Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Dienstverpflichtung (TV Kulturorchester)
Leitsatz (redaktionell)
Gemäß § 15 Abs. 2 des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern sind Musiker unabhängig von dem gespielten Instrument verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten. Durch individuelle Vereinbarung kann eine geringere Dienstverpflichtung des Musikers geregelt werden.
Normenkette
Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 § 15 Abs. 2; BGB §§ 157, 133
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2001 – 8 Sa 49/01 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 28. Februar 2001 – 6 Ca 469/00 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Revision und der Berufung zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang der von der Klägerin zu leistenden Dienste.
Die Klägerin ist seit 1985 Mitglied des Philharmonischen Staatsorchesters der Beklagten. Seit dem 1. Mai 1991 wird sie als 2. Solo-Bratschistin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es:
„§ 1
Frau M wird – soweit in diesem Vertrag nichts anderes vereinbart ist – nach Maßgabe des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung (…) ab 1.5.1991 auf unbestimmte Zeit als
2. Solo-Bratschistin
beim Philharmonischen Staatsorchester weiterbeschäftigt.
…
§ 3
(1) Für die Berechnung der monatlichen Dienstbezüge gilt folgende Regelung:
a) Die Grundvergütung wird auf 140 v.H. der jeweiligen Endvergütung eines Tuttispielers festgesetzt.
…
§ 4
Auf das Arbeitsverhältnis finden keine Anwendung
§ 3 Absatz 1, Sätze 1, 4 und 5
§ 12 Absatz 2, Satz 2 und Absatz 5
§ 13 Absatz 2
§§ 21, 22 Absatz 7, 23, 26 und 27
des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) in der jeweiligen Fassung.
§ 5
Frau M ist verpflichtet, je Spielzeit 80 vom Hundert der Tuttidienste der Bratsche zu leisten.
…”
Zur dienstlichen Inanspruchnahme eines Musikers bestimmt § 15 Abs. 2 TVK:
„Die Anzahl der Dienste richtet sich nach der Größe und den Aufgaben des Kulturorchesters. Der Musiker ist verpflichtet, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen bzw. bei Konzertorchestern von 16 Kalenderwochen – nachfolgend Ausgleichszeitraum genannt – wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten. Enthält ein Ausgleichszeitraum zahlenmäßig überwiegend Aufführungen von Werken, die nach der Partitur als schwierig zu beurteilen sind, hat der Musiker in diesem Ausgleichszeitraum im Durchschnitt wöchentlich höchstens sieben Dienste zu leisten. …”
Auf Grund der Vereinbarung in § 5 des Vertrags wurde für die Berechnung der von der Klägerin zu leistenden Dienste auf die im Kalenderjahr tatsächlich geleisteten Dienste der Tuttigruppe und nicht auf das in einem Zeitraum von acht Wochen maximal mögliche Dienst-Soll nach § 15 Abs. 2 TVK abgestellt. Anläßlich einer Beanstandung durch den Landesrechnungshof setzte die Beklagte mit einem Schreiben aus dem Oktober 1999 die nach § 15 TVK zulässige Dienstverpflichtung befristet für die Spielzeit 1999/2000 auf durchschnittlich 7,5 Dienste wöchentlich herauf und kündigte an, die Diensterleichterungen künftig am Dienst-Soll und nicht mehr an den tatsächlich geleisteten Diensten der Tuttigruppe zu orientieren.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach der vertraglichen Vereinbarung sei für die Berechnung der Dienstverpflichtung von den tatsächlichen Diensten der Tuttisten auszugehen. Die Beklagte sei nicht berechtigt, das vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig zu ändern.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, im Hinblick auf die von ihr zu erfüllende Dienstleistung auch künftig von den tatsächlichen Diensten der Tuttigruppe in einer Spielzeit und nicht von einer fiktiven Zahl von 60 Diensten in einem Zeitraum von acht Wochen auszugehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten. Die Beklagte ist nach § 5 des Arbeitsvertrags verpflichtet, die Anzahl der von der Klägerin zu leistenden Dienste nach den tatsächlichen Diensten der Tuttigruppe in einer Spielzeit zu bestimmen.
1. Die in dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 7. Mai 1991 enthaltenen Erklärungen sind typische Willenserklärungen, die vom Senat in der Revisionsinstanz unbeschränkt und selbständig gemäß §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden können (st. Rspr. 19. Januar 2000 – 5 AZR 637/98 – BAGE 93, 212, 215; 16. Februar 2000 – 4 AZR 14/99 – BAGE 93, 328, 338, jeweils mwN). Der Vertrag hat formularmäßigen Charakter und wird von der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen für Musiker verwendet, denen eine Diensterleichterung zukommen soll. Daher unterliegt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Dieser hält sie nicht stand.
2. Gemäß § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 26. September 2002 – 6 AZR 434/00 – AP BBiG § 10 Nr. 10, zu I 3 der Gründe; 12. Juni 2002 – 10 AZR 323/01 – EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 110, zu II 1 b der Gründe mwN). Danach ist im Arbeitsvertrag geregelt, daß die Klägerin 80 vom Hundert der von den Tuttisten der Bratschengruppe tatsächlich erbrachten Dienste zu leisten hat.
a) Das folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bereits aus dem Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung. Deren sprachliche Ausgestaltung weist darauf hin, daß die Parteien bei der Berechnung der Diensterleichterung von der tariflichen Regelung zum Höchstmaß der zulässigen Dienste abweichen wollten. Während die Musiker nach § 15 Abs. 2 TVK unabhängig von dem gespielten Instrument verpflichtet sind, im Durchschnitt von acht Kalenderwochen, dem sog. Ausgleichszeitraum, wöchentlich höchstens acht Dienste zu leisten, steht die Vereinbarung mit der Klägerin in unmittelbarem Zusammenhang mit der Instrumentengruppe, der sie angehört. Diese gesonderte Bezugnahme wäre entbehrlich gewesen, hätten die Parteien das für alle Musiker geltende tarifliche Dienst-Soll als Berechnungsgrundlage anwenden wollen. Hinzu kommt, daß die vertragliche Regelung auch nicht an den Begriff des Ausgleichszeitraums anknüpft, sondern an den der Spielzeit.
b) Die Anknüpfung an die konkreten Dienste der Gruppe der Bratschen folgt auch aus der praktischen Vertragsdurchführung, die regelmäßig darauf schließen läßt, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind (BAG 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – BAGE 67, 124, 135). Die Klägerin war seit mehreren Jahren im Orchester beschäftigt, als mit ihr im Mai 1991 der neue Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Beide Parteien schlossen den Vertrag in Kenntnis dessen, daß sich die Diensterleichterung an den tatsächlich geleisteten Tuttidiensten in der jeweiligen Instrumentengruppe orientiert. Dementsprechend ist die vertragliche Regelung in den darauffolgenden Jahren auch durchgehend praktiziert worden.
c) Dagegen läßt sich das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis nicht mit dem Sinn und Zweck der beabsichtigten Diensterleichterung in Einklang bringen. Das Landesarbeitsgericht hat selbst eingeräumt, daß die der Klägerin vertraglich zugesagte Diensterleichterung von 80 vom Hundert nicht mehr zum Tragen kommt, wenn die Tuttisten der Bratschengruppe weit unter dem tariflichen Dienst-Soll herangezogen werden, die Klägerin aber weiterhin 80 vom Hundert der nach dem TVK maximal möglichen Dienste zu leisten hat. Es könnte dazu kommen, daß die Klägerin trotz der vertraglichen Vereinbarung einer Diensterleichterung die gleiche oder gar eine höhere Anzahl von Diensten wie die Tuttisten zu erbringen hätte. Das widerspräche dem Regelungsgehalt der Diensterleichterung.
d) Dieses Auslegungsergebnis steht auch mit den sonstigen Vertragsbestimmungen im Einklang. Auch wenn nach § 1 des Arbeitsvertrags der TVK auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommt, soll dies nach dem Willen der Parteien nur gelten, soweit im Vertrag nichts anderes vereinbart worden ist. § 5 des Vertrags kann daher eine vom Inhalt des TVK abweichende Regelung vorsehen. Zwar führt § 4 des Vertrags konkrete Vorschriften des TVK auf, die für das Arbeitsverhältnis ausdrücklich nicht gelten sollen. Allein die fehlende Benennung des § 15 Abs. 2 TVK in dieser Regelung schließt nicht aus, daß der Arbeitsvertrag in seinen nachfolgenden Bestimmungen eine im Verhältnis zu anderen Normen des TVK günstigere Regelung enthält.
3. Angesichts der ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf an, ob für den Anspruch der Klägerin die Voraussetzungen einer anspruchsbegründenden betrieblichen Übung erfüllt sind.
4. Der Anspruch der Klägerin auf die Berechnung ihrer Dienste nach der Anzahl der tatsächlich geleisteten Tuttidienste ist auch nicht durch eine Änderungsvereinbarung aufgehoben worden. Das Schreiben der Beklagten vom Oktober 1999 enthält nach seinem Erklärungsgehalt kein auf die Änderung des § 5 des Arbeitsvertrags gerichtetes Angebot, sondern eine einseitige Heraufsetzung der Dienstverpflichtung.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, B. Schipp, Augat
Fundstellen