Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung im Beitrittsgebiet

 

Orientierungssatz

Zum Geltungsbereich des BAT-O und zur Vergütung nach Rückkehr ins Beitrittsgebiet, vgl insoweit BAG 26. Oktober 1995 - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207 und seitdem ständige Rechtsprechung.

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Dezember 1997 - 14 Sa 116/97

- wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin über den 30. Juni 1996 hinaus der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) oder der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - vom 10. Dezember 1990 (BAT-O) Anwendung findet.

Die Klägerin war seit dem 20. April 1976 beim Magistrat von Groß-Berlin im ehemaligen Ostberlin beschäftigt, seit dem 1. Juli 1990 in der Magistratskanzlei. Mit Schreiben vom 12. Dezember 1990 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, daß die Magistratskanzlei zum 31. Dezember 1990 abgewickelt werde und die Klägerin sich ab dem 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 im Wartestand befinde, jedoch zu unveränderten arbeitsrechtlichen Bedingungen auf drei Jahre befristet weiterbeschäftigt werde. Die Parteien schlossen am 1. Oktober 1991 einen schriftlichen Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin vom 1. Januar 1991 an als Verwaltungsangestellte im Bereich des Regierenden Bürgermeisters von Berlin befristet bis zum 31. Dezember 1993 weiterbeschäftigt wurde. In § 3 dieses Arbeitsvertrages wurde die Anwendung des BAT-O vereinbart.

Seit dem 1. Januar 1991 war die Klägerin als Mitarbeiterin des Regierenden Bürgermeisters von Berlin im ehemaligen Westberlin eingesetzt. Am 2. Oktober 1991 zog die Senatskanzlei vom Rathaus Schöneberg im ehemaligen Westberlin in das Rote Rathaus im ehemaligen Ostberlin um. Seit diesem Zeitpunkt ist die Klägerin wieder im ehemaligen Ostberlin tätig.

Mit Schreiben vom 7. August 1992 verlangte die Klägerin unter Berufung auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Senats vom 30. Juli 1992 (- 6 AZR 11/92 -BAGE 71, 68), das sog. "Posturteil", auf ihr Arbeitsverhältnis den BAT anzuwenden. Mit Schreiben vom 2. Februar 1993 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, daß sich ihr Arbeitsverhältnis nach BAT richte, weil sie in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 1. Oktober 1991 in einem im ehemaligen Westberlin gelegenen Dienstgebäude eingesetzt gewesen sei. Die höhere Vergütung erhalte sie rückwirkend ab dem 1. Februar 1992; im übrigen sei der Anspruch verfallen.

Mit Schreiben vom 19. Januar 1993 beantragte der Regierende Bürgermeister von Berlin - Senatskanzlei - bei dem Landesverwaltungsamt Berlin, die Klägerin rückwirkend ab dem 1. Januar 1993 auf unbestimmte Zeit weiterzubeschäftigen. Die Parteien schlossen am 28. April 1993 einen entsprechenden schriftlichen Arbeitsvertrag, in dessen § 3 es heißt:

"Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem

Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden,

ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich

der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden

Fassung. ..."

Durch Schreiben vom 17. Januar 1996 teilte das beklagte Land der Klägerin unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats im Urteil vom 26. Oktober 1995 (- 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207), dem sog. "Feuerwehrurteil", mit, daß die Leistungen nach BAT unter dem Vorbehalt der Rückforderung stünden. Für die Zeit vom 1. August 1995 bis zum 31. Januar 1996 forderte es die noch nicht verfallenen Differenzbeträge zwischen den Vergütungen nach BAT und BAT-O von der Klägerin zurück, unterstellte aber gleichzeitig den "Wegfall der Bereicherung", so daß es im Ergebnis nicht zur Rückzahlung kam. Mit einem weiteren Schreiben vom 2. August 1996 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, daß auf ihr Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 1996 wieder der BAT-O angewendet werde.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch nach ihrer Rückkehr in das östliche Tarifgebiet seien auf ihr Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des BAT anzuwenden. Der Anspruch ergebe sich aus einzelvertraglicher Zusage. Die Klägerin verweist darauf, daß man den formularmäßigen Text des § 3 ihres Arbeitsvertrages unverändert gelassen habe, obwohl sie zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags am 28. April 1993 bereits wieder im räumlichen Geltungsbereich des BAT-O gearbeitet habe.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, auf das

Arbeitsverhältnis der Klägerin über den 1. Juli 1996 hinaus den

BAT einschließlich der ihn ändernden und ergänzenden Tarifverträge

anzuwenden.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis richte sich nach Rückkehr der Klägerin in das östliche Tarifgebiet wieder nach den Bestimmungen des BAT-O. Durch den Arbeitsvertrag vom 28. April 1993 sei nicht die übertarifliche Geltung des BAT vereinbart worden. Der Klägerin seien nach Rückkehr in das östliche Tarifgebiet Leistungen nach dem BAT nur gewährt worden, weil sich das beklagte Land dazu rechtsirrtümlich aufgrund des Senatsurteils vom 30. Juli 1992 (aaO) für verpflichtet gehalten habe. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes könne sich jederzeit von einer irrtümlichen Tarifpraxis lossagen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils als unbegründet abgewiesen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden nach dem 30. Juni 1996 die Bestimmungen des BAT-O Anwendung. Auch aus dem Arbeitsvertrag vom 28. April 1993 ergibt sich nichts anderes.

1. Nach § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Länder, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (fortan: EV) genannten Gebiet begründet sind.

a) Die Klägerin übt unstreitig eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung bei dem beklagten Land aus.

b) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist auch in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben (BAG 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - BAGE 76, 57; 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend (BAG 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - BAGE 76, 57, 61; 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108, 112; 23. Februar 1995 - 6 AZR 614/94 - BAGE 79, 215, 217; 20. März 1997 - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 327 f.; 25. Juni 1998 - 6 AZR 515/97 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76, zu II 1 a der Gründe und - 6 AZR 475/96 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 12, zu II 2 b bb der Gründe). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich des BAT beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit der BAT Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem BAT-O (BAG 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108; 23. Februar 1995 - 6 AZR 667/94 - BAGE 79, 224; 21. September 1995 - 6 AZR 151/95 - AP BAT-O § 1 Nr. 6 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 11, zu III 2 der Gründe; 26. Oktober 1995 - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207, 209; 20. März 1997 - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 329; 25. Juni 1998 - 6 AZR 515/97 - aaO, zu II 1 c der Gründe).

bb) Der Grund für die Entstehung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin lag im Beitrittsgebiet. Das Arbeitsverhältnis bestand bereits vor dem 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR und wurde nach Herstellung der Einheit Deutschlands von dem beklagten Land als Rechtsnachfolger fortgeführt. Der Bezug zum Beitrittsgebiet besteht gegenwärtig, da sich der Arbeitsplatz der Klägerin seit dem 2. Oktober 1991 im ehemaligen Ostberlin befindet. Seit diesem Zeitpunkt richtet sich das Arbeitsverhältnis deshalb nach den Regelungen des BAT-O. Lediglich während des Einsatzes im ehemaligen Westberlin fanden die Vorschriften des BAT auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

2. Im Arbeitsvertrag vom 28. April 1993 haben die Parteien nicht vereinbart, daß der BAT nach der Rückkehr der Klägerin auf den Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet gelten soll.

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, durch diesen Vertrag sei nicht die Anwendung des BAT vereinbart worden. Das beklagte Land habe nur schriftlich bestätigt, was es geglaubt habe, tarifvertraglich zu schulden. Das beklagte Land habe durch den Vertragstext lediglich die Konsequenzen aus dem sog. "Posturteil" des Senats vom 30. Juli 1992 (- 6 AZR 11/92 - BAGE 71, 68) gezogen.

b) Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Bei der vertraglichen Regelung handelt es sich um eine typische Vereinbarung für nicht tarifgebundene Angestellte im öffentlichen Dienst, die vom Senat in der Revisionsinstanz uneingeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden kann (vgl. BAG 21. Oktober 1992 - 4 AZR 156/92 - AP BAT § 23 a Nr. 27, zu I 3 a der Gründe).

Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist es rechtlich möglich, einzelvertraglich die Geltung normativ nicht geltender Tarifregelungen zu vereinbaren (vgl. BAG, aaO, zu I 3 der Gründe). Im öffentlichen Dienst hat allerdings die Verweisung auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrages grundsätzlich nur den Sinn, daß der Arbeitsvertrag das beinhalten soll, was nach allgemeinen Grundsätzen des Tarifrechts auch für tarifgebundene Angestellte gilt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 21. Oktober 1992, aaO, zu I 3 b der Gründe, mwN und 1. Juni 1995 - 6 AZR 922/94 - BAGE 80, 152, 155). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, daß die Klägerin gegenüber den vergleichbaren tarifgebundenen Angestellten nicht ungleich behandelt werden sollte (vgl. Senatsurteil vom 1. Juni 1995, aaO). Das Landesarbeitsgericht hat deshalb ohne Rechtsfehler angenommen, daß das beklagte Land nur das vollziehen wollte, was der tariflichen Rechtslage entsprach. Einen weitergehenden Verpflichtungswillen des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht rechtsirrtumsfrei verneint.

3. Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, den BAT aus Gründen des Vertrauensschutzes auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin weiterhin anzuwenden, weil es in der Zeit bis zum Juni 1996 Leistungen nach dem BAT gewährt hat. Von diesen in Verkennung der Reichweite des Urteils des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (aaO) und damit rechtsirrtümlich gewährten Zahlungen konnte sich das beklagte Land jederzeit lossagen. Dies hat der Senat mehrfach entschieden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteile des Senats vom 26. Oktober 1995 (- 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207, 212 und vom 25. Juni 1998 (- 6 AZR 515/97 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76 und - 6 AZR 238/97 - nicht veröffentlicht) verwiesen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Dr. Peifer Dr. Armbrüster Gräfl

Lenßen Augat

 

Fundstellen

Dokument-Index HI610993

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