Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung von Treueurlaub mit Tarifurlaub
Leitsatz (redaktionell)
1. Betrieblicher Treueurlaub für langjährige Betriebszugehörigkeit kann nicht ohne weiteres mit einem erhöhten Tarifurlaub verrechnet werden.
2. Ein Urlaubsanspruch erlischt auch dann mit dem Ende des Übertragungszeitraums, wenn der Urlaub rechtzeitig geltend gemacht worden ist und der Arbeitgeber trotz möglicher Urlaubsgewährung die Erfüllung des Anspruchs verweigert. Dann tritt anstelle des ursprünglichen Urlaubs als Schadenersatzanspruch ein Urlaubsanspruch in entsprechender Höhe.
Normenkette
BGB §§ 151, 286, 249 S. 1, § 287 S. 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.11.1981; Aktenzeichen 10 Sa 1098/81) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 30.07.1981; Aktenzeichen 2 Ca 2411/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gewährung eines zusätzlichen Urlaubstages für das Jahr 1981. Der Kläger ist seit dem Jahre 1969 bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahre 1979 und 1980 gewährte die Beklagte dem Kläger jeweils einen Tag zusätzlichen Urlaub für die erbrachte über 10-jährige Betriebstreue. Mit Schreiben vom 14. Juli 1980 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, sie sehe sich aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, den bisher gewährten zusätzlichen Urlaubstag auf den Tarifurlaub anzurechnen.
Der Kläger hat mit der im Juni 1981 erhobenen Klage beantragt, den Beklagten zu verpflichten, für das Urlaubsjahr 1981 einen Tag Treueurlaub zu gewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Meinung, der zusätzliche betriebliche Urlaub werde durch den gemäß dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der chemischen Industrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 24. März 1979 (MTV) erhöhten Tarifurlaub "aufgesogen".
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat gegenteilig entschieden. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagte dadurch eine betriebliche Übung begründet hat, daß sie etwa seit dem Jahre 1973 bis zu ihrem Schreiben vom 14. Juli 1980 ihren Beschäftigten ab zehn Beschäftigungsjahren auf Antrag jährlich einen zusätzlichen Urlaubstag gewährt hat.
Eine betriebliche Übung kann entstehen, wenn der Arbeitgeber sich in einer bestimmten Weise verhält, aus der die Arbeitnehmer schließen müssen, daß ihnen eine Leistung oder Vergünstigung gewährt werden soll. Solche Willenserklärungen können von den Arbeitnehmern regelmäßig stillschweigend angenommen werden (§ 151 BGB). Dadurch entstehen vertragliche Ansprüche auf die Vergünstigung auch in Zukunft (BAG 23, 213, 217 ff. = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I der Gründe, seither ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 20. März 1985 - 5 AZR 49/84 - zu II 2 a der Gründe, unveröffentlicht).
Aus der vorbehaltlosen Urlaubsgewährung durch die Beklagte mußten die Arbeitnehmer im Betrieb der Beklagten schließen, Leistungen seien auch künftig bei entsprechender Dauer der Betriebszugehörigkeit zu erwarten.
Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger nur in den Jahren 1979 und 1980 diesen zusätzlichen Urlaub erhalten hat. Auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt eine Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger begründet worden ist, kann hier dahingestellt bleiben, da die Beklagte selbst sich bisher zur Gewährung des Urlaubstages für verpflichtet gehalten hat. Die Grundsätze der Rechtsprechung zur dreimaligen vorbehaltlosen Zahlung einer Gratifikation kommen nicht zur Anwendung (BAG Urteil vom 27. Juni 1985 - 6 AZR 392/81 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Die verpflichtende Wirkung der betrieblichen Übung tritt schon für diejenigen Arbeitnehmer ein, die bereits die von der Beklagten für den Zusatzurlaub geforderte Betriebstreue von zehn Jahren erfüllt haben (vgl. auch BAG 23, 213, 222; BAG Urteil vom 30. Oktober 1984 - 3 AZR 236/82 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Verrechnungsmöglichkeit ("Aufsaugung") verneint. Eine Verrechnung des Urlaubsanspruchs mit der Erhöhung des tariflichen Urlaubs könnte nur dann in Betracht kommen, wenn der Manteltarifvertrag bzw. die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrags eine solche rechtliche Möglichkeit vorsähen. Weder der Manteltarifvertrag noch der durch die betriebliche Übung gestaltete Arbeitsvertrag enthalten eine Regelung, daß durch die Erhöhung des tariflichen Urlaubs der geltend gemachte Zusatzurlaub ohne weiteres verrechnet wird.
a) Eine auf Tarifrecht beruhende Verrechnung wäre nur möglich, wenn eine entsprechende tarifliche Regelung bestünde und wenn betrieblicher Zusatzurlaub und gestiegener tariflicher Urlaubsanspruch gleichzusetzen wären. Daran fehlt es jedenfalls für die Zeit seit dem Jahre 1974. Die Erhöhung des tariflichen Urlaubsanspruchs knüpft seitdem an das Lebensalter, der betriebliche Zusatzurlaub demgegenüber allein an eine mehr als 10-jährige Dauer der Betriebszugehörigkeit an. Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit sind unterschiedliche Voraussetzungen für unterschiedliche Ansprüche. Der tarifliche Jahresurlaub und der betriebliche Zusatzurlaub erfassen verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern, die durch die unterschiedliche Zwecksetzung für den allgemeinen Erholungsurlaub und den besonderen Treueurlaub gebildet werden. Der Zusatzurlaub für die Betriebstreue im Jahre 1981 ist daher keine "übertarifliche", sondern eine "außertarifliche" Leistung des Arbeitgebers. Während eine übertarifliche Leistung an eine tarifliche Regelung - hier: altersabgestufter Jahresurlaub für alle Arbeitnehmer - anknüpft, aber über die tariflichen Mindestbedingungen hinausgeht (BAG 33, 83, 89, 90 = AP Nr. 9 zu § 4 TVG Effektivklausel), trifft dies für einen außertariflichen Anspruch nicht zu.
b) Dieser Urlaubsanspruch zusätzlich zum jeweiligen tariflichen Jahresurlaub ist Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden, das ebenfalls keine Verrechnungsmöglichkeit vorsieht. Bei der Auslegung des Verhaltens der Beklagten, mit dem sie sich gegenüber ihren Arbeitnehmern zur Gewährung des zusätzlichen Urlaubstags verpflichtet hat, kommt es auf den vom Arbeitgeber mit der Regelung verfolgten Zweck an (BAG 18, 22, 27 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Tariflohn und Leistungsprämie; BAG Urteil vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 481/80 - AP Nr. 15 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung).
Der Inhalt der Zusatzurlaubsregelung spricht gegen die Zulässigkeit einer Verrechnung, weil für die Arbeitnehmer ein Anreiz für das Erreichen einer 10-jährigen Betriebszugehörigkeit geschaffen werden sollte. Dieser besteht aber nur dann, wenn keine Anrechnung auf die im Abstand von jeweils wenigen Jahren zu erwartende und tatsächlich eingetretene Erhöhung des Urlaubs nach den Manteltarifverträgen stattfindet. Wäre der Zusatzurlaub auf die Erhöhung des Jahresurlaubs anrechenbar, so hätte er nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung einer über 10-jährigen Zugehörigkeit zum Betrieb angesichts der in kürzeren Abständen eintretenden und zu erwartenden Erhöhungen des Tarifurlaubs nicht mehr durchgreifen können. Auch die Tatsache, daß nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit der Zusatzurlaub nicht nur einmal, sondern jährlich wiederholend gewährt werden soll, spricht gegen eine bloß vorübergehende Aufbesserung.
Zu Unrecht meint die Revision, es sei nicht anzunehmen, die Beklagte habe sich damals auch für den Fall einer Ausweitung des Tarifurlaubs verpflichten wollen. Zwar mag die Beklagte damals die mehrfache Erhöhung des tariflichen Jahresurlaubs nicht bedacht haben. Tatsachen für einen entsprechenden Vorbehalt der Beklagten sind aber nicht vorgetragen. Die Gewährung des Zusatzurlaubs neben dem jeweiligen allgemeinen tariflichen Jahresurlaub ist damit uneingeschränkt Inhalt der Arbeitsverhältnisse geworden. Die in diesem Zusammenhang von der Revision angezogenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 5. November 1964 - 5 AZR 405/63 - (BAG 16, 293 = AP Nr. 1 zu § 3 BUrlG) und - 5 AZR 227/64 - (AP Nr. 2 zu § 3 BUrlG) sind nicht einschlägig. Dort schließt das Bundesarbeitsgericht nämlich deswegen eine Aufstockung des gesetzlichen Urlaubs um den Zusatzurlaub aus, weil nicht mit hinreichender Gewißheit zu ermitteln war, was die Tarifvertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Teilnichtigkeit des Tarifvertrages bekannt gewesen wäre.
3. Der Gewährung eines zusätzlichen Urlaubstages für 1981 steht auch nicht der Umstand entgegen, daß dem Kläger dieser Tag bis zum 31. März 1982 nicht gewährt worden ist. Zwar erlischt der Urlaubsanspruch mit dem Ende des Übertragungszeitraums (vgl. Urteil des Senats vom 13. Mai 1982, BAG 39, 53, 57). Dies trifft auch dann zu, wenn der Urlaub rechtzeitig beantragt worden ist und der Arbeitgeber sich ohne rechtlichen Grund weigert, den Urlaubsanspruch zu erfüllen. Dennoch steht dem Kläger ein Urlaubsanspruch in gleichem Umfang zu. Die Beklagte befand sich nach Ablehnung des Urlaubsverlangens gegenüber dem Kläger in Verzug. Zwar kann die ursprünglich geschuldete Leistung wegen Zeitablaufs nicht mehr erbracht werden, ihre Erfüllung ist unmöglich geworden. Diese Unmöglichkeit hat aber die Beklagte zu vertreten (§ 286, § 287 Satz 2, § 280 Abs. 1, § 249 Satz 1 BGB), so daß anstelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs als Schadenersatzanspruch ein Urlaubsanspruch in entsprechender Höhe tritt.
Dr. Auffarth Dr. Leinemann
zugleich für den durch
Ortsabwesenheit verhinderten
Richter am Bundesarbeits-
gericht Dr. Jobs
Dr. Walz Möller-Lücking
Fundstellen
BAGE 49, 299-303 (LT1-2) |
BB 1986, 1295-1296 (LT1-2) |
DB 1986, 811-812 (LT1-2) |
NJW 1987, 973 |
NJW 1987, 973-973 (L1-2) |
NZA 1986, 394-395 (LT1-2) |
RdA 1986, 133 |
SAE 1987, 118-119 (LT1-2) |
AP § 1 BUrlG Treueurlaub (LT1-2), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 276 (LT1-2) |
AR-Blattei, Urlaub Entsch 276 (LT1-2) |
EzA § 7 BUrlG, Nr 40 (LT1-2) |