Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag – sozialer Überbrückungszweck als Sachgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Der befristete Arbeitsvertrag mit einem vormaligen Beamten auf Widerruf nach Abschluß seiner Ausbildung kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn dem Arbeitnehmer damit Gelegenheit gegeben werden soll, berufliche Erfahrungen zu sammeln, um seine Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen (sozialer Überbrückungszweck).
2. Der öffentliche Arbeitgeber kann sich auf diesen Sachgrund nur berufen, wenn die sozialen Belange des Arbeitnehmers und nicht die Interessen der Dienststelle für den Abschluß des Zeitvertrags maßgebend waren (BAG Urteil vom 3. Oktober 1984 - 7 AZR 132/83 - BAGE 47, 44 = AP Nr. 88 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).
3. Die Tatsache, daß der Arbeitnehmer auf vorübergehend unbesetzten Beamtenstellen beschäftigt wird, spricht gegen den Sachgrund der sozialen Überbrückung. Der Befristung können dann andere Sachgründe zugrunde liegen, auf die sich der Arbeitgeber im Geltungsbereich des BAT aber nur berufen kann, wenn sie nach der Nr. 1 der SR 2y im Vertrag vereinbart worden sind.
Normenkette
BGB § 620
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 1997 - 14 Sa 4/97 - wird zurückgewiesen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 1995.
Die Klägerin wurde am 1. September 1991 als Finanzanwärterin in den Vorbereitungsdienst der Steuerverwaltung des beklagten Landes als Beamtin auf Widerruf eingestellt. Das Beamtenverhältnis endete am 31. Oktober 1994 mit erfolgreichem Abschluß der mündlichen Laufbahnprüfung. Die Klägerin bestand mit Note „ausreichend” (7,67 Punkten). Damit erreichte sie nicht den Notendurchschnitt von acht Punkten, den das beklagte Land für eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe voraussetzte. Den Prüfungsabsolventen mit schlechteren Prüfungsergebnissen bot das beklagte Land stattdessen den Abschluß eines Arbeitsvertrags mit einjähriger Laufzeit an. Daraufhin vereinbarten die Parteien am 20. Oktober 1994 ein für die Zeit vom 1. November 1994 bis zum 30. September 1995 befristetes Arbeitsverhältnis als Zeitangestellte nach der SR 2y BAT. In § 2 des Vertrags war als Befristungsgrund vereinbart:
„Das Arbeitsverhältnis dient der Verbesserung der künftigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Steuerverwaltung durch praktische Erfahrung (sozialer Auslauftatbestand); die Stelle steht ab 1. Oktober 1995 für einen Angestellten nicht mehr zur Verfügung.”
Der Vertrag wurde mit Änderungsvertrag vom 7. August 1995 bis zum 31. Oktober 1995 verlängert.
Die Klägerin hat die Befristung für unwirksam gehalten. Sie hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien unbefristet über den 31. Oktober 1995 hinaus fortbesteht und das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin als Verwaltungsangestellte in der VergGr. IV a BAT zu beschäftigen,
hilfsweise,
das beklagte Land zu verurteilen, der Klägerin die Differenz zwischen der abgerechneten VergGr. V b BAT und der VergGr. IV a BAT für die Zeit ab April 1995 bis zum 31. Oktober 1995 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei aus sozialen Gründen sachlich gerechtfertigt. 1994 hätten infolge einer unerwartet geringeren Personalfluktuation nicht genügend Stellen für die dauerhafte Beschäftigung aller erfolgreichen Prüfungsabsolventen zur Verfügung gestanden. Mit der Einführung eines Notendurchschnitts für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe habe sichergestellt werden sollen, daß auch für die Prüfungsabsolventen der Folgejahre eine Übernahmemöglichkeit bestehe. Ein Bedarf für eine Beschäftigung der Klägerin habe nicht vorgelegen. Der Landeshaushalt habe keine entsprechenden Angestelltenstellen ausgewiesen. Die Klägerin sei auf einer Beamtenstelle geführt worden, die vorübergehend nicht besetzt gewesen sei. Ihre Beschäftigung habe ausschließlich dazu gedient, ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Dafür spreche auch seine Bereitschaft, die Klägerin unverzüglich von der Arbeitspflicht zu befreien, soweit sie während der Vertragslaufzeit eine andere Arbeitsstelle finde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31. Oktober 1995 hinaus festgestellt und das beklagte Land verurteilt, die Klägerin als Verwaltungsangestellte in der Steuerverwaltung mit Tätigkeiten der VergGr. V b weiterzubeschäftigen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die vereinbarte Befristung zum 31. Oktober 1995 beendet worden ist.
I. Gegenstand der Befristungskontrolle ist der Arbeitsvertrag vom 20. Oktober 1994. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und seiner darauf beruhenden Würdigung hat es sich bei dem Vertrag vom 7. August 1995 um eine Vereinbarung gehandelt, mit dem die Parteien ihr bisheriges Arbeitsverhältnis lediglich hinsichtlich des Endzeitpunktes modifiziert haben, ohne ihr Rechtsverhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen.
II. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31. Oktober 1995 ist unwirksam. Aus dem Vorbringen des beklagten Landes läßt sich nicht entnehmen, daß die Befristung des Arbeitsvertrags mit der Klägerin sachlich gerechtfertigt war. Das beklagte Land hat in seinem Sachvortrag mehrere, sich wechselseitig ausschließende Sachgründe miteinander verknüpft und zu keinem der in Frage kommenden Sachgründe schlüssig vorgetragen.
1. Das beklagte Land hat sich auf eine soziale Überbrückungsmaßnahme als Sachgrund berufen, wie er im Vertrag vom 20. Oktober 1994 als „sozialer Auslauftatbestand” vereinbart ist. Die Voraussetzungen dieses Sachgrunds sind jedoch nicht vorgetragen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann eine soziale Überbrückungsmaßnahme die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitgeber seinem früheren Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden ist oder der seine Ausbildung abgeschlossen hat, zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten oder zur Verbesserung seiner Arbeitsmarktchancen befristet weiterbeschäftigt (BAG Urteil vom 3. Oktober 1984 - 7 AZR 132/83 - BAGE 47, 44 = AP Nr. 88 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu II 2 der Gründe, m.w.N.; vgl. auch BAG Urteil vom 14. Oktober 1997 - 7 AZR 298/96 - AP Nr. 154 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Derartige soziale Beweggründe kommen als Sachgrund nur in Betracht, wenn es ohne den sozialen Überbrückungszweck überhaupt nicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses, auch keines befristeten Arbeitsverhältnisses, gekommen wäre. Das hat der Arbeitgeber anhand konkreter Tatsachen vorzutragen. Sie müssen darauf schließen lassen, daß die betrieblichen/dienstlichen Interessen des Arbeitgebers für den Abschluß des Arbeitsvertrags nicht ausschlaggebend waren. Der Tatsache, daß der Arbeitnehmer während der Befristung mit sinnvollen Arbeitsaufgaben beschäftigt wird, hindert nicht die Annahme, daß ohne den sozialen Überbrückungszweck ein Vertragsschluß unterblieben wäre (BAG Urteil vom 3. Oktober 1984, aaO).
b) Das Vorbringen des beklagten Landes genügt diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin ist nicht auf einer Stelle beschäftigt worden, für die der Haushaltsgesetzgeber befristet Sondermittel aus arbeitsmarktpolitischen Gründen zur Verfügung gestellt hat. Sie ist vielmehr auf einer vorübergehend unbesetzten Beamtenstelle eingesetzt worden, deren Inhaber nach dem Vortrag des beklagten Landes entweder Wehr- oder Zivildienst ableistete oder Erziehungsurlaub in Anspruch nahm. Dieses Vorbringen spricht für einen dienstlich begründeten Vertretungsbedarf, der zwar selbst einen Sachgrund bilden kann (siehe unten), jedoch die Annahme des Sachgrunds „soziale Überbrückungsmaßnahme” ausschließt. Denn regelmäßig ist davon auszugehen, daß die Aufgaben der Beamten, die vorübergehend beurlaubt oder freigestellt sind, erledigt werden müssen. Damit liegt der Einsatz von Vertretungskräften vorrangig im dienstlichen Interesse. Dieses dienstliche Interesse kann allerdings auch fehlen, wenn die vom Arbeitgeber bestimmte Arbeitsmenge auch ohne den befristet eingestellten Arbeitnehmer von den vorhandenen Arbeitskräften bewältigt werden soll. Dann könnte die vorübergehende Beschäftigung in erster Linie aus sozialen Gründen und nicht vorrangig zur Bearbeitung dringend zu erledigender Aufgaben erfolgen. Das Fehlen eines dienstlichen Interesses muß jedoch durch einen entsprechenden Sachvortrag belegt werden. Dazu müssen Tatsachen über die Zahl der freien Beamtenstellen und der vorhandenen Arbeitsmenge sowie deren Aufteilung auf die vorhandenen Mitarbeiter vorgetragen werden. Diesen Anforderungen wird das Vorbringen, die Daueraufgaben der Steuerverwaltung hätten allein von den vorhandenen Beamten bewältigt werden können, nicht gerecht. Es handelt sich um einen substanzlosen Vortrag, auf dessen Grundlage sich nicht feststellen läßt, daß die Klägerin in erster Linie aus sozialen Gründen beschäftigt worden ist. Im übrigen weist auch die Antwort des Finanzministers vom 18. Juli 1994 auf den Antrag des Abgeordneten Kiesecker (LT-Drucks. 11/4176) auf das Gegenteil hin. Danach sollte mit der befristeten Einstellung der nicht übernommenen Prüfungsabsolventen auch der Personalbedarf der Finanzämter sichergestellt werden. Zudem hat das beklagte Land noch geltend gemacht, die befristete Einstellung der Klägerin sei erfolgt, um künftigen Prüfungsabsolventen noch Übernahmemöglichkeiten zu eröffnen (dazu unter 2.). Auch dieses Vorbringen verdeutlicht ein vorrangiges dienstliches Interesse an der Arbeitsleistung der Klägerin. Angesichts dessen kann die Behauptung des beklagten Landes, der Klägerin sei die Möglichkeit der jederzeitigen Beendigung des Zeitvertrags bekannt gewesen, zu seinen Gunsten unterstellt werden. Der Tatsache kommt mangels ausreichendem Sachvortrag keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
2. Der Senat hat das Vorbringen des beklagten Landes ferner daraufhin überprüft, ob die vorübergehende Beschäftigung der Klägerin wegen der geplanten Übernahme von Auszubildenden aus späteren Jahrgängen sachlich gerechtfertigt ist, auch wenn das beklagte Land nicht ausdrücklich vorgetragen hat, daß die Klägerin überhaupt auf einem Beamtenposten beschäftigt worden ist, der für einen besser qualifizierten Absolventen des nachfolgenden Prüfungsjahrgangs freigehalten werden sollte. Allenfalls der vertraglich festgehaltene Hinweis, die Stelle stehe ab 1. Oktober 1995 für einen Angestellten nicht mehr zur Verfügung, deutet auf diesen Sachverhalt hin.
Nach der ständigen Senatsrechtsprechung liegt ein Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses vor, wenn ein Arbeitnehmer vorübergehend bis zu dem Zeitpunkt beschäftigt werden soll, in dem ein Auszubildender seine Ausbildung beenden wird und dessen Übernahme der Arbeitgeber konkret beabsichtigt. Insoweit besteht ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer vorübergehenden Beschäftigung eines Arbeitnehmers, weil er Auszubildende unter erheblichem Aufwand für seine Zwecke ausbildet und für sie am Ende der Berufsausbildung auch eine Beschäftigungsmöglichkeit zur Verfügung stellen möchte (BAG Urteil vom 6. November 1996 - 7 AZR 909/95 - AP Nr. 188 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, m.w.N.). Nach diesen Wertungsmaßstäben könnte auch eine Befristung wie im Streitfall gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitgeber eine bestimmte Anzahl von Auszubildenden mit schwächeren Prüfungsergebnissen nicht übernimmt und sie nur vorübergehend in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt, um für die qualifizierteren Absolventen künftiger Abschlußjahrgänge noch Beschäftigungsmöglichkeiten zu haben. Das verlangt allerdings eine Prognose des Arbeitgebers zur Zahl der künftig zur Verfügung stehenden Stellen und zur Zahl der zur Übernahme in Betracht kommenden Auszubildenden. Für diese Prognose hat der Arbeitgeber, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem befristet eingestellten Arbeitnehmer, Tatsachen vorzutragen, die Grundlage seiner Prognoseentscheidung sind. Daran fehlt es vorliegend. Das beklagte Land hat lediglich die konkrete Anzahl der in den Jahren 1994 bis 1996 übernommenen Prüfungsabsolventen in ein Beamtenverhältnis auf Probe vorgetragen. Zur Zahl der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Stellen bei Einbeziehung der erwarteten Personalfluktuation und zur Anzahl derjenigen Absolventen, deren Prüfungsergebnisse voraussichtlich befriedigend und besser sein werden, fehlt jedes Vorbringen. Aufgrund der vom beklagten Land mitgeteilten Tatsachen läßt sich deshalb nicht feststellen, daß der Sachgrund der vorübergehenden Beschäftigung auf Stellen, die für (andere) Auszubildende freigehalten werden sollten, vorliegt. Deshalb kann dahinstehen, ob bei Vorliegen des Sachgrunds die Formvorschrift der Nr. 1 der SR 2y zum BAT eingehalten ist.
3. Aus dem Vorbringen des beklagten Landes könnte auch geschlossen werden, daß die Klägerin zur Aushilfe oder zur Vertretung beschäftigt werden sollte. Auf diesen Sachgrund, der die vorliegende Befristung hätte rechtfertigen können, kann sich das beklagte Land jedoch nicht berufen, weil das der vertraglichen Vereinbarung widerspricht. Die im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbarte Befristungsform des Zeitangestellten nach Nr. 1 a der SR 2y BAT erfaßt nicht die Befristungsgründe der Aushilfe und der Vertretung, wie sie in der Nr. 1 c der SR 2y BAT beschrieben sind (BAG Urteil vom 29. Oktober 1998 - 7 AZR 477/97 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt zugleich für den am 31. Juli 1999 ausgeschiedenen ehrenamtlichen Richter Jubelgas, Knapp
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.07.1999 durch Schiege, Justizsekretär z.A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 566 |
DB 2000, 50 |
NWB 1999, 4244 |
EBE/BAG 1999, 178 |
ARST 2000, 73 |
FA 1999, 375 |
JR 2000, 395 |
NZA 1999, 1335 |
SAE 2000, 126 |
ZTR 2000, 86 |
AP, 0 |
PersR 1999, 514 |
ZfPR 2000, 212 |
GV/RP 2000, 523 |
KomVerw 2000, 103 |
FuBW 2000, 208 |
FuHe 2000, 357 |
FuNds 2000, 231 |