Entscheidungsstichwort (Thema)
AWbG “Nordsee – Müllkippe Europas?!”
Leitsatz (amtlich)
- Teilt ein anspruchsberechtigter Arbeitnehmer i.S.v. § 2 AWbG dem Arbeitgeber ordnungsgemäß nach § 5 Abs. 1 AWbG mit, er nehme für eine zeitlich und inhaltlich bestimmte Bildungsveranstaltung Arbeitnehmerweiterbildung in Anspruch, so gerät der Arbeitgeber bei Nichterfüllung in Schuldnerverzug, wenn die Bildungsveranstaltung als anerkannt i.S.v. § 9 AWbG gilt und keine Leistungsverweigerungsgründe i.S.v. § 5 Abs. 2 AWbG der gewünschten Freistellung von der Arbeitspflicht entgegenstehen.
- Lehnt der Arbeitgeber die Freistellung für eine Bildungsveranstaltung ab, weil sie vermeintlich nicht den Zielen der Arbeitnehmerweiterbildung dient, kann ein Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Arbeitnehmerweiterbildung für andere Veranstaltungen nicht seinen Verzug beenden.
- Ist der auf das Kalenderjahr bezogene Arbeitnehmerweiterbildungsanspruch während des Verzuges untergegangen, ist der Arbeitgeber in Wege der Naturalrestitution verpflichtet, zusätzlich zum laufenden Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung Ersatzfreistellung zu gewähren. Dieser Schadenersatzanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB.
Normenkette
Nordrhein-westfälisches Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung (AWbG) § 1 Abs. 2, §§ 2-3, 5 Abs. 1-2, § 9 Sätze 1-2; BGB §§ 195, 196 Nr. 8, § 249 S. 1, § 280 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 287 S. 2, § 295
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 15.04.1994; Aktenzeichen 4 (14) Sa 872/91) |
ArbG Köln (Urteil vom 12.07.1991; Aktenzeichen 5 Ca 2940/91) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 15. April 1994 – 4 (14) Sa 872/91 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als die Anschlußberufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12. Juli 1991 – 5 Ca 2940/91 – zurückgenommen worden ist.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin für eine weitere Bildungsveranstaltung an 5 Arbeitstagen freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung – Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) –.
Die Klägerin ist seit dem 1. August 1980 als kaufmännische Angestellte in dem in Nordrhein-Westfalen gelegenen Betrieb der Beklagten beschäftigt. Sie teilte der Beklagten am 11. März 1991 unter Beifügung der Teilnahmebestätigung des vom Streithelfer getragenen “Bildungswerk für Friedensarbeit – staatlich anerkannte Einrichtung der Weiterbildung” mit, daß sie Arbeitnehmerweiterbildung vom 21. bis 27. April 1991 für die Lehrveranstaltung “Nordsee – Müllkippe Europas!?” in Anspruch nehmen wolle. Am 18. März 1991 erklärte die Beklagte, sie sei mit der Teilnahme nicht einverstanden, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AWbG nicht erfüllt seien. Nach Ablehnung der Freistellung zur Weiterbildung gewährte die Beklagte der Klägerin für die Arbeitstage Montag, den 22. April 1991 bis Freitag, den 26. April 1991, Urlaub. Die Klägerin nahm an der auf der Insel Föhr durchgeführten Veranstaltung mit folgendem Ablaufplan teil:
“ Sonntag, den 21.04.1991 |
18.00 Uhr |
Ankunft, Begrüßung, Zimmerverteilung |
anschließend Abendbrot |
19.30 – 21.00 Uhr |
Einführung in das Thema: |
Die Naturräume des Wattenmeeres (Ref.) |
21.15 – 21.30 Uhr |
Pause |
21.30 – 22.45 Uhr |
Diskussion des Referates |
Analyse der TeilnehmerInnen-Motivation |
Montag, den 22.04.1991 |
8.00 Uhr |
Frühstück |
9.45 – 10.30 Uhr |
Ref.: Die historische Entwicklung des Wattenmeeres |
10.45 – 11.30 Uhr |
Dia-Vortrag: Entstehung von Halligen und deren wirtschaftliche und küstentechnische Bedeutung heute |
11.30 – 11.45 Uhr |
Pause |
11.45 – 12.30 Uhr |
Diskussion des Referates anschließend Mittagessen |
15.00 – 18.00 Uhr |
Ref.: die historischen Besonderheiten der Insel; anschl. angeleitete Führung |
19.00 – 20.30 Uhr |
Abendbrot |
Dienstag, den 23.04.1991 |
8.00 – 9.00 Uhr |
Frühstück |
9.15 – 10.45 Uhr |
Ref.: Probleme der Schadstoffanreicherung innerhalb der Nahrungsketten |
11.00 – 11.45 Uhr |
Diskussion des Referates |
12.00 – 12.45 Uhr |
Besuch des Informationszentrums Wattenmeer, |
Ref.: Die Arbeit einer Schutzstation; anschl. Mittagessen |
15.00 – 16.30 Uhr |
Ref.: Die Bedrohung der Vogelwelt und deren Bedeutung für die weltweite Population |
16.45 – 17.00 Uhr |
Diskussion des Referates |
17.15 – 18.45 Uhr |
Angeleitete vogelkundliche Exkursion |
19.00 – 20.30 Uhr |
Abendbrot |
21.00 – 22.30 Uhr |
Film: “Wenn Sylt versinkt”, |
anschl. Diskussion |
Mittwoch, den 24.04.1991 |
8.00 – 9.00 Uhr |
Frühstück |
9.15 – 10.45 Uhr |
Ref.: Die Wege des Mülls |
11.00 – 12.30 Uhr |
Watt-Exkursion (Watt-, Strand- und Spülsaumfunde werden gesammelt und erläutert); |
anschl. Mittagessen |
14.00 – 15.30 Uhr |
Besuch des Umweltzentrums Wattenmeer in Wyk, um dort die Funde mit Hilfe von Mikroskopen und Aquarien hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen und Nahrungsnetzbeziehungen zu beobachten; |
anschl. Abendbrot |
19.30 – 21.00 Uhr |
Ref.: Kulturen an der Nordsee und deren wirtschaftliche Grundlagen |
Donnerstag, den 25.04.1991 |
8.00 – 9.00 Uhr |
Frühstück |
9.15 – 10.30 Uhr |
Ref.: Gefährdung des Wattenmeers und der Naturkreisläufe durch die Eintragung des Schiffsverkehrs: fester Müll, Brennstoffrückstände und Probleme des Tourismus |
10.45 – 11.30 Uhr |
Diskussion des Referates |
11.45 – 12.30 Uhr |
angeleitete Führung durch die naturkundliche Ausstellung des Wattenmeeres (Naturpark Schleswig-Holstein) und Erläuterungen zu den Auswirkungen der Ölförderung |
13.00 – 14.00 Uhr |
Mittagessen |
15.00 – 16.30 Uhr |
Ref.: Nationalparkgesetz und die politischen Hintergründe und deren Auswirkungen auf die Gesetzgebung (vom Abend vorgezogen) |
16.45 – 17.30 Uhr |
Ref.: Pilotprojekt: Grüne Insel |
Naturschutz contra Industrieansiedlung (vom Abend vorgezogen) |
nach dem Abendbrot |
Besuch der Bürgeranhörung im Stadtrat zum integrierten Umweltschutzkonzept (ca. 2 Stunden) |
Freitag, den 26.04.1991 |
8.00 – 9.00 Uhr |
Frühstück |
9.30 – 11.00 Uhr |
Angeleitete Führung durch das Klärwerk Föhr |
11.15 – 12.00 Uhr |
Ref.: Klärwerkspolitik bundesweit und wie handeln die Wasserwerke und die EndverbraucherInnen |
12.15 – 13.30 Uhr |
Mittagessen |
15.00 – 18.00 Uhr |
Ref.: Interessengegensätze an der Nordsee anschl. AG's zum Thema: Was kann der Endverbraucher/die Endverbraucherin tun? |
(Beispiele: Politik der Segelverbände, der Dt. Erdöl AG) |
19.00 – 20.00 Uhr |
Abendbrot |
20.15 – 21.45 Uhr |
Lernzielanalyse/Seminarkritik |
Samstag, den 27.04.1991 |
8.00 – 9.00 Uhr |
Frühstück |
10.30 Uhr |
Überfahrt auf's Festland |
12.30 – 13.15 Uhr |
Erläuterung am Hauke-Hain Koog: |
Eindeichung contra Naturschutz? |
anschl. Abreise/Rückfahrt” |
Mit der am 8. Mai 1991 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Besuch der Veranstaltung habe der politischen Weiterbildung gedient. Wegen der rechtswidrig verweigerten Freistellung sei die Beklagte zur Gewährung von Ersatzurlaub verpflichtet.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 5 Tage Erholungsurlaub aus 1991 nachzugewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin im Wege der Anschlußberufung zusätzlich beantragt,
- hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für eine weitere einwöchige Arbeitnehmerweiterbildung zusätzlich zu dem Weiterbildungsanspruch aus dem laufenden Kalenderjahr freizustellen,
- hilfsweise dazu festzustellen, daß der Klägerin für die Zeit vom 22. bis 26. April 1991 Weiterbildungsurlaub nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz zustand.
Die Beklagte hat demgegenüber die Einrede der Verjährung erhoben und beantragt,
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und hilfsweise ihre im Rahmen der Anschlußberufung gestellten Anträge. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Klägerin ist nur zum Teil begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage auf Urlaubsgewährung abgewiesen; denn die Klägerin hat weder einen Anspruch auf 5 Tage Rest- noch Ersatzurlaub aus dem Urlaubsjahr 1991.
1. Nach der von dem Landesarbeitsgericht zutreffend wiedergegebenen Senatsrechtsprechung ist der von der Klägerin geltend gemachte Resturlaubsanspruch durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Beklagte hat im Streitfall auf Wunsch der Klägerin deren Urlaub für die Arbeitstage 22. bis 26. April 1991 festgelegt (§ 7 Abs. 1 BUrlG). Da an diesen Tagen ansonsten Arbeitspflicht bestand und der Urlaubsanspruch im übrigen erfüllbar war, ist als objektive Folge der Freistellungserklärung der Beklagten die Erfüllungswirkung eingetreten und insoweit der Urlaubsanspruch der Klägerin erloschen (BAGE 74, 99, 104 = AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu I 1 der Gründe; Senatsurteile vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 251/92 – n.v.; vom 24. August 1993 – 9 AZR 409/90 – n.v.; vom 15. Juni 1993 – 9 AZR 261/90 – AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu III der Gründe; vom 8. Dezember 1992 – 9 AZR 81/92 – n.v.).
2. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, die von der Klägerin in Anspruch genommenen Urlaubstage nachzugewähren.
Nach der Rechtsprechung des Senats besteht keine gesetzliche Regelung, nach der ursprünglich nicht gewollter, dann aber doch beantragter und gewährter Urlaub später nachzugewähren sei (BAG Urteil vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 251/92 – n.v.).
II. Die Revision gegen die Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin ist begründet.
Die Anschlußberufung der Klägerin vom 28. Februar 1994 ist zulässig. Die nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingelegte Anschlußberufung entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 522a Abs. 2 und 3 ZPO.
Die Anschlußberufung ist auch begründet; denn die Beklagte ist nach §§ 284 Abs. 1, 280 Abs. 1, 287 Satz 2, 249 Satz 1 BGB zur Herstellung des Zustandes verpflichtet, der bestehen würde, wenn der von ihr zu vertretene Untergang des Arbeitnehmerweiterbildungsanspruches aus dem Jahr 1991 nicht eingetreten wäre.
1. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Rechtsprechung zum Urlaubsrecht angenommen, daß der nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Nichterfüllung zu ersetzende Schaden in der Gewährung von Arbeitsbefreiung im gleichen Umfang bestehe (BAGE 52, 254 = AP Nr. 5 zu § 44 SchwbG; BAGE 50, 124 = AP Nr. 16 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch; BAGE 49, 299 = AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub). Für das Bildungsurlaubsrecht gilt nicht anderes. Es besteht ein Ersatzanspruch auf Freistellung zur Arbeitnehmerweiterbildung, wenn der Arbeitgeber sich mit seiner Verpflichtung zur Freistellung für eine anerkannte Bildungsveranstaltung i.S.v. § 9 AWbG in Verzug befand und der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AWbG auf das Kalenderjahr befristete Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung infolge Zeitablaufs untergegangen ist (BAGE 73, 225, 227 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsUrlaubsG NRW, zu I der Gründe; BAGE 74, 99, 110 = AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 9. Mai 1995 – 9 AZR 185/94 – EzA § 7 AWbG NW Nr. 21, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts sind im Streitfall sämtliche Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs erfüllt.
a) Die Beklagte hat den Untergang des Arbeitnehmerweiterbildungsanspruchs mit Ablauf des Jahres 1991 zu vertreten (§ 280 Abs. 1; § 287 Satz 1 BGB). Die Beklagte ist nach dem Zugang der Mitteilung der Klägerin vom 11. März 1991 in Schuldnerverzug geraten (§ 284 Abs. 2 BGB). Die Mitteilung der Klägerin entsprach der Form und dem Inhalt nach den gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AWbG. Da die von der Klägerin für die Weiterbildung in Anspruch genommene Veranstaltung “Nordsee – Müllkippe Europas!?” als anerkannte Bildungsveranstaltung i.S.v. § 9 AWbG galt und keiner der gesetzlichen Ablehnungsgründe des § 5 Abs. 2 Satz 1 AWbG vorlag, war die Beklagte spätestens zu dem von der Klägerin bestimmten Zeitpunkt des Beginns der Bildungsveranstaltung am 21. April 1991 zur Abgabe der Freistellungserklärung verpflichtet. Da die Beklagte nicht zu der bestimmten Zeit geleistet hat, kam sie in Verzug (§ 284 Abs. 2 Satz 1 BGB).
b) Die von dem Bildungswerk des Streithelfers in der Zeit vom 21. April bis 27. April 1991 durchgeführte Bildungsveranstaltung “Nordsee – Müllkippe Europas!?” hat als anerkannt im Sinne von § 9 Satz 1 AWbG zu gelten, denn sie hat entsprechend § 1 Abs. 2 AWbG der politischen Weiterbildung gedient und ist entsprechend den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes (WbG) durchgeführt worden.
aa) Der Senat hat den Begriff politische Weiterbildung unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 15. Dezember 1987 (BVerfGE 77, 308 = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG = EzA § 7 AWbG Nr. 1) herausgestellten verfassungrechtlichen Prüfungsmerkmale ausgelegt. Danach entzieht sich der Begriff politische Weiterbildung in § 1 Abs. 2 AWbG einer abschließenden, ausschließlich auf Sachthemen bezogenen Definition. Zu Abgrenzungszwecken ist auf das vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Ziel der politischen Weiterbildung “das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern (BVerfG Beschluß vom 15. Dezember 1987, aaO) abzustellen (BAGE 74, 99, 105, 106 = AP, aaO, zu I 2c aa der Gründe; BAG Urteil vom 9. Mai 1995 – 9 AZR 185/94 – EzA, aaO; BAG Urteil vom 24. Oktober 1995 – 9 AZR 431/94 – DB 1996, 145; BAG Urteil vom 24. Oktober 1995 – 9 AZR 433/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Dazu ist erforderlich, daß nach dem didaktischen Konzept sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerneinheiten das Erreichen des Zieles der politischen Weiterbildung uneingeschränkt ermöglicht wird (§ 4 AWbG). Von diesem Begriff ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Die von der Beklagten gegen diese vermeintlich extensive Auslegung des Begriffes erhobenen Bedenken sind vor allem rechtspolitischer Natur. Die Gerichte für Arbeitssacher. sind aber nicht zur Beurteilung der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der nordrhein-westfälischen Regelung berufen. Der erkennende Senat sieht daher keinen Anlaß zur Änderung seiner Rechtsprechung.
bb) Die Beklagte macht weiterhin erfolglos geltend, das Landesarbeitsgericht habe die Prüfung unterlassen, ob die Klägerin überhaupt politisch weiterbildungsbedürftig gewesen sei. Die Revision verkennt insoweit den Begriff der Arbeitnehmerweiterbildung. Nach § 2 AWbG i.V.m. § 1 Abs. 2 WbG wird allen Arbeitnehmern in Nordrhein-Westfalen unabhängig von ihren Vorkenntnissen die Möglichkeit eröffnet, nach Beendigung der Schul-, Hochschulbildung oder Berufsausbildung sich weiterzubilden. Die Revision übersieht, daß das AWbG keine individuelle Prüfung der Erforderlichkeit der politischen Weiterbildung vorsieht. Deshalb kommt es weder auf das Bestehen von Vorkenntnissen noch darauf an, ob die Weiterbildung für die Übernahme politischer Funktionen erforderlich ist.
cc) Das Landesarbeitsgericht hat den aus der Rechtsprechung des Senats übernommenen Begriff politische Weiterbildung auch zutreffend angewandt. Auf dieser Grundlage ist es zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, daß die aus dem Ablaufplan zu entnehmenden Lernziele der Veranstaltung darin lagen, das Interesse der teilnehmenden Arbeitnehmer für die Umweltschutzpolitik zu wecken und sie zu motivieren, sich mit dem Beziehungsgeflecht zwischen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, den politischen Rahmenbedingungen, den Bedürfnissen der Wirtschaft und den sozialen Folgewirkungen näher zu befassen und an der gesellschaftlichen Diskussion über den Umweltschutz mitzuwirken. Das Landesarbeitsgericht ist zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, daß der Ablaufplan sowohl hinsichtlich seiner Inhalte als auch seiner zeitlichen Gewichtung auf diese Ziele ausgerichtet war. Die Beklagte hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben.
dd) Die Beklagte rügt, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend zwischen Politik und Umweltschutz differenziert. Die Anleitung zu umweltgerechtem Verhalten sei noch keine politische Bildung. Zutreffend ist daran, daß die Vermittlung von Kenntnissen und Qualifikationen für den privaten ökologischen Alltag noch keine politische Bildung beinhaltet. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 15. Juni 1993 (– 9 AZR 411/89 “Rund um den ökologischen Alltag”, AP Nr. 5 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) erkannt und in dem hier vergleichbaren Fall am 24. August 1993 (– 9 AZR 240/90 – BAGE 74, 99, 109 = AP, aaO, zu I 2b cc der Gründe, “Ökologische Wattenmeerexkursion”) bestätigt. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sich die Bildungsveranstaltung hier allerdings nicht in der Vermittlung von ökologischem Wissen für den privaten Umgang erschöpft. Das verkennt die Beklagte. Im Unterschied zu der vom erkennenden Senat beurteilten Tauchsportveranstaltung “Das Meer – Resource und Abfalleimer” (BAG Urteil vom 24. Oktober 1995 – 9 AZR 433/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen) ergibt sich auch nicht aus dem vorliegenden Ablaufplan, daß politische Kenntnisse nur am Rande und im wesentlichen Naturerlebnisse vermittelt worden sind. Die Ansicht der Beklagten, Politik sei Gestaltung der Rahmenbedingung, überspannt die Anforderungen an politische Bildung. Die teilnehmenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen nicht am Schluß der Weiterbildung befähigt werden, die politischen Gestaltungsaufgaben für den Naturraum Wattenmeer selbst wahrzunehmen. Es ist ausreichend, wenn das Verständnis der Teilnehmer durch die Weiterbildung für die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge des Umweltschutzes am Beispiel des Naturraumes Wattenmeer gefördert wird. Dazu war die von der Klägerin besuchte Veranstaltung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts geeignet.
c) Die von der Klägerin besuchte Veranstaltung ist auch nach den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt worden.
Das Bildungswerk für Friedensarbeit ist eine anerkannte Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft (§ 9 Satz 1a 2. Alternative AWbG). Das Bildungswerk für Friedensarbeit hat auch die von der Klägerin besuchte Bildungsveranstaltung durchgeführt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt der Begriff Durchführung voraus, daß der Durchführende bestimmenden Einfluß darauf hat, ob die Veranstaltung stattfindet, wie sie inhaltlich gestaltet wird, wer unterrichtet und wer teilnimmt (BAGE 61, 176 = AP Nr. 3 zu § 9 BildungsurlaubsG NRW). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das hat die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt.
d) Die von der Klägerin besuchte Bildungsveranstaltung ist auch nicht nach § 9 Satz 2 AWbG von der Arbeitnehmerweiterbildung ausgenommen.
Nach § 9 Satz 2 AWbG sind Bildungsveranstaltungen ausgenommen, die der Gewinnerzielung dienen. Soweit die Beklagte “die ideologische Ausrichtung des Veranstalters” rügt, verkennt sie, daß die Gerichte für Arbeitssachen nicht zu einer ideologischen Überprüfung der Veranstalter befugt sind. Im übrigen sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur fehlenden Gewinnerzielungsabsicht des Streithelfers nicht zu beanstanden. Das zuständige Landesministerium hat bei der Anerkennung der Bildungsstätte nach § 23 Abs. 2 Nr. 5 WbG überprüft, daß das Angebot an Lehrveranstaltungen nicht der Gewinnerzielung dient. Der Träger muß zur Kontrolle seines Finanzgebahrens nach § 23 Abs. 2 Nr. 8 WbG bereit sein und dem zuständigen Regierungspräsidenten nach § 28 Abs. 5 WbG jederzeit Einblick in den Betrieb der Einrichtung geben. Anhaltspunkte dafür, daß die nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts mit Verlust abgeschlossene Bildungsveranstaltung des Streithelfers der Gewinnerzielung dient, sind nicht ersichtlich.
3. Der seit dem 21. April 1991 bestehende Schuldnerverzug der Beklagten ist nicht bis zum Ablauf des Jahres 1991 beendet worden. Die Revision der Klägerin rügt zu Recht die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe den Verzug durch das Angebot der von ihr geschuldeten Leistung beendet.
Zwar kann der Schuldnerverzug beendet werden, wenn der Schuldner dem Gläubiger die Leistung in einer Weise anbietet, daß dessen Annahmeverzug begründet wird (Palandt/Heinrichs, BGB, 55. Aufl., § 284 Rz 29; MünchKomm-Thode, 3. Aufl., § 284 BGB Rz 46). Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgericht sind jedoch die Voraussetzungen für einen Annahmeverzug der Klägerin nicht erfüllt. Ob der bloße Hinweis im Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 28. Juni 1991, “daß der Klägerin selbstverständlich noch ihr Freistellungsanspruch aus dem AWbG-NW für das Jahr 1991 zusteht” als wörtliches Angebot i.S. des § 295 BGB angesehen werden kann, ist zweifelhaft. Das bedarf aber keiner abschließenden Klärung. Ein Annahmeverzug der Klägerin scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte die Erfüllung des Freistellungsanspruches nach dem AWbG nicht ordnungsgemäß angeboten hat (§ 294 BGB). Im Streitfall hat die Beklagte vielmehr ihre Auffassung aufrechterhalten, daß für den Besuch von Bildungsveranstaltungen der streitgegenständlichen Art die Klägerin nicht von ihrer Arbeitspflicht freizustellen sei. Damit hat die Beklagte die Abgabe der geschuldeten Freistellungserklärung zumindest unter einen Vorbehalt gestellt. Denn die Beklagte hatte sich nicht dazu bereiterklärt, bei erneuter Mitteilung i.S.v. § 5 Abs. 1 AWbG der Klägerin für die Inanspruchnahme einer Veranstaltung derselben Art politischer Weiterbildung Freistellung zu gewähren. Wird aber die Leistung unter einer unzulässigen Bedingung angeboten, wird kein Annahmeverzug begründet (BAG Urteil vom 3. Juli 1985 – 5 AZR 79/84 – AP Nr. 1 zu § 7 MuSchG 1968).
4. Der Ersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt. Die von der Beklagten erhobene Einrede ist unbegründet.
Befristete, auf das Kalenderjahr bezogene Freistellungsansprüche unterliegen nicht der Verjährung i.S.v. § 194 BGB (Dörner, DB 1995, 1174; Leinemann/Linck, BUrlG, § 7 Rz 205). Für Schadenersatzansprüche des Arbeitnehmers sind demgegenüber die Verjährungsfristen wieder anwendbar; denn die Ersatzansprüche sind unbefristet und beruhen auf einer anderen Rechtsgrundlage als die, an deren Stelle sie getreten sind. Für die Ersatzurlaubsansprüche gilt nach § 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren. Für die Anwendung der zweijährigen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB auf den Freistellungsanspruch (so GK-BUrlG/Bleistein, 5. Aufl., § 1 Rz 145) fehlt es an jeder Grundlage (MünchArbR/Leinemann, § 87 Rz 49).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Leinemann, Dörner, Düwell, Fr. Holze, Klosterkemper
Fundstellen
Haufe-Index 872297 |
BAGE, 328 |
BB 1996, 167 |
NZA 1997, 151 |