Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Ausschlußfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Verlangt eine tarifliche Verfallklausel (hier: § 22 des Bundesmanteltarifvertrages für den Güter- und Möbelfernverkehr vom 23.1.1984) die schriftliche Geltendmachung aller tariflichen Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist, so erfaßt die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage regelmäßig auch tarifliche Lohnansprüche (ständige Rechtsprechung; vgl. BAG Urteil vom 16. Juni 1976 - 5 AZR 224/75 - AP Nr 56 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
2. Ist durch Erhebung der Kündigungsschutzklage die tarifliche Frist gewahrt, so müssen nach Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß die tariflichen Lohnansprüche nicht erneut innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend gemacht werden, wenn der Tarifvertrag das nicht ausdrücklich vorsieht (Fortführung des Urteils vom 16. Juni 1976, aa0).
Orientierungssatz
Nach § 779 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens bereinigt wird, unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrundegelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Das gilt auch für den Prozeßvergleich, der nach ganz herrschender Meinung sowohl Privatrechtsgeschäft als auch Prozeßhandlung ist, also Doppelcharakter hat.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Lohn aus Annahmeverzug verlangen kann.
Der Kläger war bei der Beklagten als Fernfahrer beschäftigt, sein Bruttolohn betrug zuletzt 2.800,-- DM monatlich zuzüglich 43,-- DM vermögenswirksamer Leistungen. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundesmanteltarifvertrag für den Güter- und Möbelfernverkehr (BMTV) Anwendung.
Am 21. Oktober 1983 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage mit dem Begehren festzustellen, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers gab das Landesarbeitsgericht der Klage statt und ließ die Revision nicht zu. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde ein, die das Bundesarbeitsgericht durch Beschluß vom 10. September 1985 zurückwies. Der Beschluß wurde dem Kläger im Oktober 1985 zugestellt.
Mit seiner am 30. Dezember 1986 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte er im vorliegenden Verfahren tariflichen Lohn aus Annahmeverzug für die Zeit vom 21. Oktober 1983 bis Dezember 1986 geltend. Die Parteien streiten darüber, ob die Ansprüche des Klägers verwirkt oder nach § 22 BMTV verfallen sind. § 22 BMTV vom 23. Januar 1984 lautet:
"...
(3) Alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag
oder dem Einzelarbeitsvertrag sind binnen drei
Monate nach ihrer Entstehung, im Falle der Be-
endigung des Arbeitsverhältnisses spätestens einen
Monat nach Arbeitsvertragsende, schriftlich oder
mündlich unter Zeugen geltend zu machen."
Der Kläger hat vorgetragen, eine Verwirkung seiner tariflichen Ansprüche sei nach § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG ausgeschlossen. Er habe auch die Lohnansprüche rechtzeitig innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist durch Erhebung der Kündigungsschutzklage schriftlich geltend gemacht.
Der Kläger hat ursprünglich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für
1983 DM 6.952,-- brutto, für 1984 DM 34.116,--
brutto, für 1985 DM 35.822,-- brutto und für
1986 DM 37.589,-- brutto, zuzüglich 4 % Zinsen
seit der jeweiligen Fälligkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe die Ausschlußfrist des § 22 Abs. 3 BMTV durch Erhebung der Kündigungsschutzklage lediglich unterbrochen. Nach der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung hätte er seine Ansprüche erneut innerhalb der Ausschlußfrist, und zwar insbesondere beziffert, geltend machen müssen. Im übrigen seien die Ansprüche verwirkt. Der Kläger habe seit Oktober 1985 gewußt, daß ihm Ansprüche auf Verzugslohn zustünden. Er habe die vorliegende Klage jedoch erst 14 Monate später am 30. Dezember 1986 erhoben. Sie, die Beklagte, habe sich aufgrund des Zeitablaufs darauf eingerichtet, der Kläger werde keine Forderungen mehr geltend machen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageansprüche weiter.
In der Sitzung des Senats vom 10. November 1988 schlossen die durch ihre Prozeßbevollmächtigten vertretenen Parteien folgenden Vergleich:
1. Das Arbeitsverhältnis hat im gegenseitigen
Einvernehmen mit Ablauf des 31. Dezember 1986
geendet.
2. Die Beklagte zahlt an den Kläger zur Abgeltung
aller Zahlungsansprüche folgende Beträge:
a) für 1984 DM 34.116,-- brutto;
b) für 1985 DM 35.822,-- brutto;
c) für 1986 DM 37.589,-- brutto.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1989 hat die Beklagte beantragt, das Verfahren fortzusetzen. Sie hat geltend gemacht, der Vergleich vom 10. November 1988 sei unwirksam. Ihr sei Ende Oktober 1989 durch Vorlage von Lohnsteuerbescheiden des Klägers bekannt geworden, daß dieser in den Jahren 1984 bis 1986 77.420,-- DM anderweitig verdient habe, und zwar 1984 DM 21.128,-- brutto, 1985 DM 28.887,-- brutto und 1986 DM 27.405,-- brutto. Außerdem sei von der Vergleichssumme der Betrag abzuziehen, der durch Forderungsübergang nach § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG auf das Arbeitsamt übergegangen sei.
Hilfsweise hat die Beklagte den Vergleich wegen arglistiger Täuschung angefochten. Sie hat sich darauf berufen, ihr sei vorgespiegelt worden, der Kläger habe in der fraglichen Zeit keine anderen Einkünfte gehabt.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat bestritten, von dem anderweitigen Einkommen des Klägers gewußt zu haben.
Nach mit Zustimmung der Beklagten erfolgter teilweiser Zurücknahme der Klage hat der Kläger beantragt,
1. festzustellen, daß der Rechtsstreit durch den
Vergleich erledigt worden sei;
2. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen,
an ihn
für 1984 12.988,-- DM brutto,
für 1985 6.935,-- DM brutto,
für 1986 10.184,-- DM brutto,
insgesamt 30.107,-- DM brutto
abzüglich 17.343,-- DM
erhaltenem Arbeitslosengeld
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
1. festzustellen, daß der Prozeßvergleich,
geschlossen in der mündlichen Verhandlung
vom 10. November 1988 unwirksam sei und das
Verfahren - 2 AZR 147/88 - vor dem Bundes-
arbeitsgericht nicht geendet habe;
2. die Revision gegen das angefochtene Urteil
zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist in dem Umfange, in dem der Kläger die Klage aufrecht erhalten hat, begründet.
A) Der Rechtsstreit ist durch Abschluß des Vergleiches vom 10. November 1988 nicht beendet worden, was der Senat im Tenor klarstellend zum Ausdruck gebracht hat. Der Vergleich ist nach § 779 BGB unwirksam.
I. Nach § 779 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens bereinigt wird, unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrundegelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Das gilt auch für den Prozeßvergleich, der nach ganz herrschender Meinung sowohl Privatrechtsgeschäft als auch Prozeßhandlung ist, also Doppelcharakter hat (vgl. dazu Palandt/Thomas, BGB, 49. Aufl., § 779 Anm. 1 a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZP0, 48. Aufl., Anh. § 307 Anm. 2 jeweils mit weiteren Nachweisen).
II. Unstreitig haben beide Prozeßbevollmächtigten bei Vergleichsabschluß nicht gewußt, daß der Kläger über anderweitigen Verdienst verfügte, den er sich nach § 615 Satz 2 BGB hätte anrechnen lassen müssen. Da es auf ihre Tatsachenkenntnis allein ankommt (§ 166 BGB), sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 779 BGB erfüllt.
Da die Fehlvorstellungen der Parteien bereits bei Abschluß des Vergleichs vorlagen, erfolgt die Bereinigung dieses Konfliktes durch Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits, nicht durch Erhebung einer neuen Klage (vgl. BAGE 40, 17 = AP Nr. 31 zu § 794 ZPO). Der Streit über einen erheblichen Teil des geltend gemachten ursprünglichen Anspruchs hätte nicht bestanden, wenn die Parteivertreter kundig gewesen wären. Damit ist der gesamte Vergleich nichtig und es ist durch Urteil zu entscheiden.
B. In der Sache kann dem Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, es könne letztlich dahingestellt bleiben, ob die Ansprüche des Klägers verwirkt seien. Sie seien jedenfalls nach § 22 Abs. 3 BMTV verfallen. Zwar habe der Kläger die tarifliche Ausschlußfrist durch Erhebung der Kündigungsschutzklage zunächst gewahrt. Er hätte aber seine Forderungen nach Eintritt der Rechtskraft erneut innerhalb der Ausschlußfrist, und zwar beziffert, geltend machen müssen.
II. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die tariflichen Lohnansprüche des Klägers seien nach § 22 Abs. 3 MTV verfallen, halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Beklagte ist nach Ausspruch der fristlosen Kündigung am 21. Oktober 1983 gemäß §§ 293 ff. BGB in Annahmeverzug geraten.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (BAGE 46, 234 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; Urteil vom 21. März 1985 - 2 AZR 201/84 - AP Nr. 35 zu § 615 BGB; zuletzt Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 - AP Nr. 42 zu § 615 BGB, zu A III 1 der Gründe) bedarf es nach einer unberechtigten außer- oder ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers keines wörtlichen Leistungsangebots des Arbeitnehmers nach § 295 BGB. Vielmehr gerät der Arbeitgeber nach § 296 Satz 1 BGB mit dem Zugang der fristlosen Kündigung bzw. nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen. Denn es bedarf einer nach dem Kalender bestimmten Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers, nämlich der Einrichtung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes unter Zuweisung der Arbeit, damit der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung erbringen kann.
b) Hier hat die Beklagte mit der fristlosen Kündigung deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die Arbeitsleistung für die Zukunft ablehne. Deshalb hätte sie den Kläger wieder zur Arbeit auffordern müssen, wenn sie bei Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht in Annahmeverzug geraten wollte. Das hat sie jedoch nicht getan; der Kläger war auch nach Ausspruch der Kündigung nicht außerstande, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs sind daher erfüllt.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Ansprüche des Klägers nicht nach § 22 Abs. 3 BMTV verfallen.
a) Nach dieser Vorschrift sind alle übrigen Ansprüche aus dem Tarifvertrag oder dem Einzelarbeitsvertrag binnen drei Monaten nach ihrer Entstehung schriftlich oder mündlich unter Zeugen geltend zu machen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedenfalls für den Bereich der privaten Wirtschaft die Erhebung der Kündigungsschutzklage je nach Lage des Falles ein ausreichendes Mittel die Ansprüche, die während des Kündigungsstreits fällig werden und von dessen Ausgang abhängen, "geltend zu machen", sofern die einschlägige Verfallklausel nur eine formlose oder schriftliche Geltendmachung verlangt (BAG Urteile vom 16. Juni 1976 - 5 AZR 224/75 - und vom 26. März 1977 - 5 AZR 51/76 - AP Nr. 56 und 59 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 30, 135; 46, 359 = AP Nr. 63 und 86 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAG Urteil vom 20. März 1986 - 2 AZR 295/85 - EzA § 615 BGB Nr. 48, zu B II 2 a der Gründe). In derartigen Fällen ist über den prozessualen Inhalt des Kündigungsschutzbegehrens hinaus das Gesamtziel der Klage zu beachten. Dieses Ziel beschränkt sich in der Regel nicht auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes, sondern ist zugleich auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gehen. Im allgemeinen ist dieses Ziel dem Arbeitgeber auch klar erkennbar. Damit ist er aber bei solchen Ausschlußklauseln, die nicht bestimmte prozessuale Maßnahmen verlangen, gehörig von dem Willen des Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten (so BAG Urteil vom 16. Juni 1976, aa0).
b) Anders sind die Fälle zu beurteilen, in denen die jeweils einschlägige tarifliche Ausschlußklausel die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen vorschreibt. Es handelt sich dabei um zweistufige Ausschlußklauseln, die bestimmen, daß Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend machen werden müssen (vgl. z. B. § 16 BRTV-Bau). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert nur die gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen die Erhebung einer fristgerechten Zahlungsklage (BAG Urteil vom 9. März 1966 - 4 AZR 87/65 - AP Nr. 31 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 29, 152 = AP Nr. 60 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 30, 135; 46, 359 = jeweils AP, aa0 und Senatsurteil vom 20. März 1986, aa0). Bei einer solchen Ausschlußklausel ersetzt die Kündigungsschutzklage nicht die gerichtliche Geltendmachung, wie sie für die zweite Stufe verlangt wird. Wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß obsiegt, steht damit noch nicht fest, ob und in welcher Höhe er einen Vergütungsanspruch hat.
c) Die vorliegend zu beurteilende Ausschlußklausel des § 22 Abs. 3 BMTV bestimmt lediglich, alle übrigen Ansprüche seien schriftlich oder mündlich unter Zeugen geltend zu machen. Die Tarifvertragsparteien haben damit auf eine Differenzierung zwischen schriftlicher und gerichtlicher Geltendmachung in Form einer zweistufigen Ausschlußklausel verzichtet. Sie haben auch nicht ausdrücklich klargestellt, die tarifliche Ausschlußfrist werde nicht durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewahrt. Mangels einer solchen Klarstellung im Tarifvertrag ist daher der typische Sachverhalt bei der Auslegung zugrunde zu legen. Danach erstrebt der Arbeitnehmer in aller Regel mit der Kündigungsschutzklage nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern auch die Sicherung der nach § 615 BGB anfallenden Vergütungsansprüche. Anhaltspunkte für den Arbeitgeber, der Arbeitnehmer wolle im Falle seines 0bsiegens das Arbeitsverhältnis fortsetzen, ohne die Vergütung für die Zwischenzeit zu verlangen, auf die er angewiesen ist, liegen in der Regel nicht vor (so bereits BAGE 14, 156, 161 = AP Nr. 23 zu § 615 BGB zu einer Ausschlußklausel, die allerdings nur eine formlose Geltendmachung vorsah; vgl. ebenso Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 59 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) und ergeben sich im konkreten Fall auch nicht aus den Besonderheiten der Fallgestaltung. Daher genügt zur schriftlichen Geltendmachung i. S. des § 22 Abs. 3 BMTV die Erhebung der Kündigungsschutzklage, weil sich aus den Umständen kein anderer Wille des Klägers ergibt.
d) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigungsschutzklage enthalte keine ausreichende Bezifferung der Ansprüche, wie sie grundsätzlich für die Geltendmachung von Forderungen innerhalb einer tariflichen Ausschlußfrist erforderlich sei (vgl. BAG Urteil vom 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - AP Nr. 9 zu § 70 BAT), trägt im vorliegenden Fall nicht. Eine Angabe zur Forderungshöhe ist nämlich dann entbehrlich, wenn der Schuldner diese ohnehin kennt (BAG Urteil vom 16. Dezember 1971 - 1 ABR 335/71 - AP Nr. 48 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2 a der Gründe; BAGE 24, 116, 120 = AP Nr. 49 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 16. Juni 1976, aa0, zu II a der Gründe; BAG Urteil vom 5. März 1981 - 3 AZR 559/78 - AP, aa0). Hier ergibt sich die Höhe der durch die Kündigung bedrohten Lohnansprüche aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Der Anspruchszeitraum und die Höhe der Lohnforderungen waren zwischen den Parteien unstreitig. Demzufolge war der Kläger entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht gehalten, nach der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung seine Zahlungsansprüche innerhalb der Ausschlußfrist erneut, und zwar beziffert, geltend zu machen, um ihren Verfall zu vermeiden. Vielmehr genügte hier zur schriftlichen Geltendmachung der Ansprüche die Erhebung der Kündigungsschutzklage.
Der Fünfte Senat hat im Urteil vom 16. Juni 1976 (aa0) die Frage noch offen gelassen, ob der Arbeitnehmer in Fällen wie dem vorliegenden nach dem für ihn erfolgreichen Ende des Kündigungsschutzverfahrens gehalten ist, seine Zahlungsansprüche nochmals geltend zu machen, um den Verfall zu vermeiden. Nach Auffassung des erkennenden Senats bedarf es dazu einer ausdrücklichen tariflichen Regelung. Fehlt diese, wie im Streitfall, dann verfallen tarifliche Ansprüche nicht, wenn sie einmal rechtzeitig geltend gemacht worden sind. Es kann daher nur logische Folge der Geltendmachung sein, daß der Verfall durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage endgültig ausgeschlossen ist.
e) Soweit die Beklagte meint, die Frage der notwendigen Bezifferung stelle sich anders, wenn es sich nicht um Lohnansprüche bis zum gekündigte Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern um Ansprüche nach § 615 BGB handele, so kann dem nicht gefolgt werden. Der Fünfte Senat hat in der zitierten Entscheidung vom 16. Juni 1976 (aa0) dazu bereits ausgeführt, ein Zahlungsanspruch bedürfe dann einer besonderen Spezifizierung, wenn er sich erst aus besonderen Ereignissen während des Arbeitsverhältnisses ergebe. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Der Anspruch des Klägers konnte sich aufgrund der besonderen Entwicklung während des Kündigungsschutzverfahrens allenfalls ermäßigen, insbesondere aufgrund der Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB. Die Entscheidung darüber, ob der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt während des Annahmeverzuges des Arbeitgebers sich nach §§ 11 KSchG, 615 Satz 2 BGB ermäßigt oder sogar wegfällt, kann jedoch vielfach erst nachträglich getroffen werden. Jedenfalls weiß der Arbeitgeber durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage, daß er vorbehaltlich anderer Verdienstmöglichkeiten des Arbeitnehmers sich Entgeltansprüchen in der bisherigen Höhe gegenüber sieht.
f) Es ist auch davon auszugehen, daß der Kläger die Kündigungsschutzklage innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 22 Abs. 3 BMTV erhoben hat. Der Fristlauf beginnt nach der Entstehung der Lohnansprüche, aber nicht vor deren Fälligkeit. Eine Forderung ist im allgemeinen dann entstanden, wenn der vom Gesetz zu ihrer Entstehung vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, auch wenn der Gläubiger die Leistung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlangen kann, also die Fälligkeit der Forderung hinausgeschoben ist. Der Lauf der Ausschlußfrist beginnt aber nicht vor Fälligkeit, nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger vom Schuldner die Leistung auch verlangen kann (§ 271 BGB) und im Wege der Klage durchsetzen kann. So umfaßt auch § 22 Abs. 3 BMTV die entstandene und fällige Forderung (vgl. Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 6. Aufl., § 14 III, S. 243 zum Verjährungsbeginn nach § 198 BGB; ebenso BGHZ 55, 340, 341).
Im Bundesmanteltarifvertrag fehlt eine Regelung darüber, wann der Lohnanspruch (§ 14 BMTV) fällig wird. Daher gilt § 614 BGB, wonach die Vergütung nach der Leistung der Dienste zu entrichten ist. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten. Die aus Annahmeverzug begründeten Lohnansprüche werden zu demselben Zeitpunkt fällig, wie sie bei Leistung der Arbeit fällig geworden wären. Durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage wird die Fälligkeit der auf die Zeit nach der Kündigung entfallenden Lohnansprüche nicht bis zur Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits aufgeschoben, denn das Urteil, das der Kündigungsschutzklage statt gibt, wirkt nicht konstitutiv, sondern stellt nur die objektiv bereits bestehende Rechtslage deklaratorisch fest (vgl. BAGE 29, 152, 156 = AP Nr. 60 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 8. August 1985 - 2 AZR 459/84 - AP Nr. 94 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 a der Gründe). Der Kläger erhielt zuletzt Lohn in Höhe von 2.800,-- DM brutto monatlich sowie 43,-- DM vermögenswirksame Leistungen, folglich wurden seine Lohnansprüche zum Ende des jeweiligen Monats fällig. Die tarifliche Ausschlußfrist für seine Ansprüche auf Verzugslohn begann somit Ende Oktober 1983. Wann der Kläger die Kündigungsschutzklage erhoben hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, kann aber vom Senat abschließend beurteilt werden. Da das Arbeitsgericht über die von der Beklagten am 21. Oktober 1983 ausgesprochene fristlose Kündigung bereits am 8. Dezember 1983 entschieden hat, ist davon auszugehen, daß der Kläger die Kündigungsschutzklage innerhalb der Drei-Monats-Frist nach § 22 Abs. 3 BMTV und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG erhoben hat.
3. Die tariflichen Verzugslohnansprüche des Klägers sind auch nicht verwirkt.
a) Nach § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG ist die Verwirkung tariflicher Rechte ausgeschlossen. Die Vorschrift erfaßt nach herrschender Meinung den Rechtsmißbrauch durch illoyal verspätete Rechtsausübung, also einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. BAGE 3, 77, 80 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; BAG Urteil vom 13. November 1957 - 4 AZR 228/55 - AP Nr. 7 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; BAG Urteil vom 16. April 1958 - 4 AZR 288/56 - AP Nr. 35 zu § 3 T0A; BAGE 6, 170, 172 f. = AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lohnanspruch, zu IV der Gründe; BAGE 10, 187, 189 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Vertragsstrafe, zu II der Gründe; BAGE 4, 59, 61 = AP Nr. 1 zu § 817 BGB; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 350; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, TVG, 4. Aufl., § 4 Rz 127; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II 1, § 32 I 2, S. 627). Der Ausschluß der Verwirkung bedeutet somit, daß der Arbeitnehmer in der Regel mit der Geltendmachung seiner Ansprüche bis zum Ende der Verjährungsfrist jedenfalls dann warten kann, wenn diese wie Lohn- und Gehaltsansprüche der kurzen Verjährungsfrist von zwei Jahren unterliegen (vgl. § 196 Nr. 8 und 9 BGB; BAG Urteil vom 13. November 1957 - 4 AZR 228/55 - AP, aa0; Wiedemann/Stumpf, aa0; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, aa0).
Im übrigen ist vorliegend bereits fraglich, ob die Voraussetzungen einer Verwirkung überhaupt vorliegen. Ein Anspruch verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen (vgl. BAG Urteil vom 16. April 1958 - 4 AZR 288/56 - AP Nr. 35 zu § 3 T0A; RGRK-Alff, BGB, 12. Aufl., § 242 Rz 136, m.w.N.). Besondere Umstände dieser Art hat die Beklagte jedoch nicht substantiiert vorgetragen.
b) Allerdings wird der Einwand der allgemeinen Arglist sowie der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund eines "venire contra factum proprium" von § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG nicht erfaßt. In diesen Fällen verstößt die Rechtsausübung gegen Treu und Glauben und ist daher unzulässig (vgl. Wiedemann/Stumpf, aa0, § 4 Rz 352, 356; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, aa0). Beides liegt hier aber nicht vor. Der Einwand der Arglist kann nur in besonders krassen Fällen eingreifen, wenn dem Gläubiger ein grob unbilliges Verhalten zur Last gelegt wird (vgl. BAG Urteil vom 13. November 1957 - 4 AZR 228/55 - AP, aa0; BAG Urteil vom 16. April 1958 - 4 AZR 288/56 - AP, aa0; BAGE 6, 170, 172 = AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lohnanspruch, zu IV der Gründe; BAGE 4, 59 = AP Nr. 1 zu § 817 BGB). Dafür hat die Beklagte jedoch nichts vorgetragen. Eine unzulässige Rechtsausübung durch widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) scheidet ebenfalls aus. Nach dem feststehenden Sachverhalt ist nicht ersichtlich, daß der Kläger durch ein früheres Verhalten bei der Beklagten das Vertrauen erweckt hat, er werde seine Lohnansprüche nicht mehr geltend machen (vgl. BGHZ 32, 273, 279).
Hillebrecht - zugleich für den Dr. Ascheid
durch Urlaub an der
Unterschrift verhinderten
Richter Triebfürst
Nipperdey Roeder
Fundstellen
BB 1991, 279 |
BB 1991, 279-280 (LT1-2) |
DB 1991, 498-500 (LT1-2) |
DStR 1991, 255-255 (T) |
EWiR 1991, 139-140 (L) |
NZA 1991, 226-228 (LT1-2) |
RdA 1990, 383 |
RzK, I 13a Nr 39 (ST1) |
AP § 615 BGB (LT1-2), Nr 46 |
AR-Blattei, Annahmeverzug Entsch 37 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 80 Nr 37 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 88 (LT1-2) |