Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Schulungskosten
Normenkette
BGB § 611; GG Art. 12
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.09.1989; Aktenzeichen 13 Sa 44/89) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 03.02.1989; Aktenzeichen 11 Ca 185/88) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. September 1989 – 13 Sa 44/89 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die„Rückzahlung von Ausbildungskosten.
Der Beklagte war in der Zeit vom 14. Dezember 1987 bis zum 30. September 1988 als Elektrotechniker bei der Klägerin beschäftigt und wurde als Leiharbeitnehmer bei anderen Betrieben eingesetzt. Er hat zuletzt ein Gehalt von etwa 3.700,– DM brutto monatlich bezogen. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgerechte Kündigung des Beklagten. Die Klägerin verlangt deswegen vom Beklagten die Rückzahlung der Kosten, die ihr durch die Teilnahme des Beklagten an folgenden drei Programmierungs- und Steuerkursen der Siemens AG entstanden sind:
- Vom 18. Januar 1988 bis 22. Januar 1988 für den Lehrgang „Siemens S 24”.
- Vom 8. Februar 1988 bis 12. Februar 1988 für den „Einführungskurs S 5”.
- Vom 28. März 1988 bis 30. März 1988 für den „Schulungskurs SH 1”.
Die Parteien haben, auf die vorgenannten Lehrgänge bezogen, folgende gleichlautende Vereinbarung getroffen:
„Für den Fall, daß der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigt oder durch sein Verhalten dem Arbeitgeber zur Kündigung Anlaß gibt, ist der Arbeitnehmer zur Rückzahlung der für die Dauer der Fortbildungsmaßnahme erhaltenen Bezüge und der Kosten der Fortbildungsmaßnahme selbst verpflichtet.
Der Rückzahlungsbetrag ist mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers sofort fällig und aufrechenbar gegen pfändbare Restansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis.
Für jeden vollen Monat nach Beendigung der Fortbildungsmaßnahme werden dem Arbeitnehmer von dieser Rückzahlungsverpflichtung je 3 % erlassen.”
Die Höhe der Rückzahlungsverpflichtung wurde in der ersten und letzten Vereinbarung auf jeweils 3.000,– DM und in der zweiten auf 2.000,– DM festgelegt.
Nach der Kündigung des Beklagten behielt die Klägerin vom Gehalt für September 1988 einen Betrag von 1.614,08 DM ein. Darüber hinaus errechnet die Klägerin einen Rückzahlungsbetrag von 4.951,99 DM, den sie in diesem Rechtsstreit geltend macht.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Rückzahlungsvereinbarung sei wirksam, weil der Beklagte eine Zusatzausbildung erhalten habe, die seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt beträchtlich erhöht hätten. Das zeige sich schon daran, daß er nunmehr bei einer Auftraggeberin der Klägerin für einen Stundenlohn von 70,– DM beschäftigt werde. Die Klägerin habe dem Beklagten nicht nur solche Kenntnisse vermittelt, die er benötigt habe, um die von der Klägerin eingesetzten Geräte bedienen zu können. Das durch die Lehrgänge dem Beklagten vermittelte Wissen eröffne ihm neue berufliche Möglichkeiten und sei ein angemessener Gegenwert für die Rückzahlungsverpflichtung.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.951,99 DM zuzüglich 8,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Rückzahlungsvereinbarung sei unwirksam, weil die jeweils kurzzeitige Ausbildung ihn nur zur Bedienung bestimmter Siemens-Geräte bei Kunden der Klägerin befähigen sollte. Dadurch habe sich sein „Marktwert” nicht erhöht. Der Beklagte habe durch die Lehrgänge keine höhere berufliche Qualifikation erhalten und dementsprechend auch keine Verdienststeigerung erreicht.
Die Klägerin habe außerdem nicht nachgewiesen, daß ihr durch die Teilnahme des Beklagten an den Lehrgängen Aufwendungen in Höhe der Rückzahlungsverpflichtung entstanden seien. Außerdem habe die Klägerin den Rückzahlungsbetrag falsch errechnet, denn sie hätte ihn um jeweils 3 % vom ursprünglich geschuldeten Betrag pro Monat ermäßigen müssen und nicht lediglich um 3 % des jeweiligen Restbetrages verringern dürfen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten als unwirksam angesehen.
I. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, daß Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aufgewendet hat, von ihm zurückzuzahlen sind, wenn er das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 GG beeinträchtigen. Insoweit kommt es darauf an, ob den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenübersteht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Die Rückzahlungspflicht muß vom Standpunkt eines verständigen Betrachters aus einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen; der Arbeitnehmer muß mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dabei kommt es u.a. auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an (vgl. BAGE 13, 168, 174 ff. = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG, zu II 1 der Gründe; BAGE 28, 159, 160, 163 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 19. März 1980 – 5 AZR 362/78 – AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe und vom 23. Februar 1983 – 5 AZR 531/80 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe sowie Urteile vom 11. April 1984 – 5 AZR 430/82 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe und vom 23. April 1986 – 5 AZR 159/85 – AP Nr. 10 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).
II. Das Landesarbeitsgericht ist in seiner Entscheidung von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat ausdrücklich festgestellt, daß dem Beklagten durch den Besuch der Lehrgänge keine zusätzlichen Qualifikationen vermittelt worden sind.
Die Vorinstanz hat dazu ausgeführt, der Beklagte habe nur solche Kenntnisse erworben, die er zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit benötigt habe. Allerdings sei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für solche Fälle zu überdenken, in denen ein Arbeitnehmer in mehrmonatiger Schulung Kenntnisse der elektronischen Datenverarbeitung erworben habe und diese nach Aufkündigung seines Arbeitsverhältnisses dem früheren Arbeitgeber als nunmehr selbständiger Unternehmer bzw. freier Mitarbeiter anbiete. In solchen Fällen bleibe dann in der Regel dem früheren Arbeitgeber keine andere Wahl, als dieses Angebot anzunehmen, weil der frühere Mitarbeiter als sachkundiger Spezialist für die Weiterführung der EDV-Programme unentbehrlich sei. Allerdings sei zweifelhaft, ob diese Überlegungen in diesem Rechtsstreit zutreffend seien, denn der Beklagte habe sich nicht selbständig gemacht und sei bei einem früheren Auftraggeber der Klägerin beschäftigt. Außerdem sei streitig geblieben, ob der Beklagte dort mehr verdiene als zuvor bei der Klägerin.
III. Die Revision bekämpft zunächst die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß die Schulung dem Beklagten nur solche Kenntnisse vermittelt habe, die er am Arbeitsplatz benötige, ohne damit eine höhere berufliche Qualifikation zu erreichen. Das Landesarbeitsgericht hätte zur Klärung dieser Frage ein Sachverständigengutachten einholen müssen.
Aber darauf komme es letztlich nicht an, weil die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Maßstäbe zum Schutze der Berufsfreiheit und des Arbeitsplatzwechsels angesichts der oft erheblichen Ausbildungsinvestitionen der Arbeitgeber neu überdacht werden müßten. Der von den Vorinstanzen vorgeschlagene Ausweg – nämlich die Vereinbarung einer längeren Kündigungsfrist oder eines Wettbewerbsverbots – belasteten den Arbeitnehmer weit mehr als die Rückzahlungsverpflichtung. Eine längere Kündigungsfrist verhindere sogar den Arbeitsplatzwechsel, und ein Wettbewerbsverbot führe ebenfalls dazu, daß der Arbeitnehmer seine neu erworbenen Kenntnisse nicht einsetzen könne. Dagegen eröffne die Rückzahlungsvereinbarung ihm einen Arbeitsplatzwechsel gegen Kostenbeteiligung.
IV. Diese Ausführungen vermögen die Revision nicht zu rechtfertigen. Eine Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten läßt sich schon deswegen nicht begründen, weil er nur solche Kenntnisse erworben hat, die er am Arbeitsplatz benötigte, ohne damit eine höhere berufliche Qualifikation zu erreichen. Das hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt. Daran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO), weil dagegen weder zulässige Verfahrensrügen erhoben worden sind (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO) noch Tatbestandsberichtigung beantragt worden ist (§ 320 ZPO).
Die nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts werden zusätzlich noch dadurch gestützt, daß es sich nur um eine Schulung von geringer Dauer gehandelt hat, denn die Schulungsmaßnahmen bestanden nur aus Lehrgängen von zweimal fünf Tagen und einmal drei Tagen Dauer. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht mit Rücksicht auf das Grundrecht des Art. 12 GG darauf abgestellt, in welchem Verhältnis die Dauer der Bindung und die Dauer der Ausbildungsmaßnahme zueinander stehen (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1983 – 5 AZR 531/80 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu III 1 der Gründe).
Im übrigen greift die Revision die Bedenken des Berufungsgerichts auf, wonach die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch „bloße Marktwertsteigerungen” als zusätzliche Qualifikation im Rahmen der Verpflichtung zur Rückzahlung der Ausbildungskosten berücksichtigen müsse. Dabei geht die Revision aber ebenso wie die Vorinstanz von einer hier nicht vorliegenden Fallgestaltung aus, wonach Arbeitgeber eine besondere Schulung erhalten, die weit mehr als 10.000,– DM kostet und die erworbenen Kenntnisse nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem früheren Arbeitgeber in freier Mitarbeit verkaufen. Diese Überlegungen haben keinen Bezug zum Rechtsstreit und geben keine Veranlassung zur Änderung der Maßstäbe, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bisher schon gelten. Der Beklagte hat unstreitig der Klägerin seine Kenntnisse nicht in freier Mitarbeit angeboten, sondern er ist nach seinem Ausscheiden bei der Klägerin in das Arbeitsverhältnis eines früheren Auftraggebers der Klägerin gewechselt. Das kann ihm nach Art. 1 § 9 Nr. 5 AÜG vertraglich nicht verboten werden.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Krems, Arntzen
Fundstellen