Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Gehaltsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Sechs-Wochen-Frist von § 63 HGB, § 616 BGB und § 133c GewO läuft im allgemeinen nur dann, wenn die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis voll in Wirksamkeit getreten sind. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle entsteht in jedem neuen Arbeitsverhältnis des Angestellten unabhängig von gleichartigen Ansprüchen aus einem vorausgegangen Arbeitsverhältnis (Weiterentwicklung u a von BAGE 42, 65 = AP Nr. 51 zu § 1 LohnFG).
Normenkette
HGB § 63; BGB §§ 616, 611, 387; GewO § 133c; LFZG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober 1988 – 8 Sa 970/88 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung dann, wenn der Angestellte nach Vertragsabschluß, aber vor Dienstantritt erkrankt, ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder ab Beginn des Arbeitsverhältnisses zu berechnen ist.
Der Kläger sollte nach einem im Dezember 1987 geschlossenen Vertrag ab 1. Januar 1988 als Verkaufsingenieur mit einem Gehalt von 5.250,-- DM brutto für die Beklagte tätig werden. Kurze Zeit nach Abschluß des Vertrages, am 16. Dezember 1987, erlitt der Kläger einen Unfall, bei dem er sich eine Fußverletzung zuzog. Aufgrund dieser Verletzung war er bis zum 8. Februar 1988 arbeitsunfähig krank. Am 9. Februar 1988 trat er die Arbeit bei der Beklagten an.
Die Beklagte zahlte dem Kläger das Gehalt für die Monate Januar und Februar 1988 zunächst voll aus, behielt dann aber vom Märzgehalt einen Betrag von 2.275,-- DM brutto ein, da die für die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle maßgebliche Frist von sechs Wochen mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und nicht erst mit Beginn des Arbeitsverhältnisses zu berechnen sei. Der Kläger hält dies für ungerechtfertigt und verlangt mit seiner Klage die Auszahlung des einbehaltenen Betrages.
Der Kläger hat vorgetragen, die Sechs-Wochen-Frist für die Gehaltsfortzahlung berechne sich ab Beginn des Arbeitsverhältnisses, d. h. ab 1. Januar 1988, so daß die Beklagte zu Einbehaltungen nicht berechtigt gewesen sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.275,-- DM brutto nebst 4 v. H. Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 20. Mai 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die Sechs-Wochen-Frist müsse ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit berechnet werden. Anderenfalls würden Arbeitnehmer, die während der Krankheit das Arbeitsverhältnis wechselten, gegenüber anderen Arbeitnehmern ohne Grund begünstigt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung bis zum 9. Februar 1988 zu. Die Beklagte war nicht berechtigt, das Gehalt des Klägers für den Monat März 1988 zu kürzen.
I. Die Frist für den Anspruch des Klägers auf Gehaltsfortzahlung begann am 1. Januar 1988 zu laufen.
1. Der Kläger hatte als Verkaufsingenieur im wesentlichen kaufmännische Dienste zu leisten und zählte daher zu der Gruppe der kaufmännischen Angestellten im Sinne von § 59 HGB, so daß auf sein Arbeitsverhältnis § 63 HGB anzuwenden ist. Wollte man ihn als technischen Angestellten einordnen, wäre die Bestimmung des § 133c Satz 1 GewO maßgeblich, was im Ergebnis keinen Unterschied bedeutete.
2. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB (entsprechend § 133c Satz 1 GewO) behält der Angestellte seinen Gehaltsanspruch bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch unverschuldetes Unglück an der Dienstleistung verhindert ist. Krankheit ist Unglück im Sinne der genannten Vorschriften. Der Kläger hat sich die Krankheit ohne eigenes Verschulden zugezogen. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit. Dieser erfaßt vielmehr zunächst die Frage, wann die Anspruchsfrist in Lauf gesetzt worden ist.
3. In Rechtsprechung (BAGE 10, 7 = AP Nr. 20 zu § 63 HGB mit zustimmender Anmerkung von Hueck; BAGE 11, 19 = AP Nr. 27 zu § 63 HGB mit zustimmender Anmerkung von Hefermehl; BAG Urteil vom 14. Juni 1974 – 5 AZR 467/73 – AP Nr. 36 zu § 1 LohnFG) und Schrifttum (MünchKomm-Schaub, 2. Aufl., § 616 BGB Rz 82; Schlegelberger/Schröder, HGB, 5. Aufl., § 63 Rz 6) wird die Auffassung vertreten, die Frist des § 63 HGB beginne grundsätzlich mit dem Tag zu laufen, der auf denjenigen folgt, an welchem die Dienstleistung des Angestellten wegen des Unglücks endete. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur dann, wenn am Tage nach dem Eintritt der Dienstverhinderung die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses, die Pflicht zur Arbeitsleistung und die Pflicht zur Gehaltsfortzahlung, in vollem Umfang wirksam sind (BAGE 10, 7, 10 f. = AP Nr. 20 zu § 63 HGB, zu III 2 der Gründe; BAGE 11, 19, 21 = AP Nr. 27 zu § 63 HGB; vgl. auch BAG Urteil vom 14. Juni 1974 – 5 AZR 467/73 – AP Nr. 36 zu § 1 LohnFG, zu 4 und 5 der Gründe). Ist der Angestellte dagegen nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet, weil das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes – § 6 Abs. 1 MuSchG, § 1 Abs. 1 ArbPlSchG – ruht, und besteht danach auch kein Anspruch des Angestellten auf Gehaltszahlung, ist die Anspruchsfrist des § 63 HGB solange gehemmt, bis die beiderseitigen Hauptpflichten wieder voll in Kraft treten. Diese Grundsätze, vom Ersten Senat für Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes entwickelt, hat der erkennende Senat in der Entscheidung vom 14. Juni 1974 auch auf Fallgestaltungen angewandt, in denen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis wegen eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs ruhten (AP Nr. 36 zu § 1 LohnFG, zu 4 der Gründe). Sie müssen ebenfalls maßgeblich sein, wenn das Arbeitsverhältnis noch gar nicht aktualisiert ist und die Hauptpflichten deswegen noch nicht wirksam geworden sind (noch offen gelassen von BAGE 11, 19, 23 = AP Nr. 27 zu § 63 HGB).
4. Dieses Ergebnis folgt aus Wortlaut wie Sinn des § 63 HGB (ebenso wie des § 616 BGB und des § 133c GewO).
a) Bereits der Wortlaut des § 63 HGB spricht dafür, daß die Anspruchsfrist erst dann beginnt, wenn das Arbeitsverhältnis mit seinen Hauptpflichten voll in Kraft getreten ist. Wenn es nämlich in der Bestimmung heißt, daß der Handlungsgehilfe seinen Anspruch auf Gehalt unter bestimmten Voraussetzungen “behält”, so bedeutet dies, daß der Anspruch vorher bereits entstanden sein muß. Denn behalten kann der Arbeitnehmer nur einen Anspruch, den er bereits erworben hat (so schon BAGE 11, 19, 22 = AP Nr. 27 zu § 63 HGB; vgl. ferner Blens-Vandieken, DB 1968, 441, 442; Hefermehl, Anm. zu BAG AP Nr. 27 zu § 63 HGB).
b) Sinn und Zweck des § 63 HGB (ebenso wie des § 616 BGB und des § 133c GewO) gehen dahin, abweichend von dem Grundsatz des § 323 BGB und in Ausgestaltung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sicherzustellen, daß dem Angestellten im Falle unverschuldeter Arbeitsverhinderung, insbesondere bei Krankheit, für eine gewisse Zeit die Lebensgrundlage des Arbeitseinkommens nicht entzogen wird. Der Angestellte soll daher den Gehaltsanspruch nicht wegen der durch unverschuldetes Unglück herbeigeführten Arbeitsverhinderung verlieren. Dient aber die Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfalle der sozialen Sicherung des Arbeitnehmers, so würde dieser Zweck nicht oder nur teilweise erreicht werden, wenn in die Sechs-Wochen-Frist Zeiten eingerechnet würden, während welcher das Arbeitsverhältnis noch gar nicht voll wirksam ist und der Arbeitnehmer kein Arbeitsentgelt erhält (BAGE 10, 7, 10 = AP Nr. 20 zu § 63 HGB, zu III 1 der Gründe; BAG Urteil vom 14. Juni 1974 – 5 AZR 467/73 – AP Nr. 36 zu § 1 LohnFG, zu 3 der Gründe; vgl. weiter Hefermehl, aaO; Brüggemann/Würdinger, HGB, 3. Aufl., § 63 Anm. 3; Stahlhacke/Bleistein, GewO, Stand Juli 1989, § 133c V 1c; Blens-Vandieken, aaO, S. 442 f.; anders MünchKomm-Schaub, § 616 BGB Rz 83; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III C II 4; Schmatz/Fischwasser/Geyer/Knorr, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., Stand August 1989, L 412; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., II. Teil, Rz 74, S. 272; Schlegelberger/Schröder, aaO, § 63 Rz 6; Thome, Lohnfortzahlung bei Arbeitsverhinderung, 1987, S. 27 f.; vgl. auch Landmann/Rohmer/Neumann, GewO, Stand März 1989, § 133c Rz 23).
II. Die Anspruchsfrist betrug im Streitfall sechs Wochen. Sie war am 8. Februar 1988 noch nicht abgelaufen. Die Zeit der Erkrankung des Klägers vor dem 1. Januar 1988 wird auf die Fristdauer nicht angerechnet, ohne Rücksicht darauf, ob er vor dem 1. Januar 1988 in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber gestanden hat oder nicht.
1. Der Anspruch des arbeitsunfähig erkannten Angestellten ist auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogen und erwächst in jedem Arbeitsverhältnis uneingeschränkt immer dann, wenn seine gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf sechs Wochen ist in das Gesetz aufgenommen worden, um die Arbeitgeber im Verhältnis zu den Krankenkassen nicht übermäßig zu belasten. Dieser Gesichtspunkt muß auch dann zur Geltung kommen, wenn es um die Vergütungsfortzahlungspflicht verschiedener Arbeitgeber geht. Im Gegensatz zu § 6 BUrlG, der einen Anspruch auf Urlaub verneint, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist, kennen die Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle einen derartigen Ausgleich zwischen verschiedenen Arbeitgebern nicht. Vielmehr ist für den Krankheitsfall stets auf das Vertragsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers zu ein und demselben Arbeitgeber abzustellen. Eine Anrechnung von Entgeltfortzahlungsfristen aus einem vorhergehenden Arbeitsverhältnis kommt nicht in Betracht.
Diese Grundsätze haben der Erste wie auch der erkennende Senat mehrfach für Anwendungsfälle des § 1 Abs. 1 LFZG entwickelt (BAGE 24, 90, 93 = AP Nr. 10 zu § 1 LohnFG, zu 2 der Gründe, mit zustimmender Anmerkung von Meisel; BAG Urteil vom 13. Januar 1972 – 5 AZR 314/71 – AP Nr. 11 zu § 1 LohnFG, mit zustimmender Anmerkung von Paulsdorff; BAGE 42, 65, 67 f. = AP Nr. 51 zu § 1 LohnFG, zu 2a der Gründe). Sie sind wegen der übereinstimmenden Interessenlage aber auch in gleicher Weise auf Fallgestaltungen anzuwenden, die dem Regelungsbereich des § 63 HGB, des § 616 BGB und des § 133c GewO entstammen. Daher kann auch nicht davon gesprochen werden, daß Angestellte, die während einer Erkrankung das Arbeitsverhältnis wechseln, ungerechtfertigt gegenüber anderen begünstigt würden.
2. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält der Arbeiter den Anspruch auf Arbeitsentgelt bis zur jeweiligen Dauer von sechs Wochen, wenn er “nach Beginn der Beschäftigung” durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne daß ihn ein Verschulden trifft. Diese Rechtsfolge gilt für Angestellte ohne die Einschränkung, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erst nach Beginn der Beschäftigung eingetreten sein darf. Angestellte haben Anspruch auf Gehaltsfortzahlung schon dann, wenn sie nach Abschluß des Arbeitsvertrages im Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme arbeitsunfähig krank sind (vgl. die Senatsurteile vom 27. Januar 1972, BAGE 24, 107, 110 = AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG, zu 4 der Gründe; sowie vom 10. Juni 1972 – 5 AZR 6/72 – AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG, zu 2 der Gründe, jeweils m. w. N.). Es braucht an dieser Stelle nicht untersucht zu werden, ob in der aufgezeigten unterschiedlichen gesetzgeberischen Behandlung eine sachlich nicht begründete Schlechterstellung der Arbeiter und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegen könnte (ablehnend noch Senatsurteil vom 10. Juni 1972 – 5 AZR 6/72 – AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG, aaO; vgl. dagegen den Vorlagebeschluß des Senats vom 5. August 1987 – 5 AZR 189/86 – AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG, zu II 2a der Gründe). Jedenfalls kommt eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG mit seinem Tatbestandsmerkmal “nach Beginn der Beschäftigung” auf § 63 HGB, § 616 BGB und § 133c GewO zu Lasten der Angestellten nicht in Betracht. Das Lohnfortzahlungsgesetz wollte die Rechtslage der Arbeiter im Krankheitsfalle verbessern. Diese gesetzgeberische Absicht erlaubt es nicht, die Rechtslage der Angestellten in einem unterschiedlich geregelten Punkt zu verschlechtern (vgl. BAGE 54, 308, 311 f. = AP Nr. 1 zu § 20a AVR, zu I 2 der Gründe, m. w. N.; ferner Kehrmann, AiB 1987, 55, 56).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Ascheid, Schleinkofer, Dr. Frey
Fundstellen
Haufe-Index 872087 |
BAGE, 354 |
BB 1990, 283 |
JR 1990, 308 |
RdA 1990, 62 |