Entscheidungsstichwort (Thema)
Mischbetrieb - Tarifpluralität
Leitsatz (redaktionell)
1. Überschneidet sich der Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge (hier: Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen des herstellenden Buchhandels in Baden- Württemberg vom 3. Dezember 1987 und Tarifvertrag über die Altersversorgung für Redakteure an Zeitschriften vom 27. Juni 1986), so ist in Mischbetrieben, in denen Tätigkeiten verschiedener Fachrichtung verrichtet werden, derjenige Tarifvertrag maßgebend, der der überwiegenden Arbeitszeit der Arbeitnehmer entspricht.
2. Konkurrieren mehrere Tarifverträge miteinander, so ent-steht eine Tarifkonkurrenz, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber tarifgebunden sind, dagegen Tarifpluralität, wenn nur der Arbeitgeber tarifgebunden ist.
3. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit für einen Betrieb verdrängt sowohl im Falle der Tarifkonkurrenz wie der Tarifpluralität derjenige Tarifvertrag die übrigen, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, zuletzt Urteil vom 14. Juni 1989 - 4 AZR 200/89 = AP Nr 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz).
4. Auch wenn nur in einem von mehreren konkurrierenden Manteltarifverträgen die Altersversorgung geregelt ist, kann nicht angenommen werden, daß sie sich insoweit ergänzen sollen.
Orientierungssatz
Tarifpluralität ist nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz zu lösen (im Anschluß an BAG Urteil vom 14. Juni 1989 - 4 AZR 200/89 = AP Nr 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz).
Normenkette
TVG §§ 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Fachverlag, der überwiegend auf medizinischem und naturwissenschaftlichem Gebiet tätig ist. Sie verlegt in erster Linie Bücher, aber auch Fachzeitschriften. Für die Fachzeitschriften sind von 258 Arbeitnehmern der Klägerin 26 Arbeitnehmer tätig. Unter diesen sind die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R mit der Auswahl, Zusammenstellung und Überarbeitung der Manuskripte befaßt. Sie werden innerbetrieblich als "Redakteure" bezeichnet. Die Beklagte ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien die Einzugsstelle für die Versicherungsbeiträge nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über die Altersversorgung für Redakteure an Zeitschriften vom 27. Juni 1986 (TV Altersversorgung 1986). Sie will die Klägerin auf Zahlung von Versicherungsbeiträgen für die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R in Anspruch nehmen.
Die Klägerin gehört seit 1. April 1954 dem Verband der Verlage und Buchhandlungen in Baden-Württemberg e.V. an, der mit den Gewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/-innen des herstellenden Buchhandels in Baden-Württemberg vom 3. Dezember 1987 (MTV Buchhandel) abgeschlossen hat. Die bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer sind überwiegend Mitglieder der Gewerkschaft HBV und DAG. Die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R gehören jedoch keiner dieser Gewerkschaften an. Unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit wendet die Klägerin den MTV Buchhandel auf alle ihre Arbeitnehmer, auch auf die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R, an.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei zur Abführung von Beiträgen an die Beklagte nicht verpflichtet. Der TV Altersversorgung 1986 finde auf sie keine Anwendung. Die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R würden vom persönlichen Geltungsbereich des TV Altersversorgung 1986 nicht erfaßt, da sie keine Redakteure im tariflichen Sinne seien. Darüber hinaus könne der TV Altersversorgung 1986 nach dem Prinzip der Tarifeinheit neben dem spezielleren MTV Buchhandel keine Anwendung finden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Klägerin nicht ver-
pflichtet ist, Beiträge für die bei ihr be-
schäftigten Redakteure an die Beklagte abzu-
führen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die drei Mitarbeiter der Klägerin H, Dr. K und Dr. R fielen unter den persönlichen Geltungsbereich des TV Altersversorgung 1986, da sie typische Redakteurstätigkeiten ausübten. Eine Tarifkonkurrenz mit dem MTV Buchhandel bestehe nicht, da die genannten drei Mitarbeiter der Klägerin an diesen Tarifvertrag nicht tarifgebunden seien. Hingegen bestehe eine Tarifbindung an den TV Altersversorgung 1986, weil dieser für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Der TV Altersversorgung 1986 könne auch nach dem Prinzip der Tarifeinheit nicht durch den MTV Buchhandel verdrängt werden. Das Prinzip der Tarifeinheit sei gesetzlich nicht normiert, seine Anwendung zu Lasten des TV Altersversorgung 1986 verstoße im vorliegenden Fall gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 4 TVG. Abgesehen davon regele der MTV Buchhandel die Altersversorgung nicht, so daß der TV Altersversorgung 1986 zumindest eine zulässige Ergänzung für einen untypischen Betriebsbereich des herstellenden Buchhandels darstelle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision und stellt klar, daß der Klageantrag sich auf die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R bezieht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, Beiträge für die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R an die Beklagte abzuführen. Denn der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über die Altersversorgung für Redakteure an Zeitschriften vom 27. Juni 1986 (TV Altersversorgung 1986) findet auf die Klägerin keine Anwendung.
Entgegen der von der Klägerin auch noch in der Revisionsinstanz vertretenen Auffassung kann der Klage allerdings nicht bereits deshalb stattgegeben werden, weil die bei der Klägerin beschäftigten Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R vom persönlichen Geltungsbereich des TV Altersversorgung 1986 nicht erfaßt werden. Der persönliche Geltungsbereich des TV Altersversorgung 1986 erstreckt sich nach dessen § 1 Abs. 1 auf "alle hauptberuflich festangestellten Redakteure (Wort und Bild)". Wer als Redakteur im Sinne des TV Altersversorgung 1986 anzusehen ist, wird in dessen § 1 Abs. 1 ebenfalls näher bestimmt. Dort heißt es:
"Redakteur ist, wer - nicht nur zum Zweck der
Vorbereitung auf diesen Beruf (gleichgültig
in welchem Rechtsverhältnis) - überwiegend an
der Erstellung des redaktionellen Teils re-
gelmäßig in der Weise mitwirkt, daß er
1. Wort- und Bildmaterial sammelt, sichtet,
ordnet, dieses auswählt und veröffent-
lichungsreif bearbeitet
und/oder
2. mit eigenen Wort- und/oder Bildbeiträgen
zum redaktionellen Inhalt der Zeitschrift
beiträgt
und/oder
3. die Gestaltung des redaktionellen Teils
der Zeitschrift (insbesondere die Anord-
nung des Textes und der Bilder) journali-
stisch plant und bestimmt
und/oder
4. diese Tätigkeiten in der Funktion eines
Chefs vom Dienst, eines geschäftsführen-
den Redakteurs oder eines Schlußredakteurs
koordiniert. Eingeschlossen sind die im
Ausland für inländische Verlage tätigen
Redakteure."
Unstreitig sind die genannten drei Mitarbeiter der Klägerin mit der Auswahl, Zusammenstellung und Überarbeitung fremder Manuskripte befaßt. Damit erfüllen sie den Redakteursbegriff im Sinne von Ziff. 1 der tariflichen Bestimmung. Es ist danach nicht erforderlich, daß sie selbst eigene Beiträge verfassen. Damit erstreckt sich der persönliche Geltungsbereich des TV Altersversorgung 1986 auch auf die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R .
Sowohl der Betrieb der Klägerin - soweit es um die Redaktion für Fachzeitschriften geht - als auch die Mitarbeiter H, Dr. K und Dr. R werden auch von der Allgemeinverbindlicherklärung des TV Altersversorgung 1986 erfaßt, da sich die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt
"a) auf alle Zeitschriftenverlage und auf alle
Redaktionen in anderen Verlagen, die auch
Zeitschriften allgemeiner, fachlicher oder
konfessioneller Art herausgeben, und
b) auf alle festangestellten Redakteure (Wort
und Bild), die hauptberuflich und überwie-
gend mit der Herausgabe von Zeitschriften
befaßt sind."
Gleichwohl findet der TV Altersversorgung 1986, der eine Beitragspflicht der Klägerin gegenüber der Beklagten für die bei der Klägerin beschäftigten Redakteure begründen würde, auf die Klägerin keine Anwendung. Denn der Betrieb der Klägerin wird als Ganzer von dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer/-innen des herstellenden Buchhandels in Baden-Württemberg vom 3. Dezember 1987 (MTV Buchhandel) erfaßt; dieser verdrängt insoweit den TV Altersversorgung 1986. Der Betrieb der Klägerin fällt als sogenannter Mischbetrieb, der sowohl Bücher verlegt (herstellender Buchhandel) als auch Fachzeitschriften, nach seinem überwiegenden Betriebszweck, der durch die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer bestimmt wird, als Ganzer unter den Geltungsbereich des MTV Buchhandel (vgl. BAG Urteil vom 19. Oktober 1988 - 4 AZR 354/88 - nicht veröffentlicht; BAGE 56, 357, 363 = AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; BAGE 55, 67 = AP Nr. 79 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAGE 55, 78 = AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und BAG Urteil vom 21. März 1984 - 4 AZR 61/82 - nicht veröffentlicht, im Anschluß an BAGE 25, 188, 193 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, mit weiteren Nachweisen). Der MTV Buchhandel erfaßt nach seinem persönlichen Geltungsbereich alle Arbeitnehmer der Klägerin und damit auch die für die Fachzeitschriften der Klägerin tätigen Arbeitnehmer, darunter die Redakteure H, Dr. K und Dr. R. Demgegenüber erfaßt der TV Altersversorgung 1986 nur einen kleinen Teil des Betriebs der Klägerin (Redaktion der Fachzeitschriften), so daß der MTV Buchhandel für den Betrieb der Klägerin der sachnähere Tarifvertrag ist.
Die Klägerin ist im Verhältnis zu ihren Redakteuren an Fachzeitschriften sowohl an den MTV Buchhandel kraft Mitgliedschaft in einer Tarifvertragspartei als auch an den TV Altersversorgung 1986 kraft Allgemeinverbindlichkeit gebunden. Hingegen sind die Redakteure wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit nur an den TV Altersversorgung 1986 gebunden. Damit besteht keine sogenannte Tarifkonkurrenz, die nur zu bejahen ist, wenn beide Parteien des Arbeitsvertrags gleichzeitig an mehrere von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossene Tarifverträge gebunden sind (vgl. BAG Urteil vom 14. Juni 1989 - 4 AZR 200/89 - AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Vielmehr liegt eine sogenannte Tarifpluralität vor, die dann anzunehmen ist, wenn der Betrieb oder ein Teil des Betriebs des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier Tarifverträge, die von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossen worden sind, erfaßt wird und der Arbeitgeber an beide Tarifverträge, sei es aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung oder aufgrund Organisationszugehörigkeit, gebunden ist, für die Arbeitnehmer aber nur einer dieser Tarifverträge kraft Tarifbindung gilt (vgl. BAG Urteil vom 14. Juni 1989, aaO).
In den Fällen der Tarifpluralität sind zwar im jeweiligen Streitfall beide Parteien des Arbeitsvertrags gemeinsam nur an einen Tarifvertrag gebunden (hier: TV Altersversorgung 1986). Wegen der Tarifbindung des Arbeitgebers an zwei verschiedene Tarifverträge konkurrierender Tarifvertragsparteien ist es aber nicht ausgeschlossen, daß wegen der Tarifbindung anderer Arbeitnehmer an den konkurrierenden Tarifvertrag dann mehrere miteinander konkurrierende Tarifverträge im selben Betrieb gleichzeitig Anwendung finden müßten. Dies widerspräche dem Prinzip der Tarifeinheit, nach dem in einem Betrieb nur die Tarifverträge einer Branche Anwendung finden sollen und die maßgebende Branche nach dem überwiegenden Betriebszweck bestimmt wird (BAGE 35, 239, 249 = AP Nr. 24 zu § 59 HGB; BAGE 4, 37 = AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Unter mehreren Tarifverträgen ist dann - entsprechend dem überwiegenden Betriebszweck - dem sachnäheren Tarifvertrag der Vorzug zu geben, d.h. dem Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird. Das ist vorliegend der MTV Buchhandel. Damit sind die Fälle der Tarifpluralität im Ergebnis nach den Regeln der Tarifkonkurrenz zu lösen (vgl. BAG Urteil vom 14. Juni 1989, aaO, mit weiteren Nachweisen).
Der Grundsatz der Tarifeinheit hat zwar im Tarifvertragsgesetz keinen Niederschlag gefunden, folgt aber aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Tarifbindung des Arbeitgebers an die Tarifverträge einer Branche als Anknüpfungspunkt gewährleistet eine vom Wechsel der Arbeitnehmer und vom Zufall unabhängige betriebseinheitliche Anwendung desjenigen Tarifvertrags, der den Erfordernissen des Betriebs und der beschäftigten Arbeitnehmer am ehesten entspricht. Rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeiten, die sich aus einem Nebeneinander oder aus der Nichtanwendung von Tarifverträgen in einem Betrieb ergeben, werden dadurch vermieden. Demgegenüber wird eingewendet, eine Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1 TVG) sei für das einzelne Arbeitsverhältnis nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit von Bedeutung (Konzen in dem von der Beklagten vorgelegten Rechtsgutachten). Bestehe für den Arbeitnehmer mangels Mitgliedschaft in der vertragsschließenden Gewerkschaft keine Tarifbindung an den Tarifvertrag, der für die Branche des Arbeitgebers gelte, werde ein im übrigen auf das Arbeitsverhältnis wegen seiner Allgemeinverbindlichkeit anzuwendender Tarifvertrag nicht verdrängt. Der Nachteil, daß dann in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander anzuwenden seien, sei hinzunehmen (Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Konzen, RdA 1978, 146). Diese Einwände hat der Senat in seinem Urteil vom 14. Juni 1989 (aaO) zurückgewiesen. Daran hält der Senat fest.
Wenn - wie im vorliegenden Fall - der Geltungsbereich eines Tarifvertrags - hier: MTV Buchhandel - den Betrieb bzw. das Unternehmen als Ganzes erfaßt, kommt darin der Wille der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, die gesamte Belegschaft zu erfassen. Damit entspricht der Grundsatz der Tarifeinheit insoweit auch dem Willen der Tarifvertragsparteien des MTV Buchhandel. Wenn hierbei Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft sind, nicht ohne weiteres den unabdingbaren Schutz der tariflichen Regelungen erlangen, ist dies hinzunehmen. Ebenso wie bei einer Tarifgebundenheit des Arbeitgebers Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG bei Bestehen einer tariflichen Regelung auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ausgeschlossen werden, weil die Arbeitnehmer durch Beitritt zur tarifvertragsschließenden Gewerkschaft den unabdingbaren Schutz der tariflichen Regelungen jederzeit erlangen können (BAGE 54, 191, 207 = AP Nr. 21 zu § 77 BetrVG 1972), gilt dies entsprechend auch bei der Anwendung eines an die Tarifbindung des Arbeitgebers anknüpfenden Tarifvertrags. Durch Beitritt zu einer tarifvertragsschließenden Gewerkschaft können die Arbeitnehmer der Klägerin den unabdingbaren Schutz des MTV Buchhandel erlangen. Abgesehen davon wendet die Klägerin bereits jetzt - auch ohne entsprechende Tarifbindung ihrer Arbeitnehmer - den MTV Buchhandel auf alle Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer an.
Die Anwendung mehrerer Tarifverträge, die von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurden, in einem Betrieb nebeneinander muß zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG). Insoweit genügt eine Tarifbindung des Arbeitgebers. Ist ein Arbeitgeber aber an zwei Tarifverträge gebunden, muß insoweit jedenfalls entschieden werden, welcher von den beiden Tarifverträgen im Betrieb Anwendung finden soll (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 166), weil für gleiche oder ähnliche Fragen nicht unterschiedliche Regelungen gelten können. Eine Abgrenzung zwischen (für den ganzen Betrieb geltenden) Betriebsnormen und (nur für tarifgebundene Arbeitsverhältnisse geltenden) Inhaltsnormen bereitet oft tatsächliche Schwierigkeiten, zumal auch hier Überschneidungen möglich sind. Deshalb ist allein die betriebseinheitliche Anwendung des branchenspezifischen Tarifvertrags unter Anknüpfung an die Tarifbindung des Arbeitgebers geeignet, tatsächliche Schwierigkeiten bei der Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb zu vermeiden (BAG Urteil vom 14. Juni 1989, aaO).
Wollte man vorliegend nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz den MTV Buchhandel gegenüber dem TV Altersversorgung 1986 nur dann anwenden, wenn beide Parteien des Arbeitsvertrags an beide Tarifverträge gebunden wären, setzte dies die Mitgliedschaft der Redakteure in einer Gewerkschaft voraus, die den TV Altersversorgung 1986 abgeschlossen haben, und damit eine rechtlich nicht begründbare und tatsächlich nicht durchsetzbare Pflicht zur Offenbarung der Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber der Klägerin, die im Streitfall auch noch zu beweisen wäre. Außerdem wären Änderungen durch Wechsel der Gewerkschaftszugehörigkeit unvermeidlich. Demgegenüber ermöglicht der betriebseinheitliche Vorrang des branchenspezifischen Tarifvertrags eine rechtlich klare und tatsächlich praktikable Lösung. Darauf hat der Senat ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 14. Juni 1989 (aaO) hingewiesen. Dies hat auch Konzen in seinem dem Senat vorgelegten Gutachten anerkannt, ohne eine Lösung dieser Schwierigkeit anzubieten. Der Senat hat daher keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.
Entgegen der Auffassung von Konzen in dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten verstößt der Senat mit seiner Rechtsprechung zur Tarifpluralität auch nicht gegen die Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes über die Tarifbindung oder gegen die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Den Tarifvertragsparteien ist es unbenommen, für ihre Mitglieder Tarifnormen zu schaffen. Wenn es hierbei aber bei dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags zu Überschneidungen mit dem Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags kommt, bietet das Tarifvertragsgesetz keine ausdrückliche Lösung. Deshalb ist es insoweit Sache der Gerichte, diese Frage nach übergeordneten Prinzipien zu lösen. Hierzu gehört der Grundsatz der Tarifeinheit, der letztlich auf dem Gedanken der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beruht. Auch die Koalitionsfreiheit ist nicht tangiert. Sie ist ohnehin nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur in ihrem Kernbereich geschützt (BVerfGE 57, 220, 246 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG, mit weiteren Nachweisen). Wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein Tarifvertrag einen anderen Tarifvertrag verdrängt, betrifft dies im allgemeinen nur einen geringen Teil des (betrieblichen oder persönlichen) Geltungsbereichs des Tarifvertrags, nämlich soweit Überschneidungen vorliegen. Dies berührt nicht den Kernbereich der Koalitionsfreiheit und ist hinzunehmen, zumal die Zurückdrängung eines Tarifvertrags bei echten Tarifkonkurrenzen ohnehin unvermeidlich ist, gleichgültig welchem Tarifvertrag man den Vorrang gibt, weil die gleichzeitige Anwendung unterschiedlicher Tarifverträge sowohl dem Willen der Tarifvertragsparteien beider Tarifverträge widerspräche, die den jeweils anderen Tarifvertrag gerade nicht in ihrem gemeinsamen Willen aufgenommen haben, als auch zu Wertungswidersprüchen führen müßte.
Da somit der MTV Buchhandel nach dem Grundsatz der Tarifeinheit den Betrieb der Klägerin als Ganzen und damit auch die Redakteure H, Dr. K und Dr. R erfaßt, könnte der TV Altersversorgung 1986 neben dem MTV Buchhandel nur dann Anwendung finden, wenn es sich insoweit um eine Ergänzung des MTV Buchhandel handelte. Dies ist jedoch zu verneinen. Wenn die für einen Betrieb im Hinblick auf seine Branche und die Tarifbindung des Arbeitgebers allein zuständigen Tarifvertragsparteien (hier: die Tarifvertragsparteien des MTV Buchhandel) eine Ergänzung ihrer tariflichen Regelungen durch branchenfremde Tarifvertragsparteien zulassen wollen, setzt dies einen entsprechenden Willen dieser Tarifvertragsparteien voraus. Hierfür besteht vorliegend kein Anhaltspunkt. Der Wille anderer - insoweit unzuständiger - Tarifvertragsparteien, einzelne Arbeitsverhältnisse eines branchenfremden Bereichs zu erfassen, genügt insoweit nicht. Auch wenn die Altersversorgung im MTV Buchhandel nicht geregelt ist, besagt dies nicht, daß die Tarifvertragsparteien damit die tarifliche Regelung der Altersversorgung für andere Tarifvertragsparteien offenhalten wollten. Es liegt im Rahmen der Tarifautonomie, ob Tarifvertragsparteien zum Beispiel auf Regelungen über eine zusätzliche Altersversorgung verzichten und stattdessen bessere Arbeitsbedingungen auf anderen Gebieten vereinbaren.
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Schaub Schneider Dr. Etzel
Dr. Koffka H. Hauk
Fundstellen
BB 1991, 344 |
BB 1991, 344-345 (LT1-4) |
DB 1990, 2527-2528 (LT1-4) |
NZA 1991, 202-204 (LT1-4) |
RdA 1990, 384 |
ZAP, EN-Nr 30/91 (S) |
AP § 4 TVG Tarifkonkurrenz (LT1-4), Nr 19 |
EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz, Nr. 5 (LT1-4, ST1) |