Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Kündigung - unzumutbare Lohnfortzahlungskosten
Orientierungssatz
1. Kündigungsgrund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Davon ist auch auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses abzustellen.
2. Für die Frage, wann Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung rechtfertigen, ist ganz erheblich auch der Vergleich mit Arbeitnehmern, die eine vergleichbare Arbeit unter ähnlichen Bedingungen verrichten.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 10.05.1989; Aktenzeichen 9 Sa 2131/88) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 28.10.1988; Aktenzeichen 1 Ca 451/88) |
Tatbestand
Der Kläger ist im Unternehmen der Beklagten seit dem 21. Mai 1970 beschäftigt; er arbeitete zunächst im Hauptwerk in R und ist seit dem 6. September 1973 im Werk des B Betriebes tätig. Er ist laut Bescheid des Versorgungsamtes G vom 16. Februar 1987 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60 % anerkannt. Die Ursachen der Behinderung sind eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis, eine chronische Prostatitis, ein chronisches Magenleiden und ein Wirbelsäulensyndrom.
Der Kläger wurde in der Vergangenheit an verschiedenen Arbeitsplätzen beschäftigt: Bis zum 20. Mai 1985 war er in der Abteilung mit dem An- bzw. Abhängen von Achsschenkeln am Lackierförderer befaßt; dabei waren Teile bis zu einem Gewicht von 4,5 kg und einer Stückzahl von 4.464 pro Schicht aus Kastenpritschen zu entnehmen und an- bzw. abzuhängen. Vom 22. Mai bis 2. August 1985 war der Kläger in der Transportabteilung mit dem Abnehmen von Federbeinen mittels eines Handkranes vom Förderer beschäftigt, in der nachfolgenden Zeit bis 16. April 1986 hatte er leichtgewichtige Abdeckbleche (Stückgewicht ca. 0,22 kg) an den Lackförderer anzuhängen, vom 21. April bis 22. Mai 1986 war der Kläger in der Abteilung Lenkungsmontage und danach bis zum 1. September 1986 in der Abteilung Hinterachsmontage mit dem Anhängen von Hinterachsen mittels eines Kranes an den Förderer beschäftigt. Zwischen dem 2. und 5. September folgte ein erneuter Einsatz beim Anhängen von Abdeckblechen am Lackförderer. Am 8. September 1986 erfolgte versuchsweise ein Einsatz in der Abteilung Chassis/Kleinteile, wobei der Kläger an der Waschmaschine und am Lötofen Teile aufzulegen hatte. Dieser Arbeitsversuch wurde nach einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 10. Oktober 1986 weitergeführt. Danach war der Kläger seit dem 13. Oktober 1986 bis zum 15. Dezember 1986 wieder am Arbeitsplatz "Anhängen von Hinterachsen mittels Kran am Förderer" eingesetzt; am 16. Dezember 1986 arbeitete er wieder am Arbeitsplatz "Anhängen von Abdeckblechen am Lackförderer", am 17. und 18. Dezember 1986 am Arbeitsplatz "Auflegen von Teilen am Lötofen" und vom 5. Januar bis 20. März 1987 am Arbeitsplatz "Anhängen von Hinterachsen mittels Kran am Förderer". Vom 23. März bis 16. April 1987 erfolgte ein erneuter Arbeitsversuch am Arbeitsplatz "Auflegen von Teilen am Lötofen", während der Kläger am 21. und 22. April 1987 wieder mit dem Anhängen von Abdeckblechen am Lackförderer beschäftigt wurde. Seit dem 24. April 1987 wurde der Kläger im Verladekeller mit der Tätigkeit "Hinterachsen von Palettenbahn nehmen und nach Codebuchstaben in entsprechende Transportgestelle ablegen" in der Abteilung Chassis I betraut.
Diese verschiedenen Einsätze hängen mit Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zusammen und dienten dem Versuch, eine behindertengerechte Beschäftigung für den Kläger zu finden. Seit dem Jahre 1980 hatte der Kläger folgende Fehlzeiten infolge Arbeitsunfähigkeit:
1980: 38 Tage (15.01. bis 16.02.; 14.04. bis 02.05.1980)
1981: 41 Tage (05.01. bis 13.02.; 14.12. bis 31.12.1981)
1982: 50 Tage (02.01. bis 28.02.; 20.09. bis 01.10.1982)
1983: 74 Tage (07.02. bis 16.02.; 08.05. bis 20.05.;
10.10. bis 31.12.1983)
1984: 95 Tage (23.01. bis 22.02.; 18.05. bis 25.07.;
22.11. bis 31.12.1984)
1985: 185 Tage (02.01. bis 07.02.; 13.03. bis 14.04.;
28.05. bis 07.06.; 11.06. bis 04.08:;
13.08. bis 31.12.1985)
1986: 110 Tage (02.01. bis 18.02.; 28.04. bis 09.05.;
18.06. bis 29.06.; 09.09. bis 26.09.;
15.10. bis 15.12.1986)
1987: 108 Tage (21.01. bis 26.01.; 27.01. bis 29.01.;
09.03. bis 20.03.; 27.03. bis 01.04.;
02.04. bis 16.04.; 28.04. bis 03.07.;
14.10. bis 06.11.; 24.11. bis 05.12.;
08.12. bis 15.12.1987)
1988: 03.02. bis 16.02.1988;
nach der am 10.02.1988 zugegangenen Kündigung:
01.06. bis 03.07.1988;
04.07. bis 15.08.1988 (31 Tage);
26.09. bis 30.09.1988 (5 Tage);
08.12. bis 15.12.1988 (6 Tage).
Die Krankheitsursachen ergeben sich im einzelnen aus einer Aufstellung der Betriebskrankenkasse.
Mit Schreiben vom 5. Juni 1987, in dem die Beklagte das Eintrittsdatum des Klägers mit dem 6. September 1973 angab, hörte die Beklagte erstmals den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung an. Nachdem der Betriebsrat auf die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers und seinen Familienstand (verheiratet, 3 Kindern unterhaltspflichtig) hingewiesen hatte, stellte die Beklagte ihre Kündigungsabsicht zunächst zurück. Sie beantragte indessen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers bei der Hauptfürsorgestelle. Diese wurde mit Bescheid vom 21. Januar 1988, der noch nicht bestandskräftig ist, erteilt. Alsdann hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut mit Schreiben vom 27. Januar 1988 an, ohne das Eintrittsdatum des Klägers zu ändern. Der Betriebsrat widersprach am 1. Februar 1988 mit dem Hinweis, der Kläger habe die Arbeit wieder aufgenommen und versuche alles, um seine Ausfallzeiten zu verringern.
Mit Schreiben vom 5. Februar 1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. April 1988; sie beschäftigt jedoch den Kläger unter Vorbehalt über das Ende der Kündigungsfrist hinweg weiter.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung und macht geltend, ein Teil der Erkrankungen beruhe auf den anerkannten Behinderungen, teilweise aber auch auf Arbeitsunfällen, welche bei einer Prognose künftiger Arbeitsausfälle nicht berücksichtigt werden dürften. Die Krankheitszeiten in den Jahren 1984 bis 1987 seien auch darauf zurückzuführen, daß er nicht seinem Gesundheitszustand gemäß eingesetzt worden sei; insbesondere das Anhängen der Achsschenkel, wobei er 2.232 mal in jeder Schicht sich habe bücken und die Werkstücke anhängen müssen, habe seine bestehenden Leiden aktualisiert. Gerade dieser Arbeitsvorgang habe seine degenerativ veränderte Wirbelsäule überbeansprucht. Darüber hinaus seien durch Rauch- und Geruchsentwicklung am Arbeitsplatz seine Bronchial- und Magenleiden aktiviert worden. Am letzten Arbeitsplatz mit der Bedienung eines Handkrans bestehe keine direkte Exposition gegenüber Schweiß- und Lackdämpfen mehr; auch habe er zwischenzeitlich einen anderen Arzt aufgesucht, der wirkungsvollere Behandlungsmethoden anwende. Eine negative Prognose sei daher zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung nicht gerechtfertigt. Seine Ausfallzeiten hätten im übrigen nicht zu betrieblichen Schwierigkeiten geführt. Auch überstiegen die Lohnfortzahlungskosten nur im Jahre 1987 erheblich den gesetzlichen sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraum, wobei Weihnachtsgeld und Jubiläumsgeld in diesem Rahmen nicht berücksichtigt werden dürften. Auch sei darauf abzustellen, wie hoch die Lohnfortzahlungskosten vergleichbarer Arbeitnehmer seien, während die Beklagte nur auf den betrieblichen Durchschnitt abstelle. Schließlich sei die Kündigung unwirksam, weil dem Betriebsrat ein falsches Eintrittsdatum mitgeteilt worden sei. Jedenfalls müßte eine Abwägung der gegenseitigen Interessen zu seinen Gunsten ausfallen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch
die Kündigung vom 5. Februar 1988 zum 30. April
1988 nicht aufgelöst ist.
Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag auf die bisherigen Krankheitszeiten des Klägers verwiesen und behauptet, auch in Zukunft sei mit erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen. Dies ergebe sich schon aus dem von der Hauptfürsorgestelle eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. M. Der Kläger sei auch seinem Gesundheitszustand entsprechend eingesetzt worden und habe bis zum Jahre 1988 Arbeitsplätze inne gehabt, die keine schweren körperlichen Anstrengungen erfordert und eine Tätigkeit in geschlossenen, ausreichend belüfteten und staubfreien Räumen gestattet hätten; jedenfalls liege keine gesundheitsgefährdende Geruchsbelästigung vor (Beweis: arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten). Im übrigen sei der Kläger trotz der neuen Beschäftigung im Verladekeller seit dem 24. April 1987 wiederum häufig arbeitsunfähig krank gewesen. Die Ausfallzeiten des Klägers seien ansteigend, nämlich 1980 mit 15,26 %, 1981 mit 16,47 %, 1982 mit 24 %, 1983 mit 29,48 %, 1984 mit 38,15 %, 1985 mit 78,01 %, 1986 mit 45,61 % und 1987 mit 45,37 %. Demgegenüber betrage die durchschnittliche Abwesenheitsquote in ihrem Betrieb in den Jahren 1983 bis 1987 einschließlich Tarifurlaub zwischen 17,07 % und 19,15 %. Die Ausfallzeiten des Klägers hätten zu großen wirtschaftlichen Belastungen geführt:
- 1983: 6.354,89 DM Lohnfortzahlung, 2.711,--DM Weihnachtsgeld;
- 1984: 3.856,24 DM Lohnfortzahlung, 2.737,--DM Weihnachtsgeld;
- 1985: 5.434,72 DM Lohnfortzahlung, 2.834,--DM Weihnachtsgeld;
- 1986: 4.516,24 DM Lohnfortzahlung, 2.929,--DM Weihnachtsgeld;
- 1987:10.129,76 DM Lohnfortzahlung, 1.200,-- DM Jubiläumszu-
wendung.
Die Lohnfortzahlungskosten für die übrigen Beschäftigten lägen dagegen im Zeitraum von 1982 bis 1986 zwischen 2.331,-- DM und 2.842,10 DM. Weihnachtsgeld und Jubiläumszuwendungen seien einzubeziehen, weil sie diese Leistungen zweckwidrig zum größten Teil ohne entsprechende Gegenleistung des Klägers erbracht habe.
Schließlich sei es zu nicht unerheblichen betrieblichen Schwierigkeiten gekommen; sie beschäftige zwar Vorhaltepersonal, damit sei jedoch nur eine durchschnittliche Abwesenheitsquote abgedeckt, während die Fehlzeiten des Klägers erheblich über diesem Durchschnitt lägen und zudem unerwartet und unregelmäßig aufgetreten seien. Der Arbeitsplatz des Klägers habe immer wieder kurzfristig neu besetzt werden müssen; auch hätten in den Abteilungen, aus denen Mitarbeiter abgezogen worden seien, Produktionsstörungen gedroht; auch wenn die Einarbeitungszeit auf dem Arbeitsplatz des Klägers relativ kurz sei, führe das zu erhöhtem Ausschuß. Die Umorganisationen brächten im übrigen Unruhe und Unzufriedenheit mit sich.
Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden; auch das Eintrittsalter des Klägers sei korrekt wiedergegeben, weil auf den B Betrieb abzustellen sei.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt, die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Es könne offen bleiben, ob die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört habe (§ 102 BetrVG) und ob nach der Umsetzung des Klägers auf den neuen Arbeitsplatz seit 24. April 1987 von einer negativen Prognose (§ 1 Abs. 2 KSchG) auszugehen sei, denn die Kündigung sei schon deshalb sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte weder substantiiert Betriebsablaufstörungen dargetan habe, noch läge eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung vor. Es sei auf die durchschnittlichen Fehlzeiten von Mitarbeitern auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz abzustellen. Nur dadurch könne ausgeschlossen werden, daß Arbeitnehmer benachteiligt würden, weil sie im Interesse des Arbeitgebers mit Arbeiten beschäftigt würden, die jedenfalls im Vergleich zu anderen Tätigkeiten generell mehr gesundheitsgefährdend seien. Die Krankheitszeiten des Klägers dürften deshalb nicht in eine Beziehung zu einem allgemeinen Durchschnittswert gesetzt werden. Dann laufe nämlich der Arbeitnehmer, was auch beim Kläger nicht ausgeschlossen erscheine, der an einem solchen Arbeitsplatz beschäftigt werde, eher Gefahr, eine Kündigung zu erhalten, als Mitarbeiter mit leichterer Tätigkeit.
II. Dem ist im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung zu folgen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Senatsurteil vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu B I der Gründe; Senatsurteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 224/89 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 28) ist die Sozialwidrigkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers in drei Stufen zu prüfen.
a) Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen.
b) Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrundes. Hierbei kommen zwei Arten von Beeinträchtigungen in Betracht.
c) Wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten des Arbeitnehmers können zu schwerwiegenden Störungen im Produktionsprozeß führen (Betriebsablaufstörungen). Sie sind nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Hierzu gehören Maßnahmen, die anläßlich des konkreten Ausfalls eines Arbeitnehmers ergriffen werden, aber auch der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve. Werden auf diese Weise Ausfälle überbrückt, so liegt bereits objektiv eine Betriebsablaufstörung und damit insoweit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor. Ist eine Betriebsablaufstörung mit den geschilderten Mitteln nicht zu vermeiden, so gehört zum Kündigungsgrund, daß die Störung erheblich ist.
d) Kündigungsgrund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Davon ist auch auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses abzustellen.
2. Liegt nach den vorstehenden Grundsätzen eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vor, so ist in einer dritten Stufe im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles dem Arbeitgeber noch zuzumuten sind. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ferner das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers.
In der dritten Stufe ist - bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Belastung des Arbeitgebers mit erheblichen Lohnfortzahlungskosten - die Vorhaltung einer Personalreserve zu Gunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Außerdem ist für die Frage, wann Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung rechtfertigen, ganz erheblich auch ein Vergleich mit Arbeitnehmern, die eine vergleichbare Arbeit unter ähnlichen Bedingungen verrichten (vgl. BAGE 45, 146 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B II 3 b der Gründe; Senatsurteil vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88 -, aaO, zu B I 3 b, bb der Gründe). Sei auch bei den Kollegen die Quote der krankheitsbedingten Ausfälle besonders hoch, dann könne nur eine ganz erheblich höhere Ausfallquote eine Kündigung rechtfertigen und dies auch nur, wenn Überbrückungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder nicht zumutbar gewesen seien.
III. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet.
1. Dabei kann der Senat ebenso wie teilweise auch die Vorinstanz zugunsten der Beklagten unterstellen, daß von einer negativen Prognose im Sinne der vorstehenden Ziff. II 1 und von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen gemäß Ziff. II 2 auszugehen ist. Denn das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, es fehle jedenfalls im Rahmen der dritten Stufe an einer unzumutbaren Belastung der Beklagten. Das Landesarbeitsgericht hat ausschlaggebend darauf abgestellt, bei der Beurteilung der Kündigung nach § 1 KSchG müßte Ausgangspunkt aller Überlegungen die durchschnittlichen Fehlzeiten und die hierdurch verursachten Kosten sein, welche Mitarbeiter aufwiesen, die einen vergleichbaren Arbeitsplatz für einen vergleichbaren Zeitraum ausgefüllt hätten. Es müsse ausgeschlossen sein, daß Arbeitnehmer deswegen benachteiligt würden, weil sie im Interesse des Arbeitgebers mit Arbeiten beschäftigt würden, die jedenfalls im Vergleich zu anderen Tätigkeiten infolge der mit dem Arbeitsplatz verbundenen spezifischen Belastung der Gesundheit generell zu höheren Ausfallzeiten und dadurch verursachten Kosten des Arbeitgebers führten. Das sei aber der Fall, wenn die Krankheitszeiten dieser Arbeitnehmer zu einem allgemeinen Durchschnittswert in Beziehung gesetzt würden und diesen bei einer erheblichen negativen Abweichung allein deswegen gekündigt werden könne. Im Ergebnis würden diese Arbeitnehmer Gefahr laufen, was auch beim Kläger nicht ausgeschlossen erscheine, einen Teil ihrer Gesundheit durch körperlich schwere, jahrelang beanstandungsfrei geleistete Arbeit einzubüßen und gleichwohl eher mit einer Kündigung zu rechnen haben als andere Mitarbeiter mit leichterer Tätigkeit. Gegenüber diesen Erwägungen könne die Beklagte nicht mit dem Argument gehört werden, sie habe den Kläger nach den ihr bekannten Einschränkungen seines Gesundheitszustandes eingesetzt; auch ein diesen Voraussetzungen gerecht werdender Arbeitsplatz könne infolge seiner spezifischen körperlichen Anforderungen höhere Ausfallzeiten verursachen, als im betrieblichen Durchschnitt der gewerblichen Arbeitnehmer erreicht würden; deshalb könne nur ein Gruppenvergleich insoweit Klarheit schaffen.
2. Diese Darlegungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wobei das Landesarbeitsgericht nicht einmal zu Gunsten des Klägers seine lange Betriebszugehörigkeit, seine Schwerbehinderteneigenschaft und seinen Familienstand im Rahmen der Interessenabwägung besonders herausgestellt hat.
a) Die Revision bemängelt zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe die Behauptung des Klägers, seine Erkrankungen besonders im Wirbelsäulenbereich seien auch auf betriebliche Ursachen zurückzuführen, die die Beklagte nach der Senatsrechtsprechung ohnehin entkräften müßte (Urteil vom 6. September 1989 - 2 AZR 118/89 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27), ohne Beweisaufnahme als Vermutung der eigenen Bewertung zugrunde gelegt. Dies ist tatsächlich nicht der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat es vielmehr lediglich nicht als ausgeschlossen bezeichnet (vgl. die oben wiedergegebene Entscheidungspassage), andere Arbeitnehmer - u.a. auch der Kläger - könnten einen Teil ihrer Gesundheit durch schwere körperliche Arbeit eingebüßt haben. Mit Rücksicht u.a. auf diese hypothetische Überlegung hat es den Lohnfortzahlungskosten-Vergleich für angezeigt gehalten. Bei dieser Sachlage kann von der Annahme einer Unterstellung zu Lasten der Beklagten nicht die Rede sein.
b) Es entspricht im übrigen der eingangs wiedergegebenen Senatsrechtsprechung, daß im Rahmen der Interessenabwägung für die Frage, wann Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung rechtfertigen, ein Vergleich mit Arbeitnehmern, die eine vergleichbare Arbeit unter ähnlichen Bedingungen verrichten, ganz erheblich ist. Sei auch bei den Kollegen - so hat der Senat ausgeführt - die Quote der krankheitsbedingten Ausfälle besonders hoch, dann könne nur eine ganz erheblich höhere Ausfallquote eine Kündigung rechtfertigen, und dies auch nur, wenn Überbrückungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder nicht zumutbar gewesen seien.
c) Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten die Vorhaltung einer Personalreserve als derartige Überbrückungsmaßnahme berücksichtigt, bleibt nach den für den Senat bindenden Feststellungen (§ 561 ZPO) des Landesarbeitsgerichts ungeklärt, wie hoch die Belastung der Beklagten mit Lohnfortzahlungskosten vergleichbarer Arbeitnehmer war, die im gleichen oder ähnlichen Bereich, zum Beispiel in der Abteilung, in der Abteilung Chassis I oder im Verladekeller eingesetzt wurden. Es kommt nicht darauf an, wie die Beklagte anläßlich der Revisionsverhandlung geltend machen ließ, ob andere ebenfalls schwerbehinderte Arbeitnehmer eine hohe Ausfallquote hatten. Vielmehr ist im Rahmen einer auf den Einzelfall abzustellenden Interessenabwägung (BAGE 45, 146 = AP Nr. 14 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B II 3 b der Gründe) wesentlich, ob - möglicherweise infolge der besonderen Situation am Arbeitsplatz - krankheitsbedingte Ausfälle auch bei anderen - arbeitsplatzbedingt vergleichbaren - Arbeitnehmern besonders häufig zu verzeichnen sind. Dies gilt entgegen der Meinung der Revision generell, wie der Senat in der Grundsatzentscheidung vom 16. Februar 1989 (- 2 AZR 299/88 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25) noch einmal herausgestellt hat. Solange die genannte Relation vom Arbeitgeber nicht klargestellt wird, ist eine umfassende und spezielle Gewichtung der klägerischen Ausfälle eben nicht möglich. Eine Massierung von gestörten Arbeitsverhältnissen in einem bestimmten betrieblichen Bereich erleichtert dem Arbeitgeber nicht eine krankheitsbedingte Kündigung (a.A.: Schwerdtner, DB 1990, 378 f.). Die Berücksichtigung vergleichbarer Arbeitnehmer ist vielmehr unerläßlich, um die betrieblichen Risiken sachgerecht einzuordnen (so zutreffend Kohte, AiB 1990, 130 f.). Die Beklagte hat - und dies wird auch mit der Revision nicht gerügt - hierzu in den Tatsacheninstanzen überhaupt nichts vorgetragen, obwohl der Kläger auf diesen Umstand hingewiesen hatte. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht mangels konkreter Angaben der Beklagten hierzu im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Tatsachenrichters davon ausgegangen ist, die angefallenen Lohnfortzahlungskosten seien der Beklagten noch zumutbar. Durch diese Darlegungslast wird die Beklagte auch nicht deswegen überfordert, weil der Kläger auf wechselnden Arbeitsplätzen eingesetzt war. Für das Ausmaß der zu erwartenden künftigen Belastungen ist auf die vom Kläger bei Ausspruch der Kündigung zuletzt verrichteten Tätigkeiten abzustellen, wenn die Arbeitsbedingungen unterschiedlich waren und es ist nicht ersichtlich, wieso die Ausfallquoten vergleichbarer Arbeitnehmer nicht ohne weiteres durch Auswertung ihrer Krankheitsunterlagen mitteilbar gewesen sind.
IV. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die Kündigung eventuell auch wegen teilweise unrichtiger Information des Betriebsrats (§ 102 BetrVG) unwirksam war.
Hillebrecht Dr. Ascheid Bitter
Gnade Binzek
Fundstellen
Haufe-Index 438081 |
EEK, II/193 (ST1-2) |
EzA § 1 KSchG Krankheit, Nr 31 (ST1-2) |