Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlungsanspruch und tarifliche Verfallklausel
Normenkette
LohnFG §§ 1, 3; RVO § 182 Abs. 10; BGB §§ 412, 404, 188 Abs. 2; TVG § 4 Ausschlußfristen; ZPO §§ 286, 565a; ArbGG § 72 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 27.11.1981; Aktenzeichen 8 (3) Sa 726/80) |
ArbG München (Urteil vom 11.11.1980; Aktenzeichen 22 Ca 8128/80) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. November 1981 – 8 (3) Sa 726/80 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin macht Lohnansprüche des bei ihr versicherten Arbeiters J… gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO) geltend.
Der Versicherte J… war bei der Beklagten seit dem 26. Februar 1980 als Akustikbaumonteur beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe – gewerbliche Arbeitnehmer – (BRTV-Bau) vom 5. Juni 1978 in der Fassung des rückwirkend mit dem 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Änderungstarifvertrages vom 1. März 1980 anzuwenden.
Am 15. April 1980 verließ der Versicherte den Arbeitsplatz und suchte seinen Hausarzt auf. Dieser bescheinigte ihm für die Zeit vom 16. bis zum 27. April 1980 Arbeitsunfähigkeit. Sein Praxisvertreter stellte am 24. April 1980 eine Folgebescheinigung für die Zeit bis zum 4. Mai 1980 aus. Am 2. Mai attestierte der Hausarzt weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 11. Mai 1980. Anschließend stellte ein Facharzt für innere Krankheiten dem Versicherten am 12. Mai für die Zeit vom 12. Mai bis zum 18. Mai 1980 und am 16. Mai nochmals für die Zeit bis zum 23. Mai 1980 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus. Am 13. und am 23. Mai 1980 befand der Vertrauensarzt den Versicherten für arbeitsunfähig.
Mit Schreiben vom 8. Mai 1980 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Versicherten fristlos mit der Begründung, dieser habe einer Ladung vor den Vertrauensarzt am 5. Mai 1980 nicht Folge geleistet. Darauf gestützt verweigerte sie auch die Lohnfortzahlung.
Die Klägerin gewährte dem Versicherten für die Zeit vom 16. April bis zum 27. Mai 1980 (42 Kalendertage) insgesamt 2.181,90 DM an Krankengeld (51,95 DM kalendertäglich). Der Beklagten teilte sie mit Schreiben vom 11. Juni 1980 folgendes mit:
“Unser Mitglied … J… H…, geboren am … 1943, ist seit 15.4.1980 arbeitsunfähig krank. Den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts haben Sie nicht erfüllt. Deshalb zahlen wir pflichtgemäß Krankengeld ab 16.4.1980.
Nach § 182 Abs. 10 der Reichsversicherungsordnung geht der weitere Entgeltanspruch des Versicherten gegen den Arbeitgeber in Höhe des gezahlten Krankengeldes von höchstens 84,-- DM je Kalendertag für die Zeit vom 16.4.1980 bis 27.5.1980 auf die Krankenkasse über. Von diesem Forderungsübergang setzen wir Sie in Kenntnis. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit können Zahlungen mit befreiender Wirkung nur an die Krankenkasse geleistet werden (§ 407 Abs. 1 BGB). Die übergegangene Forderung wird hiermit in Höhe des für den vorgenannten Zeitraum zu zahlenden Krankengeldes geltend gemacht.”
Nachdem die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 21. Juli 1980 zur Zahlung des (genau aufgeschlüsselten) Betrages von 2.181,90 DM aufgefordert hatte, überwies die Beklagte den auf die Zeit vom 1. bis zum 16. Mai 1980 entfallenden Teilbetrag von 831,20 DM. Weitere Leistungen lehnte sie ab. Mit der am 25. August 1980 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage nahm die Klägerin die Beklagte auf Zahlung des restlichen Betrages in Anspruch. Nach Abschluß eines gerichtlichen Teilvergleiches vom 11. November 1980 streiten die Parteien nunmehr nur noch über den auf den Zeitraum vom 16. bis zum 30. April 1980 entfallenden anteiligen Betrag von 779,25 DM.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 779,25 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Versicherte habe am 15. April 1980 auf der Baustelle einen höheren Lohn gefordert. Nachdem dies abgelehnt worden sei, habe er zu einem Mitarbeiter gesagt, wenn er den Lohn nicht erhalte, mache er eben krank. Dann habe er die Baustelle verlassen und sei nicht mehr zurückgekehrt. Daraus gehe hervor, daß der Versicherte überhaupt nicht arbeitsunfähig krank gewesen sei, sondern Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe. Damit sei der Krankheitsbeweis durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert. Einen anderen Beweis für die Krankheit des Versicherten habe die Klägerin nicht erbracht. Jedenfalls seien aber mögliche Lohnfortzahlungsansprüche wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Die im Schreiben vom 11. Juni 1980 enthaltene Angabe, die Klägerin beanspruche “höchstens 84,-- DM je Kalendertag”, lasse nicht erkennen, in welcher Höhe eine Zahlung tatsächlich habe erfolgen sollen. Die im Schreiben vom 21. Juli 1980 nachgeholte genaue Bezifferung des Anspruchs sei angesichts der tariflichen Ausschlußfrist von zwei Monaten verspätet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte die Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Versicherte J… hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Lohnfortzahlung in der unstreitigen Höhe von 779,25 DM erworben, der nach § 182 Abs. 10 RVO auf die Klägerin übergegangen ist. Die Klägerin hat diesen Anspruch gegenüber der Beklagten rechtzeitig geltend gemacht.
I. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter seinen Lohnanspruch, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird. Der Versicherte erfüllte die von dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Lohnfortzahlung. Er war in der Zeit vom 16. bis zum 30. April 1980 unverschuldet arbeitsunfähig krank. Das hat das Landesarbeitsgericht aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt. Zu dieser Feststellung ist es gelangt, nachdem es die beantragten Beweise erhoben sowie alle wesentlichen Umstände des Falles bedacht und erschöpfend gewürdigt hat. Dabei hat es weder gegen die Denkgesetze verstoßen noch Erfahrungssätze verletzt. Das Revisionsgericht ist daher an die getroffene Feststellung gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO).
Der Senat hat die von der Revision gegen die Beweiswürdigung erhobenen Verfahrensrügen geprüft, sie jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG in Verbindung mit § 565a Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Nach § 16 BRTV-Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden (Abs. 1). Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird (Abs. 2). Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe mit ihrem Schreiben vom 11. Juni 1980 die Ausschlußfrist des § 16 Abs. 1 BRTV-Bau gewahrt. Dem ist entgegen der Auffassung der Revision beizupflichten.
1. Die Lohnfortzahlungsansprüche des Versicherten unterfielen als “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” der Tarifbestimmung des § 16 BRTV-Bau. Als Rechtsnachfolgerin des Versicherten mußte die Klägerin die tarifliche Ausschlußregelung beachten, weil Ausschlußfristen zu den Einwendungen im Sinne des § 404 BGB zählen (vgl. Urteil des Senats vom 24. Mai 1973 – 5 AZR 21/73 – AP Nr. 52 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 1 der Gründe; seither ständig).
2.a) Tarifliche Ausschlußfristen verfolgen den Zweck, in kurzer und übersehbarer Zeit Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu schaffen. So soll insbesondere im Fall noch ausstehender Lohnansprüche der Arbeitgeber in der tariflich bestimmten Frist erfahren, ob und in welchem Umfange der Arbeitnehmer noch Forderungen gegen ihn erhebt (BAG Urteil vom 28. April 1982 – 4 AZR 642/79 – AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, Bl. 5; Urteil des Senats vom 8. Juni 1983 – 5 AZR 632/80 – zu 2b der Gründe – zur Veröffentlichung vorgesehen; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 437, 438 m.w.N.).
Bei einer zweistufigen Ausschlußklausel, wie sie § 16 BRTV-Bau enthält, muß der Gläubiger die Forderung sowohl rechtzeitig schriftlich als auch nach Ablehnung oder Schweigen des Schuldners gerichtlich geltend machen. Dabei soll die in der ersten Stufe erfolgende Geltendmachung den Schuldner warnen, daß er noch mit Ansprüchen rechnen müsse. Er soll entsprechend disponieren können, ohne sogleich einem gerichtlichen Verfahren ausgesetzt zu sein, das neben kostenmäßigen Risiken häufig die Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien zueinander belastet.
b) Diesem Warnzweck genügte das Schreiben der Klägerin vom 11. Juni 1980. Zwar erfordert eine ordnungsgemäße Geltendmachung im Sinne einer tariflichen Verfallklausel in der Regel, daß Geldforderungen wenigstens annähernd auch der Höhe nach beziffert werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht besonders für den Fall der Einforderung von Schadenersatzansprüchen wiederholt entschieden (vgl. Urteil vom 16. März 1966 – 1 AZR 446/65 – AP Nr. 33 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, Bl. 2, sowie Urteil vom 16. Dezember 1971 – 1 AZR 335/71 – AP Nr. 48 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2a der Gründe). In derartigen Fällen kann auf die Angabe zumindest der annähernden Schadenshöhe nicht verzichtet werden, weil eine noch so genaue Beschreibung des Schadensherganges nicht genügt, den Schuldner wenigstens ungefähr das Ausmaß der auf ihn zukommenden Forderung erkennen zu lassen. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Eine Bezifferung erübrigt sich, wenn der Schuldner jedenfalls über die ungefähre Höhe der gegen ihn geltend gemachten Forderung unterrichtet ist und die schriftliche Geltendmachung erkennbar von dieser dem Schuldner bekannten Schadenshöhe ausgeht (vgl. die eben genannte Entscheidung in AP Nr. 48 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 2a sowie BAG 24, 116, 120 = AP Nr. 49 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 der Gründe). Das ist außer bei Schadenersatzforderungen besonders bei Lohn- oder Lohnfortzahlungsansprüchen regelmäßig der Fall. Hier ist der Arbeitgeber aufgrund seiner besonderen Sachkenntnis zur genauen Bezifferung normalerweise eher in der Lage als der Arbeitnehmer. Jedenfalls ist aber das Ausmaß der möglichen Verbindlichkeiten dann überschaubar, wenn – wie in Streitfall – der zeitliche Rahmen einer Forderung eingegrenzt und außerdem ein Tageshöchstsatz angegeben wird. Es widerspräche dem Warnzweck der in § 16 Abs. 1 BRTV-Bau normierten Verfallfrist, wenn der Arbeitgeber die Zahlung nur deswegen ablehnen könnte, weil der Arbeitnehmer später nicht die zunächst angegebenen Höchstsätze in Anspruch nimmt. Der Vertragsgegner soll sich lediglich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfrist nicht mehr weiter – und das bedeutet: auch nicht in einem höheren Umfang – in Anspruch genommen zu werden (BAG 40, 258, 260 = AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu 1a der Gründe; ferner Urteil vom 8. August 1979 – 5 AZR 660/77 – AP Nr. 67 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 3a der Gründe).
c) Demnach lief die Ausschlußfrist des § 16 Abs. 1 BRTV-Bau am 15. Juli 1980 ab (§ 188 Abs. 2 BGB). Die Beklagte hat nicht bestritten, das Schreiben der Klägerin vom 11. Juni 1980 erhalten zu haben. Zwar steht nicht fest, an welchem Tage das Schreiben der Beklagten tatsächlich zugegangen ist, ob noch am 11. Juni selbst (was unwahrscheinlich ist) oder an einem der folgenden Tage. Das ist aber auch unerheblich. Denn es wäre Sache der Beklagten gewesen, darzulegen, daß sie das Schreiben erst nach dem 15. Juli, d.h. also nach Ablauf der Ausschlußfrist, empfangen habe. Dazu hat die Beklagte jedoch nichts vorgebracht, so daß von einem Zugang des Schreibens jedenfalls noch innerhalb der Ausschlußfrist auszugehen ist.
3. Schließlich hat die Beklagte auch die Frist für die gerichtliche Geltendmachung im Sinne des § 16 Abs. 2 BRTV-Bau eingehalten. Nimmt man mangels näheren Vortrags mit dem Berufungsgericht an, daß die Beklagte sich auf die schriftliche Geltendmachung der Forderung durch die Klägerin nicht geäußert hat, konnte die Frist für die gerichtliche Geltendmachung frühestens mit dem 25. Juni 1980 in Gang gesetzt werden und folglich auch erst frühestens am 25. August 1980 ablaufen. Durch die an diesem Tage bei dem zuständigen Arbeitsgericht eingegangene Klage ist die Frist daher in jedem Falle gewahrt.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Schneider, Halberstadt, Nipperdey
Fundstellen