Leitsatz (amtlich)
1 Einzelvertraglich vereinbarte „Wege- und Fahrgelder” gehören zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 LohnFG, wenn und soweit sie einem gesunden Arbeiter unabhängig von notwendigen Aufwendungen gezahlt werden. Eine Vergütung für die Wegezeit ist stets fortzuzahlender Lohn.
2 Die Abrede in einem Arbeitsvertrag, wonach ein solches „Wege- und Fahrgeld” im Fall der Krankheit nicht weitergezahlt werden soll, ist nichtig (§ 9 LohnFG).
Normenkette
BGB § 611; Lohn FG § 2 Abs. 1 S. 2; BGB § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 9
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 06.12.1974; Aktenzeichen 3 Sa 893/74) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 6. Dezember 1974 – 3 Sa 893/74 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen neben dem Stundenlohn vereinbarte arbeitstägliche Wege- und Fahrgeld während einer Krankheit des Klägers im Januar und Februar 1974 zumindest teilweise nach § 2 Abs. 1 LohnFG weiterzuzahlen war.
Der Kläger ist seit dem 16. Juni 1972 bei der Beklagten, die ein Montage-Unternehmen betreibt, beschäftigt. Er war zuletzt als Kranfahrer bei den Hoesch-Werken in Hamm eingesetzt. Nach seinen eigenen Angaben wohnt der Kläger etwa 2 km von der Arbeitsstelle entfernt, nach der Behauptung der Beklagten sind es 4,7 km. Den Weg zur Arbeit legt der Kläger täglich mit seinem PKW zurück. Die Parteien haben in einem schriftlichen Arbeitsvertrag neben dem Stundenlohn ein „Wege- und Fahrgeld” vereinbart, das „arbeitstäglich” gezahlt werden sollte. Der Stundenlohn betrug zuletzt 7,65 DM brutto, das Wege- und Fahrgeld 7,– DM pro Tag. Es wird von der Beklagten als außertarifliche Zusatzleistung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Aufwand der Arbeitnehmer gezahlt.
Im Januar und Februar 1974 war der Kläger an insgesamt 18 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Er ist der Ansicht, daß die Beklagte das Wege- und Fahrgeld auch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit zahlen müsse, wobei er sich einen Betrag von 1,– DM pro Tag als tatsächliche Fahrtkostenersparnis abziehen läßt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 108,– DM brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, das gezahlte Wege- und Fahrgeld sei eine Aufwandsentschädigung, die im Fall der Krankheit nicht weitergezahlt werden müsse. Mit ihr würden Fahrtkosten erstattet und der Zeitaufwand für den Weg zur Arbeitsstelle vergütet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Das zwischen den Parteien neben dem Stundenlohn vereinbarte „Wege- und Fahrgeld” ist, soweit nicht Fahrtkosten abgegolten werden, ein Bestandteil des Lohnes, der im Falle der Krankheit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG weiterzuzahlen ist.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG ist dem Arbeiter das ihm für die regelmäßige Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Zu diesem Arbeitsentgelt gehören alle Lohnbestandteile, soweit sie nicht echter Aufwendungsersatz sind. Von der Lohnfortzahlungspflicht sind nur solche Leistungen des Arbeitgebers ausgenommen, die Aufwendungen abgelten sollen, die einem gesunden Arbeiter, nicht aber auch einem kranken Arbeiter, entstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 LohnFG). Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, dem kranken Arbeiter die Lohnbestandteile zu sichern, über die auch ein gesunder Arbeitnehmer frei verfügen kann, und die seinen Lebensstandard ausmachen. Andererseits soll der kranke Arbeiter nicht durch die Weiterzahlung von solchen Lohnbestandteilen begünstigt werden, die auch dem gesunden Arbeiter nicht zur freien Verfügung stünden, weil er mit ihnen echte Aufwendungen im Fall der Arbeitsleistung abdecken muß.
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Berufungsgericht den Anteil am „Wege- und Fahrgeld”, der nicht auf die Fahrtkosten entfällt, zutreffend nicht als Aufwendungsersatz sondern als fortzuzahlenden Lohn angesehen.
a) Der vom Kläger noch geltend gemachte Lohnfortzahlungsanspruch betrifft nicht den Fahrtkostenanteil am „Wege- und Fahrgeld”, Diesen Anteil hat der Kläger von vornherein von seiner Klageforderung abgesetzt. Tatsächlich entstehen Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur bei tatsächlicher Beschäftigung; sie entfallen bei einer Krankheit, Diese täglichen Fahrtkosten hat der Kläger mit 1,– DM angegeben. Die Beklagte hatte dieser Berechnung nicht widersprochen; von ihr ist damit auszugehen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß über den Betrag von 1,– DM hinaus regelmäßig Fahrtkosten entstanden sind. Das hätte die Beklagte im einzelnen auch darlegen müssen.
b) Der restliche Teil des „Wege- und Fahrgeldes” ist echter Lohn und nicht Aufwendungsersatz. Das gilt zunächst für den Teil, der nach Auffassung der Beklagten die zusätzliche Wegezeit des Klägers zur Arbeitsstätte vergüten soll. Diese Vergütung hat nichts mit einem Aufwand, den der Arbeitgeber ersetzen müßte, zu tun, Wegezeitvergütung ist wie die Vergütung für Arbeitszeit echter Lohn, über den der Arbeiter frei verfügen kann.
Von echtem Aufwendungsersatz kann auch keine Rede sein, soweit ein angeblicher Verpflegungsmehraufwand ersetzt werden soll. Der Kläger wohnte höchsten 4,7 km von seiner Arbeitsstätte entfernt. Er konnte täglich in seine Wohnung zurückkehren. Bei dieser geringen Entfernung ist nicht einmal ersichtlich, daß Mehrkosten für Zwischenmahlzeiten wegen längerer Abwesenheit von der Wohnung anfallen. Alle Aufwendungen des Klägers sind vielmehr Teil der Kosten für seine private Lebensführung und nicht durch auswärtige Arbeit bedingte Mehrkosten (vgl. zur Nahauslösung als fortzuzahlendes Arbeitsentgelt das Urteil des Senats vom 2. Oktober 1974 – 5 AZR 555/73 – AP Nr. 5 zu § 2 LohnFG).
c) Wenn aber der Fahrtkostenanteil nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist und andere abzugeltende Aufwendungen nicht anfallen, kommt es nicht darauf an, inwieweit die pauschale Abgeltung der Annahme entgegensteht, es handele sich um echten Aufwendungsersatz.
2. Die Pflicht des Arbeitgebers, das vereinbarte Wege- und Fahrgeld im Fall der Krankheit des Arbeiters nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG fortzuzahlen, entfällt nicht deshalb, weil die Parteien diese Leistung „nur arbeitstäglich” vereinbart hatten, d.h. für die Tage, an denen der Kläger eine volle Arbeitsleistung erbringt.
Wäre die Vereinbarung so auszulegen, würde sie gegen die zwingende Bestimmung des § 2 Abs. 1 LohnFG verstoßen. Der Kläger hat Anspruch auf die volle wirtschaftliche Sicherung im Krankheitsfall. Die Parteien eines Arbeitsvertrages können zu Ungunsten des Arbeiters nichts Abweichendes vereinbaren (§ 9 LohnFG). Nur in Tarifverträgen darf von der Berechnungsmethode des § 2 Abs. 1 und 2 LohnFG abgewichen werden (§ 2 Abs. 3 LohnFG).
a) Der Arbeitgeber kann den Umfang der Lohnfortzahlungspflichten nicht schon deshalb bestimmen, weil es sich um eine außertarifliche Leistung handelt. Die Revision geht zu Unrecht davon aus, daß der Arbeitgeber diese außertarifliche Leistung „freiwillig” erbringe. Darauf kommt es nicht an. Außerdem hat der Kläger auf die Leistung einen Rechtsanspruch, da sie in seinem Arbeitsvertrag als Teil des Arbeitsentgelts vereinbart wurde.
b) Die Beklagte sieht in der vereinbarten arbeitstäglichen Zahlung eine Art Anwesenheitsprämie. In der Tat liefe eine im Sinne der Beklagten ausgelegte Vereinbarung darauf hinaus. An der rechtlichen Würdigung ändert sich jedoch dadurch nichts. Wenn echte Lohnbestandteile für den Fall der Krankheit abgedungen werden, liegt darin eine unzulässige Umgehung eines Arbeitsschutzgesetzes (vgl. zur Anwesenheitsprämie als Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 MuSchG BAG 22, 318 [323] = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie [zu III 4 c der Gründe] und BAG 23, 178 [180 ff.] = AP Nr. 2 a.a.O. [zu 3 der Gründe]; zum ganzen vgl. insbesondere auch Fenn/Bepler, Rd.A. 1973, 218 ff. [222 ff.]). Der Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes, dem Arbeiter im Fall der Krankheit zumindest zeitweise den Lebensstandard zu sichern, würde vereitelt.
Die Entscheidung des erkennenden Senats vom 9. November 1972 (AP Nr. 9 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie) steht dem nicht entgegen. Der vom Senat entschiedene Fall betraf eine einmalige als Gratifikation zu gewährende Sonderzuwendung für andere Zeitspannen als für die durch die Krankheit ausgefallene Arbeitszeit. Nur für diesen Fall hat der Senat in dem Urteil von 1972 ausgeführt, eine Regelung, nach der auch krankheitsbedingte unverschuldete Fehlzeiten zu einer Minderung oder zum völligen Wegfall der gezahlten Prämie führen, verstoße nicht gegen Sinn und Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes. Ob an dieser Auffassung weiterhin festzuhalten ist, bleibt offen (vgl. hierzu Fenn/Bepler, a.a.O., S. 228 ff. und die kritische Anmerkung von Beuthien in AP a.a.O. [zu b]). Der Senat hat in seinem Urteil von 1972 ausdrücklich offengelassen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Anwesenheitsprämie wie hier zum laufenden und damit zu dem wegen der Krankheit ausgefallenen Arbeitsentgelt gehört (AP a.a.O. [Bl. 2 und 2 R]).
Auch die von der Revision erwähnte Entscheidung des Ersten Senats (BAG 23, 430 = AP Nr. 1 zu § 2 LohnFG) steht nicht entgegen. Die Entscheidung beruht auf der Erwägung, daß es den Tarifvertragsparteien gestattet sei, für den Sonderfall der Antrittsgebühren in der Druckindustrie von der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 LohnFG abzuweichen. Ohne diese abweichende tarifliche Regelung wäre die Antrittsgebühr, die zusätzlich zum Lohn für die Arbeit an Sonntagen gezahlt wird, als fortzuzahlendes Arbeitsentgelt und nicht als Aufwendungsersatz anzusehen. Davon geht der Erste Senat aus (BAG 23, 434/435 = AP a.a.O. [zu 2 der Gründe]). Hält man, wie die Revion, Antrittsgebühren und Anwesenheitsprämien für vergleichbar (vgl. hierzu auch BAG AP Nr. 9 zu § 2 ArbKrankhG [zu 3 der Gründe]), ist festzuhalten, daß der Erste und der Fünfte Senat in der rechtlichen Beurteilung dieser Zahlungen als Lohn, der auch im Fall der Krankheit fortgezahlt werden muß, übereinstimmen.
c) Eine vom Gesetz abweichende tarifliche Regelung kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da es sich um eine außertariflich vereinbarte zusätzliche Leistung des Arbeitgebers handelt. Auf die tarifliche Nahauslösung (vgl. Lohntarifverträge für das Maschinenbauer-, Schlosser-, Schmiede-, Werkzeugmacher-, Dreher-, Metallformer- und Metallgießerhandwerk Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1972 und 27. Februar 1974) hatte der Kläger keinen Anspruch. Dieser Tarifvertrag sieht im übrigen auch keine von der gesetzlichen Regelung abweichende Berechnungsmethode für den fort zu zahl enden Lohn vor.
Unterschriften
gez.: Dr. Hilger, Siara, Dr. Heither, Röglin, Liebsch
Fundstellen
Haufe-Index 1420191 |
NJW 1976, 1421 |