Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollzugszulage

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats:

"Vollzugszulage für Pfleger, die in geschlossenen Abteilungen bei einer psychiatrischen Krankenanstalt arbeiten, in denen ausschließlich Maßnahmen nach § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) durchgeführt werden."

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Mai 1999 - 4 Sa 752/98 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger zu 1) 1.872,16 DM brutto und an den Kläger zu 2) 2.154,39 DM brutto zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 1/8 der Kläger zu 1) und der Beklagte zu 7/8 zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob den Klägern über den 31. Oktober 1996 hinaus eine sogenannte Vollzugszulage zusteht.

Der Beklagte ist Träger des Bezirkskrankenhauses H, eines psychiatrischen Krankenhauses. Die Kläger sind auf den Stationen 25/E und 25/O im Pflegedienst eingesetzt. Bei beiden Stationen handelt es sich um geschlossene Stationen, in denen ausschließlich straffällig gewordene Personen zur Entziehung von einer Suchtmittelerkrankung auf Anordnung der Strafgerichte gemäß § 64 StGB untergebracht sind. Im Bereich der KAV Bayern gibt es keine eigenständigen Entziehungsanstalten iSv. § 64 StGB. Vielmehr findet auch der Vollzug der strafgerichtlich angeordneten Unterbringung von Suchtkranken ausschließlich in besonderen geschlossenen Stationen bei den psychiatrischen Krankenanstalten (Bezirkskrankenhäusern) statt.

Auf beide Arbeitsverhältnisse finden aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der BAT in der für den Bereich der kommunalen Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung, die einschlägigen Sonderregelungen zum BAT und die zusätzlich für den Bereich des Arbeitgebers verbindlichen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Der Beklagte ist Mitglied des KAV Bayern. Der Kläger zu 1) ist seit dem 1. Oktober 1997 mit drei Vierteln der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt. Der Kläger zu 2) ist und war vollzeitbeschäftigt.

Die Kläger sind nach Anlage 1 b zum BAT eingruppiert. Bis einschließlich 31. Oktober 1996 erhielten die Kläger die Zulage gemäß § 9 (Übergangsregelungen für den Bereich der KAV Bayern) des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 (VKA) iHv. 181,72 DM brutto, auf welche die sogenannte Psychiatriezulage iHv. 90,00 DM angerechnet wurde. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 teilte der Beklagte den Klägern mit, daß die Vollzugszulage bisher irrtümlich gezahlt worden sei und nunmehr entfalle.

Die Kläger haben im November 1996 schriftlich bei dem Beklagten die Weiterzahlung der Vollzugszulage erfolglos geltend gemacht.

Die Kläger vertreten den Standpunkt, daß sie in einer geschlossenen Station in einem psychiatrischen Krankenhaus tätig seien, die ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung diene. Auch bei den Entziehungsmaßnahmen nach § 64 StGB handele es sich um Maßnahmen der Sicherung und Besserung nach § 61 StGB. Deshalb stünde den Klägern weiterhin der Differenzbetrag zwischen der unstreitig gewährten Psychiatriezulage und der Vollzugszulage zu. Aus der Tatsache, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff der Entziehungsanstalt iSv. § 64 StGB in der tariflichen Regelung nicht erwähnt hätten, könne nicht geschlossen werden, daß deshalb nur Maßnahmen nach § 63 StGB zur Zulagenberechtigung führen könnten. Die Normgeber hätten berücksichtigt, daß es in Bayern keine eigenständigen Entziehungsanstalten gebe.

Die Kläger haben zweitinstanzlich zuletzt beantragt,

1. der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils die Vollzugszulagen nach § 9 Abs. 1 des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 in Höhe von derzeit 181,72 DM monatlich abzüglich der anrechenbaren Psychiatriezulage von derzeit 90,00 DM monatlich, somit 91,72 DM monatlich brutto für die Zeit vom 1. November 1996 bis 30. September 1998, also jeweils insgesamt 2.109,55 DM brutto zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Vollzugszulagnach § 9 Abs. 1 des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 auch für die Zeit ab 1. Oktober 1998 zu gewähren.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Nach Auffassung des Beklagten verfolgt die tarifliche Regelung den Zweck, Angestellte bezüglich der Zulagen gleich zu behandeln mit beamteten Kräften hinsichtlich der dort vorgesehenen Zulage gemäß der Vorbemerkung Nr. 12 zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B. Vergleichbaren beamteten Kräften stünde die Vollzugszulage jedoch nur dann zu, wenn sie in psychiatrischen Krankenanstalten in geschlossenen Abteilungen tätig seien, in denen Maßregeln der Sicherung und Besserung nach § 63 StGB durchgeführt würden. Die Vorschrift sei eng auszulegen und gelte nicht für Entziehungsanstalten iSv. § 64 StGB. Hinsichtlich der angestellten Kräfte sei ebenso zu verfahren. Schließlich unterscheide auch das Strafgesetzbuch bei den freiheitsentziehenden Maßregeln zwischen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Auch sei das Vollzugsziel unterschiedlich. Die Vollzugszulage diene der Abgeltung der erhöhten Anforderungen, die mit Tätigkeiten in abgeschlossenen, der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht zugänglichen Anstalten und dem ständigen Umgang mit straffällig gewordenen Personen verbunden seien. Insoweit bestehe ein unterschiedlicher Grad von Gefährdung im ständigen Umgang mit Personen, die nach § 63 StGB in geschlossenen Abteilungen untergebracht seien im Gegensatz zu suchtkranken straffällig gewordenen Personen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteilen vom 18. Juni 1998 in damals noch getrennten Verfahren die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Verbindung der Verfahren mit Urteil vom 20. Mai 1999 der Klage einheitlich stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision und erweitern ihre Klage auf der Grundlage einer in der Vergangenheit erfolgten Tariferhöhung. Weiterhin reduziert der Kläger zu 1) nunmehr seine Klage anteilmäßig unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Arbeitszeit von 3/4 der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ab 1. Oktober 1997.

Die Kläger stellen nunmehr folgenden Antrag zu 1:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Oliver K 1.872,16 DM brutto und an den Kläger Heinz W 2.154,39 DM brutto zubezahlen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Den Klägern steht die begehrte Vollzugszulage zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kläger seien ausschließlich in einer geschlossenen Station bei einer psychiatrischen Krankenanstalt beschäftigt. Diese Station diene dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung iSd. tariflichen Regelung. Der tarifliche Begriff der "Maßregeln der Besserung und Sicherung" entstamme § 61 StGB. Danach sei sowohl die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemeint. Zwar gehöre auch die Sicherungsverwahrung zu den Maßnahmen der Sicherung und Besserung, jedoch scheide ihre Einbeziehung in die tarifliche Regelung von vornherein aus, weil der Vollzug der Sicherungsverwahrung gem. § 139 StVollzG in den Justizvollzugsanstalten erfolge. Maßnahmen im Tarifsinne seien sowohl die freiheitsentziehenden Maßregeln der Unterbringung psychisch Kranker und der Unterbringung Suchtkranker. Beide erfolgten in geschlossenen Anstalten und Stationen auf Anordnung des Strafgerichts. Aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung und aus ihrem Sinn und Zweck lasse sich eine Einschränkung auf Maßnahmen nach § 63 StGB nicht erkennen. Von Bedeutung sei, daß die Übergangsregelungen des § 9 nur für den Bereich des KAV Bayern gälten, da es in Bayern keine eigenständigen Entziehungsanstalten iSv. § 64 StGB gebe. Schließlich hätten die sachkundigen Tarifvertragsparteien eine auf die tatsächliche Situation in Bayern abgestimmte tarifliche Regelung geschaffen. Andernfalls hätten sie Unterscheidungen sprachlich im Text zum Ausdruck bringen müssen. Die Vollzugszulage diene der Abgeltung erhöhter Anforderungen, die mit Tätigkeiten in abgeschlossenen, der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht zugänglichen Anstalten und dem ständigen Umgang mit straffällig gewordenen Personen verbunden seien. Beide Formen der geschlossenen Unterbringung seien von diesen Voraussetzungen gekennzeichnet. Eine Differenzierung sei nicht mit einem unterschiedlichen Grad der Gefährdung zu rechtfertigen, da sich gerade unter den "Rauschtätern" besonders gewalttätige Personen befinden könnten. Die historische Entwicklung des Zulagewesens habe keine entscheidungserhebliche Bedeutung, da die Tarifvertragsparteien eine auf die hier vorliegenden tatsächlichen Verhältnisse abgestimmte eigenständige Regelung geschaffen hätten.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts begegnen keine revisionsrechtlichen Bedenken. Den Klägern steht die begehrte Vollzugszulage gemäß § 9 des Tarifvertrages über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 (VKA) zu, weil sie jeweils überwiegend in einer geschlossenen Station bei einer psychiatrischen Krankenanstalt, die ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dient, beschäftigt sind.

1. Die Erweiterung der Klage in der Revisionsinstanz ist zulässig, da neues tatsächliches Vorbringen nicht erforderlich ist. Die Erweiterung bezieht lediglich eine zwischenzeitlich erfolgte tarifliche Erhöhung der Zulage ein bei gleichbleibenden Anspruchsvoraussetzungen. Eine Klageerweiterung in der Revisionsinstanz ist zulässig, wenn es sich um eine Klageänderung im Sinne von § 264 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO handelt und der geänderte Antrag auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt bzw. auf unstreitiges tatsächliches Vorbringen gestützt werden kann (BAG 16. September 1998 - 10 AZR 486/97 - nv.).

Soweit der Kläger zu 1) seine Klage nunmehr anteilmäßig unter Berücksichtigung seiner vereinbarten Arbeitszeit von 3/4 der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit reduziert, ist diese Beschränkung des Klageantrags ohne Änderung der tatsächlichen Klagegrundlage zulässig.

2. Die Revision ist unbegründet.

a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden jeweils kraft vertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in der für den Bereich der Kommunalen Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung, die einschlägigen Sonderregelungen zum BAT und die zusätzlich für den Bereich des Arbeitgebers verbindlichen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Dazu gehört der Tarifvertrag für die Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 (VKA), dessen Geltungsbereich sich gemäß § 1 unter anderem auf die unter die Anlage 1 b zum BAT fallenden Angestellten der Mitglieder der Arbeitgeberverbände, die der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände angehören, erstreckt.

b) Für den Anspruch sind folgende Vorschriften maßgebend:

Tarifvertrag über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 (VKA)

zuletzt geändert durch den Änderungstarifvertrag Nr. 16 vom 5. März 1999

aa) § 9

Übergangsregelungen für den Bereich des KAV Bayern (1)

Angestellte in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten, die ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienen, erhalten für die Zeit ihrer überwiegenden Beschäftigung in einer solchen Abteilung oder Station eine Vollzugszulage von monatlich 184,08 DM.

(ab 1. März 1997)

(ab 1. Mai 1995 betrug die Zulage 181,72 DM)

Steht neben der Vollzugszulage für denselben Zeitraum eine Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen an Angestellte gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT oder nach der jeweiligen Protokollerklärung Nr. 1 zu den Abschnitten A und B der Anl. 1 b zum BAT zu, vermindert sich die Vollzugszulage um die Beträge dieser Zulagen, höchstens jedoch um insgesamt 90,00 DM.

Für die Vollzugszulage gilt § 5 Abs. 1 und 2 entsprechend.

In § 5 heißt es:

Gemeinsame Vorschriften

(1) Die Zulagen werden nur für Zeiträume gezahlt, für die Bezüge (Vergütung, Urlaubsvergütung, Krankenbezüge) zustehen.

...

bb) Strafgesetzbuch

Sechster Titel.

M§ 61 Übersicht

Maßregeln der Besserung und Sicherung sind

1. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,

2. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,

...

Freiheitsentziehende Maßregeln

§ 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

§ 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

(1) Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, daß er infolge eines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

...

c) Die Kläger sind als "Angestellte in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten, die ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienen" tätig. Auch Angestellte im Maßregelvollzug nach § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) fallen darunter. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Die Tarifauslegung hat zunächst vom Wortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist aber auch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann (BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 mwN). Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhangs noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien - ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge - auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages zurückgegriffen werden (BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 mwN). Ferner gilt es, die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 5. Februar 1997 - 10 AZR 639/96 - AP BAT § 33 a Nr. 14 mwN).

bb) Beide Kläger arbeiten in geschlossenen Stationen. Die Bezeichnung "geschlossene Abteilung" ist in Arzt- und sonstigen Fachkreisen ein feststehender Begriff, mit dem Abteilungen angesprochen sind, in denen die Patienten sich in verschlossenen Räumen befinden, die sie nicht nach freiem Entschluß und ohne Mitwirkung der Pflegepersonen verlassen können. Der Begriff der Station wird gleichbedeutend verwendet (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Vergütungsordnung Stand Mai 2000 Teil II VKA Anlage 1b Anm. 38 II Buchstabe c; BAG 6. Dezember 1995 - 10 AZR 3/95 - ZTR 1996, 219; 6. November 1996 - 10 AZR 214/96 - ZTR 1997, 129; 12. November 1997 - 10 AZR 772/96 - AP BAT § 33 Nr. 15).

cc) Diese geschlossenen Stationen befinden sich nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bei einer psychiatrischen Krankenanstalt, nämlich dem Bezirkskrankenhaus H. Die Formulierung "in geschlossenen Abteilungen oder Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten" ist nicht so zu verstehen, daß es sich um eine geschlossene psychiatrische Abteilung oder Station einer psychiatrischen Krankenanstalt handeln muß. Mit der Präposition "bei" wird ein Verhältnis der Nähe zwischen den Wörtern "Abteilungen oder Stationen" und dem Begriff "psychiatrische Krankenanstalt" hergestellt. Gemeint ist eine räumliche, verwaltungsmäßige oder organisatorische Zuordnung. Es ist nicht erforderlich, daß die Station selbst psychiatrisch ist, es reicht die räumliche bzw. organisatorische Eingliederung in eine psychiatrische Krankenanstalt, die hier gegeben ist.

dd) Die Stationen, in denen die Kläger arbeiten, dienen ausschließlich dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung im Tarifsinne. Es ist nicht erforderlich, daß die Krankenanstalt als Ganze dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung zu dienen hat. Wäre dies der Fall, liefe die tarifliche Regelung teilweise leer. Maßregelvollzug findet in der Regel außerhalb der Justizvollzugsanstalten und nur zum Teil in speziellen Maßregelkrankenhäusern statt (vgl. BT-Drucks. 7/918 S 90; Volckart Maßregelvollzug 5. Aufl. S 46 f.). Auch das Bayerische Unterbringungsgesetz (Bayerisches GVBl. Nr. 6/1992 S 61 ff.) verlangt nicht, daß in speziellen Maßregelkrankenhäusern unterzubringen sei.

ee) Die an den untergebrachten Personen vollzogenen Maßregeln der Sicherung und Besserung gem. § 64 StGB erfüllen die tariflichen Voraussetzungen. Der Tarifvertrag nimmt Begriffe aus dem sechsten Titel des Strafgesetzbuches auf, dessen Überschrift lautet "Maßregeln der Besserung und Sicherung". § 63 StGB regelt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und § 64 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Beide Formen des Vollzugs fallen gem. § 61 Ziff. 1 und 2 StGB unter die Maßregeln der Besserung und Sicherung, sind also geeignet, die im Tarifvertrag verwendeten Begriffe zu erfüllen. Der Wortlaut läßt keine Anhaltspunkte dafür erkennen, daß eine Differenzierung zwischen einer Entziehungsanstalt im Sinne des § 64 StGB und einer psychiatrischen Krankenanstalt im Sinne des § 63 StGB im Hinblick auf das Ziel der Behandlung und Resozialisierung einerseits und das Ziel der Sicherung andererseits vorzunehmen wäre. Die Maßregeln des sechsten Titels des Strafgesetzbuches wollen den gefährlichen Täter unabhängig von seiner Schuld bessern und vor ihm schützen (Dreher/Tröndle StGB 43. Aufl. vor § 61 Rn. 1). Beide Elemente, Sicherung und Besserung, sind demnach gleichrangig vertreten. Gem. § 2 StVollzG stehen alle freiheitsentziehenden Maßnahmen unter dem Vollzugsziel eines zukünftigen Lebens ohne Straftaten (Besserung). Der Vollzug dient aber auch jeweils dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (Sicherung). Im übrigen sind nach den gemäß § 138 StVollzG maßgeblichen Maßregelvollzugsvorschriften des Landesrechts des Freistaates Bayern solche Unterschiede zwischen den beiden Unterbringungsformen nicht nachvollziehbar. Da das StVollzG nur Rahmenbestimmungen über den Maßregelvollzug enthält und im übrigen § 138 StVollzG auf das jeweilige Landesrecht verweist, ist insoweit hier das Bayerische Landesrecht maßgeblich. Das Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung idF der Bekanntmachung vom 5. April 1992 (UnterbrG) (Bayerisches GVBl. 1992 S. 61 zuletzt berichtigt in GVBl. 1992 S 851) regelt nicht nur die Unterbringung psychisch kranker Straftäter iSv. § 63 StGB, sondern auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt iSv. § 64 StGB. Beide Arten der Unterbringung sind in Bayern einheitlich in Art. 28 UnterbrG geregelt.

ff) Das Ergebnis entspricht auch dem beabsichtigten Sinn und Zweck der Tarifnorm und damit dem wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien. Die intern als "Gitterzulage" bezeichnete Zulage, die ursprünglich als eine Gefahrenzulage konzipiert war, soll erhöhte Anforderungen abgelten, die mit Tätigkeiten in abgeschlossenen, der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht zugänglichen Anstalten und dem ständigen Umgang mit straffällig gewordenen Personen verbunden sind. Die tarifliche und gesetzliche Entwicklung dieser Zulagen- und entsprechender Regelungen im Beamtenrecht verlief in der Vergangenheit im wesentlichen parallel (vgl. § 6 Tarifvertrag über Zulagen an Angestellte vom 17. Mai 1982 (Bund/TdL) und Vorbemerkung Nr. 12 zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Mai 2000 Teil V ZulTVe 1982 Erl. 9.1; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler BAT Stand Mai 2000 § 33 Anh. 5 Erl. 1 - 2 sowie Hinweis in Anh. 6; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Teil III Stand Mai 2000 TV allg. Zul. Bund/TdL Rn. 13).

Zu Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Regelung ist der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern zu entnehmen, daß damit "schwierige äußere und psychische Bedingungen" ausgeglichen werden sollen (BT-Drucks. 7/1906 S 114 Nr. 15a). In der Gegenäußerung der Bundesregierung heißt es dazu "besondere Belastungen des unmittelbaren dauernden Umgangs mit Anstaltsinsassen" (BT-Drucks. 7/1906 S 135 zu 15a). Mit der Einführung der Zulage 1975 bestand Einigkeit, daß Einrichtungen der Strafjustiz und Einrichtungen in Anbindung an die Strafjustiz, die dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienen, gemeint sind ( vgl. OVG Rheinland-Pfalz 19. September 1997 - 10 A 12838/96.OVG - AS RP-SL 26, S 354-360).

Die Zulage soll eine besondere Gefährdung abgelten, denen Angestellte in geschlossenen Abteilungen ausgesetzt sind. Der mit der Zulage honorierte Tätigkeitsbereich ist von der Außenwelt abgeschirmt und fordert daher eine ständige erhöhte Wachsamkeit, um Ausbruchsversuche und Übergriffe zu verhindern (BVerwG 23. April 1998 - 2 C 1/97 - ZTR 1998 S 475 f.). Einerseits sind die Betroffenen selbst während ihrer Arbeitszeit von der Freiheitsentziehung betroffen, der die Gefangenen in Anstalten und im geschlossenen Maßregelvollzug unterliegen. Zudem werden die erhöhten Anforderungen abgegolten, die mit dem ständigen Umgang mit straffällig gewordenen Personen verbunden sind, namentlich ein auf Dauer angelegter unmittelbarer Kontakt und eine ständige Interaktion mit Strafgefangenen (OVG Rheinland-Pfalz 19. September 1997 aaO).

Wenn im Kommentar von Schwegmann/Summer (BbesG Stand Mai 2000 Vbm. Nr. 12 zur BbesO A/B) ausgeführt wird, daß es sich bei den psychiatrischen Krankenanstalten um psychiatrische Krankenhäuser im Sinne des § 61 Nr. 1 iVm. § 63 StGB handele, die dem Vollzug von Maßregeln der Sicherung und Besserung dienten, während Beamte, die in sonstigen Einrichtungen nach § 61 Nr. 2 - 4 StGB freiheitsentziehende Maßregeln durchführten, in diesem Zusammenhang nicht erfaßt würden, so läßt sich dies mangels Begründung nicht nachvollziehen.

Die Kläger unterliegen den geschilderten Erschwernissen. Sie sind durch die Abgeschlossenheit der Station selbst von der Freiheitsentziehung betroffen und sie haben unmittelbaren dauernden Umgang mit Strafgefangenen, denn eine der Voraussetzungen für die Unterbringung nach § 64 StGB ist die Verurteilung wegen einer rechtswidrigen Tat bzw. die Nichtverurteilung aus Gründen der Schuldunfähigkeit. Ein unterschiedliches Gefahrenpotential im Vollzug nach § 63 StGB im Verhältnis zum Vollzug nach § 64 StGB ist nicht Anknüpfungspunkt der tariflichen Zulagenregelung. Im übrigen ist ein unterschiedliches Gefahrenpotential auch nicht erkennbar.

gg) Zweifel an dem gefundenen Auslegungsergebnis lassen sich auch nicht aus dem Umstand herleiten, daß nach dem Willen der Tarifvertragsparteien aus der Gesamtheit der durch die Tätigkeit im Maßregelvollzug besonders belasteten Angestellten nur diejenigen "bei psychiatrischen Krankenanstalten" mit einer Zulage bedacht werden und die Unterbringung in Entziehungsanstalten, soweit diese nicht in geschlossenen Stationen bei psychiatrischen Krankenanstalten erfolgt, nicht unter die vorliegende Zulagenregelung fällt. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, Tarifverträge auf ihre Zweckmäßigkeit zu untersuchen. Es kommt hinzu, daß die Tarifvertragsparteien mit der hier streitigen Regelung eine Sondervorschrift geschaffen haben, die nur in Bayern gilt. Im Bereich der KAV Bayern gibt es jedoch keine eigenständigen Entziehungsanstalten iSd. § 64 StGB. Auch der Vollzug der strafgerichtlich angeordneten Unterbringung von Suchtkranken findet ausschließlich in besonderen geschlossenen Stationen bei den psychiatrischen Krankenanstalten statt. Es muß davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der konkreten Praxis der dortigen Unterbringung den Beschäftigten im Maßregelvollzug nach § 64 StGB die streitige Zulage gewähren wollten. Ein entgegenstehender Wille hätte deutlich formuliert werden müssen.

Alle übrigen tarifvertraglichen Voraussetzungen (§ 5 Abs. 1; die Anrechnung gem. § 9 Abs. 1 Unterabs. 2) sind erfüllt.

d) Damit hat der Beklagte an den Kläger zu 2) für den Zeitraum vom 1. November 1996 bis zum 30. September 1998 den geltend gemachten Betrag von 2.154,39 DM brutto zu zahlen. Für den Zeitraum November 1996 bis einschließlich Februar 1997 ergeben sich 4 x 91,72 DM monatlich brutto = 366,88 DM (181,72 DM - 90,00 DM anrechenbare Psychiatriezulage). Für den Zeitraum März 1997 bis einschließlich September 1998 ergeben sich 19 x 94,08 DM brutto = 1.787,52 DM (184,08 DM monatlich brutto abzgl. der Psychiatriezulage von 90,00 DM).

An den Kläger zu 1) hat der Beklagte für den Zeitraum vom 1. November 1996 bis zum 30. September 1998 noch 1.872,16 DM brutto zu zahlen. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Vollzugszulage von 181,72 DM monatlich brutto abzgl. der anrechenbaren Psychiatriezulage von 90,00 DM monatlich brutto für den Zeitraum November 1996 bis einschließlich Februar 1997, somit 4 x 91,72 DM monatlich brutto = 366,88 DM brutto.

Vollzugszulage von 184,08 DM monatlich brutto abzgl. der anrechenbaren Psychiatriezulage von 90,00 DM monatlich brutto für den Zeitraum März 1997 bis einschließlich September 1997, somit 7 x 94,08 DM monatlich brutto = 658,56 DM brutto.

Vollzugszulage von 138,06 DM (75 % von 184,08 DM) monatlich brutto abzgl. der anrechenbaren Psychiatriezulage von 67,50 DM monatlich brutto (75 % von 90,00 DM) für den Zeitraum Oktober 1997 bis einschließlich September 1998, somit 12 x 70,56 DM monatlich brutto = 846,72 DM brutto.

e) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Kläger im November 1996 schriftlich vom Beklagten die Weiterzahlung der Vollzugszulage erfolglos geltend gemacht. Sie haben damit die Anforderungen der rechtzeitigen Geltendmachung iSd. § 70 BAT erfüllt.

f) Die Klage auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung der Vollzugszulage für den Zeitraum ab dem 1. Oktober 1998 ist zulässig, da sie geeignet ist, den zwischen den Parteien bestehenden Streit zu beseitigen und aus den oben angestellten Erwägungen begründet, weshalb auch diesbezüglich die Revision zurückzuweisen war.

III. Die Kostenfolge für den Kläger ergibt sich aus § 269 Abs. 3 ZPO, diejenige für den Beklagten aus § 97 ZPO. Dr. Jobs

Böck Marquardt Staedtler

Großmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 610782

ZTR 2001, 123

PflR 2003, 257

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