Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Wegeentschädigung. Anspruch auf Zahlung einer Wegeentschädigung gemäß § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II. öffentlicher Dienst
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeiter erhält nach § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II für jeden angefangenen Kilometer eine Wegeentschädigung, sofern der kürzeste zumutbare Fahrweg von der Mitte des Wohnortes bis zu dem jeweiligen Arbeitsplatz einschließlich etwaiger Fußstrecken für den Hin- und Rückweg mehr als fünf Kilometer beträgt. Arbeitsplatz im Sinne dieser Tarifbestimmung kann auch ein Sammelplatz iSv. § 13 Abs. 1 Satz 3 TV-F/NRW II sein, an dem sich die Arbeiter einzufinden haben, um zu den jeweiligen Einsatzorten mit betriebseigenen Fahrzeugen zu gelangen.
Orientierungssatz
- Beträgt der kürzeste zumutbare Fahrweg von der Mitte des Wohnortes – bei Streusiedlungen von der Wohnung des Arbeiters – bis zu dem jeweiligen Arbeitsplatz einschließlich etwaiger Fußstrecken für den Hin- und Rückweg mehr als fünf Kilometer, wird dem Arbeiter nach § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II für jeden angefangenen weiteren Kilometer eine Wegeentschädigung gezahlt.
- Danach ist tarifvertraglich bestimmt, daß eine Distanz von fünf Kilometern bis zu dem Ort, an dem der Arbeiter seine arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erfüllen hat, als Weg zum Erfüllungsort angesehen wird, der finanziell in die Sphäre des Arbeiters fällt. Jeder darüber hinausgehende Aufwand, zum Arbeitsplatz zu gelangen, ist mit einer vom Arbeitgeber zu zahlenden Wegeentschädigung abzugelten.
Normenkette
Tarifvertrag für Arbeiter in Gemeinde-Forstbetrieben in Nordrhein-Westfalen (TV-F/NRW II) vom 6. Juli 1972 i.d.F. des 26. Änderungstarifvertrages vom 6. Dezember 1996 § 24 Abs. 1; Tarifvertrag für Arbeiter in Gemeinde-Forstbetrieben in Nordrhein-Westfalen (TV-F/NRW II) vom 6. Juli 1972 i.d.F. des 26. Änderungstarifvertrages vom 6. Dezember 1996 § 24 Abs. 2; Tarifvertrag für Arbeiter in Gemeinde-Forstbetrieben in Nordrhein-Westfalen (TV-F/NRW II) vom 6. Juli 1972 i.d.F. des 26. Änderungstarifvertrages vom 6. Dezember 1996 § 13 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Wegeentschädigung.
Der Kläger ist seit 1976 bei der Beklagten als Waldfacharbeiter (Forstwirt) beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Tarifvertrags für Arbeiter in Gemeinde-Forstbetrieben in Nordrhein-Westfalen (TV-F/NRW II). Darin heißt es:
“
§ 13
Arbeitszeit
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen und Wegezeiten durchschnittlich … Stunden wöchentlich. Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von … zugrunde zu legen.
Die Arbeitszeit beginnt und endet an der vorgeschriebenen Arbeitsstelle, bei wechselnden Arbeitsstellen an dem jeweils vorgeschriebenen Arbeits- oder Sammelplatz.
…
§ 24
Wegeentschädigung
(1) Beträgt der kürzeste zumutbare Fahrweg von der Mitte des Wohnortes – bei Streusiedlungen von der Wohnung des Arbeiters – bis zu dem jeweiligen Arbeitsplatz einschließlich etwaiger Fußwegstrecken für den Hin- und Rückweg mehr als 5 km, wird dem Arbeiter für jeden angefangenen weiteren Kilometer eine Wegeentschädigung von 0,22 DM gezahlt.
(2) Die Wegeentschädigung entfällt, wenn
a) vom Forstbetrieb eine Fahrmöglichkeit gestellt wird,
b) die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist und dem Arbeiter die Fahrtauslagen erstattet werden. Für die Hin- und Rückwege zwischen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und Wohnort bzw. Wohnung des Arbeiters sowie zwischen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und Arbeitsstelle gilt in diesem Falle Abs. 1 entsprechend,
c) der Arbeiter an einem Tage mehr als zwei Arbeitsstunden schuldhaft versäumt.
(3) In Zweifelsfällen hinsichtlich der Zumutbarkeit gemäß Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b) entscheidet der Arbeitgeber im Einvernehmen mit der Personalvertretung.
(4) Die Wegezeit gilt nicht als Arbeitszeit.
…”
Die Einsatzorte des Klägers in dem räumlich zergliederten Stadtforst der Beklagten sind von seiner Wohnung aus unterschiedlich weit entfernt. Zunächst fuhr der Kläger mit seinem PKW zu den jeweiligen Arbeitsplätzen. Ab 1985 stellte die Beklagte eine Fahrmöglichkeit zur Verfügung und ordnete an, daß die Forstarbeiter sich regelmäßig am Sammelplatz, dem städtischen Forstamt, zu treffen hatten. Von dort aus fuhren die Arbeiter zu den jeweiligen Einsatzorten mit betriebseigenen Fahrzeugen. Seit dem zahlte die Beklagte keine Wegeentschädigung mehr. Den Weg von seiner Wohnung zum Forstamt (14 km) legte der Kläger mit seinem privaten PKW zurück. Dafür verlangte er eine Wegeentschädigung, zuletzt für die Zeit von Juni 2000 bis Februar 2001 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 245,52 DM (= 125,53 Euro) brutto.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf Wegeentschädigung nach § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II zu. Bei wechselnden Arbeitsstellen könne auch ein Sammelplatz Arbeitsplatz iSv. § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II sein.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum vom 1. Juni 2000 bis zum 28. Februar 2001 eine Wegeentschädigung in Gesamthöhe von 245,52 DM (= 125,53 Euro) brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe eine Wegeentschädigung nach § 24 TV-F/NRW II nicht zu. Diese sei nur für wechselnde Arbeitsplätze zu zahlen. Im übrigen entfalle die Wegeentschädigung, da der Kläger mit betriebseigenen Fahrzeugen zu seiner Arbeitsstelle gebracht werde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, soweit der Kläger seine Klage noch aufrechterhalten hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Wegeentschädigung nach § 24 TV-F/NRW II für den zuletzt geltend gemachten Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2001 in unstreitiger Höhe von 245,52 DM ( = 125,53 Euro) brutto. Dies ergibt eine Auslegung der Tarifbestimmung.
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (st. Rspr. des BAG, vgl. 28. Mai 1998 – 6 AZR 349/96 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 52 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 5, zu II 2a der Gründe; 26. April 2001 – 6 AZR 2/00 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 37, zu 1a der Gründe; 29. August 2001 – 4 AZR 337/00 – BAGE 99, 24 = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 174 = EzA BGB § 622 Tarifvertrag Nr. 2, zu 1b der Gründe).
2. Der Wortlaut der Tarifbestimmung von § 24 TV-F/NRW II ist eindeutig. Beträgt der kürzeste zumutbare Fahrweg von der Mitte des Wohnortes – bei Streusiedlungen von der Wohnung des Arbeiters – bis zu dem jeweiligen Arbeitsplatz einschließlich etwaiger Fußwegstrecken für den Hin- und Rückweg mehr als fünf Kilometer, wird dem Arbeiter für jeden angefangenen weiteren Kilometer eine Wegeentschädigung von 0,22 DM gezahlt. Als für den Arbeitgeber kostenfreie Strecke im Sinne des Weges zur Arbeitsstelle wird eine Distanz von 5 km fingiert. Damit bestimmt der Tarifvertrag, daß eine Distanz von 5 km bis zum Arbeitsort, dh. dem Ort, an dem der Arbeiter seine arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erfüllen hat, als Weg zum Erfüllungsort angesehen wird, der finanziell in die Sphäre des Arbeiters fällt. Jeder darüber hinausgehende Aufwand, zum Arbeitsplatz zu gelangen, soll mit einer Wegeentschädigung für den Arbeiter abgegolten werden.
3. Das bestätigt auch der aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifbestimmung folgende Sinn und Zweck der Regelung. Dieser besteht darin, daß nur eine Entfernung von fünf Kilometern zum Arbeitsplatz als zumutbar für den Arbeiter angesehen wird. Ein darüber hinausgehender Aufwand des Arbeitnehmers ist durch die Wegeentschädigung zu vergüten. Nach § 24 Abs. 2 Buchst. b) TV-F/NRW II entfällt die Wegeentschädigung, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist und dem Arbeitgeber die Fahrtauslagen erstattet werden. Für die Hin- und Rückwege zwischen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und Wohnort bzw. Wohnung des Arbeiters sowie zwischen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und Haltestelle gilt in diesem Fall Absatz 1 entsprechend. Daraus wird der Wille der Tarifvertragsparteien ersichtlich, trotz einer Erstattung der tatsächlichen Fahrtauslagen eine Wegeentschädigung selbst dann zu gewähren, wenn Hin- und Rückwege zwischen der Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und dem Wohnort oder der Wohnung des Arbeiters sowie zwischen Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels und Arbeitsstelle mehr als fünf Kilometer betragen.
4. § 24 Abs. 1 TV-F/NRW II enthält allerdings keine eigenständige Bestimmung des Begriffs des Arbeitsplatzes. Arbeitsplatz ist in der Regel der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen hat. Das kann auch ein Sammelplatz sein. Denn nach § 13 Abs. 1 Satz 3 TV-F/NRW II beginnt und endet die Arbeitszeit bei wechselnden Arbeitsstellen jeweils an dem vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeits- oder Sammelplatz. Damit haben die Tarifvertragsparteien bei den für Forstarbeiter typisch wechselnden Arbeitsstellen den Sammelplatz als Arbeitsplatz angesehen.
5. Die Forstarbeiter der Beklagten, darunter auch der Kläger, treffen sich regelmäßig am städtischen Forstamt, um von dort an den jeweiligen Einsatzort mit städtischen Fahrzeugen zu gelangen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 TV-F/NRW II ist damit das Forstamt der jeweilige Arbeitsplatz des Arbeiters. Weitere Einschränkungen bezüglich der Art des Arbeitsplatzes sind in § 24 TV-F/NRW II nicht geregelt. Die Tarifnorm unterstellt, daß es jeweils unterschiedliche Einsatzorte der Waldarbeiter gibt. Dorthin zu gelangen, kann jeweils einen kürzeren oder längeren Aufwand für den einzelnen Arbeiter bedeuten. Der Arbeitgeber kann durch Anordnung gegenüber den Arbeitern festlegen, ob sich diese an einem – ggf. wechselnden – Sammelplatz einzufinden haben, um von dort aus zum jeweiligen Einsatzort befördert zu werden. Er hat ein einseitiges Bestimmungsrecht sowohl hinsichtlich der Einsatzorte als auch der Orte, an denen sich die Arbeiter jeweils zum Einsatz einzufinden haben. Die Anordnung, sich an einem Sammelplatz zu treffen, hebt die Verpflichtung zur Zahlung einer Wegeentschädigung nicht auf. Diese fällt nur dann nicht an, sofern der für die Anfahrt zum Sammelplatz zurückzulegende Fahrweg im Sinne der Tarifbestimmung nicht länger als 5 km ist.
6. Dem Anspruch auf Wegeentschädigung steht § 24 Abs. 2 TV-F/NRW II nicht entgegen. Nach dieser Tarifbestimmung entfällt die Wegeentschädigung unter den in Buchst. a), b) und c) aufgeführten Voraussetzungen. Buchst. a) verlangt, daß eine Fahrmöglichkeit gestellt wird. Die Beklagte hat durch die Anweisung, daß die Mitarbeiter sich beim Forstamt treffen, dieses zum Arbeitsplatz bestimmt. Für die Fahrt zum Arbeitsplatz stellt sie jedoch keine Fahrmöglichkeit zur Verfügung. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind deshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Tarifnorm nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen nach Buchst. b) und c) der Tarifbestimmung für den Wegfall einer Wegeentschädigung sind nicht gegeben.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Hinsch, W. Zuchold
Fundstellen
FA 2003, 319 |
ZTR 2003, 622 |
AP, 0 |
NZA-RR 2004, 648 |
Tarif aktuell 2003, 13 |