Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzuwendung. Kürzung bei Krankheit. Gratifikation. Sondervergütung. Tarifauslegung
Orientierungssatz
- Die Sonderzuwendung der Angestellten der Druckindustrie im Land Nordrhein-Westfalen durfte im Jahr 2000 wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten nicht gekürzt werden, da der gültige Manteltarifvertrag dies nicht vorsah.
- Zwar bestimmt § 20 Abs. 5 dieses Tarifvertrags für solche Vorschriften, die dem bundesweit gültigen MTV gewAN sinngemäß entsprechen oder gleichlauten, die Anwendbarkeit der Durchführungsbestimmungen des MTV gewAN, jedoch finden sich Kürzungsregeln für gewerbliche Arbeitnehmer nicht in solchen Durchführungsbestimmungen, sondern in Protokollnotizen.
- Die Vorschrift ist nicht so auszulegen, daß mit Durchführungsbestimmungen auch Protokollnotizen gemeint sind, da die Tarifvertragsparteien die Begriffe unterschiedlich definieren und verwenden.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Angestellten der Druckindustrie im Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 1997 (MTV Angestellte NRW) §§ 9, 20 Abs. 5; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Februar 1997 (MTV gewAN) § 9; Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Februar 1997 (MTV gewAN) mit Protokollnotizen vom 19. November und 19. Dezember 1974 § 17
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, die tarifliche Jahresleistung der Klägerin für das Jahr 2000 im Hinblick auf krankheitsbedingte Fehlzeiten zu kürzen.
Die Klägerin arbeitet seit dem 1. April 1986 als Finanzbuchhalterin für die Beklagte. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die tariflichen Bestimmungen für die Angestellten der Druckindustrie in Nordrhein-Westfalen Anwendung. Die Klägerin ist teilzeitbeschäftigt mit einer täglichen Arbeitszeit von fünf Stunden an jeweils fünf Tagen pro Woche. Sie bezog im Jahr 2000 ein tarifliches Entgelt in Höhe von 4.197,14 DM brutto. Die Klägerin fehlte krankheitsbedingt im Jahr 2000 vom 25. Februar bis zum 3. März und sodann fortlaufend seit dem 7. Juli.
Die Beklagte kehrte an die Klägerin mit der Gehaltsabrechnung November 2000 eine Jahresleistung in Höhe von 3.460,44 DM brutto aus und nahm wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten einen Abzug in Höhe von 526,84 DM vor.
Die tarifliche Jahresleistung ist in § 9 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Druckindustrie im Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 27. Februar 1997 (MTV Angestellte NRW), abgeschlossen zwischen der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst, Landesbezirk NRW einerseits und den Verbänden der Druckindustrie Nordrhein e.V. und Westfalen Lippe e.V. andererseits – soweit hier von Interesse – wie folgt geregelt:
- “
- Die Angestellten und Auszubildenden erhalten eine tarifliche Jahresleistung in Höhe von 95 % des jeweiligen zum Fälligkeitszeitpunkt gültigen tariflichen Monatsgehaltes bzw. der tariflichen Ausbildungsvergütung.
Voraussetzung für den vollen Anspruch ist ein ungekündigtes Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis, das seit dem 4. Januar bis einschließlich 31. Dezember des laufenden Fälligkeitsjahres besteht.
Angestellte bzw. Auszubildende, deren Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis nach dem 4. Januar des laufenden Fälligkeitsjahres beginnt und die Probezeit besteht, erhalten für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens ihres Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnisses 1/12 der tariflichen Jahresleistung.
- Angestellte bzw. Auszubildende, deren Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis kraft Gesetzes oder durch Vereinbarung während des ganzen Kalenderjahres ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Anstellungs- bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr jedoch nur zeitweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
- Angestellte, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bzw. wegen Erreichens der Altersgrenze ausscheiden, erhalten eine anteilige Leistung, auch wenn das Anstellungsverhältnis am 31. Dezember nicht mehr besteht. In diesen Fällen wird die Auszahlung der Jahresleistung fällig mit dem Tage der Beendigung des Anstellungsverhältnisses.
- …
- Teilzeitbeschäftigte erhalten eine anteilige Jahresleistung nach dem Verhältnis ihrer vereinbarten Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit.…
Die Auszahlung der Jahresleistung ist spätestens am 31. Dezember eines jeden Jahres fällig. Der Auszahlungszeitpunkt wird im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt. Frühere Auszahlungen gelten als Vorschuß.
…”
In § 20 Abs. 5 MTV Angestellte NRW, der auf Vorschriften des bundesweit gültigen Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie verweist, heißt es:
“Bei Bestimmungen dieses Vertrages, die dem MTV gewerbliche Arbeitnehmer sinngemäß entsprechen bzw. gleich lauten, finden die Durchführungsbestimmungen des MTV gewerbliche Arbeitnehmer Anwendung.”
Für die gewerblichen Arbeitnehmer besteht eine § 9 MTV Angestellte NRW nahezu gleichlautende Regelung der tariflichen Jahresleistung in § 9 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Februar 1997 (MTV gewAN), abgeschlossen zwischen dem Hauptvorstand der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst einerseits und dem Bundesverband Druck e.V. andererseits. Zu dieser Vorschrift gibt es keine Durchführungsbestimmungen, aber zwei Protokollnotizen vom 19. November und 19. Dezember 1974. In der Protokollnotiz vom 19. November 1974 heißt es:
Der MTV gewAN enthält weitere Protokollnotizen und zu den einzelnen Vorschriften jeweils Durchführungsbestimmungen. § 17 MTV gewAN regelt:
“Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Manteltarifvertrag sind Bestandteil dieses Tarifvertrages. Sie enthalten nicht nur Erläuterungen, sondern auch den Stammtext ergänzende und ändernde Bestimmungen. Insoweit sind die Durchführungsbestimmungen selbständiges Tarifrecht.”
Die Klägerin hält die Kürzung der tariflichen Jahresleistung für unberechtigt, weil nach § 20 Abs. 5 MTV nur die Anwendung der Durchführungsbestimmungen, nicht aber der Protokollnotizen aus dem MTV gewAN vereinbart worden sei. Ein anderer über den Wortlaut hinausgehender Wille der Tarifvertragsparteien, Protokollnotizen mit Durchführungsbestimmungen gleichzustellen, habe im MTV Angestellte keinen Niederschlag gefunden. Im Gegenteil seien im MTV Angestellte NRW zum Teil wörtlich aus dem MTV gewAN entnommene Protokollnotizen und Durchführungsbestimmungen enthalten. Etwaige redaktionelle Versäumnisse hätten zudem im Rahmen der letztmalig zum 27. Februar 1997 vorgenommenen Änderungen des MTV korrigiert werden können. Es seien auch Gründe für eine unterschiedliche Behandlung beider Arbeitnehmergruppen denkbar, zB ein in der Regel höherer Krankenstand der gewerblichen Arbeitnehmer.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 526,84 DM brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, der fehlende Verweis auf die Protokollnotizen in § 20 Abs. 5 MTV Druck sei lediglich ein redaktionelles Versehen. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollten beide Arbeitnehmergruppen gleichbehandelt werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Klägerin war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch zu.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Burger, Großmann
Fundstellen
FA 2003, 31 |
NZA 2003, 288 |
AuA 2002, 571 |
EzA-SD 2002, 16 |
EzA |
NJOZ 2003, 2012 |