Entscheidungsstichwort (Thema)
Streik gegen Außenseiter bei Forderung gegen Verband
Leitsatz (amtlich)
Eine Gewerkschaft, die nach dem Scheitern der Verhandlungen über den Abschluß eines Verbandstarifvertrages auch einen Außenseiter bestreikt, den sie nicht zu Verhandlungen aufgefordert hat, verletzt nicht schuldhaft dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, solange sie sich im Einklang mit der unangefochtenen höchstrichterlichen Rechtsprechung befindet.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 22. Februar 1990 – 12 Sa 294/89 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 245.507,68 DM nebst Zinsen wegen eines Streiks, den die Beklagte gegen die Klägerin in deren Werk B… in der Zeit vom 5. bis 20. Juni 1986 geführt hat.
Im Frühjahr 1986 verhandelten der Landesverband Bayern der Beklagten und der Bayerische Ziegelindustrie-Verband über den Abschluß eines neuen Lohntarifvertrages. Am 30. Mai 1986 lehnte der Landesverband Bayern der Beklagten den Schiedsspruch zur Beilegung der Lohntarifauseinandersetzung ab. Die diesbezügliche Tarifinformation Nr. 4 der Beklagten an alle Beschäftigten der bayerischen Ziegelindustrie gab der Betriebsleiter des Werkes B… der Klägerin am 5. Juni 1986 um 8.15 Uhr an die Zentrale der Klägerin in I… fernschriftlich durch. In dieser Information sind die einzelnen Tarifforderungen der Beklagten für den Tarifbereich Bayern den Ergebnissen des Schiedsspruchs vom 21. Mai 1986 gegenübergestellt.
Die Beklagte rief ab 5. Juni 1986 ihre Mitglieder zum unbefristeten Streik in acht Betrieben der Ziegelindustrie auf, u.a. im Betrieb B… der Klägerin. In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1986 schlossen dessen Betriebsleiter und der Bezirksverband B… der Beklagten eine Notdienstvereinbarung für die Streikdauer. Unter dem 6. Juni 1986 veröffentlichte der Bayerische Ziegelindustrie-Verband ein Rundschreiben an alle Mitglieder, in dem neben der P…-Werke GmbH, K…, die unstreitig kein Mitglied des Ziegelindustrie-Verbandes war, auch das Werk B… der Klägerin als unbefristet bestreiktes Ziegelindustriewerk bezeichnet wird. In dem Schreiben werden alle “Ziegler” aufgefordert, sich “gegenüber den bestreikten Firmen absolut solidarisch zu verhalten” und “konkret zu helfen”, z.B. durch Abstellen bzw. Ausleihen von Gabelstaplern, Schlossern und Elektrikern; insbesondere wurden die Mitglieder des Verbandes aufgefordert, die bestreikten Firmen nicht zu unterbieten.
Am 9./10. Juni 1986 schloß die Beklagte mit dem Außenseiter P…-Werke GmbH einen Firmentarifvertrag ab. Am 10. Juni 1986 ließ die Klägerin durch ihren B… Betriebsleiter den streikenden Mitarbeitern mitteilen, sie sei nicht Mitglied des Bayerischen Ziegelindustrie-Verbandes, weshalb sie davon ausgehe, daß “derzeit noch Friedenspflicht besteht”. Die Klägerin unterrichtete noch am gleichen Tag in einem durch Boten überbrachten Schreiben den Landesverband Bayern der Beklagten davon, daß sie nicht Verbandsmitglied sei und sie bislang nicht mit dem Ziel angesprochen worden sei, in Tarifverhandlungen einzutreten. Deshalb fordere sie die Beklagte auf, ihre Mitglieder zur unverzüglichen Wiederaufnahme der Arbeit aufzurufen. Am 11. Juni 1986 gegen 9.30 Uhr ließ der B… Bezirksgeschäftsführer der Beklagten beim Betriebsleiter des dortigen Werkes der Klägerin ein Schreiben vom 10. Juni 1986 abgeben, das dieser alsbald fernschriftlich an die Zentrale der Klägerin weiterleitete. Darin verweist die Beklagte unter Bezugnahme auf das Rundschreiben des Ziegelindustrie-Verbandes vom 6. Juni 1986, in dem die Klägerin “als eine der vom Streik betroffenen Firmen” aufgeführt wird, darauf, es sei “bis dato nicht erwiesen”, daß die Klägerin “dem Ziegelindustrie-Verband nicht mehr angehört”. Falls “wider Erwarten” die Klägerin nicht mehr Verbandsmitglied sei, sei die Beklagte bereit, kurzfristig mit der Klägerin Verhandlungen aufzunehmen. Daraufhin wies die Klägerin ihren Betriebsleiter am 11. Juni 1986 um 10.51 Uhr fernschriftlich an, dem B… Bezirksgeschäftsführer mit Durchschrift an den Bayerischen Landesverband der Beklagten zu antworten, “Voraussetzung” für den Eintritt in Verhandlungen sei, “daß die Streikmaßnahmen beendet werden”. Am 11. Juni 1986 erklärte ein Vertreter des Landesverbandes Bayern der Beklagten fernmündlich gegenüber dem Vorstand der Klägerin, es werde weiterhin bezweifelt, daß die Klägerin nicht mehr Verbandsmitglied sei, “deshalb” werde der Streik fortgesetzt.
Daraufhin erwirkte die Klägerin am 12. Juni 1986 eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts, mit der der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitskampfes untersagt wurde. Am 14. Juni 1986 ließ die Beklagte durch ihren Landesverband in einem durch Boten überbrachten Schreiben darauf hinweisen, sie habe “mehrmals telefonisch” Bereitschaft gezeigt, mit der Klägerin “Verhandlungen zum Abschluß von Haustarifverträgen” für das Ziegelwerk in B… zu führen. Da die Klägerin nicht bereit gewesen sei, solche Verhandlungen “unverzüglich aufzunehmen”, werde das Scheitern der Verhandlungen erklärt.
Nach einer Urabstimmung am 16. Juni 1986 streikte die organisierte Belegschaft des B… Werkes ab 16. Juni 1986 erneut. Dies teilte der B… Bezirksgeschäftsführer der Beklagten der Klägerin am 16. Juni 1986 mit und bot erneut Tarifverhandlungen an. Unter dem gleichen Datum wies die Klägerin die Behauptung, sie sei mehrfach zu Verhandlungen aufgefordert worden, zurück und forderte die Beklagte erneut auf, “der arbeitsgerichtlichen Anordnung nachzukommen” und den Streik abzubrechen. Nach Fortfall des zur Zeit auf sie “ausgeübten unzulässigen Druckes” stehe die Klägerin “vorbehaltlos für Gespräche zur Verfügung”. Ebenfalls noch am 16. Juni 1986 stellte das Arbeitsgericht die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung bis zur Entscheidung über den Widerspruch der Beklagten vom 13. Juni 1986 ein. Mit Schreiben vom 17. Juni 1986 bot der Landesverband Bayern der Beklagten der Klägerin Tarifverhandlungen für den 19. Juni 1986 – “allerdings ohne Vorbehalt” – an. Daraufhin erklärte sich die Klägerin bereit, einen zwischenzeitlich zwischen der Beklagten und dem Bayerischen Ziegelindustrie-Verband zustande gekommenen “Kompromiß” als für sich verbindlich zu akzeptieren. Am 20. Juni 1986 einigten sich die Klägerin und der Landesverband der Beklagten dahin, daß das auf Verbandsebene gefundene Einigungsergebnis “als Haustarifvertrag für das Ziegelwerk B… “übernommen und die vereinbarten Tariflohn- und Gehaltserhöhungen ohne Anrechnung auf übertarifliche Zulagen effektiv gewährt werde. Außerdem behielt sich die Klägerin wegen des Arbeitskampfes Schadenersatzansprüche vor.
Die Klägerin hat erstinstanzlich ergänzend vorgetragen, sie sei vom 1. Januar 1972 bis 31. Dezember 1986 nicht Mitglied im Bayerischen Ziegelindustrie-Verband gewesen. Bereits am 5. Juni 1986 habe der Prokurist der Klägerin, Dr. S…, den beim Landesverband Bayern der Beklagten tätigen Herrn M… telefonisch darauf hingewiesen, die Klägerin sei mit dem B… er Ziegelwerk nicht Verbandsmitglied. Ferner habe dies der Werksleiter in Bamberg dem dortigen Geschäftsführer der Beklagten, Herrn H…, anläßlich der Verhandlungen über die Notarbeitsvereinbarung am 5. Juni 1986 zwischen 14.00 und 15.00 Uhr erklärt. Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 245.507,68 DM nebst 10 % Zinsen aus 239.993,67 DM seit 16. April 1987 sowie aus 5.514,01 DM seit 23. September 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Klägerin habe Kenntnis von dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit dem Bayerischen Ziegelindustrie-Verband erhalten. Am 5. Juni 1986 habe der Betriebsleiter des Werks B… die sich aus der Tarifinformation Nr. 4 der Beklagten ergebenden Forderungen der Zentrale mitgeteilt. Die Klägerin habe auch davon ausgehen müssen, daß ihr gegenüber keine andere Forderung gestellt werde. Spätestens beim Abschluß der Notdienstvereinbarung habe die Klägerin festgestellt, daß sie handeln müsse, wenn sie den Arbeitskampf durch einen Firmentarif abwenden wolle. Die Klägerin habe als Außenseiter keinen Anspruch auf vorherige Verhandlungen oder Parallelverhandlungen zu dem Verband und könne in einen Verbandsarbeitskampf einbezogen werden. Die Tarifforderungen und das Scheitern der Verbandsverhandlungen seien außerdem bekannt gemacht worden durch Mitteilungen am Schwarzen Brett im Werk B… Am 5. Juni 1986 sei die Urabstimmung erfolgt.
Abgesehen davon habe die Klägerin sie, die Beklagte, anläßlich eines Telefonats des Prokuristen Dr. S… mit der Landesverbandsleitung der Beklagten nur darum gebeten, die Klägerin “aus dem Streik rauszulassen”, aber nicht erwähnt, daß sie nicht Mitglied des Verbandes sei. Ebensowenig sei darüber anläßlich des Abschlusses der Notdienstvereinbarung am 5./6. Juni 1986 gesprochen worden. Erstmals am 10. Juni 1986 habe die Beklagte erfahren, daß die Klägerin angeblich kein Verbandsmitglied sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Anspruch würde bestehen, wenn die Beklagte das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin verletzt hätte. Ein rechtswidriger Streik wäre eine solche Verletzung (Senatsurteile vom 21. Dezember 1982, BAGE 41, 209, 222 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A II 2 der Gründe, und vom 5. März 1985, BAGE 48, 160 = AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N.). Voraussetzung für den Anspruch wäre außerdem ein Verschulden der Organe der Beklagten (Senatsurteil vom 21. März 1978, BAGE 30, 189, 201 f. = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III 2 der Gründe, mit zust. Anm. von Seiter, zu I 1 e). Zumindest hieran fehlt es.
1. Das Bundesarbeitsgericht hat bisher noch nicht zu entscheiden gehabt, ob bei einer Tarifauseinandersetzung mit dem Arbeitgeberverband ein Streik gegen einen Arbeitgeber-Außenseiter im Tarifgebiet rechtmäßig sein kann oder nicht. Es kann auch nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Sympathiestreik (vgl. Entscheidungen vom 5. März 1985, aaO, und 12. Januar 1988 – 1 AZR 219/86 – AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) etwas zu dieser Problematik entnommen werden. Aus diesen Entscheidungen kann nicht der Schluß gezogen werden, wenn schon bei Sympathiearbeitskämpfen Fallgestaltungen denkbar seien, in denen dieser zulässig sei, obwohl der bestreikte Arbeitgeber nicht in der Lage sei, der Forderung zu entsprechen, müsse dies erst Recht für den Streik gegen Außenseiter gelten, soweit diese dem fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages unterfallen würden, da es in deren Macht liege, die Forderung der Gewerkschaft für ihren Betrieb zu erfüllen. Umgekehrt läßt sich dem Verbot der Sympathiearbeitskämpfe auch nicht entnehmen, daß Arbeitskämpfe zwischen Verbänden und Außenseitern unzulässig seien. Das gilt zum einen schon nicht für Aussperrungen von Arbeitgebern gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern. Auch bei einem Streik gegen einen Arbeitgeber-Außenseiter ist eine andere Interessenlage gegeben als bei einem Sympathiearbeitskampf: Hier kann der Außenseiter die Tarifforderung erfüllen, es wird Druck gegen ihn ausgeübt, mit dem auch erreicht werden soll, daß er selbst die Forderung der Gewerkschaft erfüllt.
2. Die Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 19. Januar 1978 (– II ZR 192/76 – AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21 mit Anm. Seiter) entschieden. In dieser Entscheidung, bei der es um die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von Mitgliedern einer Gewerkschaft wegen Streikbrecherarbeit ging, hat der BGH ausgeführt, darauf, ob der Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes gewesen sei, mit dem der angestrebte Tarifvertrag abgeschlossen werden solle, komme es nicht an (der Arbeitgeber war nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes). Es genüge, wenn der Arbeitskampf sich gegen einen tariffähigen Sozialpartner richte – dies sei auch der einzelne Arbeitgeber –, der die Forderung auf Abschluß eines Tarifvertrags jedenfalls erfüllen könnte. Es sei dagegen unerheblich, ob der Sozialpartner tatsächlich zum Abschluß eines solchen Tarifvertrags gezwungen werden solle oder etwa der nicht verbandszugehörige Arbeitgeber nur bestreikt werde, um hierdurch wirtschaftlichen Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben, möglicherweise in der Erwartung, daß die Außenseiter einem dann mit dem Verband abgeschlossenen Tarifvertrag folgen würden.
Die Rechtsauffassung des BGH war auch für seine Entscheidung tragend. Nach Auffassung des BGH hing die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der Mitglieder davon ab, ob der Streik seinerseits rechtswidrig gewesen war. In diesem Falle hätten die Mitglieder sogenannte “Streikbrecherarbeiten” verrichten dürfen. Der BGH hat dies geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, der Streik sei rechtmäßig gewesen, weil es nicht darauf ankomme, ob der sich gegen ein Verbandsmitglied richte oder gegen einen anderen Arbeitgeber, der die Forderung für sich im Rahmen eines Firmentarifvertrags oder dadurch, daß er die Regelung des Verbandstarifvertrags übernimmt, erfüllen könne.
3. Der Senat hat es dahingestellt sein lassen, ob der Auffassung des BGH vorbehaltlos gefolgt werden kann, denn die Beklagte kann für sich in Anspruch nehmen, daß ihr Aufruf zum Streik gegen den Außenseiter in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung stand. Die Entscheidung des BGH hat außer der im wesentlichen zustimmenden Anmerkung von Seiter (EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21) und einer Anmerkung von Konzen (SAE 1980, 21 ff.) kein Echo gefunden. Soweit feststellbar, ist weder in der Literatur noch in der Arbeitsrechtspraxis wesentliche Kritik laut geworden. Aus diesem Grunde hat die Beklagte von einer gefestigten Rechtsprechung zu dieser Frage ausgehen können. Selbst wenn unterstellt wird, ihr Streik sei objektiv rechtswidrig gewesen, hat sie zumindest nicht schuldhaft gehandelt, so daß ein Schadenersatzanspruch auf jeden Fall entfällt.
II. Der Senat nimmt aber den vorliegenden Fall zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß die Frage, ob und wann ein Arbeitgeber-Außenseiter im Rahmen einer Verbandstarifauseinandersetzung bestreikt werden kann, durch die Entscheidung des BGH vom 19. Januar 1978 (aaO) nicht abschließend geklärt ist.
1. Der BGH hat seine Auffassung, eine Gewerkschaft, die den gegnerischen Arbeitgeberverband zum Abschluß eines Verbandstarifvertrages zwingen will, dürfe auch einen Arbeitgeber-Außenseiter bestreiken, eher beiläufig begründet (Seiter, Anm. zu EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 21). Er hat sich für seine Ansicht zu Unrecht auf Brox/Rüthers (Arbeitskampfrecht, 1. Aufl., S. 132) berufen, die an der betreffenden Stelle das ganz andere Problem behandeln, ob die Rechtmäßigkeit eines Streiks voraussetzt, daß die Kampfforderung durch den Abschluß eines Tarifvertrags erfüllt werden soll oder auch eine andere Form der Bereinigung ausreicht. Die Begründung, mit dem Streik gegen den Außenseiter könne Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband ausgeübt werden, möglicherweise in der Erwartung, daß die Außenseiter dann den mit dem Verband geschlossenen Tarifvertrag übernehmen würden, überzeugt nicht ohne weiteres, weil nicht beantwortet wird, weshalb ein solches Vorgehen der Gewerkschaft mit dem ultima-ratio-Prinzip vereinbar sein soll, von dem auch der BGH ausgeht. Seiter (aaO) weist denn auch darauf hin, vor Einleitung von Kampfmaßnahmen müsse dem betreffenden Arbeitgeber die Chance gegeben werden, durch Abschluß eines Firmentarifvertrages die Arbeitsniederlegung abzuwenden, auch wenn von der Gewerkschaft nicht verlangt werden könne, zusätzlich zu den Verhandlungen über den Abschluß eines Verbandstarifvertrags lauter Parallelverhandlungen mit den Außenseitern zu führen.
2. Für den Ansatzpunkt des BGH, der Streik gegen einen Arbeitgeber-Außenseiter könne auch rechtlich zulässig sein, wenn die Gewerkschaft einen Verbandstarifvertrag erstrebt, sprechen gute Gründe. Anders als beim Sympathiestreik, den der Senat in ständiger Rechtsprechung für in der Regel rechtswidrig erklärt hat, geht es bei dem Streik gegen einen Arbeitgeber-Außenseiter während einer Tarifauseinandersetzung auf Verbandsebene nicht bloß um eine Unterstützung eines fremden Hauptarbeitskampfs. Vielmehr will die Gewerkschaft hier – zumindest auch – erreichen, daß die Forderungen, die sie gegen den Arbeitgeberverband im Tarifvertrag durchsetzen will, auch Arbeitsbedingungen bei den Außenseitern werden. Anders als bei den Sympathiearbeitskämpfen kann der Außenseiter in diesem Falle den Forderungen nachkommen, da er tariffähig ist und mit der Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag abschließen oder erklären kann, daß er sich dem Ergebnis anschließt, das bei den Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft erreicht wird. Anders als beim Sympathiestreik ist die Kampfmaßnahme hier also zur Erreichung des Kampfziels geeignet.
3. Fraglich ist aber, wann ein Streik gegen einen Arbeitgeber-Außenseiter erforderlich ist. In diesem Zusammenhang gilt das für alle Arbeitskampfmaßnahmen maßgebende ultima-ratio-Prinzip. Arbeitskampfmaßnahmen sind erst erforderlich, wenn ohne sie ein Tarifabschluß im Wege der Verhandlungen nicht zu erreichen ist. Damit setzt die Zulässigkeit jeder Arbeitskampfmaßnahme voraus, daß zuvor Forderungen für den Inhalt des abzuschließenden Tarifvertrages erhoben worden sind und daß in der Regel über diese Forderungen auch Tarifverhandlungen geführt wurden. Eine Ausnahme gilt nach der Senatsentscheidung vom 21. Juni 1988 (BAGE 58, 364 = AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) nur dann, wenn die andere Seite Verhandlungen über eine Forderung überhaupt ablehnt. Das ultima-ratio-Prinzip verbietet daher den Arbeitskampf um des Arbeitskampfes und der Demonstration einer Stärke willen und zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal der Standpunkt der Gegenseite zur Kenntnis genommen worden ist. Nicht erforderlich ist, daß die Verhandlungen objektiv gescheitert sein müssen, weil damit eine Tarifzensur ausgeübt würde. Außerdem muß die Gewerkschaft die Verhandlungen nicht in einer bestimmten Form für gescheitert erklären.
Fraglich ist, ob in der Mitteilung einer Gewerkschaft, sie verlange für ihre Mitglieder im Tarifbezirk eine bestimmte Lohnerhöhung, nicht nur dem Arbeitgeberverband gegenüber die Geltendmachung einer Forderung zu sehen ist, sondern auch gegenüber allen nicht verbandsangehörigen Arbeitgebern. Die Rechtsklarheit spricht dafür, von der Gewerkschaft zu verlangen, die Forderung gesondert gegenüber jedem Außenseiter zu erheben, damit dieser dann auf die Forderung reagieren und gegebenenfalls zur Abwendung eines Arbeitskampfes die Forderung erfüllen kann. Wird dies für die Rechtmäßigkeit eines Streiks gegen die Außenseiter für erforderlich gehalten, muß aber auch gewährleistet werden, daß die Gewerkschaft – dafür gibt der vorliegende Fall, bei dem es aus Versehen zu einem Streik gegen den Außenseiter kam, Anschauungsunterricht – auch erkennen kann, ob ein Arbeitgeber dem Verband angehört oder nicht. Der Gewerkschaft müßte also gegenüber allen Arbeitgebern ein Anspruch auf Erteilung der Auskunft gegeben werden, ob sie dem zuständigen Arbeitgeberverband angehören. Gibt der Arbeitgeber dann eine unzutreffende Auskunft, kann er die Gewerkschaft für den daraus entstehenden Schaden nicht in Anspruch nehmen. Behauptet ein Arbeitgeber unzutreffend z.B., er sei Mitglied des Arbeitgeberverbandes, handelt die Gewerkschaft nicht rechtswidrig, zumindest nicht schuldhaft, wenn sie ihn nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Verband bestreikt. Erklärt ein Arbeitgeber, er gehöre dem Arbeitgeberverband nicht an, obwohl er Mitglied ist, kann die Gewerkschaft ihn nach gescheiterten Verhandlungen über einen Firmentarifvertrag bestreiken.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Rösch, Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 839163 |
JR 1992, 132 |
RdA 1991, 318 |