Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Urteilsabsetzung

 

Normenkette

ZPO § 551 Nr. 7

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 22.04.1993; Aktenzeichen 7 Sa 62/92)

ArbG Hamburg (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen 4 Ca 8/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 22. April 1993 – 7 Sa 62/92 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit Juni 1988 als Krankenschwester im Allgemeinen Krankenhaus … der Beklagten beschäftigt. Während ihres Erziehungsurlaubs arbeitete sie vom 1. Januar 1991 bis zum 6. März 1992 als teilzeitbeschäftigte Krankenschwester mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 17 Stunden. In bezug auf diese Tätigkeit möchte sie, was die tariflichen Arbeitgeberleistungen anbelangt, mit den Angestellten gleichbehandelt werden, auf die die Beklagte den BAT anwendet.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1991 und dem 6. März 1992 der Bundes-Angestelltentarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung Anwendung fand,

hilfsweise,

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Urlaubsgeld gemäß Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte, die unter den Geltungsbereich des BAT fallen, zu gewähren; die „Zytostatika-Zulage” entsprechend der Protokollerklärung Nr. I 1 g zu Anlage 1 b BAT zu gewähren; die Pauschale zur Abgeltung der Wege- und Rüstzeiten gemäß der Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Gewerkschaft ÖTV Hamburg vom 26. April 1990 zu gewähren, sowie Erholungsurlaub gemäß § 48 BAT zu gewähren, und zwar sämtliche Ansprüche rückwirkend ab 1. Januar 1991.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten durch das am 22. April 1993 verkündete Berufungsurteil zurückgewiesen. Dieses wurde der Beklagten am 20. April 1994 zugestellt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie rügt, das Berufungsurteil sei nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung abgesetzt worden; es stelle deshalb eine Entscheidung ohne Gründe im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO dar. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 552, § 554 Abs. 2 ZPO, § 9 Abs. 5 ArbGG). Die Beklagte hat gegen das am 22. April 1993 verkündete Urteil am 19. Oktober 1993 erstmalig Revision eingelegt und diese gleichzeitig und nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ergänzend am 20. Dezember 1993 begründet. Am 19. Mai 1994 hat die Klägerin, nachdem das Berufungsurteil zwischenzeitlich zugestellt worden war, erneut Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist am 15. Juli 1994 begründet. Daß die Beklagte somit zweimal Revision eingelegt hat, ist unschädlich. Es ist zwischen dem Rechtsmittel und dem Rechtsmittelschriftsatz zu unterscheiden. Wenn eine der eingelegten Rechtsmittelschriften zu einer Überprüfung des Urteils führen kann, trifft das Rechtsmittelgericht eine einheitliche Sachentscheidung. Es ist nur ein einheitliches Rechtsmittelverfahren anhängig. Die zweite Revisionsschrift ist damit gegenstandslos (vgl. BAG Urteil vom 26. September 1980 – 7 AZR 338/80 – AP Nr. 1 zu § 321 ZPO, m.w.N.). So liegt der Fall hier.

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war ohne weitere Sachprüfung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Das angefochtene Urteil ist nicht rechtzeitig abgesetzt worden.

a) Tatbestand und Entscheidungsgründe des Berufungsurteils waren am 12. Oktober 1993 unstreitig noch nicht schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden. Damit waren seit der Verkündung mehr als fünf Monate vergangen. Das Urteil ist deshalb als nicht mit Gründen versehen zu betrachten.

b) Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in seinem Beschluß vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – NJW 1993, 2603 ff.) entschieden, daß ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle des Gerichts übergeben worden sind. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat dies u.a. damit begründet, § 552 ZPO ordne aus Gründen der Rechtssicherheit an, daß zur Vermeidung von Fehlerinnerungen der an der Urteilsfällung beteiligten Richter das Urteil innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständig abgefaßter Form vorliegen müsse. Dies gelte für alle Gerichtsbarkeiten.

c) Dieser zu der mit § 551 Nr. 7 ZPO wortgleichen Bestimmung des § 138 Nr. 6 VwGO ergangenen Rechtsprechung schließt sich der Senat an (so auch BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – AP Nr. 22 zu § 551 ZPO, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BAG Urteil vom 6. Oktober 1993 – 5 AZR 289/91 –; BAG Urteil vom 7. Oktober 1993 – 2 AZR 293/93 –; BAG Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 371/93 –; BAG Urteil vom 25. November 1993 – 2 AZR 406/93 –; BAG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 114/93 –; BAG Urteil vom 8. Februar 1994 – 9 AZR 591/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Senat wäre zwar an die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe gemäß § 16 RsprEinhG nicht gebunden, da er nicht das „erkennende Gericht” im Sinne dieser Vorschrift ist. Er müßte aber gemäß § 2 Abs. 1 RsprEinhG die gleiche Rechtsfrage erneut dem Gemeinsamen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn er von dessen Entscheidung abweichen wollte. Dies kommt jedoch nicht in Betracht, da der Gemeinsame Senat seine Entscheidung auch im Hinblick auf die Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens begründet hat und keine neuen, von dem Gemeinsamen Senat noch nicht berücksichtigten Gründe für eine erneute Vorlage erkennbar sind.

2. Das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts war daher gem. §§ 564, 565, 550, 551 Nr. 7 ZPO auf die Rüge der Beklagten aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, P. Stahlheber, Mergenthaler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073560

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