Entscheidungsstichwort (Thema)
Baugewerbliche Altersversorgung nach Branchenwechsel
Leitsatz (amtlich)
Die tarifvertragliche Pflicht eines Arbeitgebers des Baugewerbes, seinen Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung seitens der Zusatzversorgungskasse zu verschaffen, erlischt, wenn der Arbeitgeber die Branche wechselt und so aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes ausscheidet (Abgrenzung zu BAG 5. Oktober 1993 – 3 AZR 586/92 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 42).
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Baugewerbe (TVA) § 1; Tarifvertrag über eine Ergänzungsbeihilfe für langjährige Zugehörigkeit zum Baugewerbe (TVE) § 1; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) § 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 8. April 1998 – 8 Sa 195/97 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger hinsichtlich seines Anspruchs auf Zusatzversorgung so zu stellen, als wäre sie über den 31. März 1996 hinaus Mitglied der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes geblieben.
Die Beklagte, die nie Mitglied eines Arbeitgeberverbandes des Baugewerbes war, betreibt Abbruch, Erd- und Planierungsarbeiten, Transporte sowohl für eigene Baustellen also auch für Fremdunternehmen, sowie Containerdienste, Recycling und Baustoffhandel. Zunächst hatte sie überwiegend bauliche Leistungen erbracht und für ihre Arbeitnehmer Beiträge an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes in Wiesbaden gezahlt. Spätestens ab dem 1. April 1996 machen die Abbruch- und Erdarbeiten sowie Transporte für eigene Baustellen nur noch 26 % der betrieblichen Arbeitszeit aus, während fast 2/3 der Arbeitszeit auf Containerdienst, Recycling und Handel entfallen. Seit dieser Zeit nimmt die Beklagte am Sozialkassenverfahren nicht mehr teil und zahlt mit Zustimmung der Zusatzversorgungskasse auch keine Beiträge mehr.
Die Beklagte ist seit einigen Jahren Mitglied der Vereinigung für das Verkehrsgewerbe in Hessen eV. In dem von diesem Verband mit der Gewerkschaft ÖTV vereinbarten Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen vom 31. Mai 1996 ist bestimmt, daß Bagger- und Raupenführer den tariflichen Lohn des Baugewerbes erhalten.
Der Kläger ist seit dem 2. Dezember 1985 bei der Beklagten als Baggerfahrer beschäftigt.
Er hat den Standpunkt eingenommen, die Beklagte müsse dafür einstehen, daß seine Versorgungsanwartschaft bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes seit dem 1. April 1996 nicht weiter ansteige. Sie schulde ihm eine Versorgung, wie er sie bei fortbestehender Mitgliedschaft von der Zusatzversorgungskasse erhalten hätte. Die Rechtslage habe sich nach dem Ausscheiden der Beklagten aus dem Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes nicht grundlegend geändert. Darüber hinaus arbeite er auch ausschließlich in einer eigenen abgrenzbaren Betriebsabteilung der Beklagten, in der lediglich Erd- und Abbrucharbeiten verrichtet würden und die deshalb unverändert in den Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes falle.
Schließlich ergebe sich sein Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung auch aus dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen. Nach diesem Tarifvertrag stehe ihm unverändert der Lohn eines Baggerführers zu. Hierzu gehöre auch die Zusatzversorgung.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, für ihn ab dem 1. April 1996 für die Dauer des Arbeitsverhältnisses eine Zusatzversorgung entsprechend der Zusatzversorgung des Baugewerbes zu erbringen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit ihrem Ausscheiden aus dem Geltungsbereich der Bautarifverträge sei ihre Verpflichtung erloschen, dem Kläger eine Altersversorgung zu verschaffen. Die Beklagte hat bestritten, daß es einen abgrenzbaren Betriebsteil Erd- und Abbrucharbeiten gebe.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung über das hinaus, was die Zusatzversorgungskasse an ihn für die Beschäftigungszeit bis zum 31. März 1996 zahlen wird.
A. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag zutreffend dahin ausgelegt, der Kläger wolle erreichen, daß die Beklagte ihm eine Versorgung verschafft, die der Versorgungsleistung der Zusatzversorgungskasse bei weiterer Beitragszahlung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses entspricht.
B. Diese Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten weder verlangen, daß sie weiter Beiträge an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes zahlt, noch daß sie ihn so stellt, als würden weiterhin Beiträge gezahlt.
I. Der Kläger hat seit dem 1. April 1996 keinen tarifvertraglichen Anspruch mehr auf Verschaffung einer zusätzlichen Altersversorgung. Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Baugewerbe (TVA) und der ebenfalls allgemeinverbindliche Tarifvertrag über eine Ergänzungsbeihilfe für langjährige Zugehörigkeit zum Baugewerbe (TVE) sind seither auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mehr anwendbar.
1. Diese Tarifverträge gelten seit dem 1. April 1996 nicht mehr unmittelbar und zwingend nach § 4 Abs. 1, § 5 TVG.
Der Betrieb der Beklagten fällt als ganzer nicht mehr in den betrieblichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge, die nach § 1 Abs. 2 TVA und § 1 Abs. 2 TVE nur in Betrieben gelten, in denen auch der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) gilt. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, ohne das der Kläger dem mit einer Verfahrensrüge entgegengetreten ist, daß die Beklagte jedenfalls seit dem 1. April 1996 fast 75 % der betrieblichen Arbeitszeit auf Arbeiten verwendet, die nicht in den Katalog des § 1 Abs. 2 Abschn. II bis V VTV fallen. Damit handelt es sich bei der Beklagten seither nicht mehr um ein Unternehmen des Baugewerbes.
Die Weitergeltung der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes ergibt sich auch nicht aus § 1 Abs. 2 Abschn. VI VTV. Nach dieser Bestimmung fällt ein Arbeitsverhältnis in den betrieblichen Geltungsbereich der Versorgungstarifverträge, wenn der Arbeitnehmer in einer selbständigen Abteilung eines Betriebes arbeitet, in der überwiegend Leistungen des Baugewerbes erbracht werden. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch festgestellt, daß das Vorbringen des Klägers angesichts des konkreten Vortrages der Beklagten in diesem Punkt nicht ausreicht anzunehmen, der Kläger arbeite in einer selbständigen Abteilung, in der überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet würden. Dem ist der Kläger in der Revisionsinstanz auch nicht mehr entgegengetreten.
2. Die Weitergeltung der allgemeinverbindlichen Versorgungstarifverträge des Baugewerbes über den 31. März 1996 hinaus ergibt sich für den Kläger auch nicht aus § 3 Abs. 3 TVG. Der Austritt aus dem Arbeitgeberverband ist nicht vergleichbar mit einer Änderung des Unternehmenszwecks, die zu einem Ausscheiden aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes geführt hat. Auch allgemeinverbindliche Tarifverträge verlieren ihre Wirksamkeit, wenn der Arbeitgeber wegen einer Änderung des Unternehmenszwecks nicht mehr in ihren fachlichen Geltungsbereich fällt (vgl. BAG 5. Oktober 1993 – 3 AZR 586/92 – BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskasse Nr. 42 zu I 2 b der Gründe; 26. September 1979 – 4 AZR 819/77 – BAGE 32, 113, 120; 14. Juni 1994 – 9 AZR 89/93 – BAGE 77, 70, 74). Eine entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 3 TVG scheidet schon deshalb aus, weil das Tarifvertragsgesetz für eine Fallgestaltung wie die vorliegende keine Gesetzeslücke enthält. § 3 Abs. 3 TVG verlangt darüber hinaus nach seinem Sinn und Zweck die fortbestehende Tarifzuständigkeit der vertragschließenden Verbände. Hieran fehlte es im Falle der Beklagten seit dem 1. April 1996. Mit dem Ausscheiden aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes waren dessen Verbände für die Beklagte nicht mehr zuständig.
3. Die Versorgungstarifverträge für das Baugewerbe wirken auch nicht in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG nach.
Zwar kann dieser Norm die allgemeine Regel entnommen werden, daß Tarifverträge dann abdingbar weitergelten, wenn die Tarifbindung aus welchen Gründen auch immer weggefallen ist. Dieser Grundsatz gilt aber nicht, wenn ein Arbeitgeber aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes ausgeschieden ist. Die Versorgungstarifverträge des Baugewerbes, die über Zusatzversorgungskassen als gemeinsame Einrichtungen durchgeführt werden, wirken in einem solchen Fall nicht entsprechend § 4 Abs. 5 TVG nach. Aufgrund der Änderung des Betriebszwecks hat der Arbeitgeber mit dem Ausscheiden aus dem betrieblichen Geltungsbereich keine Beiträge an die gemeinsame Einrichtung mehr zu erbringen. Zwischen der Beitragspflicht und den Ansprüchen des Arbeitnehmers aufgrund des Versicherungsverhältnisses besteht aber ein unlösbarer Zusammenhang. Deshalb erlöschen auch die tarifvertraglichen Ansprüche des Arbeitnehmers zusammen mit dem Versicherungsverhältnis für die Zukunft (BAG 5. Oktober 1993 – 3 AZR 586/92 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 42; 14. Juni 1994 – 9 AZR 89/93 – BAGE 77, 70, 74 ff.; ebenso Wank in Wiedeman TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 352).
4. Der Kläger hat auch keinen tarifvertraglichen Anspruch auf Verschaffung einer Zusatzversorgung nach § 2 des Lohntarifvertrages für die Beschäftigten des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen vom 31. Mai 1996.
Es ist schon fraglich, ob dieser Tarifvertrag überhaupt auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet. Der Kläger behauptet nicht, Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr zu sein. Auch eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf diesen Tarifvertrag behauptet der Kläger nicht.
Die Anwendbarkeit dieses Tarifvertrages kann aber letztlich dahinstehen. Die vom Kläger angezogene Tarifbestimmung, nach der ihm der Lohn eines Baggerführers im Baugewerbe zustehe, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend dahin ausgelegt, daß mit dieser Verweisung nur die in den Lohntarifen des Baugewerbes geregelten Löhne gemeint sind. Ein Anhaltspunkt dafür, daß auch die Versorgungstarifverträge entsprechende Anwendung finden sollen, ist nicht ersichtlich. Der Umstand, daß es sich bei betrieblicher Altersversorgung um eine besondere Form von Entgelt handelt, bedeutet nicht, daß die Anordnung, wonach einzelne „Lohn” Bestimmungen anwendbar sind, auch Bestimmungen über betriebliche Altersversorgung mit umfaßt.
II. Der Kläger hat auch keinen einzelvertraglichen Anspruch darauf, daß die Beklagte ihm auch für die Zeit nach dem 1. April 1996 Versorgungsansprüche nach Maßgabe der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes verschafft.
1. Der ursprünglich tarifvertraglich begründete Versorgungsanspruch des Klägers ist durch die Änderung des Unternehmenszwecks bei der Beklagten, durch die sie aus dem betrieblichen Geltungsbereich der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes ausgeschieden ist, nicht zu einem einzelvertraglichen Anspruch geworden.
Der Kläger beruft sich insoweit zu Unrecht auf das Senatsurteil vom 5. Oktober 1993 (– 3 AZR 586/92 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 42). In dem dort entschiedenen Fall war es aufgrund einer Fusion zu einem Branchenwechsel gekommen. Für diesen Fall hat der Senat darauf hingewiesen, daß zwar die Verpflichtungen der Zusatzversorgungskasse gegenüber dem Arbeitnehmer erlöschen, daß aufnehmende Unternehmen nunmehr selbst nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB für den tarifvertraglich begründeten Versorgungsanspruch einstehen müsse. Diese Fallkonstellation ist mit der vorliegenden schon deshalb nicht vergleichbar, weil im Falle einer Änderung des Betriebszwecks durch den Inhaber selbst eine die individualrechtliche Weitergeltung eines tarifvertraglichen Versorgungsversprechens vermittelnde Bestimmung wie § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB fehlt. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus. Ein Betriebsübergang oder eine Verschmelzung und damit einhergehende Veränderung des Tätigkeitsschwerpunktes sind etwas grundsätzlich anderes als die unternehmerische Entscheidung des Betriebsinhabers selbst, den Schwerpunkt seiner unternehmerischen Aktivitäten zu verändern.
2. Entgegen der Auffassung des Klägers kann dem tatsächlichem Verhalten der Beklagten auch kein eigenständiges einzelvertragliches Versorgungsversprechen entnommen werden, demzufolge der Kläger unabhängig von der Branchenzugehörigkeit der Beklagten Versorgung nach Maßgabe der Versorgungstarifverträge des Baugewerbes erhalten sollte. Die Beklagte hat in der Vergangenheit nicht mehr getan, als die allgemeinverbindlichen Versorgungstarifverträge des Baugewerbes so anzuwenden, wie es Gesetz und Tarifvertrag gebieten. Einen davon unabhängigen einzelvertraglichen Verpflichtungswillen hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht. Der Kläger kann deshalb auch weiterhin nur das verlangen, was Gesetz und Tarifvertrag von der Beklagten fordern. Die Verschaffung einer Versorgung entsprechend den Versorgungstarifverträgen des Baugewerbes über den 31. März 1996 hinaus gehört dazu nicht.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Born, Reissner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.11.1999 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436387 |
BB 2000, 1999 |
BB 2000, 728 |
DB 2000, 776 |
NWB 2000, 1367 |
BauR 2000, 1100 |
FA 2000, 165 |
NZA 2000, 730 |
SAE 2000, 215 |
ZTR 2000, 227 |
AP, 0 |
AUR 2000, 159 |