Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Dienstverpflichtung (TV Kulturorchester)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Orchestermusiker sind nach § 15 Abs 2 des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 unabhängig von dem gespielten Instrument verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen (sog. Ausgleichszeitraum) wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten.

2. Ob eine abweichende Vereinbarung im Sinne einer “Diensterleichterung” zur Leistung weniger Dienste vorliegt, ist eine Frage der Vertragsauslegung. Dabei ist die praktische Vertragsdurchführung zu berücksichtigen, die regelmäßig darauf schließen lässt, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 05.07.2002; Aktenzeichen 6 Sa 23/02)

ArbG Hamburg (Urteil vom 26.02.2002; Aktenzeichen 25 Ca 317/01)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Umfang der von der Klägerin zu leistenden Dienste.

Die Klägerin ist Mitglied des Philharmonischen Staatsorchesters der Beklagten. Sie wird als 1. Solo-Bratschistin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es:

“§ 1

Frau D… wird – soweit in diesem Vertrag nichts anderes vereinbart ist – nach Maßgabe des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 01.07.1971 in der jeweils geltenden Fassung … ab 1.9.1993 auf unbestimmte Zeit als

1. Solo-Bratschistin

beim Philharmonischen Staatsorchester eingestellt.

§ 3

(1) Für die Berechnung der monatlichen Dienstbezüge gilt folgende Regelung:

a) Die Grundvergütung wird auf 150 v.H. der jeweiligen Endgrundvergütung eines Tuttispielers festgesetzt.

§ 4

Auf das Arbeitsverhältnis finden keine Anwendung

§ 3 Absatz 1, Sätze 1, 4 und 5

§ 12 Absatz 2, Satz 2 und Absatz 5

§ 13 Absatz 2

§§ 21, 22 Absatz 7, 23, 26 und 27

des Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweiligen Fassung.

§ 5

Frau D… ist verpflichtet, je Spielzeit 75 vom Hundert der Tuttidienste der Bratschen zu leisten.”

Zur dienstlichen Inanspruchnahme eines Musikers bestimmt § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 TVK:

“Die Anzahl der Dienste des Musikers richtet sich nach der Größe und den Aufgaben des Kulturorchesters. Der Musiker ist verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen bzw. bei Konzertorchestern von 16 Kalenderwochen – nachfolgend Ausgleichszeitraum genannt – wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten. Enthält ein Ausgleichszeitraum zahlenmäßig überwiegend Aufführungen von Werken, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen sind, hat der Musiker in diesem Ausgleichszeitraum im Durchschnitt wöchentlich höchstens sieben Dienste zu leisten.”

Auf Grund der Vereinbarung in § 5 des Vertrags wurde für die Berechnung der von der Klägerin zu leistenden Dienste auf die im Kalenderjahr tatsächlich geleisteten Dienste der Tuttigruppe und nicht auf das in einem Zeitraum von acht Wochen maximal mögliche Dienst-Soll nach § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 TVK abgestellt. Anläßlich einer Beanstandung durch den Landesrechnungshof setzte die Beklagte mit einem Schreiben aus dem Oktober 1999 die nach § 15 TVK zulässige Dienstverpflichtung befristet für die Spielzeit 1999/2000 auf durchschnittlich 7,5 Dienste wöchentlich herauf und kündigte an, die Diensterleichterungen künftig am Dienst-Soll und nicht mehr an den tatsächlich geleisteten Diensten der Tuttigruppe zu orientieren.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach der vertraglichen Vereinbarung sei für die Berechnung der Dienstverpflichtung von den tatsächlichen Diensten der Tuttisten auszugehen. Die Beklagte sei nicht berechtigt, das vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig zu ändern.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen,

daß sich die Zahl der von der Klägerin zu leistenden Dienste nach den tatsächlich von den Tutti-Bratschen geleisteten Diensten, nicht nach den Höchst-Diensten im Sinne von § 15 TVK, richtet.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte ist nach § 5 des Arbeitsvertrags verpflichtet, die Anzahl der von der Klägerin zu leistenden Dienste nach den tatsächlichen Diensten der Tuttigruppe der Bratschen in einer Spielzeit zu bestimmen.

1. Die im Arbeitsvertrag der Parteien enthaltenen Erklärungen sind typische Willenserklärungen, die vom Senat in der Revisionsinstanz unbeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden können (st. Rspr. BAG 19. Januar 2000 – 5 AZR 637/98 – BAGE 93, 212, 215; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328, 338, jeweils mwN). Der Vertrag hat formularmäßigen Charakter und wird von der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen für Musiker verwendet, denen eine Diensterleichterung zukommen soll. Daher unterliegt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Dieser hält sie stand.

2. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10 = EzA BBiG § 10 Nr. 6, zu I 3 der Gründe; 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1b der Gründe mwN). Danach ist im Arbeitsvertrag geregelt, daß die Klägerin 75 vom Hundert der von den Tuttisten der Bratschengruppe tatsächlich erbrachten Dienste zu leisten hat.

a) Das folgt bereits aus dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung. Deren sprachliche Ausgestaltung weist darauf hin, daß die Parteien bei der Berechnung der Diensterleichterung von der tariflichen Regelung zum Höchstmaß der zulässigen Dienste abweichen wollten. Während die Musiker nach § 15 Abs. 2 Unterabs. 1 TVK unabhängig von dem gespielten Instrument verpflichtet sind, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen, dem sog. Ausgleichszeitraum, wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten, steht die Vereinbarung mit der Klägerin in unmittelbarem Zusammenhang mit der Instrumentengruppe, der sie angehört. Diese gesonderte Bezugnahme wäre entbehrlich gewesen, hätten die Parteien das für alle Musiker geltende tarifliche Dienst-Soll als Berechnungsgrundlage anwenden wollen. Hinzu kommt, daß die vertragliche Regelung auch nicht an den Begriff des Ausgleichszeitraums anknüpft, sondern an den der Spielzeit.

b) Die Anknüpfung an die konkreten Dienste der Gruppe der Bratschen folgt auch aus der praktischen Vertragsdurchführung, die regelmäßig darauf schließen läßt, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – BAGE 67, 124, 135). Vom Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin im September 1993 an bis zum September 1999 hat die Beklagte auf die von den Tuttisten der Bratschengruppe tatsächlich erbrachten Dienste abgestellt.

c) Dagegen läßt sich die Auffassung der Beklagten nicht mit dem Sinn und Zweck der beabsichtigten Diensterleichterung in Einklang bringen. Die der Klägerin vertraglich zugesagte Diensterleichterung von 75 vom Hundert kommt nicht mehr zum Tragen, wenn die Tuttisten der Bratschengruppe weit unter dem tariflichen Dienst-Soll herangezogen werden, die Klägerin aber weiterhin 75 vom Hundert der nach dem TVK maximal möglichen Dienste zu leisten hat. Es könnte dazu kommen, daß die Klägerin trotz der vertraglichen Vereinbarung einer Diensterleichterung die gleiche oder gar eine höhere Anzahl von Diensten wie die Tuttisten zu erbringen hätte. Das widerspräche dem Regelungsgehalt der Diensterleichterung.

d) Dieses Auslegungsergebnis steht auch mit den sonstigen Vertragsbestimmungen im Einklang. Auch wenn nach § 1 des Arbeitsvertrags der TVK auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommt, soll dies nach dem Willen der Parteien nur gelten, soweit im Vertrag nichts anderes vereinbart worden ist. § 5 des Vertrags kann daher eine vom Inhalt des TVK abweichende Regelung vorsehen. Zwar führt § 4 des Vertrags konkrete Vorschriften des TVK auf, die für das Arbeitsverhältnis ausdrücklich nicht gelten sollen. Allein die fehlende Benennung des § 15 Abs. 2 TVK in dieser Regelung schließt nicht aus, daß der Arbeitsvertrag in seinen nachfolgenden Bestimmungen eine im Verhältnis zu anderen Normen des TVK günstigere Regelung enthält.

3. Angesichts der ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf an, ob für den Anspruch der Klägerin die Voraussetzungen einer anspruchsbegründenden betrieblichen Übung erfüllt sind.

4. Der Anspruch der Klägerin auf die Berechnung ihrer Dienste nach der Anzahl der tatsächlich geleisteten Tuttidienste ist auch nicht durch eine Änderungsvereinbarung aufgehoben worden. Das Schreiben der Beklagten vom Oktober 1999 enthält nach seinem Erklärungsgehalt kein auf die Änderung des § 5 des Arbeitsvertrags gerichtetes Angebot, sondern eine einseitige Heraufsetzung der Dienstverpflichtung.

 

Unterschriften

Dr. Armbrüster, Brühler, Pods, W. Zuchold, Schäferkord

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1542580

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