Leitsatz (redaktionell)
1. Das geltende die Tarifautonomie konkretisierende Tarifrecht setzt voraus, daß die sozialen Gegenspieler das Verhandlungsgleichgewicht mit Hilfe von Arbeitskämpfen herstellen und wahren können.
2. Das bedeutet in der Praxis, daß regelmäßig zunächst die Gewerkschaften auf das Streikrecht angewiesen sind, weil sonst das Zustandekommen und die inhaltliche Angemessenheit von Tarifverträgen nicht gewährleistet wären.
3a. Abwehraussperrungen sind jedenfalls insoweit gerechtfertigt, wie die angreifende Gewerkschaft durch besondere Kampftaktiken ein Verhandlungsübergewicht erzielen kann.
b. Das ist bei eng begrenzten Teilstreiks anzunehmen, weil durch sie konkurrenzbedingte Interessengegensätze der Arbeitgeber verschärft und die für Verbandstarifverträge notwendige Solidarität der Verbandsmitglieder nachhaltig gestört werden kann.
4a. Der zulässige Umfang von Abwehraussperrungen richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot).
b. Maßgebend ist der Umfang des Angriffsstreiks. Je enger der Streik innerhalb des Tarifgebiets begrenzt ist, desto stärker ist das Bedürfnis der Arbeitgeberseite, den Arbeitskampf auf weitere Betriebe des Tarifgebietes auszudehnen.
c. Der Beschluß eines Arbeitgeberverbandes, eng begrenzte Teilstreiks mit einer unbefristeten Aussperrung aller Arbeitnehmer des Tarifgebiets (hier: Bundesrepublik) zu beantworten, ist im allgemeinen unverhältnismäßig.
d. Aussperrungsmaßnahmen, die einen unverhältnismäßigen Aussperrungsbeschluß befolgen, sind rechtswidrig. Das gilt auch dann, wenn sich nur so wenige Verbandsmitglieder dem Arbeitskampf anschließen, daß im Ergebnis nicht unverhältnismäßig viele Arbeitnehmer betroffen sind.
5. Die sozialen Gegenspieler können und sollen - soweit der Gesetzgeber nicht tätig wird - das Paritätsprinzip und das Übermaßverbot durch autonome Regelungen konkretisieren. Tarifliche Arbeitskampfordnungen haben insoweit Vorrang gegenüber den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.
6. Ein generelles Aussperrungsverbot ist mit den tragenden Grundsätzen des geltenden Tarifrechts unvereinbar und deshalb unzulässig. Das gilt auch für das Aussperrungsverbot der Verfassung des Landes Hessen.
Normenkette
EuSC Art. 6; TVG §§ 1, 4; GG Art. 9 Abs. 3; AFG § 116 Abs. 2; Verf HE Art. 29 Abs. 5; KSchG § 25 Fassung 1969-08-25; SchwbG § 18 Abs. 7 Fassung 1974-04-29; MuSchG § 13 Abs. 2 Fassung: 1968-04-18
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 17.04.1979; Aktenzeichen 4/5 Sa 1044/78) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.09.1978; Aktenzeichen 5 Ca 254/78) |
Fundstellen
Haufe-Index 437425 |
BAGE 33, 140-185 (LT1-6) |
BAGE, 140 |
BB 1980, Beilage 4, 12 (LT1-6) |
DB 1980, 1266-1274 (LT1-6) |
DB 1980, 1694-1696 |
NJW 1980, 1642 |
NJW 1980, 1642-1652 (LT1-6) |
BetrR 1980, 425-431 (T) |
ARST 1980, 118 (LT6) |
SAE 1980, 287-293 (LT1-6) |
USK, 8073 (LT1-7) |
WM IV 1980, 840-850 (LT1-6) |
ZfSH 1980, 239-241 (LT1-6) |
AP, Arbeitskampf (LT1-6) |
AR-Blattei, Arbeitskampf III Entsch 6 (LT1-6) |
AR-Blattei, ES 170.3 Nr 6 (LT1-6) |
AfP 1980, 159 |
EzA, Arbeitskampf Nr 37 |
EzA, Arbeitskampf Nr 37 (LT1-6) |
JZ 1980, 482 |
JZ 1980, 484-486 (LT1-6) |
JuS 1980, 766-769 (T) |
MDR 1980, 787 (L4,6) |