Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslösung im Baugewerbe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien haben in § 7.2.2 BRTV-Bau den für einen Auslösungsanspruch maßgeblichen Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses mit der Einstellung in das Unternehmen des Arbeitgebers nicht unabänderlich festgeschrieben. Als maßgeblicher Betrieb kann deshalb auch eine Vertretung des Arbeitgebers angesehen werden, welche die Arbeitsvertragsparteien während des laufenden Arbeitsverhältnisses übereinstimmend zu dessen neuem Mittelpunkt gemacht haben.
2. An eine solche einvernehmliche Änderung sind hohe Anforderungen zu stellen. Die Hinnahme einer vom Arbeitgeber vorgenommenen Neuorganisation reicht hierfür nicht aus. Der Arbeitnehmer muß vielmehr ausdrücklich oder konkludent erklärt haben, daß er mit einer auch seine Auslösungsansprüche betreffenden Festlegung eines neuen Vertragsmittelpunktes einverstanden ist.
Normenkette
TVG § 1; BRTV-Bau § 7
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28. Juli 1997 - 11 Sa 643/97 - aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger für 13 Arbeitstage im April 1996 und 19 Arbeitstage im Mai 1996 Auslösung nach § 7.4.1 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) schuldet.
Der am 17. September 1949 geborene Kläger wohnt in O in der Nähe von Aurich. Er ist bei der Beklagten als Werkpolier im Stundenlohn beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
Der Kläger ist von der Beklagten am 2. Juni 1969 auf einer Baustelle in Hutzfeld in der Nähe von Eutin eingestellt worden. Die von dieser Baustelle aus nächste Niederlassung der Beklagten befand sich im Hamburg. Seit 1989 wird der Kläger von der Niederlassung Achim der Beklagten aus, die in der Nähe von Bremen liegt, auf auswärtigen Baustellen eingesetzt. Seine Baustellenberichte sendet der Kläger an diese Niederlassung.
An 13 Arbeitstagen im April 1996 und 19 Arbeitstagen im Mai 1996 war der Kläger auf einer Baustelle der Beklagten in Oyten eingesetzt. Diese Baustelle befindet sich rund 7 km vom Betrieb der Beklagten in Achim, rund 80 km von der Niederlassung der Beklagten in Hamburg und 148 km von der Wohnung des Klägers entfernt. Der Kläger ist während seiner Tätigkeit in Oyten nicht täglich zu seiner Wohnung zurückgekehrt, sondern jeweils montags zur Baustelle angereist und freitags wieder nach Hause zurückgefahren. Während der Arbeitswoche hat er in seinem eigenen Wohnwagen auf einem von der Beklagten angemieteten Platz übernachtet. Für die Zeit der Tätigkeit des Klägers in Oyten hat die Beklagte Fahrtkosten, aber keine Auslösung bezahlt.
Im hier interessierenden Zusammenhang bestimmt der BRTV-Bau:
„§ 2 Beginn des Arbeitsverhältnisses
1. Arbeitspapiere
Der Arbeitnehmer hat bei seiner Einstellung die üblichen Arbeitspapiere, zu denen auch die Lohnnachweiskarte für Urlaub, Lohnausgleich und Zusatzversorgung im Baugewerbe sowie die Unterlagen über vermögenswirksame Leistungen gehören, dem Arbeitgeber zu übergeben.
…
§ 7 Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuß und Auslösung
1. Allgemeines
Der Arbeitnehmer kann auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Betriebes eingesetzt werden, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann.
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Entfernung und Wohnung
Entfernungen sind nach Maßgabe des kürzesten (im Falle der Nr. 4.7 des günstigsten) mit Personenkraftwagen befahrbaren öffentlichen Weges zwischen der Bau- oder Arbeitsstelle und der Wohnung (Unterkunft) des Arbeitnehmers im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages zu bestimmen.
2.2 Betrieb
Als Betrieb gilt die Hauptverwaltung, die Niederlassung, die Filiale, die Zweigstelle oder die sonstige ständige Vertretung des Arbeitgebers, in der der Arbeitnehmer eingestellt wird. Wird der Arbeitnehmer auf einer Bau- oder Arbeitsstelle eingestellt, so gilt die nächstgelegene Vertretung des Arbeitgebers als Betrieb.
3. Bau- oder Arbeitsstellen mit täglicher Heimfahrt
3.1 Fahrtkostenabgeltung
Der Arbeitnehmer, der auf einer mindestens 6 km von seiner Wohnung entfernten Bau- oder Arbeitsstelle außerhalb des Betriebes arbeitet, und dem kein Auslösungsanspruch gemäß Nr. 4.1 zusteht, hat Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung …
4. Bau- oder Arbeitsstellen ohne tägliche Heimfahrt
4.1 Auslösung
Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig ist, die mehr als 25 km vom Betrieb entfernt ist, und dem die tägliche Rückkehr zur Wohnung (Erstwohnung) nicht zuzumuten ist, hat für jeden Kalendertag, an dem die getrennte Haushaltsführung hierdurch verursacht ist, Anspruch auf eine Auslösung.
…
Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung gilt als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten mindestens einer Wohnung (Erstwohnung oder Zweitwohnung) überwiegend trägt und außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet.
Die tägliche Rückkehr ist nicht zumutbar, wenn der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der Wohnung zur Bau- oder Arbeitsstelle bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels oder eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs mehr als 1 1/4 Stunden beträgt.
…”
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, die Beklagte schulde ihm für die Zeit seiner Tätigkeit auf der Baustelle in Oyten eine Auslösung von 60,40 DM je Arbeitstag. Er sei in der Niederlassung Hamburg eingestellt worden. Daß er später von Achim aus eingesetzt worden sei, ändere hieran nichts. Als Einstellungsbetrieb sei nach wie vor die Niederlassung Hamburg anzusehen. Da die Baustelle Oyten ca. 80 km hiervon entfernt liege und von Hamburg aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht in 1 ¼ Stunden zu erreichen sei, habe er, weil bei ihm hierdurch eine getrennte Haushaltsführung verursacht worden sei, Anspruch auf Auslösung in Höhe von 1.932,80 DM brutto. Der Kläger hat weiter geltend gemacht, für Anfahrten zur Arbeitsaufnahme in Oyten und für Wochenendheimfahrten habe die Beklagte ihm für April 1996 insgesamt 333,00 DM und für Mai 1996 insgesamt 331,75 DM geschuldet. Verrechne man hiermit die von der Beklagten nach § 7.3.1 BRTV-Bau gezahlte Fahrtkostenabgeltung und Wegezeitvergütung, ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 128,25 DM netto, die er sich von seiner geltend gemachten Forderung in Abzug bringen lasse.
Der Kläger hat nach den nicht gerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.932,80 DM brutto abzüglich 128,25 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettodifferenzbetrag seit dem 9. August 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung hat der Kläger für die Beschäftigungszeit auf der Baustelle in Oyten keinen Anspruch auf Auslösung. Er erfülle die tarifvertraglichen Voraussetzungen nicht, weil zumindest seit 1989 ihre Niederlassung Achim der Ort der Einstellung des Klägers sei. Der Kläger werde seither von Achim aus auf verschiedenen Bau- oder Arbeitsstellen dieses Betriebes eingesetzt. Hierauf habe sie sich mit ihm geeinigt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen letzten Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Auslösung hat. Es steht noch nicht fest, ob die Niederlassung der Beklagten in Achim bei Bremen oder die in Hamburg der für den Auslösungsanspruch des Klägers maßgebliche Betrieb i.S.v. § 7.2.2 BRTV-Bau ist. Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen werden.
I. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt ausschließlich von der Antwort auf die aufgeworfene Frage ab.
Ist die Niederlassung der Beklagten in Achim der für den Kläger nach § 7.2.2 BRTV-Bau maßgebliche Betrieb, scheidet ein Auslösungsanspruch für den Einsatz des Klägers in Oyten aus. Bereits die erste Anspruchsvoraussetzung des § 7.4.1 Satz 1 BRTV-Bau wäre nicht erfüllt. Die Baustelle in Oyten lag weniger als 25 km von diesem Betrieb entfernt.
Kommt es demgegenüber auf die Hamburger Niederlassung der Beklagten an, steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zu. Alle Voraussetzungen des § 7.2.2 BRTV-Bau wären erfüllt. Eine getrennte Haushaltsführung lag vor. Dafür genügt es, daß der Arbeitnehmer außerhalb seines Erstwohnsitzes eine Einrichtung unterhält, in welcher er übernachtet. Dies kann eine Wohnung, aber auch ein Campingbus oder ein Personenkraftwagen mit Schlafstelle sein (BAG Urteil vom 29. Juli 1992 - 4 AZR 512/91 - AP Nr. 155 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, zu II 3 b der Gründe). Der Kläger unterhält seine Erstwohnung in O und hat während seiner Arbeit in Oyten in einem ihm gehörenden Wohnwagen auf der Baustelle übernachtet.
Der Kläger trägt zwar nicht im einzelnen vor, daß die getrennte Haushaltsführung durch die Arbeit auf der Baustelle in Oyten verursacht worden ist, weil ihm eine tägliche Rückkehr zu seiner Erstwohnung nicht zuzumuten war. Sein Hinweis, diese Baustelle sei von Hamburg aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht in 1 ¼ Stunden zu erreichen, geht an der tariflichen Regelung vorbei. Die Tarifvertragsparteien haben sinnvollerweise nicht auf die Zeit abgestellt, die für die Fahrt vom Betrieb zur Baustelle aufzuwenden ist, sondern darauf, wie der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg zwischen Baustelle und Wohnung bei Benutzung des zeitlich günstigsten Verkehrsmittels ist. Gleichwohl bedarf es insoweit keiner weiteren Sachaufklärung. Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, daß die Baustelle in Oyten 148 km von der Wohnung des Klägers entfernt war. Da es sich bei dem Wohnort des Klägers um einen kleinen Ort in der Nähe von Aurich handelt, ist auszuschließen, daß diese Entfernung in 1 ¼ Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden kann.
II. Die danach für die Entscheidung des Rechtsstreits allein maßgebliche Frage, ob die Niederlassung Achim oder die Niederlassung Hamburg der Beklagten der für den Auslösungsanspruch des Klägers wesentliche Betrieb ist, kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts aufgrund der bisher festgestellten Tatsachen noch nicht beantwortet werden.
1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, es komme auf die Niederlassung Achim der Beklagten an, und hat deshalb die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zwar zunächst auf der Baustelle Hutzfeld der Beklagten eingestellt worden, weshalb der für seinen Anspruch auf Auslösung maßgebliche Betrieb zunächst die Niederlassung Hamburg der Beklagten gewesen sei. Darauf komme es aber nicht mehr an. Der Kläger sei 1989 zur Niederlassung Achim der Beklagten versetzt worden. Für die Erfüllung der Voraussetzungen eines Auslösungsanspruchs nach § 7.2.2 BRTV-Bau sei maßgeblicher Betrieb nicht derjenige, in den der Arbeitnehmer eingestellt worden sei, sondern der, in den er eingestellt werde. Es komme deshalb nicht nur auf die ursprüngliche Einstellung an. Auch vertragliche Änderungen des Arbeitsortes im Laufe des Arbeitsverhältnisses seien für die Feststellung eines Auslösungsanspruch nach § 7.4.1 BRTV-Bau maßgeblich. Mit der Versetzung des Klägers im Jahre 1989 hätten die Parteien den Ort, an dem der Kläger seine Arbeitsleistung zu erbringen habe, einvernehmlich geändert. Es sei nicht erheblich, ob der Kläger mit der Versetzung einverstanden gewesen sei, oder ob sie kraft Arbeitsvertrages einseitig von der Beklagten habe angeordnet werden können. Mit der durchgeführten Versetzung und der unwidersprochenen Hinnahme dieser Versetzung für einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren sei diese Änderung Bestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien geworden. Die Beklagte habe ihr Direktionsrecht zur Steuerung des Einsatzes des Klägers von Achim und nicht von Hamburg aus ausgeübt.
2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Betrieb, in den der Kläger eingestellt worden ist, die Niederlassung der Beklagten in Hamburg war. Dies war der Betriebssitz der Beklagten, welcher der Baustelle am nächsten lag, auf der der Kläger seine Arbeit aufgenommen hat (§ 7.2.2 Satz 2 BRTV-Bau).
Das Landesarbeitsgericht hat jedoch die Voraussetzungen, unter denen es zu einem Wechsel des für den Auslösungsanspruch nach § 7.4.1 BRTV-Bau maßgeblichen Betriebes kommen kann, zu weit gefaßt.
a) Bei der Festlegung des für den Auslösungsanspruch maßgeblichen Betriebes kommt es nicht darauf an, in welche der in § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau genannten betrieblichen Organisationen ein Arbeitnehmer aktuell eingegliedert ist und von wo aus er seine Weisungen erhält. Hieraus kann sich zwar die tatsächliche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb des Arbeitgebers ergeben. Die Tarifvertragsparteien haben aber nicht auf solche tatsächlichen Umstände während des laufenden Arbeitsverhältnisses, sondern auf Einstellung und Einstellungsort abgestellt. Nach der tarifvertraglichen Regelung kommt es damit auf den mit der Arbeitsaufnahme verbundenen Arbeitsvertragsschluß an. Dies gilt unbeschadet des vom Landesarbeitsgericht betonten Umstandes, daß die Tarifvertragsparteien nicht von dem Betrieb gesprochen haben, in dem der Arbeitnehmer eingestellt „worden ist”, sondern von dem, in dem er eingestellt „wird”. Diese Wortwahl bedeutet nicht, daß damit jede während des Arbeitsverhältnisses herbeigeführte Änderung des tatsächlichen Beschäftigungsmittelpunktes als Einstellung i.S.d. § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau anzusehen wäre. Die von den Tarifvertragsparteien gewählte Gegenwartsform ist vielmehr damit zu erklären, daß sie mit dem Begriff „Einstellung” den während eines Arbeitsverhältnisses einmaligen des Arbeitsvertragsschlusses gemeint haben. Dies zeigt § 7.2.2 Satz 2 BRTV-Bau. Dort wird bestimmt, was gilt, wenn ein Arbeitnehmer auf einer Baustelle „eingestellt wird”. In diesem Falle soll die der Baustelle nächstgelegene Vertretung des Arbeitgebers der maßgebliche Betrieb sein. Hier kann mit dem Begriff der Einstellung nur der mit der Arbeitsaufnahme verbundene Arbeitsvertragsschluß gemeint sein. Der weisungsgemäße Arbeitsantritt auf einer neuen Baustelle innerhalb eines laufenden Arbeitsverhältnisses wird nach dem allgemeinen Wortgebrauch nicht als „Einstellung” auf dieser Baustelle verstanden. Es ist dann aber auszuschließen, daß die Tarifvertragsparteien den Ausdruck „eingestellt werden” in § 7.2.2 Satz 1 BRTV-Bau in einem anderen Sinne verstanden haben als in § 7.2.2 Satz 2 BRTV-Bau.
b) Allerdings ist auch nach Auffassung des Senats trotz des Wortlauts des § 7.2.2 BRTV-Bau nicht davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien den für einen Auslösungsanspruch maßgeblichen Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitsvertragsschluß ein für alle Mal und unabänderlich festschreiben wollten.
Hierfür spricht zwar, daß ein Arbeitnehmer grundsätzlich nur einmal in ein Arbeitsverhältnis „eingestellt” wird. Aus dem Ort der Einstellung ergibt sich dann der zunächst privatautonom geschaffene und danach von den Tarifvertragsparteien mit normativer Wirkung aufgegriffene Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses. Er bleibt dies grundsätzlich für die Dauer der Arbeitsvertrages. Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck tarifvertraglicher Auslösungsbestimmungen. Es geht darum, die erhöhten Kosten des Arbeitnehmers auszugleichen, die durch die getrennte Haushaltsführung entstehen, die ihrerseits durch auswärtige Tätigkeiten verursacht worden ist (BAG Urteil vom 29. Juli 1992 - 4 AZR 512/91 - AP Nr. 155 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, zu II 3 b der Gründe). Man kann davon ausgehen, daß die Tarifvertragsparteien es als Normalfall angesehen haben, daß ein Arbeitnehmer des Baugewerbes in der Nähe seiner Wohnung eingestellt wird. Mit der Wahl der dem Einstellungsort zugeordneten Vertretung des Arbeitgebers als des maßgeblichen Ausgangspunkts für den pauschalierten Aufwendungsersatz durch eine Auslösung werden die privaten und die betrieblichen Interessen der Beteiligten angemessen berücksichtigt. Einerseits kann der Arbeitgeber des Baugewerbes entsprechend den Besonderheiten der Branche den Arbeitsort weitergehend als im allgemeinen Arbeitsrecht üblich bestimmen, indem er auch Arbeitsorte festlegt, die der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus nicht an jedem Arbeitstag erreichen kann, wenn sie nur dem betreffenden Betrieb zugeordnet sind. Andererseits hat der Arbeitnehmer die Planungssicherheit, daß der Aufwand, der erforderlich ist, um die auswärtige Baustelle von seiner Wohnung aus zu erreichen, ausgeglichen wird.
Diese Gesichtspunkte zeigen aber zugleich, daß die Tarifvertragsparteien den „Betrieb, in dem der Arbeitnehmer eingestellt wird”, nicht abschließend und für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses festlegen wollten. Es kann dringende private Gründe geben, etwa einen familiär veranlaßten Umzug, den Arbeitsmittelpunkt zu verändern. Ebenso kommen betriebliche Gründe in Betracht, die es nahelegen, den für den Auslösungsanspruch des einzelnen Arbeitnehmers maßgeblichen Betrieb zu ändern, wie der Wegfall von geeigneten Baustellen im Einzugsbereich einer Niederlassung oder gar deren Auflösung. In beiden Fällen könnte es den Arbeitsvertragsparteien nicht verwehrt werden, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen und einen neuen Arbeitsvertrag an anderer Stelle abzuschließen. Aus dem tariflichen Regelungszusammenhang ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien, die in § 7.2.2 BRTV-Bau an die privatautonome Entscheidung der Parteien bei Vertragsschluß abgestellt haben, dafür den einfacheren Weg einer einvernehmlichen Vertragsänderung ausschließen wollten (im Ergebnis ebenso: Karthaus/Müller, Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 4. Aufl., S. 236).
c) Als für den Auslösungsanspruch maßgeblicher Betrieb i.S.d. § 7.2.2 BRTV-Bau ist deshalb grundsätzlich auch ein Betrieb anzusehen, den die Arbeitsvertragsparteien während des laufenden Arbeitsverhältnisses übereinstimmend zu dessen neuem Mittelpunkt gemacht haben. Angesichts des Wortlautes des Tarifvertrages, der grundsätzlich den Ort des Arbeitsvertragsschlusses für maßgeblich erklärt, und der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien kann hierfür aber nicht genügen, daß der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber vorgenommenen Neuorganisation lediglich hinnimmt. Es bedarf vielmehr einer ausdrücklichen oder mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommenen konkludenten Vertragsänderung, wenn der für den Aufwendungsersatz maßgebliche Vertragsmittelpunkt geändert werden soll. Hierzu reicht nicht allein die Befolgung von Weisungen, die eine andere als die bisherige Vertretung des Arbeitgebers erteilt, oder der Umstand, daß Baustellenberichte weisungsgemäß an einen anderen Betrieb gesendet werden als den, in welchen der Arbeitnehmer ursprünglich eingestellt worden ist. Erforderlich ist eine zweifelsfreie räumliche Neuorientierung des Arbeitsverhältnisses in dem beiderseitigen Bewußtsein, damit den Arbeitsmittelpunkt und die Grundlage für den pauschalierten Aufwendungsersatz nach § 7 BRTV-Bau neu festzulegen.
III. Nach diesen Maßstäben ist eine einvernehmliche Neufestlegung des Mittelpunktes des Arbeitsverhältnisses nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht einmal verlangt, daß der Kläger mit der von der Beklagte als Versetzung bezeichneten organisatorischen Veränderung einverstanden war. Das Landesarbeitsgericht ließ es genügen, daß er diese Veränderung sechs Jahre lang unwidersprochen hingenommen habe. Dies reicht nicht aus.
Eine einvernehmliche Verlegung des Mittelpunktes des Arbeitsverhältnisses in die Niederlassung Achim könnte aber vorliegen, wenn die Behauptung der Beklagten näher konkretisiert und bewiesen würde, der Kläger sei mit der Versetzung nach Achim ausdrücklich einverstanden gewesen. Dabei wird auch zu klären sein, inwieweit dem Kläger bewußt sein mußte, daß damit eine Veränderung des Arbeitsmittelpunktes einhergehen sollte, auch was den Aufwendungsersatz angeht. Die bloße Hinnahme der Änderung der weisungsausübenden Stelle wäre nur dann hinreichend deutlich als konkludentes Einverständnis mit einer Vertragsänderung zu verstehen, wenn der Kläger die sich aus dieser Veränderung ergebenden wirtschaftlichen Nachteile, insbesondere bei der Berechnung der Auslösung, ohne Widerspruch hingenommen hätte. Hierfür gibt es nach dem bisherigen Parteivortrag keine Anhaltspunkte. In den Arbeitsberichten des Klägers über die Arbeitstage in Oyten, die Gegenstand des Rechtsstreits sind, hat der Kläger jedenfalls in den hierfür vorgesehenen Spalten den Anspruch auf Auslösung angekreuzt. Zumindest dann, wenn zwischen den Parteien zum fraglichen Zeitpunkt noch keine Auseinandersetzungen über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Auslösung bestanden, spricht ein solches Verhalten dagegen, daß der Arbeitsmittelpunkt für den Kläger einvernehmlich geändert worden ist. Bei einem Arbeitnehmer wie dem Kläger, der lange Jahre im Baugewerbe tätig und gewerkschaftlich organisiert ist, kann man davon ausgehen, daß er seine fehlende Anspruchsberechtigung erkannt hätte, wenn für ihn der Betrieb in Achim maßgeblich war.
Nach alledem wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob der Kläger sich tatsächlich mit einer Änderung seines Arbeitsvertrages einverstanden erklärt hat, durch die der Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses verlegt wurde.
Unterschriften
Kremhelmer, Kreft, Bepler, Fruchtbar, Lohre
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.05.1999 durch Kaufhold, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 520 |
DB 2000, 576 |
EBE/BAG 2000, 22 |
ARST 2000, 94 |
FA 1999, 412 |
NZA 2000, 265 |
AP, 0 |
AUR 2000, 118 |