Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld und tarifliche Ausschlußfrist
Normenkette
SchwbG § 42; BGB §§ 362, 816, 409; SGB I § 53; BAT vom 23. Februar 1961 § 62; BAT vom 23. Februar 1961 § 63; BAT vom 23. Februar 1961 § 70
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 07.07.1980; Aktenzeichen 9 Sa 30/80) |
ArbG Berlin (Urteil vom 20.02.1980; Aktenzeichen 22 Ca 82/79) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Juli 1980 – 9 Sa 30/80 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 1. Januar 1914 geborene Kläger trat am 17. August 1959 in die Dienste des beklagten Landes. Er war als Lohnsteuerprüfer beim Finanzamt W… tätig. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Bundesangestelltentarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung. Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v. H. Das Arbeitsverhältnis endete mit dem 30. April 1976; seit dieser Zeit bezieht der Kläger vorgezogenes Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder.
Anfang April 1976 trat der Kläger für die Dauer des Bezuges von Übergangsgeld seine Rechtenansprüche gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und seine Versorgungsansprüche gegen die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder an das beklagte Land ab. Dieses bewilligte mit Schreiben vom 22. April 1976 dem Kläger Übergangsgeld in einer Gesamthöhe von 8.847,08 DM. Der Betrag wurde dem Kläger vom 14. Mai 1976 bis 31. August 1976 in Raten von jeweils 1.051,70 DM ausgezahlt. Wegen einer tariflichen Gehaltserhöhung berechnete das beklagte Land am 7. Juli 1976 das Übergangsgeld mit 9.272,04 DM und zahlte den Unterschiedsbetrag nach. Durch Rentenbescheid vom 6. Juli 1976 erkannte die BfA den Versorgungsfall mit Wirkung vom 1. Mai 1976 an und setzte das vorgezogene Altersruhegeld vom 1. Mai 1976 bis 31. August 1976 auf 5.125,60 DM fest. Diesen Betrag überwies sie noch im Juli dem beklagten Land und unterrichtete den Kläger hiervon. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder erkannte den Versorgungsfall am 7. September 1976 an, errechnete für die Zeit des Bezuges von Übergangsgeld eine Versorgungsrente in Höhe von 2.189,20 DM und überwies diesen Betrag nach Benachrichtigung des Klägers gleichfalls an das beklagte Land. Mit Schreiben vom 2. Dezember 1976 teilte darauf das beklagte Land dem Kläger mit, daß nach Anrechnung der Sozialversicherungsrente und der VBL-Versorgungsrente das Übergangsgeld 1.957,14 DM betrage.
Durch Urteil vom 10. Mai 1978 entschied der Vierte Senat des BAG, daß Renten, die ein Schwerbehinderter wegen des vorgezogenen Ruhestandes beziehe, nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden dürfen. Von dieser Entscheidung erfuhr der Kläger Ende 1978 oder Anfang 1979 aus der Tagespresse. Mit Schreiben vom 22. Februar 1979 verlangte er von dem beklagten Land die Auszahlung der bei den Versorgungsträgern eingezogenen Renten. Dies lehnte das beklagte Land mit Schreiben vom 16. März 1979 unter Hinweis auf die tarifliche Ausschlußfrist ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß seine Ansprüche nicht der tariflichen Ausschlußfrist unterlägen. Überdies sei es dem beklagten Land verwehrt, sich auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist zu berufen, da es bei sorgfältigen Prüfung der Rechtslage habe erkennen können, daß die Verrechnung seiner Schwerbehindertenrente mit dem Übergangsgeld unzulässig sei.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 7.314,80 DM zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, daß die Auszahlungsansprüche von der tariflichen Verfallfrist erfaßt würden. Es handele auch nicht arglistig, wenn es sich auf den Ablauf der tariflichen Verfallfrist berufe. Im Zeitpunkt des Versorgungsfalles sei die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes noch nicht ergangen. Im übrigen hat es die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Kläger von dem beklagten Land nicht die Auszahlung der zum Ausgleich des Übergangsgeldes eingezogenen Renten verlangen kann, weil die Ansprüche infolge Ablaufs der tariflichen Ausschlußfrist erloschen sind.
I. Dem Kläger stand bei seinem Ausscheiden aus den Diensten der Beklagten ein Übergangsgeld in Höhe von 9.272,04 DM brutto zu. Dieser Anspruch ist jedoch erfüllt worden und damit erloschen.
Nach § 62 Abs. 1 BAT erhält ein Angestellter bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein Übergangsgeld, wenn er das 21. Lebensjahr vollendet und bei demselben Arbeitgeber in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr gestanden hat. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts seit dem 17. August 1959 bei dem beklagten Land beschäftigt, als er mit Erreichen des 62. Lebensjahres aus deren Diensten schied. Daraus ergibt sich nach den Berechnungsgrundsätzen des § 63 BAT unstreitig ein Übergangsgeld in Höhe von 9.272,04 DM. Diesen Betrag hat das beklagte Land an den Kläger bis zum 31. August 1976 in Raten ausgezahlt und damit den Anspruch auf Übergangsgeld erfüllt (§ 362 BGB).
II. Auf seinen Anspruch auf Auszahlung des Übergangsgeldes brauchte sich der Kläger weder seine vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch die Zusatzversorgungsrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) anrechnen zu lassen. Die Abtretung seiner Versorgungsbezüge, die eine Anrechnung ermöglichen sollte, war nichtig.
1. In § 65 Abs. 5 Satz 1 BAT i.d.F. des 14. und 22. Änderungs-Tarifvertrages vom 15. Dezember 1965 und 7. Juli 1969 ist vorgesehen, daß ein Angestellter, dem laufende Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden, nur Übergangsgeld insoweit erhält, wie die Rentenbezüge für denselben Zeitraum hinter dem Übergangsgeld zurückbleiben. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages durfte das beklagte Land die Rentenbezüge bei der Bemessung des Übergangsgeldes berücksichtigen.
Die Vorschrift des § 63 Abs. 5 Satz 1 BAT, aaO, ist jedoch insoweit rechtsunwirksam, wie sie sich auf das vorgezogene Altersruhegeld von Schwerbehinderten bezieht. Nach § 42 SchwbG i.d.F. vom 29. April 1974 (BGBl I, 1006) dürfen bei der Bemessung des Arbeitsentgelts und der Dienstbezüge Renten eines Schwerbehinderten und vergleichbare Leistungen, die wegen der Behinderung bezogen werden, nicht berücksichtigt werden. Vor allem ist es unzulässig, sie ganz oder teilweise auf das Arbeitsentgelt oder die Dienstbezüge anzurechnen. Der Gesetzgeber will sicherstellen, daß die dem Schwerbehinderten zum Ausgleich seiner Leiden gewährten Sozialleistungen nicht mit dem vom Arbeitgeber geschuldeten Arbeitsentgelt verrechnet werden. Das Gericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß das Übergangsgeld nach § 62 BAT zum Arbeitsentgelt zählt (BAG Urteil vom 13. Juli 1982 – 3 AZR 576/80 – AP Nr. 3 zu § 42 SchwbG zu 3a der Gründe mit weit. Nachweis). Ferner hat das Gericht entschieden, daß das vorgezogene Altersruhegeld für Schwerbehinderte (§ 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, § 48 Abs. 1 RKG) zu den nicht anrechnungsfähigen Renten gehört (BAG Urteile vom 10. Mai 1978 – 4 AZR 740/76 – AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 160/82 – AP Nr. 9 zu § 242 SchwbG; vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG).
2. Die Verträge über die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente und der Zusatzversorgungsrente sind nichtig (§ 134 BGB). Die Abtretungsverträge sollen die Anrechnung der Renten auf das Übergangsgeld bewirken und verstoßen daher gegen das in § 42 SchwbG enthaltene Anrechnungsverbot. Unabhängig hiervon ist die Abtretung der gesetzlichen Sozialversicherungsrente auch nach § 53 Abs. 1 SGB I nichtig; eine Ausnahme vom Abtretungsverbot ist nicht gegeben. Ansprüche auf Geldleistungen eines Sozialleistungsträgers können nur dann übertragen werden, wenn die Abtretung lediglich der Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung dient. Das beklagte Land konnte jedoch keinen Rückzahlungsanspruch erwerben.
III. Dem Kläger stehen dennoch keine Ansprüche mehr gegen das beklagte Land zu; diese sind infolge Ablaufs der Ausschlußfrist des § 70 BAT erloschen.
1. Der Kläger macht einen Bereicherungsanspruch geltend. Nach § 816 Abs. 2 BGB ist der Nichtberechtigte dem Berechtigten zur Herausgabe verpflichtet, wenn der Nichtberechtigte eine Leistung erhalten hat, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Das beklagte Land war zur Einziehung der Rentennachzahlung von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (im Juli 1976) und von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (im September 1976) nicht berechtigt. Die entsprechenden Abtretungserklärungen des Klägers waren nichtig, wie bereits dargelegt worden ist (oben II 2). Gleichwohl muß der Kläger die Zahlungen der Rententräger an das beklagte Land als Erfüllungsgeschäfte gegen sich gelten lassen. Er hat die Auszahlung der Rentennachzahlung an das beklagte Land stillschweigend gebilligt, wie sich aus seinem Vortrag in den Vorinstanzen ergibt. Er verlangt von dem beklagten Land nicht die Rückabwicklung der Rentenzahlung, sondern die Weiterleitung des Erlangten. Deshalb ist er auf Bereicherungsansprüche gegen das beklagte Land verwiesen.
2. Der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung war jedoch bereits erloschen, als das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 10. Mai 1978 (AP Nr. 1 zu § 42 SchwbG) erkannte, daß Renten, die wegen des vorgezogenen Ruhestands an Schwerbehinderte gezahlt werden, nicht auf das Übergangsgeld angerechnet werden dürfen.
a) Nach § 70 Abs. 1 BAT in der Fassung vom 23. Februar 1961 müssen Vergütungsansprüche innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag verfallen nach § 70 Abs. 2 BAT, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich erhoben werden.
Der Kläger verfolgt Ansprüche auf Auszahlung der unberechtigten Rentenüberweisungen. Dies sind “andere Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT. Zu diesen Ansprüchen gehören nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern auch solche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für die Frage, ob “ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag” im Sinne von § 70 Abs. 2 BAT vorliegt, ist nicht die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage entscheidend, sondern der Entstehungsbereich der Forderung (BAG Urteile vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 728/77 – AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu I der Gründe; vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT, 11. 1 vom 16. November 1982 – 3 AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, zu III 2a der Gründe). Dieser stammt in vorliegenden Fall aus dem Arbeitsvertrag; die Forderung des Klägers beruht allein darauf, daß er zur Sicherung einer vermeintlichen Anrechnungsmöglichkeit des beklagten Landes rückständige Rentenansprüche abgetreten hat.
Der Revision kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Auffassung vertritt, die Ansprüche des Klägers unterlägen nicht der tariflichen Ausschlußfrist, weil dadurch der vom Gesetz eingeräumte Schwerbehindertenschutz unterlaufen werde. Schwerbehinderten sind finanzielle Sonderrechte eingeräumt, um ihre körperlichen Behinderungen auszugleichen. Es bestehen aber im allgemeinen keine Gründe, bei Formen und Fristen der Geltendmachung von Ansprüchen die Schwerbehinderten anders zu behandeln als nicht behinderte Arbeitnehmer.
b) Der Kläger hat seine Ansprüche auf Neuberechnung des Übergangsgeldes der Rentennachzahlungen erst nach Ablauf der tariflichen Verfallfrist geltend gemacht. Zur Geltendmachung gehört, daß der Gläubiger seine Forderung so deutlich bezeichnet, daß der Schuldner erkennen kann, aus welchem Sachverhalt und in welcher ungefähren Höhe er in Anspruch genommen wird (BAG Urteil vom ??* März 1981 – 3 AZR 559/78 – AP Nr. 9 zu § 70 BAT, zu II 2a der Gründe). In diesem Sinne hat der Kläger seine Forderung erst am 22. Februar 1979 erhoben. Zwar hatte er schon zuvor Übergangsgeld beantragt, aber damals erkannte er ausdrücklich die Anrechnung der Renten an. Als das beklagte Land ihm das Übergangsgeld auszahlte, machte es ihm deutlich, daß die Zahlung nur unter dem Vorbehalt der Rentenabtretung erfolgte, ohne daß der Kläger widersprach. Erst am 22. Februar 1979 beantragte der Kläger eine Neuberechnung. Zu dieser Zeit war die Dreimonatsfrist abgelaufen. Sie begann, als die gesetzliche Sozialversicherungsrente im Juli 1976 und die Zusatzversorgungsrente im September 1976 an das beklagte Land statt an den Kläger gezahlt wurden.
c) Entgegen der Auffassung der Revision kann sich das beklagte Land auch auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist berufen. Den öffentlichen Arbeitgeber trifft keine allgemeine Fürsorgepflicht, seine Arbeitnehmer über etwaige Ansprüche zu belehren, soweit rechtlich verschiedene Ansichten möglich sind (BAG 8, 279, 284 = AP Nr. 25 zu § 256 ZPO, Bl. 4). Dies gilt zumindest dann, wenn es um Ansprüche geht, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzuwickeln waren. Kein Arbeitnehmer kann darauf vertrauen, daß sein Arbeitgeber bei Bekanntwerden neuer Entscheidungen oberster Bundesgerichte bereits abgewickelte Ansprüche aus beendeten Arbeitsverhältnissen erneut aufnimmt und ausgeschiedene Arbeitnehmer auf mögliche Ansprüche hinweist.
Ob die Rechtslage eine andere ist, wenn der öffentliche Arbeitgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (BAG 14, 193, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 22. November 1963 – 1 AZR 17/63 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu 4 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Mai 1974 – 3 AZR 422/73 – AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt – VBL, zu II 2a der Gründe; Urteil vom 16. November 1982 – ??* AZR 454/80 – AP Nr. 6 zu § 42 SchwbG, zu III 2c der Gründe), kann unentschieden bleiben. Das beklagte Land hat bei dem Kläger nicht den Eindruck erweckt, er werde weitere Rechtsbelehrungen erhalten. Daß es die Formulare zur Erhebung von Ansprüchen auf Übergangsgeld entworfen hat, ändert daran nichts.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Schoden, Dr. Menzel
Fundstellen