Leitsatz (amtlich)
1. Für den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG) kommt es grundsätzlich nicht darauf an, wann und bei welcher Gelegenheit sich ein Arbeiter eine Krankheit zuzieht oder einen Unfall erleidet.
2. Der Lohnfortzahlungsanspruch nach Maßgabe des Gesetzes entfällt nicht deshalb, weil die Arbeitsunfähigkeit aus einem Unfall herrührt, den der Arbeiter erlitten hat, während er in der von seiner Ehefrau betriebenen Gastwirtschaft mithalf.
Normenkette
LohnFG § 1; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 5. Juni 1974 – 5 Sa 829/73 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Fortzahlung von Lohn im Krankheitsfalle in Anspruch.
Der Arbeiter E. S. ist bei der Beklagten, einem metallverarbeitenden Betrieb mit 24 Arbeitnehmern, als Schlosser beschäftigt. In seiner Freizeit hilft Herr S. seiner Ehefrau, die in W. eine Gastwirtschaft betreibt. Bei der Klägerin ist er gegen Unfall versichert.
Am 29. Juli 1972 war Herr S. ab 16.30 Uhr in der Gastwirtschaft tätig. Am Morgen des nächsten Tages verließ er zwischen 0.00 und 1.00 Uhr die Gaststube, um einen zur Gastwirtschaft gehörenden Abfalleimer zu leeren. Dabei knickte er mit seinem linken Fuß um und stürzte auf sein Knie. Wegen der dadurch erlittenen Verletzungen war er in der Zeit vom 30. Juli bis 5. November 1972 arbeitsunfähig krank. In den ersten sechs Wochen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hätte der Versicherte bei der Beklagten einen Nettoverdienst von 1.395,95 DM erzielt. Die Klägerin gewährte ihrem Versicherten neben einem Verletztengeld in Höhe von 909,80 DM, berechnet aus dem geschätzten Verdienst als mithelfendes Familienmitglied, ein weiteres Verletztengeld in Höhe von 1.302,– DM, berechnet aus dem bei der Beklagten in Folge der Arbeitsunfähigkeit entgangenen Verdienst. Der Versicherte S. trat der Klägerin insoweit seine Lohnfortzahlungsansprüche gegen die Beklagte ab.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei zur Fortzahlung des Lohnes nach dem Lohnfortzahlungsgesetz verpflichtet. Sie hat behauptet, aus der Tätigkeit in der Gaststätte hätten beide Ehegatten nur einen geringen Verdienst erwirtschaftet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.302,– DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Anspruch auf Lohnfortzahlung sei nicht begründet, da sich ihr Arbeitnehmer die Verletzung bei seiner Tätigkeit als mithelfendes Familienmitglied zugezogen habe. Dadurch sei er wie ein selbständiger Unternehmer tätig geworden. Im übrigen hat die Beklagte behauptet, der Arbeitnehmer S. habe sich den Unfall wegen des vorausgegangenen Alkoholkonsums zugezogen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
1. Die Regelvoraussetzungen des § 1 LohnFG liegen vor. Das Berufungsgericht hat insbesondere festgestellt, daß der Unfall nicht auf Alkoholgenuß zurückzuführen ist. Diese Feststellung wird von der Revision nicht angegriffen.
Der Arbeitnehmer S. hat seine Ansprüche auf Lohnfortzahlung in Höhe des gezahlten Verletztengeldes der Klägerin abgetreten. Das ist zulässig (Urteil des Senats vom 15. Mai 1974 – 5 AZR 377/73 – AP Nr. 1 zu § 182 RVO [zu 2 der Gründe]) Die Klägerin ist somit Inhaberin dieser Forderung geworden. Die Ausschlußfristen des für das Arbeitsverhältnis der Parteien geltenden Tarifvertrages sind gewahrt.
2. Die Parteien streiten jetzt nur noch darüber, ob Ansprüche auf Lohnfortzahlung deshalb ausgeschlossen sind, weil der Versicherte den Unfall bei seiner Tätigkeit in der Gaststätte erlitten hat.
Das Berufungsgericht wertet diese Tätigkeit als unternehmerische Tätigkeit. Das schließe aber einen Anspruch nicht aus. Das Lohnfortzahlungsgesetz regele umfassend die Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs und die Fälle, in denen der Anspruch ausgeschlossen werde. Nach Sinn und Zweck der Bestimmung müsse auch ein Arbeiter, der neben seiner unselbständigen Beschäftigung noch ein eigenes Gewerbe ausübe, bei unverschuldeter Krankheit Lohnfortzahlung erhalten; er sei wie jeder andere Arbeitnehmer auch insoweit schutzbedürftig.
Die Revision meint, Lohnfortzahlungsansprüche seien ausgeschlossen, wenn ein Arbeitnehmer einen Unfall bei einer Tätigkeit als selbständiger Unternehmer erleide. Als mithelfendes Familienmitglied müsse sich Herr S. wie ein selbständiger Unternehmer behandeln lassen. Er könne seinen Arbeitgeber mit dem Unfallrisiko aus dieser Tätigkeit nicht belasten. Dabei komme es auf die Höhe der Einkünfte aus den verschiedenen Tätigkeiten nicht an.
3. a) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Frage, inwieweit ein bei einer selbständigen Unternehmertätigkeit verursachter unverschuldeter Unfall Ansprüche nach dem Lohnfortzahlungsgesetz ausschließt, ist nicht einheitlich.
Die von der Beklagten vertretene „Sphärentheorie” findet ihre Stütze in der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts in BAG 20, 250 = AP Nr. 43 zu § 1 ArbKrankhG. Der Erste Senat hatte den Krankengeldzuschuß eines Arbeitnehmers zu beurteilen, der nebenberuflich mit Billigung seines Arbeitgebers ein Holzsägegewerbe mit einer fahrbaren Säge betrieb und aus dieser Tätigkeit etwa 1/6 bis 1/7 seines Gesamteinkommens bezog. Während der Ausübung dieses Gewerbebetriebes erlitt er einen Unfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit führte. Der Erste Senat versagte den Anspruch auf Zuschuß zum Krankengeld mit der Begründung, der Kläger habe seinen Unfall in der Sphäre als selbständiger Unternehmer, also nicht irgendwie als Arbeiter erlitten. Die „immanenten Grenzen des Arbeiterkrankheitsgesetzes” seien jedenfalls dann überschritten, wenn der Arbeiter durch ein Ereignis arbeitsunfähig geworden sei, das ausschließlich in seiner Sphäre als Unternehmer eines eigenen Gewerbebetriebes liege.
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat gegen diese Entscheidung des Ersten Senats Bedenken angemeldet (AP Nr. 45 zu § 1 ArbKrankhG). In dem von ihm zu beurteilenden Sachverhalt konnte die Unfallursache aber noch dem privaten Bereich zugeordnet werden. Der Arbeiter betrieb nebenberuflich im Keller seines Hauses eine Schuhmacherwerkstatt. Als er vom Kaninchenfüttern zurückkam und in seine Werkstatt gehen wollte, brach er sich auf der Kellertreppe den Fuß.
In der Folgezeit – nach Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes – sind der Erste und der Fünfte Senat der Sphärentheorie nicht mehr gefolgt. Der Erste Senat hat sie nicht angewendet, als es um den nebenberuflichen Betrieb einer kleinen Landwirtschaft ging. Ohne nähere Begründung heißt es, daß die Art der von dem Arbeiter B betriebenen Bewirtschaftung seines landwirtschaftlichen Besitzes nicht als Unternehmertätigkeit angesehen werden könne. B übe nur eine Nebentätigkeit im landläufigen Sinne aus; seine Tätigkeit als Arbeitnehmer könne nicht aufgespalten werden in die eines Arbeiters und die eines Landwirts (BAG AP Nr. 7 zu § 1 LohnFG [zu 2 und 3 der Gründe]). Der Fünfte Senat knüpfte in einem vergleichbaren Fall nur an diese Entscheidung des Ersten Senats (AP Nr. 7 zu § 1 LohnFG) an und übernahm die Begründung, daß die Bewirtschaftung eines kleineren landwirtschaftlichen Besitzes nicht als Unternehmertätigkeit angesehen werden könne (AP Nr. 17 zu § 1 LohnFG [zu 2 der Gründe]).
Auch in den weiteren Entscheidungen des Fünften Senats wurden Lohnfortzahlungsansprüche zugesprochen, wenn es um die Beurteilung von Nebentätigkeiten in der Landwirtschaft ging (BAG AP Nr. 19, 22 und 24 zu § 1 LohnFG). Auf die Sphäre, in der sich der Unfall ereignete, wurde jedenfalls nicht abgestellt. Die Entscheidung des Senats AP Nr. 30 zu § 1 LohnFG geht ebenfalls nicht von der Sphärentheorie aus; der Anspruch auf Lohnfortzahlung wurde nur aus Erwägungen des Rechtsmißbrauchs deshalb versagt, weil der Arbeiter eine Vollbauernstelle bewirtschaftete und daraus erheblichen Gewinn zog (vgl. Bl. 1 R und 2).
Insgesamt läßt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entnehmen, daß es auf die Sphäre, in der sich der Arbeiter den Unfall zugezogen hat, nicht ankommt.
b) Die Auffassungen im Schrifttum und in den Instanzgerichten sind geteilt (für den generellen Ausschluß von Lohnfortzahlungsansprüchen in Fällen, in denen der Arbeitnehmer bei einer selbständigen Tätigkeit einen Unfall erlitten hat: z.B.: Doetsch-Schnabel-Paulsdorff, LohnFG, 3. Aufl., § 1 Anm. 18; für eine uneingeschränkte Gewährung von Ansprüchen bei Vorliegen der Regelvoraussetzung z.B.: Kehrmann-Pelikan, LohnFG, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 56; Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl, § 1 LohnFG Abschn. IX – Seite C 159 ff.; Zeuner, AuR 1975, 300 [304], jeweils mit weiteren Nachweisen, auch aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte).
4. Der Senat ist der Ansicht, daß es unerheblich ist, in welcher Sphäre der Arbeitnehmer den Unfall erleidet, wenn nur die Regelvoraussetzungen des § 1 LohnFG vorliegen. Die Geltendmachung eines solchen Anspruches verstößt auch nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben, weil sich der Arbeiter den Unfall bei seiner Tätigkeit als selbständiger Unternehmer zugezogen hat. Weder Wortlaut noch Sinn des Lohnfortzahlungsgesetzes gestatten diese einschränkende Auslegung des Anspruchs. Die entgegenstehende Rechtsprechung aus AP Nr. 43 zu § 1 ArbKrankhG wird für das Lohnfortzahlungsgesetz aufgegeben. Da nach dem Geschäftsverteilungsplan 1975 Rechtsfragen aus Krankheit der Arbeitnehmer allein dem erkennenden Senat zugewiesen sind, braucht der Große Senat deswegen nicht angerufen zu werden.
a) Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Lohnfortzahlungsanspruch davon abhängen soll, wann und bei welcher Gelegenheit sich ein Arbeiter eine Krankheit zuzieht oder einen Unfall erleidet. Vor allem kommt es nach dieser Bestimmung nicht darauf an, ob die Krankheit oder der Unfall mit der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers im Zusammenhang stehen. Es ist unerheblich, ob sich der Arbeiter in der Freizeit verletzt, bei Erledigung von Arbeiten im eigenen Hause und Garten oder bei gelegentlicher nachbarschaftlicher Hilfeleistung. Auch bei Unfällen, die ein Arbeiter in einem zweiten Arbeitsverhältnis erleidet, sind Lohnfortzahlungsansprüche gegen den ersten Arbeitgeber grundsätzlich nicht ausgeschlossen (BAG AP Nr. 13 zu § 1 ArbKrankhG [zu III der Gründe] mit zustimmender Anmerkung von Schelp).
Es ist nun kein sachlicher Grund ersichtlich, Unfälle der „unternehmerischen Sphäre” anders zu behandeln als Unfälle im privaten Bereich oder in einem zweiten Arbeitsverhältnis. Diese Risiken einer Arbeitsunfähigkeit liegen ebensowenig außerhalb des Schutzzwecks der Lohnfortzahlungsbestimmungen wie die Risiken eines in zwei Arbeitsverhältnissen beschäftigten Arbeitnehmers (Zeuner, AuR 1975, 300 [304]). Eine Unterscheidung wäre auch, wie die bisherige Rechtsprechung und der vorliegende Fall zeigen, unpraktisch. Es müßte dann im Einzelfall zwischen Unternehmertätigkeit eines Arbeitnehmers und schlichter Mithilfe auf familienrechtlicher Grundlage (§ 1356 Abs. 2 BGB) unterschieden werden, wobei im ersteren Fall Lohnfortzahlungsansprüche ausgeschlossen wären, während Mithilfe im Geschäft oder Gewerbe des Ehegatten der Privatsphäre zugerechnet oder doch wie ein zweites Arbeitsverhältnis behandelt werden müßten. Der Bestand und die Geltendmachung eines Lohnfortzahlungsanspruches kann nicht davon abhängen, in welcher Rechtsform der Arbeitnehmer ein und dieselbe Nebenbeschäftigung ausübt. Im vorliegenden Falle kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Versicherte S. unternehmerisch oder nur als mithelfender Ehegatte tätig geworden ist.
b) Eine einschränkende Auslegung ist mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren. Jeder Arbeiter soll in den Tagen einer unverschuldeten Krankheit wirtschaftlich sichergestellt werden. Er soll die Möglichkeit erhalten, seine Krankheit auszuheilen und seine Arbeitskraft wiederherzustellen. Auch der Arbeiter, der sich neben seinem Beruf eine Verdienstmöglichkeit als Selbständiger geschaffen hat, muß im Fall der Krankheit sozial abgesichert werden. Der Lebensstandard eines solchen Arbeiters beruht auf beiden Einkommensquellen; er würde sinken, wenn ihm im Fall der Krankheit kein Lohn fortgezahlt werden müßte.
Vom Arbeitgeber wird nichts Unbilliges verlangt. Er hat lediglich einen Teil des Risikos des Arbeiters zu tragen. Er hat nur den Lohn fortzuzahlen, den der Arbeiter, wäre er gesund gewesen, bei ihm verdient hätte. Für Einkommensverluste aus der Tätigkeit als Selbständiger muß der Arbeiter selbst einstehen oder sonst Vorsorge, z.B. durch Abschluß von Versicherungen, treffen. Einer solchen privaten Vorsorge steht die Aufnahme in die gesetzliche Unfallversicherung gleich. Der Arbeiter oder der Ehegatte bringen für diese Versicherung in ihrer Eigenschaft als Unternehmer selbst die Beiträge auf.
c) Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes spricht gegen die „Sphärentheorie”. Der Gesetzgeber hat es nicht für notwendig erachtet, Lohnfortzahlungsansprüche für bestimmte Fallgruppen – hier für Unfälle aus einer selbständigen Tätigkeit – auszuschließen. Ein Entwurf der Bundesregierung aus dem Jahre 1962 zum Lohnfortzahlungsgesetz (BT-Drucks. IV/817) sah noch eine Freistellung des Arbeitgebers von der Entgeltfortzahlungspflicht für die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vor, die auf einen Unfall beruhten, den der Arbeitnehmer bei einer anderen während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses ausgeübten Erwerbstätigkeit erlitten hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 1). Das Lohnfortzahlungsgesetz enthält keine derartige Vorschrift.
5. Bei dieser Betrachtungsweise ist es auch nicht vertretbar, generell und ohne Bezug auf den Einzelfall die Geltendmachung von Ansprüchen auf Lohnfortzahlung als rechtsmißbräuchlich anzusehen, wenn der Arbeiter seinen Lebensunterhalt überwiegend durch selbständige Tätigkeit erzielt und sich hier eine Krankheit zuzieht oder einen Unfall erleidet (so noch BAG AP Nr. 24 zu § 1 LohnFG [zu 3 der Gründe] mit ablehnender Anmerkung von Tons [zu II 3] und BAG AP Nr. 30 zu § 1 LohnFG [Bl. 2] mit ablehnender Anmerkung von Trieschmann [zu 1]).
a) Das Gesetz stellt für den Regelfall nicht darauf ab, ob der von einer Krankheit betroffene Arbeitnehmer mehr oder weniger auf den Lohn und die Lohnfortzahlung angewiesen ist. Lediglich bei geringfügiger Beschäftigung ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung ausgeschlossen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 LohnFG). Diese Ausnahmeregelung hat ihren Grund darin, daß es in Fällen einer geringfügigen Beschäftigung regelmäßig auch an einer Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers fehlt, weil er auf die Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung nicht angewiesen sein dürfte. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß es in allen anderen Fällen nicht auf den Umfang der Tätigkeit und damit auch nicht auf die Höhe des erzielten Verdienstes und das Verhältnis der Einkünfte aus verschiedenen Tätigkeiten ankommen soll (vgl. Zeuner, AuR 1975, 300 [305]). Folgerichtig ist der Ausschluß von Lohnfortzahlungsansprüchen auch für Fälle, in denen der Arbeitnehmer noch ein weiteres Arbeitsverhältnis eingegangen ist, nicht in Betracht gezogen worden. Auch hier gilt, daß derjenige Arbeiter, der neben seinem Arbeitsverhältnis noch Einkünfte als Selbständiger erwirtschaftet, nicht weniger schutzbedürftig ist, als ein Arbeiter, der ein zweites Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Wer neben seinem Arbeitsverhältnis noch eine weitere Verdienstmöglichkeit sucht und findet, richtet seinen Lebensstandard nach beiden Verdienstquellen aus. Müßte ein solcher Arbeitnehmer im Fall der Krankheit auf einen erheblichen Teil seiner Einkünfte verzichten, würde das dem Sinn und Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes zuwider laufen.
b) Die bisherige Rechtsprechung hat auch dem Umstand, daß der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 LohnFG ein echter Lohnanspruch ist, zu wenig Rechnung getragen. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt bleibt im Falle der unverschuldeten Krankheit aufrechterhalten. Sinngemäß finden sich gleiche Formulierungen in §§ 616 BGB, 63 HGB und § 133 c Gewerbeordnung. Lohnansprüche sind aber nicht von einer mehr oder weniger großen Bedürftigkeit des Arbeiters abhängig. Deshalb hat jeder Arbeiter in seinem Arbeitsverhältnis Anspruch darauf, im Falle einer unverschuldeten Krankheit den ihm zustehenden Lohn weiter zuerhalten. Die Pflicht zur sozialen Sicherung im Krankheitsfalle ist Teil der gegenseitigen arbeitsvertraglichen Pflichten (vgl. hierzu insbesondere Tons, Anm. zu BAG AP Nr. 24 zu § 1 LohnFG [zu II 3 a]). Unterschiede nach der jeweiligen Höhe der Einkünfte kann es – abgesehen von Fällen der geringfügigen Beschäftigung nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 LohnFG – nicht geben.
Auch insoweit wird die bisher entgegenstehende Rechtsprechung des erkennenden Senats aufgegeben.
c) In besonderen Fällen können allerdings Ansprüche auf Lohnfortzahlung ausgeschlossen sein, wenn die Ursache für die Arbeitsunfähigkeit im Bereich einer Nebentätigkeit liegt. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Nebentätigkeit verboten oder besonders gefährlich war oder die Kräfte des Arbeitnehmers überstieg. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, dieser Frage weiter nachzugehen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gibt es keine Gesichtspunkte, die gegen einen Anspruch auf Lohnfortzahlung sprechen könnten.
Unterschriften
gez.: Dr. Hilger, Siara, Dr. Heither, Keller, Schleinkofer
Fundstellen
Haufe-Index 1436741 |
NJW 1976, 823 |
Nachschlagewerk BGH |