Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfeanspruch bei dauernder Anstaltsunterbringung
Leitsatz (redaktionell)
Beihilfe zu Aufwendungen für heilpädagogische Maßnahmen bei Unterbringung in einem Heim
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.05.1989; Aktenzeichen 2 Sa 45/88) |
ArbG Ulm (Urteil vom 26.02.1988; Aktenzeichen 6 Ca 289/85) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 24. Mai 1989 – 2 Sa 45/88 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger macht als Sozialhilfeträger gegenüber der Beklagten einen abgetretenen Beihilfeanspruch geltend.
Auf das Arbeitsverhältnis des bei der Beklagten beschäftigten Arbeiters W. S. findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für die Bewilligung von Beihilfen an Arbeiter und Handwerkerlehrlinge vom 1. November 1964 (Beihilfe-TV) Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 Beihilfe-TV erhalten Arbeiter und Handwerkerlehrlinge in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Beihilfen in sinngemäßer Anwendung der für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Beihilfevorschriften.
Der Sohn des Arbeiters W. S., L. S., der im Jahre 1949 geboren ist, ist wegen seiner geistigen Behinderung in der Evangelischen Stiftung L. untergebracht. L. S. leidet an einer Oligophrenie vom Grade der Imbezillität, die durch eine frühkindliche Hirnschädigung hervorgerufen ist. Er kann nicht lesen, schreiben oder rechnen, besitzt aber eine praktische Bildbarkeit. Lebenspraktische Dinge des Alltags kann er weitgehend alleine oder unter Anleitung erledigen. Die Kosten der Unterbringung im Heim werden vom Kläger getragen. Durch schriftliche Erklärung vom 29. August 1975 trat Herr S. seinen vermeintlichen Beihilfeanspruch hinsichtlich der Aufwendungen für den Heimaufenthalt seines Sohnes ab 1. April 1975 an den Kläger ab.
Bis zum 31. März 1976 erkannte die Beklagte die Aufwendungen als beihilfefähig an. Danach lehnte sie die Gewährung von Beihilfe ab. Mit seiner am 16. April 1985 eingereichten und am 22. Dezember 1987 erweiterten Klage macht der Kläger einen Beihilfeanspruch für die Zeit bis zum 31. Mai 1986 in Höhe von insgesamt 253.680,18 DM geltend.
Der Kläger stützt seine Klage auf § 5 der Beihilfeverordnung für das Land Baden-Württemberg in der bis zum 31. Mai 1986 geltenden Fassung (BVO). Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut:
§ 5 Beihilfefähige Aufwendungen bei dauernder Anstaltsunterbringung.
(1) Die täglich wiederkehrenden Kosten einer dauernden Unterbringung körperlich oder geistig Kranker in Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten sind bis zum niedrigsten Satz einer in Betracht kommenden öffentlichen oder freien gemeinnützigen Anstalt am Ort der Unterbringung oder in seiner Umgebung insoweit beihilfefähig, als sie monatlich folgende Beträge übersteigen: …
(2) Eine dauernde Unterbringung ist anzunehmen, wenn sie nach ärztlichem Zeugnis für eine nicht absehbare Zeit notwendig ist. Die Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Zeugnisses kann verlangt werden. …
Im Rundschreiben des Finanzministeriums von Baden-Württemberg vom 22. November 1976 (GABl BW 1977, 173 ff.) ist zu § 5 Abs. 1 unter anderem folgendes bestimmt:
3. Bei Unterbringung in Heil- und Erziehungsinstituten für Kinder, in Heimen für Behinderte mit Werkstätten und ähnlichen Einrichtungen ist außerdem Beihilfefähigkeit nur gegeben, wenn die erforderliche ärztliche Betreuung bzw. Pflege und Verwahrung nur bei Unterbringung in einer solchen Einrichtung gewährleistet ist. Eine Unterbringung zur Durchführung pädagogischer – auch heilpädagogischer – Maßnahmen erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 5.
Durch Rundschreiben vom 28. August 1980 (StAnz BW vom 17. September 1980 Nr. 75, S. 10) ist zu § 5 BVO u.a. folgendes geregelt:
b) In Hinweis 3 (des Rundschreibens vom 22. November 1976) wird Satz 2 durch folgende Sätze ersetzt:
Die Kosten einer Unterbringung zur Durchführung eines Unterrichts oder einer anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Maßnahme sind keine Krankheitskosten im Sinne des Beihilferechts. Bei Unterbringung zur Durchführung heilpädagogischer Maßnahmen oder anderer Maßnahmen von zeitlich absehbarer Dauer ist § 5 nicht anwendbar. …
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen nach § 5 BVO in bezug auf die Unterbringung von L. S. in der Evangelischen Stiftung L. im Klagezeitraum vorgelegen hätten. L. S. sei als geistig Kranker aufgrund ärztlichen Zeugnisses auf Dauer in einem Pflegeheim untergebracht. Er sei auch pflegebedürftig, da er die notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens wegen seiner geistigen Behinderung nur unter Anleitung und Aufsicht durchführen könne. Deshalb erfahre er nicht nur eine heilpädagogische Betreuung, sondern sei im Hinblick auf die Art seiner Krankheit auf Dauer zur Pflege im Sinne von § 5 BVO im Heim untergebracht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn Beihilfe für die Zeit vom 1. April 1976 bis 31. Mai 1986 in Höhe von 253.680,18 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Beihilfe nach § 5 BVO in bezug auf die Unterbringung von L. S. in der Evangelischen Stiftung L. nicht gegeben seien. Bei L. S. handele es sich nicht um einen Pflegefall im Sinne der Verordnung. Er werde nur heilpädagogisch betreut. Bei lebenspraktischen Verrichtungen des Alltags benötige er nur teilweise eine Anleitung. Aufwendungen für eine solche allgemeine soziale Betreuung und Förderung seien nach § 5 BVO nicht beihilfefähig.
Im übrigen habe der Kläger den geltend gemachten Anspruch nicht hinreichend spezifiziert, da er den allgemeinen Pflegesatz, in dem auch die Kosten für eine Sonderschule enthalten seien, abgerechnet habe. Außerdem sei ein Teil der Ansprüche verjährt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht erkannt, daß dem Kläger ein Anspruch auf Beihilfe in bezug auf die Aufwendungen für die Unterbringung von L. S. in der Evangelischen Stiftung L. in der Zeit vom 1. April 1976 bis 31. Mai 1986 nach § 5 BVO nicht zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß der Kläger aufgrund der Abtretung des Beihilfeanspruchs durch den Vater des Behinderten berechtigt sei, diesen gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Ein Anspruch auf Beihilfe nach § 5 BVO sei jedoch nicht begründet. Aufwendungen für eine heilpädagogische Betreuung seien nach dieser Vorschrift nicht beihilfefähig, wie sich aus den entsprechenden Erlassen des Verordnungsgebers eindeutig ergebe. Eine solche Betreuung erfahre aber der Behinderte. Er benötige keine Hilfestellung bei personenbezogenen Verrichtungen, sondern sonderpädagogische Behandlung und Förderung. Solche Maßnahmen seien allenfalls nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 8 BVO beihilfefähig, deren Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen für die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen nach § 5 BVO zutreffend interpretiert. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind diese jedoch vorliegend nicht gegeben.
1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß gegen die Abtretung des Beihilfeanspruchs durch den Vater des Behinderten an den Kläger, der als Träger der Sozialhilfe für die Kosten der Unterbringung aufkommt, keine rechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1970 – 4 AZR 440/69 – AP Nr. 1 zu Nr. 4 a Beihilfevorschriften).
2. Das Landesarbeitsgericht nimmt ferner zutreffend an, daß als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Beihilfeanspruch § 5 BVO i.d.F. vom 27. Oktober 1972 in Betracht kommt. Dies folgt daraus, daß auf das Arbeitsverhältnis des Vaters von L. S. der Tarifvertrag über die Bewilligung von Beihilfen an Arbeiter und Handwerkerlehrlinge aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung anzuwenden ist, der wiederum auf die sinngemäße Anwendung der für die Beamten des Arbeitgebers jeweils geltenden Beihilfevorschriften verweist. Durch die Verweisung auf die sinngemäße Anwendung der für die Beamten des Arbeitgebers geltenden Beihilfevorschriften richtet sich der Beihilfeanspruch damit nicht nur nach § 5 BVO, sondern ebenso nach den zu dieser Vorschrift ergangenen Erlassen, Verfügungen und Verwaltungsanordnungen (vgl. BAGE 41, 47 = AP Nr. 7 zu § 44 BAT; BAGE 52, 340 = AP Nr. 1 zu § 13 TVAng Bundespost, m.w.N.).
Der Interpretation der Vorschrift des § 5 BVO durch den Verordnungsgeber in den Rundschreiben vom 22. November 1976 und vom 28. August 1980 kommt demgemäß maßgebliche Bedeutung zu. Gemäß dem Hinweis 3 im Rundschreiben vom 22. November 1976 sind bei einer dauernden Anstaltsunterbringung im Sinne von § 5 BVO Aufwendungen nur beihilfefähig, wenn nur durch die Unterbringung die erforderliche ärztliche Betreuung bzw. Pflege gewährleistet ist. Eine Unterbringung zur Durchführung pädagogischer – auch heilpädagogischer – Maßnahmen erfüllt die Voraussetzungen des § 5 BVO nicht. Diese Interpretation durch den Verordnungsgeber wurde im Rundschreiben vom 28. August 1980 bestätigt.
Das Landesarbeitsgericht ist damit von den zutreffenden Rechtsbegriffen ausgegangen, wenn es hinsichtlich der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen nach § 5 BVO für die Unterbringung von L. S. in der Evangelischen Stiftung L. darauf abstellt, ob diese zur Durchführung heilpädagogischer Maßnahmen oder zur Pflege erfolgt ist, wobei unter Pflege nach den Vorgaben des Verordnungsgebers personenbezogene Verrichtungen (z.B. medizinische Hilfeleistungen, wie das Betten und Lagern, Hilfe beim Ankleiden) zu verstehen ist. Wenn der Kläger mit der Revision demgegenüber geltend macht, daß bei geistig Behinderten zur Pflege nicht nur personenbezogene Verrichtungen, sondern letztlich alle Hilfestellungen gehören, die den Behinderten in die Lage versetzen, die lebenspraktischen Dinge des Alltags zu bewältigen, so entspricht diese Auslegung nicht der Interpretation der Vorschrift des § 5 BVO durch den Verordnungsgeber. An diese sind die Gerichte jedoch im Hinblick auf die Verweisung durch § 2 Abs. 1 Beihilfe-TV gebunden, sofern sie nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. BAGE 45, 36 = AP Nr. 3 zu § 29 BAT). Dafür liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfolgte die Unterbringung von L. S. zur pädagogischen und heilpädagogischen Betreuung und nicht zur Gewährung von Hilfeleistungen bei personenbezogenen Verrichtungen. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO), da der Kläger mit seiner Revision insoweit keine formellen Rügen erhoben hat. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des Berichtes der Evangelischen Stiftung L. vom 9. April 1986 festgestellt, daß L. S. eine sonderpädagogische Betreuung und Förderung erfährt, die ihn in die Lage versetzt, lebenspraktische Dinge des Alltags, wie Aufstehen, Waschen, Zähneputzen, Kämmen, An- und Ausziehen. Essen, Arbeitsaufnahme usw. unter Aufsicht des Betreuungspersonals alleine zu bewältigen. Bei anderen Dingen, wie Baden. Wäschewechsel oder Erlernen neuer Fertigkeiten, die er zu seiner Arbeit in der Landwirtschaft benötige, bedürfe er der Hilfestellung und Anleitung durch das Betreuungspersonal. Diese Umstände rechtfertigen unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraumes den Schluß, daß L. S. keine Hilfeleistungen bei personenbezogenen Verrichtungen benötigt, sondern eine heilpädagogische Betreuung und Beaufsichtigung erfährt. Daß er in vielen Bereichen aufgrund seiner geistigen Behinderung auf eine Hilfestellung überhaupt angewiesen ist, begründet, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht die Beihilfefähigkeit der Kosten der Unterbringung nach § 5 BVO. Maßgebend ist vielmehr die Art der Hilfestellung. Diese erstreckt sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts jedoch nur auf pädagogische und heilpädagogische Maßnahmen, deren Beihilfefähigkeit nach § 5 BVO nicht gegeben ist.
Ob eine Beihilfefähigkeit der Aufwendungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 8 BVO in Betracht kommt, kann dahinstehen. Nach dieser Vorschrift waren Aufwendungen für vom Arzt schriftlich angeordnete Heilbehandlungen beihilfefähig. Zu diesen konnten bei einer heilpädagogischen Behandlung auch notwendige Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung gehören. Insoweit fehlt es jedoch an einem entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers, der den Beihilfeanspruch allein mit den Voraussetzungen nach § 5 BVO begründet hat.
4. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Jobs, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Mergenthaler, Wax
Fundstellen