Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Kündigungsfristen
Leitsatz (redaktionell)
Fortsetzung der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 460/91 – AP Nr. 36 zu § 622 BGB)
Normenkette
GG Art. 3; BGB § 622
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 16. Oktober 1996 – 7 Sa 191/96 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 20. Dezember 1995 – 10 b Ca 00477/95 I – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die am 22. Februar 1962 geborene Klägerin war bei der Beklagten, einem Unternehmen der Bekleidungsindustrie, seit 5. November 1979 als gewerbliche Arbeitnehmerin in deren Zweigbetrieb in G. beschäftigt. Die Beklagte hat diesen Zweigbetrieb stillgelegt und der Klägerin, die dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat angehörte, am 17. Februar 1995 zunächst zum 17. März 1995 gekündigt. Der Kündigungstermin ist später auf den 31. März 1995 korrigiert worden und die Parteien streiten nur noch darüber, ob die von der Beklagten einzuhaltende Kündigungsfrist nach der einschlägigen Tarifregelung richtig berechnet worden ist oder gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. bis zum 30. April 1995 lief.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der – im übrigen allgemeinverbindliche – Manteltarifvertrag vom 17. Mai 1979 für gewerbliche Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie in der Bundesrepublik Deutschland, gültig ab dem 1. Januar 1980 (im folgenden: MTV) Anwendung.
Dieser enthält – zuletzt in der Fassung vom 29. September 1994 – u.a. folgende Regelung:
„§ 22
Lösung des Arbeitsverhältnisses
- Die beiderseitige Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen. Die Kündigung kann nur zum Wochenschluß erfolgen.
Kündigt der Arbeitgeber, so beträgt die Kündigungsfrist:
- nach Vollendung des 30. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren einen Monat zum Monatsende,
- nach Vollendung des 35. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren zwei Monate zum Monatsende,
- nach Vollendung des 45. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren drei Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.
- Die gesetzlichen Bestimmungen über die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses bleiben unberührt.
…
§ 23
Anrechnung früherer Betriebszugehörigkeit
1. Die frühere Beschäftigungszeit eines Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber wird auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit angerechnet, wenn
- das Arbeitsverhältnis nach mindestens dreijähriger Betriebszugehörigkeit wegen betriebsbedingter Erfordernisse durch den Arbeitgeber gekündigt wurde, die Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses jedoch innerhalb von zwei Jahren erfolgt,
- das Arbeitsverhältnis aufgrund von Kurzarbeit von mehr als sechs Wochen durch den Arbeitnehmer gekündigt wurde und nicht länger als zwei Jahre unterbrochen war,
- das Arbeitsverhältnis unmittelbar nach einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme bei demselben Arbeitgeber wieder aufgenommen wird,
- bei Niederkunft das Arbeitsverhältnis nach Ablauf des Zeitraumes, in dem eine Kündigung unzulässig ist, nicht länger als drei Jahre unterbrochen war, ohne daß die Arbeitnehmerin in dieser Zeit erwerbstätig ist,
- das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen des Arbeitnehmers oder wegen der Pflegebedürftigkeit von Kindern, Ehegatten oder Eltern nicht länger als drei Jahre unterbrochen war und der Arbeitnehmer in solchen Fällen ein amtsärztliches Attest vorgelegt hat, ohne daß der Arbeitnehmer in dieser Zeit erwerbstätig gewesen ist.
…”
Für die Angestellten der Bayerischen Bekleidungsindustrie gilt der Manteltarifvertrag vom 29. September 1994, der in § 2 (B) für die Kündigungsfristen auf die gesetzlichen Bestimmungen abstellt.
Die Klägerin meint, die tarifliche Regelung der Kündigungsfristen verstoße gegen den Gleichheitssatz und sei daher unwirksam. Die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten insbesondere in der Bewertung der Wartezeiten bzw. Betriebszugehörigkeitszeiten sei aus sachlichen Gründen nicht mehr gerechtfertigt. Damit sei die gesetzliche Kündigungsregelung anzuwenden.
Die Klägerin hat, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 17. Februar 1995 erst mit dem 30. April 1995 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, die unterschiedliche Behandlung von Angestellten und Arbeitern sei aufgrund der besonderen Verhältnisse in der Bekleidungsindustrie gerechtfertigt. Der Produktions-, Lager- und Finishing-Bereich der Bekleidungsindustrie sei fast ausschließlich mit gewerblichen Arbeitnehmern besetzt. Abgesehen von wenigen Führungskräften in der Produktion seien die übrigen Angestellten in den kaufmännischen und verwaltenden Bereichen sowie in der Modellentwicklung tätig. In diesem Bereich gebe es dafür keine gewerblichen Arbeitnehmer. Der Anteil der gewerblichen Arbeitnehmer an der Gesamtzahl der Beschäftigten betrage 71,1 %. In der deutschen Bekleidungsindustrie würden jährlich zwei neue Kollektionen vorgestellt, im stark modisch bestimmten Bereich werde mit noch kürzeren Kollektionsrhythmen gearbeitet. Erst nach der Erstellung und aufgrund der Vorlage der Kollektion, weitgehend in Verbindung mit den großen Modemessen, erfolge die Order des Kunden und von dieser hänge der Einkauf der Stoffe und des sonstigen Materials sowie die Produktionseinteilung ab. Erst dann stehe der Umfang der Produktionsauslastung und ihre Verteilung auf die in- und ausländischen Produktionsstätten fest. Zwischen Vorlage der Kollektion und Auslieferung liege im allgemeinen ein Vierteljahr, von dem ein Teil noch auf die Produktionsvorbereitung entfalle. Die Bekleidungsunternehmen müßten deshalb schneller handeln können als jeder andere Wirtschaftszweig. Zu den modebedingt unregelmäßigen Orderrhythmen und einer sehr unterschiedlichen Kapazitätsauslastung komme hinzu, daß modische Veränderungen dazu führten, daß ganze Verarbeitungsweisen und Artikelgruppen durch andere verdrängt würden. Auch wirtschaftliche Umbrüche bewirkten, daß sich die Verbraucher bei geringsten rezessiven Anzeichen mit dem Kauf von Bekleidung zurückhielten, um in Aufschwungphasen erst wieder zu allerletzt sich diesen Produkten zuzuwenden. Auf derartige mode- oder wirtschaftsbedingte Veränderungen müsse im Rahmen der Produktion kurzfristig reagiert werden. Demgegenüber müßten auch und gerade in schwierigen Zeiten die Entwicklung und der Vertrieb weiterlaufen. Deshalb müsse die Bekleidungsindustrie, ggf. durch Freisetzung von Arbeitskräften im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmer flexibel reagieren können, während im Angestelltenbereich ein solches branchenspezifisches Flexibilitätsbedürfnis nicht derart stark durchschlage. Die Differenzierung in den Kündigungsfristen zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten sei durch die Tarifvertragsparteien deshalb nicht willkürlich erfolgt, sondern durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 22 MTV zum 31. März 1995 beendet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die tarifliche Regelung der unterschiedlichen Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der Bekleidungsindustrie sei insgesamt unausgewogen und damit gleichheitswidrig. Diese Unausgewogenheit könne nicht dadurch korrigiert werden, daß einzelne Kündigungsfristen als branchenbedingt zulässige Reaktion auf die unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse im Produktionsbereich im Gegensatz zur Verwaltung, zum kaufmännischen Bereich sowie zur Modellentwicklung einer verfassungsrechtlichen Bewertung noch standhalten könnten.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision beanstandet zu Recht eine fehlerhafte Beurteilung zur Verfassungswidrigkeit der von der Beklagten angewandten Kündigungsfrist nach § 22 Ziff. 2 a MTV durch das Landesarbeitsgericht.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den Parteien davon aus, bei der fraglichen Kündigungsklausel handele es sich um eine eigenständige (konstitutive) Regelung. Die Tarifvertragsparteien haben nicht die einschlägige gesetzliche Vorschrift des § 622 BGB a.F. wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen, sie haben vielmehr ein eigenes Regelungswerk geschaffen, das in wesentlichen Punkten von der gesetzlichen Regelung der Kündigungsfristen abweicht: So haben die Tarifpartner die Altersgrenze für die anrechenbare Betriebszugehörigkeit schon im Jahre 1979, also lange vor der entsprechenden gesetzlichen Regelung von 35 auf 25 vollendete Lebensjahre abgesenkt (§ 22 Abs. 2 MTV i.d.F. vom 17. Mai 1979). Außerdem stellt die Anrechnung früherer Betriebszugehörigkeitszeiten nach § 23 MTV eine erhebliche Verbesserung hinsichtlich der Kündigungsfristen dar.
Weitere Verbesserungen des Kündigungsschutzes enthalten der Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie vom 13. Mai 1980 mit einem weitgehenden Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach Vollendung des 55. Lebensjahres und der Tarifvertrag über Rationalisierungsschutz für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten der Bekleidungsindustrie vom 5. Juli 1988 mit einer Verlängerung der Kündigungsfrist um drei Monate, höchstens jedoch auf acht Monate bei aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen erforderlichen Kündigungen (vgl. zu einer ähnlichen Tarifregelung in der Textilindustrie Senatsurteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – BAGE 69, 257 = AP Nr. 37 zu § 622 BGB und 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).
Bei dieser Rechtslage hat das Landesarbeitsgericht zutreffend in eigener Kompetenz geprüft, ob die in Rede stehende Kündigungsregelung im Vergleich zu der im Manteltarifvertrag für die Angestellten geltenden Regelung, die auf die gesetzlichen Bestimmungen Bezug nimmt, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifpartner gebunden sind, vereinbar sei.
2. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das Berufungsgericht zu einer Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Tarifnorm des § 22 Ziff. 2 a MTV nur dadurch gekommen ist, daß es im Wege einer Gesamtbetrachtung die tarifliche Regelung aller Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer den Kündigungsfristen für Angestellte gegenübergestellt hat, ohne im einzelnen zu prüfen, ob die hier einschlägige Kündigungsfrist gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Demgegenüber hat der Senat in ständiger Rechtsprechung lediglich die im konkreten Fall einschlägige Kündigungsfrist an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen mit dem Ergebnis etwa, daß im selben Tarifvertrag bei der Grundkündigungsfrist bzw. der Kündigungsfrist auf der ersten Erhöhungsstufe die Schlechterbehandlung der gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten noch durch branchenspezifische Gesichtspunkte als sachlich gerechtfertigt angesehen worden ist und der Senat einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erst bei den weiteren Erhöhungsstufen angenommen hat. Dies beruht auf der Überlegung, daß zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit oder einem betrieblichen Interesse an einer flexiblen Personalplanung und -anpassung bei längerer Betriebszugehörigkeit an Gewicht verlieren (zuletzt Senatsurteile vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 296/95 – RzK I 3 e Nr. 60). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Wenn die Rechtsprechung Tarifnormen darauf zu überprüfen hat, ob sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, so hat sie die ebenfalls grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) zu achten. Verstoßen einzelne Tarifnormen gegen das Grundgesetz, so darf dieser Verstoß durch die Rechtsprechung nur unter Beachtung des geringstmöglichen Eingriffs in die Tarifautonomie korrigiert werden. Damit verbietet es sich, wenn einzelne tarifliche Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, die tarifliche Gesamtregelung der Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer für verfassungswidrig und damit auch die Kündigungsfristen für unwirksam zu erklären, die einen solchen Verfassungsverstoß nicht erkennen lassen. Genau dazu führt aber die durch das Berufungsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung, die ausdrücklich unberücksichtigt läßt, daß einzelne Kündigungsfristen als branchenbedingt zulässige Reaktion auf die unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse im Produktionsbereich im Gegensatz zu den Bereichen, wo überwiegend Angestellte beschäftigt werden, einer verfassungsrechtlichen Bewertung noch standhalten könnte. Damit bliebe offen, was im vorliegenden Fall zu prüfen war, nämlich ob die konkrete, von der Beklagten angewandte Kündigungsregelung verfassungskonform ist.
3. § 22 Ziff. 2 a MTV verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bedürfnis nach flexibler Personalplanung im produktiven Bereich wegen produkt-, mode- und saisonbedingter Auftragsschwankungen rechtfertigt eine kürzere tarifliche Kündigungsfrist auch für überwiegend in der Produktion tätige Arbeiter mit einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren nach Vollendung des 30. Lebensjahrs im Vergleich zu der für Angestellte günstigeren Regelung.
a) Nach der ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. z.B. Urteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 389/91 – AP Nr. 35 zu § 622 BGB und – 2 AZR 470/91 – BAGE 69, 257 = AP, aaO; vom 16. September 1993 – 2 AZR 697/92 – BAGE 74, 167 = AP Nr. 42, aaO; vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 296/95 – RzK I 3 e Nr. 60) fehlt es an sachlichen Gründen für die unterschiedliche Regelung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten, wenn eine Schlechterstellung der Arbeiter nur auf einer pauschalen Differenzierung zwischen den Gruppen der Angestellten und der Arbeiter beruht. Sachlich gerechtfertigt sind dagegen hinreichend gruppenspezifisch ausgestaltete unterschiedliche Regelungen, die z.B. entweder nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe nicht intensiv benachteiligen, oder funktions-, branchen- oder betriebsspezifischen Interessen im Geltungsbereich eines Tarifvertrags mit Hilfe verkürzter Kündigungsfristen für Arbeiter entsprechen (z.B. überwiegende Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion), wobei andere sachliche Differenzierungsgründe nicht ausgeschlossen sind. Dieser Prüfungsmaßstab gilt sowohl für unterschiedliche Grundfristen als auch für ungleich verlängerte Fristen für Arbeiter und Angestellte mit längerer Betriebszugehörigkeit und höherem Lebensalter. Insoweit ist allerdings zu beachten, daß zunächst vielleicht erhebliche Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit bei längerer Betriebszugehörigkeit erheblich an Gewicht verlieren.
b) In der Bekleidungsindustrie ist angesichts der ganz überwiegenden Beschäftigung von Arbeitern in der Produktion ein besonderes Interesse der Arbeitgeberseite anzuerkennen, auf Konjunktureinbrüche und Auftragsrückgänge unmittelbar und ohne erhebliche Zeitverzögerung reagieren zu können. Für die vergleichbar strukturierte Textilindustrie hat der Senat dies bereits mehrfach entschieden (Urteile vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 460/91 – AP Nr. 36 zu § 622 BGB und – 2 AZR 470/91 – BAGE 69, 257 = AP, aaO). Die Beklagte hat auf eine Erhebung der Bundesvereinigung der Arbeitgeber im Bundesverband der Bekleidungsindustrie e.V. hingewiesen, nach der von der Gesamtzahl der Beschäftigten der deutschen Bekleidungsindustrie auf die Angestellten 28,9 % und auf die gewerblichen Arbeitnehmer 71,1 % (Stand 1994) entfielen, wobei die gewerblichen Arbeitnehmer überwiegend im produktiven Bereich und die Angestellten im Verwaltungsbereich beschäftigt würden. Die Produktion unterliege dabei konjunktur- und modebedingten Schwankungen, weil erst nach den regelmäßig im Halbjahresrhythmus vorgestellten Kollektionen die Produktionsauslastung feststehe und die Branche außerdem sensibler als andere Branchen auf das infolge von Konjunktureinbrüchen geänderte Käuferverhalten reagieren müsse. Dieses Vorbringen hat die Klägerin im Grundsatz nicht bestritten, sie geht vielmehr schon in der Klageschrift davon aus, daß auch in der Bekleidungsindustrie die vom Senat für die Textilindustrie angenommenen „betrieblichsaisonalen” Gründe für eine Schlechterstellung gewerblicher Arbeitnehmerinnen „bestehen”, meint nur, diese Gründe könnten eine Differenzierung der Kündigungsfristen zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten schon bei einer Beschäftigungszeit von fünf Jahren nicht mehr rechtfertigen. Da in der Bekleidungsindustrie nahezu alle gewerblichen Arbeitnehmer im produktiven Bereich tätig sind, die Produktion aber produkt- und modebedingten Schwankungen unterworfen ist, ist es einsichtig, daß ein branchenbedingtes Bedürfnis nach einer flexiblen Personalplanung und Personalanpassung vorwiegend im produktiven Bereich, also bei den gewerblichen Arbeitnehmern anerkannt werden muß, während im Verwaltungsbereich, also bei den Angestellten ein solches Flexibilitätsbedürfnis nicht derart stark durchschlägt, weil eine gut funktionierende Verwaltung im Betrieb auch unabhängig von kurzfristigen Produktionsschwankungen langfristig aufrechterhalten bleiben muß.
c) Im Gegensatz zu der Ansicht der Klägerin sind die dargelegten branchenspezifischen Besonderheiten auch geeignet, die unterschiedliche Kündigungsfrist für gewerbliche Arbeitnehmer nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit ab dem 25. Lebensjahr sachlich zu rechtfertigen (so schon zur Baden-Württembergischen Textilindustrie Senatsurteil vom 23. Januar 1992 – 2 AZR 460/91 – AP Nr. 36 zu § 622 BGB). Der Unterschied der Kündigungsfristen zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten beträgt bei der verlängerten Frist nach fünfjähriger Betriebszugehörigkeit im Höchstfall einen Monat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kündigungsfristen nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit schon dadurch ganz wesentlich aneinander angenähert worden sind, daß der Gesetzgeber durch § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F. die gesetzlichen Kündigungsfristen für Angestellte auf dieser Erhöhungsstufe von drei Monaten zum Vierteljahresende auf zwei Monate zum Monatsende abgesenkt hat, was die Tarifvertragsparteien dadurch nachvollzogen haben, daß sie im Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bayerischen Bekleidungsindustrie vom 29. September 1994 in § 2 B 3 nach wie vor auf die gesetzlichen Kündigungsfristen Bezug genommen haben. Der nominelle Unterschied der Kündigungsfristen um einen Monat wird noch dadurch abgemildert, daß für die gewerblichen Arbeitnehmer in § 23 MTV eine gegenüber den Anrechnungsvorschriften für Angestellte verbesserte Regelung über die Anrechnung früherer Betriebszugehörigkeiten getroffen worden ist und bei Rationalisierungskündigungen ohnehin für die gewerblichen Arbeitnehmer wie für die Angestellten die gleiche verlängerte Kündigungsfrist gilt (§ 11 des Tarifvertrags über Rationalisierungsschutz für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten der Bekleidungsindustrie vom 5. Juli 1988).
Die verbleibenden Unterschiede sind durch die branchenspezifischen Besonderheiten sachlich gerechtfertigt. Wenn nach der Senatsrechtsprechung bei längerer Betriebszugehörigkeit das Bedürfnis nach flexibler Personalanpassung keine unterschiedlichen Kündigungsfristen mehr rechtfertigt, können die Tarifpartner ein grundsätzlich anerkennenswertes Flexibilitätsinteresse nur noch im unteren Bereich, also z.B. bei den Grundkündigungsfristen und den Kündigungsfristen nach fünfjähriger Betriebszugehörigkeit verwirklichen. Davon haben die Tarifpartner der Bekleidungsindustrie im vorliegenden Fall maßvoll Gebrauch gemacht. Sie haben nicht die früheren gesetzlichen Regelungen, die pauschal zwischen der Gruppe der Arbeiter und Angestellten unterschieden, undifferenziert auf ihre Branche übertragen, sondern in zahlreichen Tarifverträgen gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte schon frühzeitig gleichbehandelt und auch hinsichtlich der Kündigungsfristen für die gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber der gesetzlichen Regelung zahlreiche Verbesserungen eingeführt. Soweit bei der Kündigungsfrist nach fünf Beschäftigungsjahren noch Unterschiede zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten bestehen geblieben sind, haben die Tarifpartner damit in Ausübung ihrer Tarifautonomie (§ 9 Abs. 3 GG) branchenspezifischen Notwendigkeiten Rechnung getragen.
4. Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht, wie das Berufungsgericht erwogen hat, damit rechtfertigen, daß die Tarifpartner nach Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes (Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vom 7. Oktober 1993, BGBl. I, S. 1668 – KündFG –) für die gewerblichen Arbeitnehmer keine erste Erhöhungsstufe nach zwei Jahren Beschäftigung ab der Vollendung des 25. Lebensjahres eingeführt haben. Der Senat ist zwar stets davon ausgegangen, daß für die unterschiedliche Staffelung der Wartezeiten, wenn überhaupt, so doch nur unter besonderen Umständen gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG erhebliche sachliche Gründe denkbar sind, weil zumindest insoweit regelmäßig keine materielle Richtigkeitsgewähr für die Verfassungsmäßigkeit der tariflichen Kündigungsregelungen eingreift (Senatsurteil vom 21. März 1991 – 2 AZR 323/84 (A) – BAGE 67, 342 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB; Urteil vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). In diesem Zusammenhang hat der Senat ausdrücklich offengelassen, ob die Änderung des § 622 BGB durch das KündFG (also die Einführung einer ersten Erhöhungsstufe für Angestellte nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit) dazu geführt hat, daß vor Inkrafttreten des KündFG vereinbarte Tarifregelungen, die den Gesetzestext des § 622 BGB a.F. (mit verlängerten Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer erst ab fünf Beschäftigungsjahren) konstitutiv festgeschrieben haben, nunmehr insgesamt gegen Art. 3 GG verstoßen (Senatsurteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie). Die vom Senat geäußerten Bedenken gegen die Wirksamkeit einer derartigen konstitutiven Altregelung greifen aber jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht durch, in dem die Tarifpartner der Absenkung der Angestelltenkündigungsfristen durch das KündFG dadurch Rechnung getragen haben, daß sie entweder eine entsprechende konstitutive Kündigungsfristenregelung für die Angestellten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben abgesenkt oder nach wie vor deklaratorisch auf die gesetzliche Regelung verwiesen haben mit dem Ergebnis, daß nunmehr für die Angestellten die kurzen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB n.F. gelten. Die Erhöhungsstufe des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F. enthält für die Angestellten lediglich eine verhältnismäßig geringfügige Verlängerung der Kündigungsfrist. Wird zum Ende eines Kalendermonats gekündigt, so verlängert sich die Kündigungsfrist je nach der Dauer des Kalendermonats um 0 bis höchstens drei Kalendertage. Wenn die Tarifpartner die gegenüber der gesetzlichen Neuregelung verkürzten tariflichen Kündigungsfristen für gewerbliche Arbeitnehmer (Grundkündigungsfrist: zwei Wochen zum Wochenschluß; Erhöhung nach fünf Jahren ein Monat zum Monatsschluß) nicht auch noch proportional nach einer Beschäftigungszeit von zwei Jahren um eine Minimalfrist erhöht haben, so hält sich dies innerhalb des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums.
5. Die Wirksamkeit der Tarifregelung scheitert auch nicht, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, daran, daß die hier einschlägige Kündigungsfrist für gewerbliche Arbeitnehmer auf einer Tarifregelung beruht, die seit 1979 unverändert geblieben ist. Zwar hat der Senat mehrfach ausdrücklich offengelassen, ob angesichts der durch das KündFG grundsätzlich intendierten Angleichung von Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen für eine Kündigung nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei steigender Betriebszugehörigkeit noch an erheblich unterschiedlichen Kündigungsfristen für Angestellte und Arbeiter, insbesondere unterschiedlichen Wartezeiten aus sachlich begründbaren Erwägungen festgehalten werden kann, wenn diese Unterschiede auf vor Inkrafttreten des KündFG vereinbarten Tarifverträgen beruhen (Senatsurteile vom 10. März 1994 – 2 AZR 605/93 – BAGE 76, 111 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; vom 9. März 1995 – 2 AZR 510/94 – n.v. und vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie). Vorliegend sind die vor Inkrafttreten des KündFG viel gravierenderen Unterschiede zwischen Arbeiter- und Angestelltenkündigungsfristen auf der Erhöhungsstufe nach fünf Beschäftigungsjahren schon dadurch erheblich abgemildert worden, daß die Angestelltenkündigungsfristen, was die Tarifpartner durch den Neuabschluß des Manteltarifvertrags für die Angestellten übernommen haben, erheblich abgesenkt worden sind. Die verbleibenden Unterschiede sind sowohl hinsichtlich der Wartezeiten als auch der Länge der Kündigungsfristen auf der Erhöhungsstufe nach fünf Beschäftigungsjahren nicht als derart nachteilig für die gewerblichen Arbeitnehmer anzusehen, daß angesichts des anzuerkennenden Bedürfnisses der Branche nach flexibler Personalanpassung auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben durch das KündFG ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG festzustellen wäre.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Engel, Dr. Kirchner
Fundstellen