Entscheidungsstichwort (Thema)
Wartezeit bei vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Sieht eine Versorgungsordnung vor, daß der Versorgungsfall der Invalidität nicht schon mit dem die Invalidität auslösenden Ereignis, sondern erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintritt, so kann der Versorgungsberechtigte die Wartezeit auch dann noch zurücklegen, wenn der Sozialversicherungsträger den Zeitpunkt des Versicherungsfalles auf einen Zeitpunkt vor Ablauf der Wartezeit festgelegt hat.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB §§ 242, 133, 157
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 27.04.1988; Aktenzeichen 6 Sa 313/88) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 03.02.1988; Aktenzeichen 4 Ca 5590/87) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. April 1988 – 6 Sa 313/88 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Der am 20. März 1929 geborene Kläger, der zuletzt 60 v.H. schwerbehindert war, trat am 1. September 1971 in die Dienste der D… (M… eGmbH) als Verkaufsberater. Diese Gesellschaft ging im Januar 1972 durch Fusion auf die Beklagte über. Die Beklagte gewährt betriebliche Altersversorgung nach einer Betriebsvereinbarung (Pensionsordnung), zuletzt in der Fassung vom 1. Juni 1982. In dieser heißt es:
§ 1
Die M… gewährt allen Betriebsangehörigen, die vor dem 01. April 1976 in das Unternehmen eingetreten sind, die beim Eintritt das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und mindestens 15 Dienst jahre ununterbrochen bei der M… tätig waren, beim Ausscheiden infolge Invalidität (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach den Grundsätzen der Reichsversicherungsordnung) bzw. beim Ausscheiden nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine zusätzliche Alters- und Invaliditätsversorgung und den Angehörigen eine zusätzliche Hinterbliebenenversorgung.
Betriebsangehörige im Sinne dieser Pensionsordnung sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die im Jahresdurchschnitt mindestens 40 % der jeweils gültigen tariflichen regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit leisten. Aushilfsweise Beschäftigte gelten nicht als Betriebsangehörige im Sinne dieser Pensionsordnung.
- Von der Bedingung einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren kann in Ausnahme- und Härtefällen abgewichen werden.
- …
§ 2
- Die Rente beträgt nach Vollendung von mindestens 15 Dienstjahren in der M… je Dienstjahr 1 % der pensionsfähigen Bezüge (ein Dienstjahr = ein volles Kalenderjahr), jedoch nicht mehr als 25 %. Dienstjahre nach Vollendung des 65. Lebensjahres werden hierbei mitgerechnet.
- …
§ 3
Der Kläger erlitt im Jahre 1973 einen ersten und im Jahre 1986 einen weiteren Herzinfarkt. Als er im Mai 1987 die Arbeit wieder aufnehmen wollte, traten erneut Herzbeschwerden auf. Am 10. Juni 1987 beantragte er bei der Bundesknappschaft die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese wurde mit Bescheid vom 11. September 1987 mit Wirkung vom 17. Juni 1986 auf 1.743,49 DM festgesetzt. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls wurde der 12. April 1986 angenommen. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung ab, der Kläger habe bei Eintritt des Versicherungsfalls am 12. April 1986 die Wartezeit von 15 Jahren noch nicht zurückgelegt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für den Ablauf der Wartezeit sei auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Dies sei frühestens im September 1987 konkludent beendet worden. Zumindest sei es unbillig, wenn die Beklagte ihm die Betriebsrente verweigere. Er habe die Wartezeit allenfalls geringfügig verfehlt. Von seiner gesetzlichen Rente könne er nicht leben, da er im Interesse der Beklagten hohe Verbindlichkeiten eingegangen sei und hohe Unterhaltsverpflichtungen habe.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, monatlich 417,66 DM Betriebsrente ab November 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger erfülle die Voraussetzungen ihrer Versorgungsordnung nicht, da der Versorgungsfall vor Eintritt der Wartezeit eingetreten sei. Von der Härteklausel habe sie noch niemals Gebrauch gemacht. Ein Härtefall liege bei dem Kläger auch nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Klageabweisung anstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit verlangen.
1. Nach § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Pensionsordnung in der Fassung vom 1. Juni 1982 sind versorgungsberechtigt alle Betriebsangehörigen, die vor dem 1. April 1976 in das Unternehmen eingetreten sind und bei Dienstaufnahme das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben sowie beim Ausscheiden infolge Invalidität im Sinne der Reichsversicherungsordnung eine ununterbrochene Wartezeit von mindestens fünfzehn Dienst jahren zurückgelegt haben. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat.
Der Kläger ist am 1. September 1971 in die Dienste der kraft Gesamtrechtsnachfolge auf die Beklagte übergegangene Rechtsvorgängerin getreten. Die bei dieser zurückgelegte Dienstzeit muß die Beklagte gegen sich gelten lassen, da sie die Rechtsvorgängerin übernommen hat.
Bei Dienstaufnahme war der Kläger erst 42 Jahre. Das Arbeitsverhältnis hat infolge Invalidität nach Erlaß des Rentenbescheides der BfA vom 11. September 1987 geendet. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger die 15 jährige Wartezeit vollendet.
2. Nach der Versorgungsordnung der Beklagten konnte die Wartezeit von der Begründung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückgelegt werden. Dagegen kommt es nicht darauf an, daß die Bundesknappschaft den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit auf einen Zeitpunkt vor Ablauf von 15 Jahren festgelegt hat. Der Senat folgt der Auslegung der Versorgungsordnung durch das Landesarbeitsgericht.
a) Nach dem Wortlaut von § 1 Versorgungsordnung erhalten Betriebsangehörige, die mindestens 15 Dienstjahre ununterbrochen bei der Beklagten tätig waren, beim Ausscheiden infolge Invalidität eine Betriebsrente. Versorgungsberechtigt sind Betriebsangehörige, die 15 Jahre in den Diensten der Beklagten standen und deren Arbeitsverhältnis infolge Invalidität beendet wurde. Danach kommt es nur auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an.
Aus dem Wort “tätig” kann nicht abgeleitet werden, daß der Betriebsangehörige in dieser Zeit noch gearbeitet haben muß. Mit dem Wort “tätig” wird nach dem Sprachgebrauch nicht allein auf die tatsächliche Arbeitsleistung, sondern auch auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abgestellt (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1983, S. 1254; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1986, S. 1265, Stichwort “tätig”). Insoweit ist “tätig” mit dem Wort “beschäftigt” synonym. Hiervon sind auch die Parteien ausgegangen, denn es wäre sinnwidrig, wenn jede Untätigkeit infolge Krankheit den Ablauf der Wartezeit unterbrechen würde.
b) Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Versorgungsordnung läßt sich nicht ableiten, daß die Wartezeit bereits bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zurückgelegt sein muß. Nach § 3 Abs. 1 Einleitungssatz der Versorgungsordnung entsteht der Rentenanspruch, wenn die Voraussetzungen von § 1 der Versorgungsordnung vorliegen. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der Versorgungsordnung wird der Versorgungsanspruch fällig, wenn eine dauernde Invalidität eintritt. Die Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 1a der Versorgungsordnung schränkt nicht die Entstehungsvoraussetzungen des Versorgungsanspruchs ein.
Entgegen der Auffassung der Revision folgt für ihre Auslegung auch nichts aus § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Versorgungsordnung. Hiernach soll ersichtlich der Versorgungsanspruch ruhen, wenn der Versorgungsberechtigte trotz Eintritt seines Versorgungsfalles anderweitig beschäftigt wird oder aufgrund (eines anderen) Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten tätig wird.
c) Eine Auslegung der Versorgungsordnung dahin, daß für den Lauf der Wartezeit auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abgestellt wird, ist entgegen der Auffassung der Revision auch durchaus sachgemäß (BAG Urteil vom 15. Oktober 1985 – 3 AZR 93/84 – AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente; Urteil vom 14. Januar 1986 – 3 AZR 473/84 – AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente). Die gesetzlichen Sozialversicherungsträger stellen für den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit regelmäßig auf das die Erwerbsunfähigkeit auslösende Ereignis ab und lassen später eintretende gesundheitliche Veränderungen außer acht. Dies mag für die Zwecke der gesetzlichen Rentenversicherung möglich und sachgerecht sein: Für die betriebliche Altersversorgung bedarf es wegen der anders gearteten Fristen und Rentenberechnungsweisen einer genauen Fixierung des Zeitpunktes des Rentenbeginns. Es ist daher durchaus sinnvoll, wenn die Parteien einer Betriebsvereinbarung für die Rentenentstehung auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Invalidität abstellen. Damit ist gewährleistet, daß der aktive Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt aus seinen Einkünften oder diese ersetzenden Einnahmen und der Pensionär aus seinen Rentenansprüchen bestreiten kann.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Kunze, Dr. Schwarze
Fundstellen
Haufe-Index 841013 |
RdA 1990, 189 |