Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristeter Arbeitsvertrag mit einer norwegischen Lektorin - funktionswidrige Verwendung einer gesetzlichen Befristungsmöglichkeit
Orientierungssatz
1. Der vom Gesetzgeber mit § 57b Abs 3 HRG aF verfolgte und gemessen an Art 5 Abs 3 GG legitime Sinn und Zweck bestand darin, einen aktualitätsbezogenen Fremdsprachenunterricht an Hochschulen zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen erachtete der Gesetzgeber die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit Lektoren als geeignetes und erforderliches Mittel. Dies beruhte auf der Annahme, es bestehe typischerweise die Gefahr, daß Lektoren, die in der Regel Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen, nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland den Aktualitätsbezug zu ihrer Sprache verlieren.
2. Diesem Gesetzeszweck des § 57b Abs 3 HRG aF konnte die im Streitfall vereinbarte Befristung offensichtlich nicht dienen. Das Bundesarbeitsgericht hat in Fällen, in denen der Fremdsprachenlektor bei Vertragsabschluß bereits viele Jahre in Deutschland lebte und voll integriert war, schon wiederholt einen objektiven Mißbrauch der in § 57b Abs 3 HRG aF vorgesehenen Befristungsmöglichkeit angenommen und der Befristung Wirksamkeit versagt.
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. September 1997 -
5 Sa 2044/94 - wird auf Kosten des beklagten Landes mit der
Maßgabe zurückgewiesen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien
nicht aufgrund der Befristung vom 24. September 1990 zum 30.
September 1994 beendet ist.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die am 25. September 1938 geborene Klägerin ist norwegische Staatsangehörige. Von 1958 bis 1961 studierte sie an der Universität Oslo. Seit ihrer Eheschließung mit einem Deutschen im Jahr 1961 lebt sie in der Bundesrepublik. Sie hat zwei 1961 und 1962 geborene Söhne. Nach einem Studium in Köln von 1969 bis 1974 legte sie die Magisterprüfung ab. Bis 1977 war sie Lehrbeauftragte für die norwegische Sprache an der Universität Bochum. Danach arbeitete sie bis 1981 als Lektorin für Norwegisch an der Universität Münster sowie 1982/1983 an der Universität Hamburg. Anschließend war sie bis 1989 Lehrbeauftragte für Norwegisch an den Universitäten Bonn und Göttingen. 1989 und 1990 folgten Unterrichts- und Studienaufenthalte in Oslo.
Mit Arbeitsvertrag vom 24. September 1990 wurde die Klägerin für Zeit vom 1. Oktober 1990 bis 30. September 1994 "als Lehrkraft für besondere Aufgaben (§ 55 Gesetz über die Wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (WissHG)) in der Funktion einer Fremdsprachenlektorin im Bereich des Nordischen Seminars der westfälischen Wilhelms-Universität" eingestellt. Nach § 2 des Vertrags galten für das Arbeitsverhältnis zahlreiche Vorschriften des BAT sowie die Richtlinien für die Beschäftigung und Vergütung von Lektoren an den Wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen in der Bekanntmachung des Ministers für Wissenschaft und Forschung vom 15.04.1985. Diese Richtlinien sahen unter Nr. 4 "Einstellungsvoraussetzungen" ua. folgendes vor:
"4.3 Lektoren, die sich bis zum Zeitpunkt der beabsichtigten
Einstellung überwiegend nicht im Herkunftsland aufgehalten
haben, können nicht beschäftigt werden. Dies gilt ebenso, wenn
sie sich länger als 1 Jahr vor der beabsichtigten Einstellung
nicht im Herkunftsland aufgehalten haben; Kurzaufenthalte
können dabei nicht berücksichtigt werden.
4.4 Als Lektor darf nicht eingestellt werden, wer auf Dauer
den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen im Geltungsbereich
des Grundgesetzes begründet hat oder zu begründen
beabsichtigt."
Mit ihrer am 20. April 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, § 57 b Abs. 3 HRG in der bis zum 24. August 1998 geltenden Fassung (HRG aF) rechtfertige die Befristung nicht. Die Bestimmung sei wegen des Diskriminierungsverbots in Art. 28 des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (EWR-Abkommen) auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht anwendbar.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom
24. September 1990 mit der Vergütungsgruppe II a BAT über den
30. September 1994 hinaus unbefristet fortbesteht;
2. das beklagte Land zu verurteilen, sie zu den Bedingungen
des Arbeitsvertravom 24. September 1990 in der
Vergütungsgruppe II a BAT über den 30. September 1994 hinaus
weiter zu beschäftigen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, daß die Befristung nach § 57 b Abs. 3 HRG aF sachlich gerechtfertigt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt das beklagte Land weiterhin die Klagabweisung. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die vereinbarte Befristung nicht wirksam zum 30. September 1994 beendet.
A. Die Klage ist zulässig. Wie der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, handelt es sich um eine Klage iSv. § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG. Der Senat hat dies bei der klarstellenden neuen Fassung des Urteilstenors berücksichtigt.
B. Die Klage ist begründet.
I. Die im Vertrag vom 24. September 1990 vereinbarte Befristung zum 30. September 1994 gilt nicht etwa nach § 7 KSchG iVm. § 1 Abs. 5 Satz 2 BeschFG als von Anfang an rechtswirksam. Die Klägerin hat zwar nicht innerhalb von drei Wochen ab dem Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 BeschFG idF vom 25. September 1996, also in der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis 21. Oktober 1996 Klage nach § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG erhoben. Ausgehend von Sinn und Zweck dieser Frist und der an ihre Versäumung anknüpfenden Fiktionswirkung wurde die Frist aber durch die bereits vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 5 BeschFG erhobene und hernach fortgeführte Feststellungsklage gewahrt.
II.1. Die vereinbarte Befristung bedurfte, da der Klägerin der ihr ohne die Befristung zustehende Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG vorenthalten wurde, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit dem Beschluß des Großen Senats vom 12. Oktober 1960 - GS 1/59 - BAGE 10, 65) zu ihrer Rechtfertigung eines sachlichen Grundes. Zu Unrecht beruft sich das beklagte Land zur Begründung der Befristung auf § 57 b Abs. 3 HRG aF. Dieser sah vor, daß ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einer fremdsprachlichen Lehrkraft für besondere Aufgaben rechtfertigt, auch vorliegt, wenn die Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (Lektor).
2. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts konnte die Anwendbarkeit des § 57 b Abs. 3 HRG aF dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls verstoße die Praxis des beklagten Landes, sich gegenüber den Lektoren, die nicht von Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag) erfaßt werden, weiterhin auf den Befristungsgrund des § 57 b Abs. 3 HRG aF zu berufen, gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Mit dieser Begründung kann der Klage nicht entsprochen werden. Auch wenn man - trotz des Fehlens entsprechender tatsächlicher Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht - davon ausgeht, das beklagte Land hätte sich von einem bestimmten Zeitpunkt an auf die mit Fremdsprachenlektoren aus EU-Staaten vereinbarten Befristungen nicht mehr berufen, während es dies gegenüber der norwegischen Klägerin weiterhin tut, so liegt allein darin kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ungeachtet der Frage, ob dieser beim Streit über die Wirksamkeit von Befristungen überhaupt Anwendung finden kann, gibt es nämlich für die unterschiedliche Behandlung einen sachlichen Grund. Wenn das beklagte Land die Rechtsprechung des EuGH (20. Oktober 1993 - Rs. C-272/92 - Spotti - AP EWG-Vertrag Art. 48 Nr. 17) und die sich daran anschließende ständige Rechtsprechung des Senats (zuletzt 25. Februar 1998 - 7 AZR 31/97 - AP HRG § 57 b Nr. 15 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 14, mwN) respektiert, nach welcher Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt: Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag) der Anwendung des § 57 b Abs. 3 HRG aF auf befristete Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren aus EU-Ländern entgegensteht, so bedeutet dies nicht, daß es gegenüber der norwegischen Klägerin aus Gründen der Gleichbehandlung eine wirksame Befristung nicht mehr geltend machen dürfte. Vielmehr rechtfertigen unterschiedliche Rechtspositionen eine unterschiedliche Behandlung (BAG 1. Dezember 1999 - 7 AZR 236/98 - zVv., zu III 2 der Gründe).
3. Dennoch kommt es im Streitfall nicht auf die Frage an, ob § 57 b Abs. 3 HRG aF weiterhin auf Lektorenverträge, die vor dem Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des HRG mit Angehörigen von Drittstaaten geschlossen wurden, anwendbar war. Dem beklagten Land ist es verwehrt, sich auf § 57 b Abs. 3 HRG aF zu berufen, weil es die Bestimmung objektiv funktionswidrig eingesetzt hat.
Der vom Gesetzgeber mit § 57 b Abs. 3 HRG aF verfolgte und gemessen an Art. 5 Abs. 3 GG legitime Sinn und Zweck bestand darin, einen aktualitätsbezogenen Fremdsprachenunterricht an Hochschulen zu sichern (vgl. BVerfG 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - AP HRG § 57 a Nr. 2, zu C II 2 f der Gründe). Um dieses Ziel zu erreichen erachtete der Gesetzgeber die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit Lektoren als geeignetes und erforderliches Mittel. Dies beruhte auf der Annahme, es bestehe typischerweise die Gefahr, daß Lektoren, die in der Regel Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen, nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland den Aktualitätsbezug zu ihrer Sprache verlieren.
Diesem Gesetzeszweck des § 57 b Abs. 3 HRG aF konnte die im Streitfall vereinbarte Befristung offensichtlich nicht dienen. Das Bundesarbeitsgericht hat in Fällen, in denen der Fremdsprachenlektor bei Vertragsschluß bereits viele Jahre in Deutschland lebte und hier voll integriert war, schon wiederholt einen objektiven Mißbrauch der in § 57 b Abs. 3 HRG aF vorgesehenen Befristungsmöglichkeit angenommen und der Befristung die Wirksamkeit versagt (BAG 25. Februar 1998 - 7 AZR 31/97 - AP HRG § 57 b Nr. 15 = EzA BGB § 620 Hochschulen Nr. 14, zu B I 1 c und II 1 der Gründe; BAG 26. Januar 1999 - 3 AZR 381/97 - ZTR 1999, 361 f., zu B II 2 c bb der Gründe; BAG 1. Dezember 1999 - 7 AZR 236/98 - zVv., zu III 3 der Gründe). Die Klägerin, die 1961 im Alter von 23 Jahren nach Deutschland gekommen war, lebte hier bei Abschluß des Arbeitsvertrags vom 24. September 1990 bereits seit fast 30 Jahren und war, wie ihr Lebenslauf zeigt, voll integriert. Sie hatte sich zwar 1989 und 1990 wiederholt in einem zeitlich nicht genau festgestellten Umfang zu Unterrichtsaufenthalten sowie zum Zwecke des Pädagogikstudiums in Oslo aufgehalten. Allein dies rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, die Klägerin hätte hierbei erneut den durch § 57 b Abs. 3 HRG aF bezweckten Aktualitätsbezug zur norwegischen Muttersprache gewonnen und im Hinblick darauf sei die Befristungsabrede getroffen worden. Auch das beklagte Land hat dies nicht behauptet. Nach den eigenen Richtlinien des beklagten Landes vom 15. April 1985 können Lektoren, die sich bis zum Zeitpunkt der beabsichtigten Einstellung überwiegend nicht im Herkunftsland aufgehalten haben, nicht beschäftigt werden. Gleiches gilt für Lektoren, die auf Dauer den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in Deutschland begründet haben. Eben dies traf aber bei der Klägerin zu. Wenn daher das beklagte Land mit ihr gleichwohl eine Befristung des Arbeitsverhältnisses nach § 57 b Abs. 3 HRG aF vereinbarte, so lag hierin ein objektiver Mißbrauch der gesetzlichen Regelung.
Auf die europarechtliche Frage, ob das Diskriminierungsverbot des Art. 28 Abs. 2 des am 1. Januar 1994 für die Bundesrepublik in Kraft getretenen EWR-Abkommens vorliegend der Anwendung des § 57 b Abs. 3 HRG aF entgegenstünde, kam es danach nicht mehr an.
4. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ausgeführt hat, war die Befristung auch nicht aus einem anderen Sachgrund gerechtfertigt.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dörner
SteckhanLinsPeter Haeusgen
G. Güner
Fundstellen