplexe nicht Gegenstand der Hochschulausbildung der Klägerin gewesen sind. Es ist der Revision zuzugeben, daß nicht nur der methodische, sondern auch der materielle Gehalt des Geschichtsunterrichts gegenüber früher geändert worden ist. Der Geschichtsunterricht in der ehemaligen DDR beruhte auf den Positionen der marxistischleninistischen Geschichtsbetrachtung und war darauf ausgerichtet, ein bestimmtes, parteiliches Geschichtsbild zu vermitteln. Nach dem Lehrplan 1991/92 des Beklagten wird Geschichte nunmehr als offenes und nicht auf ein vorab vorhandenes Ziel hin ausgerichtetes Geschehen aufgefaßt, wobei den Schülern durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit ein individuelles Geschichtsbild vermittelt werden soll. Diese Veränderung des Lehrinhaltes führt jedoch schon im Hinblick auf die unverändert zu behandelnden Themenkomplexe nicht dazu, daß der derzeitige Geschichtsunterricht nichts mehr mit demjenigen vor dem gesellschaftlichen Umbruch in der DDR gemeinsam hätte. Unterrichtsmethoden und Lehrinhalte ändern sich aufgrund politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen oder wissenschaftlicher Erkenntnisse. Damit entfällt jedoch nicht ohne weiteres die fachliche Qualifikation des betroffenen Lehrers. Dieser kann vielmehr gehalten sein, an Weiterbildungsveranstaltungen teilzunehmen, um seinen Wissensstand zu aktualisieren. Der Beklagte selbst verkennt nicht, daß die in der ehemaligen DDR ausgebildeten Geschichtslehrer in der Lage sind, die durch den gesellschaftlichen Umbruch hervorgerufenen Veränderungen im Fachunterricht selbst zu bewältigen. In der Vorbemerkung zum Lehrplan Geschichte 1991/92 für die Klassen fünf bis zwölf im Freistaat Sachsen heißt es: “Die Lehrer sind aufgefordert, bei der Arbeit mit diesem Rahmenlehrplan alte Prägungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis als Geschichtslehrer zu gewinnen. (…) Gründliches Durchdenken der Lehrplantexte, individuelles Beschäftigen mit neuester historischer und pädagogischer Literatur sowie die Teilnahme an Lehrerfortbildungsveranstaltungen können das tiefe Verstehen dieses Rahmenplanes und den kreativen Umgang mit ihm erleichtern.” Insbesondere auch angesichts des Umstandes, daß die Klägerin in den Jahren 1990 und 1991 nach ihrem unbestrittenen Vortrag an zahlreichen einschlägigen Weiterbildungsveranstaltungen, namentlich über die “Inhalte der Übergangslehrpläne”, sowie über “Ziele, Methoden und politische Unterrichtsinhalte der Lehrpläne Gesellschaftskunde, Geschichte” an der Landesfachhochschule Baden-Württemberg teilgenommen hat, hätte der Beklagte substantiiert dartun müssen, daß hier dennoch die fachliche Qualifikation der Klägerin entfallen sei.
2. Über den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin war in der Revision nicht mehr zu befinden, da er offensichtlich nur für den Fall gestellt war, daß der Senat in der Sache nicht abschließend entscheidet.
III. Die Kosten der Revision hat der Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Schallmeyer, Dr. Rödder
Fundstellen
Haufe-Index 845974 |
BAGE, 40 |
BB 1994, 651 |
JR 1995, 88 |
NZA 1995, 1195 |