Entscheidungsstichwort (Thema)
Flexible Altersgrenze bei beamtenähnlicher Versorgung
Leitsatz (amtlich)
Eine betriebliche Versorgungszusage, die für alle Einzelheiten auf das Beamtenversorgungsrecht verweist, aber keine Regelung für den Fall enthält, daß Arbeitnehmer von der Möglichkeit der flexiblen Altersgrenze Gebrauch machen, ist wie folgt ergänzend auszulegen: Arbeitnehmer, die bereits die Höchstpension erreicht haben, müssen keine Kürzungen hinnehmen; alle anderen Arbeitnehmer verlieren durch ihren vorzeitigen Ruhestand nur die noch fehlenden Steigerungsbeträge.
Normenkette
BetrAVG § 6; BGB §§ 242, 133, 157; RVO § 1248; AVG § 25; DBG vom 30. Juni 1950 (BGBl I 279) § 68; BBG vom 14. Juli 1953 (BGBl I 551) §§ 41-42; BBG vom 18. September 1957 (BGBl I 1338); ZPO § 554
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.11.1981; Aktenzeichen 7 Sa 49/81) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 29.04.1981; Aktenzeichen 2 Ca 362/80) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 24. November 1981 – 7 Sa 49/81 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der im Jahre 1916 geborene Kläger trat am 1. April 1958 als Diplom-Ingenieur in die Dienste des Beklagten. Der Arbeitsvertrag vom 30. September bzw. 10. Oktober 1960 sah die Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung vor. In § 7 Nr. 1 heißt es:
Die Versorgung umfaßt nach einer 10-jährigen Dienstzeit beim TÜV Mannheim ein Ruhegehalt bei Erreichen der Altersgrenze (65. Lebensjahr) …
Anspruch und Höhe der Versorgungsleistungen richten sich nach dem Bundesbeamtengesetz.
Der Beginn der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit wurde auf den 1. April 1958 festgesetzt. Als ruhegehaltsfähige Dienstbezüge wurden die Beamtenbezüge nach Besoldungsgruppe A 13 vereinbart; in späterer Zeit wurden sie auf die maßgebende Besoldungsgruppe A 15 angehoben. Auf das Ruhegehalt sollte die Rente aus der gesetzlichen Angestelltenversicherung in der Weise angerechnet werden, daß die Gesamtversorgung aus Ruhegehalt und Angestelltenversicherung ein vergleichbares Beamtengehalt nicht übersteigt. Von der Anrechnung ausgenommen waren Sozialversicherungsrenten, die auf eigenen Beitragsleistungen des Klägers beruhen. Die Versorgungszusage entsprach einer Betriebsvereinbarung vom 4. Dezember 1959, die zwischen dem Beklagten und dessen Gesamtbetriebsrat abgeschlossen worden ist.
Bereits bevor der Kläger in den Ruhestand trat, verhandelten die Parteien über die Höhe der Abschläge, die angemessen seien, wenn der Kläger von der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Sozialversicherung Gebrauch machen sollte. Der Beklagte teilte dem Kläger in einem Schreiben vom 23. Juni 1978 mit, daß dieser mit einem Abschlag von 0,5 % für jeden Monat rechnen müsse, den er vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausscheide. Darauf antwortete der Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 1979, daß er allenfalls mit einem Abschlag für die Dauer des vorgezogenen Ruhestandes bis zur Erreichung seines 65. Lebensjahres einverstanden sei. Der Beklagte verblieb jedoch in einem weiteren Schreiben vom 5. Juli 1979 bei seiner Auffassung, daß er für jeden Monat der Inanspruchnahme des Ruhegehalts vor Erreichen des 65. Lebensjahres 0,5 % kürzen dürfe. In einem sich anschließenden Ferngespräch erklärte der Kläger dazu: “Mir ist das egal, ich mache es trotzdem”.
Mit dem 31. Juli 1979 trat der Kläger in den Ruhestand. Seit dem 1. August 1979 bezieht er Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Beklagte zahlte ihm zunächst noch Übergangsgeld und seit dem 1. November 1979 Ruhegehalt in Höhe von 2.151,03 DM. Er berechnete 57 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge nach Besoldungsgruppe A 15 mit 2.968,02 DM, auf die er den von ihm finanzierten Teil einer Lebensversicherung auf Rentenbasis mit 533,50 DM anrechnete. Den sich ergebenden Betrag von 2.434,53 DM kürzte er um einen versicherungsmathematischen Abschlag von 12 % (24 Monate × 0,5 %) auf 2.142,38 DM. Zu diesem Betrag gewährte er einen Zuschlag nach den Vorschriften des Beamtenrechtes in Höhe von 8,65 DM, so daß sich das festgesetzte Ruhegeld ergab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß der Beklagte nicht berechtigt sei, sein Ruhegehalt um einen versicherungsmathematischen Abschlag zu kürzen. Wenn Beamte vorzeitig in den Ruhestand träten, so kenne das Beamtenrecht keine entsprechende Kürzung. Der Beklagte sei mithin zur Auszahlung der ungekürzten Beträge verpflichtet und schulde Nachzahlungen für die Zeit von November 1979 bis September 1980 in Höhe von 3.213,54 DM und für die Zeit von Oktober 1980 bis August 1981 in Höhe eines weiteren Betrages von 3.213,54 DM.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
1. an ihn 3.213,54 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 2. Oktober 1980 zu zahlen,
2. an ihn weitere 3.213,54 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 12. September 1981 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die früher einsetzenden Rentenleistungen führten zu einer kürzeren Finanzierungsdauer und einem längeren Rentenbezug, der durch einen versicherungsmathematischen Abschlag auszugleichen sei. Er hat behauptet, dem Kläger sei die Berechnungsweise des Ruhegehaltes bekannt gewesen. Der Betriebsrat sei über sie informiert worden. Im übrigen habe er, der Beklagte, mit einer streitigen Gegenforderung in Höhe von 4.550,-- DM aufgerechnet.
Das Arbeitsgericht hat die streitigen Versorgungsansprüche des Klägers bejaht, aber die Klage aufgrund der Hilfsaufrechnung abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte weiterhin die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Beklagte darf das Ruhegeld des Klägers weder um einen versicherungsmathematischen Abschlag noch entsprechend der verminderten Dienstzeit kürzen.
1. Die Versorgungszusage des Beklagten aus dem Jahre 1960 sieht eine Betriebsrente erst bei Vollendung des 65. Lebensjahres vor. Sie ist jedoch nach Einführung der flexiblen Altersgrenze für Arbeiter und Angestellte lückenhaft geworden.
Die Versorgungszusage von 1960 bestimmt als Altersgrenze das 65. Lebensjahr. In § 7 Nr. 1 Satz 1 der Versorgungszusage heißt es, daß dem Kläger nach einer 10-jährigen Dienstzeit ein Ruhegehalt zusteht, wenn er die Altersgrenze erreicht. In einem Klammerzusatz ist als Altersgrenze das 65. Lebensjahr bezeichnet. Dies entspricht dem Beamtenversorgungsrecht, auf das in der Versorgungszusage Bezug genommen ist. Nach § 68 des Deutschen Beamtengesetzes vom 30. Juni 1950 (BGBl I, 279) war die Altersgrenze das 65. Lebensjahr. Hieran ist auch durch das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 (BGBl I, 551) nichts geändert worden. Nach § 41 Abs. 1 BBG 1953 treten Beamte mit Ablauf des 65. Lebensjahres kraft Gesetzes in den Ruhestand. Allerdings war schon nach § 42 Abs. 3 BBG 1953 ein Beamter auf sein Verlangen ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er das 62. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Möglichkeit der vorgezogenen Pensionierung hat auch das Bundesbeamtengesetz vom 18. September 1957 (BGBl I, 1338) aufrechterhalten.
Die Regelung der Altersgrenze in der Versorgungszusage ist nach Einführung der flexiblen Altersgrenze lückenhaft geworden. Seither ist es auch Arbeitern und Angestellten möglich, vor Erreichen des 65. Lebensjahres in den Ruhestand zu treten. Das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965) begründet für Versicherte, die das 63. bzw. das 60. Lebensjahr vollendet haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf vorzeitige Gewährung von Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 1 RVO; § 25 Abs. 1 AVG). Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl I, 3610) können Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber verlangen, daß ihnen vor Erreichen des 65. Lebensjahres Ruhegeld gezahlt wird, sofern sie von der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Sozialversicherung Gebrauch machen und die übrigen Leistungsvoraussetzungen der Versorgungszusage erfüllt sind. Abweichende Versorgungsregelungen sind insoweit unwirksam. Das gilt auch für § 7 Nr. 1 des Arbeitsvertrags der Parteien und für die entsprechende Betriebsvereinbarung.
2. § 6 BetrAVG enthält keine Regelung, in welcher Höhe der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erbringen muß, die vorzeitig aus seinen Diensten scheiden und infolgedessen geringere Betriebstreue erbringen und längere Versorgungszeiten beanspruchen (BAG 30, 333, 335 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, zu I. 1 der Gründe). Die Versorgungszusage der Beklagten aus dem Jahre 1960, die die flexible Altersgrenze noch nicht berücksichtigen konnte, bedarf insoweit der ergänzenden Vertragsauslegung.
Der Senat hat für die ergänzende Vertragsauslegung von Versorgungsordnungen, die durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze lückenhaft geworden sind, Auslegungsregeln entwickelt. Er ist davon ausgegangen, daß die Vertragslücke, sofern die Parteien keine anderweitige Regelung treffen, in entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG zu schließen ist. Das heißt, daß wegen der kürzeren Betriebszugehörigkeit eine zeitanteilige Kürzung des Ruhegeldes in Betracht kommt (BAG 30, 333, 336 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, zu I 2 der Gründe; Urteil vom 11. September 1980 – 3 AZR 185/80 – AP Nr. 3 zu § 6 BetrAVG, zu II der Gründe). Diese Auslegungsgrundsätze sind jedoch dann nicht anzuwenden, wenn sich aus der Versorgungsordnung Anhaltspunkte dafür ergeben, wie die Parteien bei redlichem Verhalten den offen gebliebenen Punkt abweichend geordnet haben würden, wenn sie ihn bedacht hätten (BAG Urteil vom 8. November 1972 – 4 AZR 15/72 – AP Nr. 3 zu § 157 BGB (Bl. 2); BGH LM Nr. 5 zu § 157 (D) BGB; LM Nr. 1, 10 zu § 157 (D) BGB).
Wenn die Parteien bereits im Jahre 1960 die flexible Altersgrenze bedacht hätten, wäre von ihnen weder ein versicherungsmathematischer Abschlag noch eine ratierliche Kürzung des Ruhegeldes vorgesehen worden, weil es ihnen auf die Beamtenähnlichkeit ihrer Versorgungsregelung entscheidend ankam. Bereits durch das Bundesbeamtengesetz von 1953 ist Beamten das Recht eröffnet worden, ihre Versetzung in den Ruhestand zu verlangen, wenn sie das 62. Lebensjahr vollendet hatten (§ 42 Abs. 3 BBG 1953). Diesem Verlangen war im allgemeinen stattzugeben, wenn es nicht im öffentlichen Interesse stand, daß der Beamte im Dienst verblieb (Bochalli, BBG, 2. Aufl., 1958, § 42 Anm. 6). Weder die Regelung von 1953 noch die spätere Fassung von 1957 sahen jedoch vor, daß Beamte eine Kürzung ihrer Bezüge hinnehmen mußten, wenn sie vorzeitig in den Ruhestand traten. Lediglich diejenigen Beamten, die noch nicht ihre Höchstpension erreicht hatten, verloren die fehlenden Steigerungsbeträge. Die vorliegend umstrittene Versorgungszusage, die weitgehend auf das Beamtenrecht verweist, kann nicht anders ergänzt werden. Nach § 7 Nr. 1 Satz 2 der Versorgungszusage bestimmen sich Anspruch und Höhe der Versorgungsleistungen nach dem Bundesbeamtengesetz. Die Anrechnung der Sozialversicherungsrente dient allein dazu, eine Doppelversorgung des Klägers zu vermeiden, weil dessen Altersversorgung aus mehreren Quellen gespeist wird.
3. Die Parteien haben vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine abweichende, für den Kläger ungünstigere Regelung der vorzeitigen Versorgungsbezüge getroffen.
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Kläger auf die Mitteilung der Beklagten, seine Versorgungsbezüge würden um einen versicherungsmathematischen Abschlag gekürzt, geantwortet habe, er wolle an seiner Entscheidung festhalten. Der Kläger habe sich wiederholt danach erkundigt, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Beklagte eine Kürzung vornehmen wolle. Hieraus habe der Beklagte erkennen können, daß der Kläger nicht ohne weiteres eine Kürzung hinnehmen werde. Diese Feststellungen sind mit Revisionsrügen (§ 554 Abs. 3 ZPO) nicht angegriffen worden. Sie sind daher für den Senat bindend. Das Landesarbeitsgericht hat aus ihnen zutreffend geschlossen, daß der Kläger sich nicht mit einer Kürzung einverstanden erklärt hat.
Soweit die Revision dagegen meint, der Beklagte dürfe die Versorgungsbezüge des Klägers bereits deswegen kürzen, weil er dem Kläger oder dem Betriebsrat seine Kürzungsabsicht mitgeteilt habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Versorgungsanspruch des Klägers ergibt sich aus dessen Arbeitsvertrag. Eine vertragliche Versorgungsregelung kann nur durch einzel- oder kollektivvertragliche Gestaltungsmittel geändert werden. Diese liegen aber nach dem Vorbringen des Beklagten und den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Dr. Schwarze, Zilius
Fundstellen