Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld und tarifliche Ausschlußfrist
Normenkette
SchwbG § 42; BGB §§ 362, 816, 409; SGB I § 53; BAT vom 23. Februar 1961 § 62; BAT vom 23. Februar 1961 § 63; BAT vom 23. Februar 1961 § 70
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 03.09.1979; Aktenzeichen 10 Sa 1051/79) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 27.06.1979; Aktenzeichen 6 Ca 2005/79) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 3. September 1979 – 10 Sa 1051/79 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der im Jahre 1914 geborene, zu 80 % schwerbehinderte Kläger trat am 1. Juni 1947 beim Versorgungsamt in D… in die Dienste des beklagten Landes. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961. Der Kläger erhielt Vergütung nach Vergütungsgruppe VIb BAT. Mit Vertrag vom 1. Juli 1976 wurde das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1976 beendet, weil der Kläger von der vorgezogenen Altersgrenze bei Schwerbehinderten Gebrauch machen wollte.
In § 3 des Auflösungsvertrages ist dem Kläger die Zahlung eines Übergangsgeldes nach den Vorschriften des BAT zugesagt. Mit Schreiben vom 10. August 1976 setzte das Landesbesoldungsamt des beklagten Landes das Übergangsgeld vorläufig auf 8.359,40 DM fest und wies den Kläger darauf hin, daß auf das Übergangsgeld die Renten von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder angerechnet würden. Zugleich bat es um die Übersendung entsprechender Abtretungserklärungen. Der Kläger trat am 25. August 1976 seine Rentenansprüche gegen die BfA für die Dauer des Bezuges von Übergangsgeld an das Land ab; in dem Antrag auf Gewährung der Versorgungsrente von der VBL trat er auch die Versorgungsrente in entsprechendem Umfang ab. Darauf zahlte das Land das errechnete Übergangsgeld vom 15. Oktober 1976 bis 31. Januar 1977 an den Kläger aus. Mit Bescheid vom 15. Dezember 1976 berechnete die BfA ab 1. Oktober 1976 die Altersrente mit 1.342,80 DM. Die VBL setzte mit Schreiben vom 31. Januar 1977 die Versorgungsrente mit 349,40 DM monatlich fest. Zugleich erkannten die beiden Versorgungsträger die Ersatzansprüche des beklagten Landes an; die BfA überwies dem beklagten Land 5.318,60 DM und die VBL 1.397,60 DM. Nachdem der Vierte Senat des BAG am 10. Mai 1978 entschieden hatte, daß § 42 SchwbG die Anrechnung des vorgezogenen Altersruhegeldes für Schwerbehinderte auf das Übergangsgeld verbiete, forderte der Kläger mit Schreiben vom 9. April 1979 die Auszahlung der vom beklagten Land eingezogenen Beträge. Das Land lehnte dies mit Schreiben vom 20. April 1979 unter Hinweis auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß er gegen das Land einen Bereicherungsanspruch habe und daß dieser von § 70 BAT nicht erfaßt werde. Außerdem handele das Land arglistig, wenn es sich auf den Ablauf der tariflichen Verfallfrist berufe. Es hätte ihn auf die zweifelhafte Rechtslage hinweisen müssen. So habe er nur durch Zufall von der Entscheidung vom 10. Mai 1980 gehört, während das Land darüber unterrichtet gewesen sei, daß Rechtsstreitigkeiten in allen Instanzen geschwebt hätten.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 6.768,80 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Mai 1979 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, daß von der tariflichen Verfallfrist alle Ansprüche erfaßt würden, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stünden. Auch handele es nicht arglistig. Der Kläger sei bereits ausgeschieden gewesen, bevor das Bundesarbeitsgericht über das Anrechnungsverbot entschieden habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision.
Entscheidungsgründe
Der Kläger kann von dem beklagten Land nicht die Auszahlung der eingezogenen Renten verlangen. Diese Ansprüche sind infolge Ablaufs der tariflichen Ausschlußfrist erloschen.
I. Dem Kläger stand bei seinem Ausscheiden aus den Diensten des beklagten Landes ein Übergangsgeld in Höhe von 8.359,40 DM brutto zu. Dieser Anspruch ist jedoch erfüllt worden und damit erloschen.
Nach § 62 Abs. 1 BAT erhält ein Angestellter bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein Übergangsgeld, wenn er das 21. Lebensjahr vollendet und in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber gestanden hat. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rund 29 Jahre bei dem beklagten Land beschäftigt, als er mit Erreichen des 62. Lebensjahres aus dessen Diensten schied. Daraus ergibt sich nach den Berechnungsgrundsätzen des § 63 BAT unstreitig ein Übergangsgeld in Höhe von 8.359,40 DM. Diesen Betrag hat das beklagte Land an den Kläger bis zum 31. Januar 1977 in Raten ausgezahlt und damit den Anspruch auf Übergangsgeld erfüllt (§ 362 BGB).
II. Auf seinen Anspruch auf Auszahlung des Übergangsgeldes brauchte sich der Kläger weder seine vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch die Zusatzversorgungsrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) anrechnen zu lassen. Die Abtretung seiner Versorgungsbezüge, die eine Anrechnung ermöglichen sollte, war nichtig.
1. In § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT i. d. F. des 14. und 22. Änd-Tarifvertrags vom 15. Dezember 1965 und 7. Juli 1969 ist vorgesehen, daß ein Angestellter, dem laufende Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden, nur Übergangsgeld insoweit erhält, wie die Rentenbezüge für denselben Zeitraum hinter dem Übergangsgeld zurückbleiben. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages durfte das beklagte Land die Rentenbezüge bei der Bemessung des Übergangsgeldes berücksichtigen.
Die Vorschrift des § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT, aaO, ist jedoch insoweit rechtsunwirksam, wie sie sich auf das vorgezogene Altersruhegeld von Schwerbehinderten bezieht. Nach § 42 SchwbG i. d. F. vom 29. April 1974 (BGBl I, 1006) dürfen bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der Dienstbezüge Renten eines Schwerbehinderten und vergleichbare Leistungen, die wegen der Behinderung bezogen werden, nicht berücksichtigt werden. Vor allem ist es unzulässig, sie ganz oder teilweise auf das Arbeitsentgelt oder die Dienstbezüge anzurechnen. Der Gesetzgeber will sicherstellen, daß die dem Schwerbehinderten zum Ausgleich seiner Leiden gewährten Sozialleistungen nicht mit dem vom Arbeitgeber geschuldeten Arbeitsentgelt verrechnet werden. Das Gericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß das Übergangsgeld nach § 62 BAT zum Arbeitsentgelt zählt (BAG Urteil vom 13. Juli 1982 – 3 AZR 576/80 – AP Nr. 3 zu § 42 SchwbG, zu 3a der Gründe mit weit. Nachweis). Ferner hat das Gericht entschieden, daß das vorgezogene Altersruhegeld für Schwerbehinderte (§ 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG) zu den nicht anrechnungsfähigen Renten gehört (BAG Urteile vom 10. Mai 1978 – 4 AZR 740/76 – AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 160/82 – AP Nr. 9 zu § 42 SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG).
2. Die Verträge über die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente und der Zusatzversorgungsrente sind nichtig (§ 134 BGB). Sie sollen die Anrechnung der Renten auf das Übergangsgeld bewirken und verstoßen daher gegen das in § 42 SchwbG enthaltene Anrechnungsverbot. Unabhängig hiervon ist die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente auch nach § 53 Abs. 1 SGB I nichtig; eine Ausnahme vom Abtretungsverbot ist nicht gegeben. Ansprüche auf Geldleistungen eines Sozialleistungsträgers können nur dann übertragen werden, wenn die Abtretung lediglich der Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung dient (BAG Urteil vom 2. Juni 1966 – 2 AZR 322/65 – AP Nr. 8 zu § 399 BGB m. zust. Anm. v. Baumgärtel und weit. Nachw.). Das beklagte Land konnte jedoch keinen Rückzahlungsanspruch erwerben.
III. Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen das beklagte Land mehr zu, auch wenn es zu Unrecht die Renten des Klägers eingezogen hat.
1. Für den Kläger ist ein Bereicherungsanspruch gegen das beklagte Land erwachsen. Nach § 816 Abs. 2 BGB ist der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe verpflichtet, wenn der Nichtberechtigte eine Leistung erhalten hat, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Das Land war zur Einziehung der Rentennachzahlung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Ende 1976/Anfang 1977 nicht berechtigt. Die entsprechenden Abtretungserklärungen des Klägers waren nichtig, wie bereits dargelegt worden ist (oben II 2). Gleichwohl muß der Kläger die Zahlungen der Rententräger an das beklagte Land als Erfüllungsgeschäfte gegen sich gelten lassen. Er hat die Auszahlung der Rentennachzahlung an das beklagte Land gebilligt, wie sich aus seinem Vortrag in den Vorinstanzen ergibt. Er verlangt von dem beklagten Land nicht die Rückabwicklung der Rentenzahlung, sondern die Weiterleitung des Erlangten. Deshalb ist er auf Bereicherungsansprüche gegen die Beklagte verwiesen.
2. Der Anspruch des Klägers aus ungerechtfertigter Bereicherung ist erloschen, weil er die tarifliche Ausschlußfrist versäumt hat.
a) Nach § 70 Abs. 1 BAT in der Fassung vom 23. Februar 1961 müssen Vergütungsansprüche innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag verfallen nach § 70 Abs. 2 BAT, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich erhoben werden.
Der Kläger verfolgt Ansprüche auf Auszahlung der unberechtigten Rentenüberweisungen. Dies sind “andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT. Zu diesen Ansprüchen gehören nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern auch solche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für die Frage, ob “ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT vorliegt, ist nicht die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage entscheidend, sondern der Entstehungsbereich der Forderung (BAG Urteile vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 728/77 – AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu I der Gründe; vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Bl. 1; vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, zu III 2a der Gründe). Dieser stammt im vorliegenden Fall aus dem Arbeitsvertrag; die Forderung des Klägers beruht allein darauf, daß er zur Sicherung einer vermeintlichen Anrechnungsmöglichkeit des beklagten Landes rückständige Rentenansprüche abgetreten hat.
b) Der Kläger hat seine Ansprüche auf Neuberechnung des Übergangsgeldes und Auszahlung der Rentennachzahlungen erst nach Ablauf der tariflichen Verfallfrist geltend gemacht. Zur Geltendmachung gehört, daß der Gläubiger seine Forderung so deutlich bezeichnet, daß der Schuldner erkennen kann, aus welchem Sachverhalt und in welcher ungefähren Höhe er in Anspruch genommen wird (BAG Urteil vom 5. März 1981 – 3 AZR 559/78 – AP Nr. 9 zu § 70 BAT, zu II 2a der Gründe). In diesem Sinne hat der Kläger seine Forderung erst am 9. April 1979 erhoben. Zwar hatte er schon zuvor Übergangsgeld beantragt, aber damals erkannte er ausdrücklich die Anrechnung der Renten an. Als das beklagte Land ihm das Übergangsgeld auszahlte, machte es ihm deutlich, daß die Zahlung nur unter dem Vorbehalt der Rentenabtretung erfolgte, ohne daß der Kläger widersprach. Erst am 9. April 1979 beantragte der Kläger eine Neuberechnung. Zu dieser Zeit war die Dreimonatsfrist abgelaufen. Sie begann, als die gesetzliche Sozialversicherungsrente und die Zusatzversorgungsrente an das beklagte Land statt an den Kläger gezahlt wurden.
c) Entgegen der Auffassung der Revision kann sich das beklagte Land auch auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist berufen. Diese war bereits abgelaufen, als der Vierte Senat des Gerichtes am 10. Mai 1978 erkannt hat, daß die wegen vorgezogenen Ruhestandes Schwerbehinderten gezahlten Renten nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden dürfen.
Den öffentlichen Arbeitgeber trifft keine allgemeine Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer über etwaige Ansprüche zu belehren, wenn darüber rechtlich verschiedene Ansichten möglich sind (BAG 8, 279, 284 = AP Nr. 25 zu § 256 ZPO, Bl. 4). Dies gilt zumindest dann, wenn es um Ansprüche geht, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwickeln waren. Kein Arbeitnehmer kann darauf vertrauen, daß sein Arbeitgeber bei Bekannt werden neuer Entscheidungen oberster Bundesgerichte bereits abgewickelte Ansprüche aus beendeten Arbeitsverhältnissen erneut aufnimmt und ausgeschiedene Arbeitnehmer auf mögliche Ansprüche hinweist. Ob die Rechtslage eine andere ist, wenn der öffentliche Arbeitgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (BAG 14, 193, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 22. November 1963 – 1 AZR 17/63 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst zu 4 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Mai 1974 – 3 AZR 422/73 – AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt – VBL, zu II 2a der Gründe) kann unentschieden bleiben. Das beklagte Land hat bei dem Kläger nicht den Eindruck erweckt, er werde weitere Rechtsbelehrungen erhalten. Daß es die Formulare zur Erhebung von Ansprüchen auf Übergangsgeld entworfen hat, ändert daran nichts.
Unterschriften
Dr. Gehring, Schaub, Griebeling, Dr. Krems, Matthiessen
Fundstellen